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Halloween

Wie „sexy” Halloween-Kostüme zum Verkaufsschlager wurden

Von skandalösen 70er-Jahre-Partys in Greenwich Village bis hin zur „sexy Pizza-Ratte”—aufreizende Halloween-Kostüme haben eine lange Tradition.
Image via Flickr user Nenortas Photography

Halloween ist die Lebensader einer schätzungsweise 2,3 Milliarden Euro schweren Kostümindustrie. Eine Kostümindustrie, die es uns nicht nur ermöglicht, einmal im Jahr unsere gruselige, dunkle Seite rauszulassen, sondern die nach einer großen Prämisse funktioniert: Egal wie viel Kunstblut, falsche Gedärme oder vermeintlich amputierte Körperteile involviert sind—verkleideten Frauen sollte es trotzdem primär darum gehen, gut auszusehen.

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Das ist kein Vorwurf. Ob dein nächtliches Party-Outfit nun eine Hommage an das aktuelle politische Geschehen oder die tief ausgeschnittene Interpretation eines Gesetzeshüters ist—wir unterstützen die herbstlichen Ausschweifungen in allen Formen. Als Feministen glauben wir an die Entscheidungsfreiheit. Unsere Vormütter haben schließlich nicht umsonst ihre BHs verbrannt (während sie zu allem Überfluss auch noch unter den schaurigen Nebenwirkungen früher hormoneller Verhütungsmittel litten). Ganz im Ernst: Wir haben es der Frauenrechtsbewegung der 70er-Jahre zu verdanken, dass wir moderne Klassiker wie den sexy Geldregen überhaupt zur Auswahl haben.

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Sexy Kostüme gibt es schon mindestens seit dem viktorianischen Zeitalter in den verschiedensten Formen und Farben. Allerdings stieg die Nachfrage erst zur Zeit von Diskomusik und Cameltoes. Es ist nicht weiter überraschend, dass die Zeit, die zum Durchbruch im Kampf um die Rechte von Frauen und Homosexuellen geführt hat, auch die Zeit der wildesten, freizügigsten und skandalösesten Halloween-Partys war. Laut der Halloween-Historikerin Lesley Bannatyne haben berühmte queere Stadtbezirke großer amerikanischer Städte—von Greenwich Village bis Castro—dem sexy Kostüm mit mehr als nur einem Augenzwinkern auf die Sprünge geholfen. „Wenn man die zweite Feminismuswelle mit Ausschweifungen und einem allgemeinen Gefühl von Freiheit kombiniert, kommen dabei die skandalösesten Kostüme raus", sagte sie gegenüber der TIME.

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Doch laut eines 2006 erschienen Berichts der New York Times hat es bis zur Jahrtausendwende gedauert, bis das prahlerisch freizügige Halloween-Kostüm zu einer festen Größe wurde. Im selben Artikel gestand der damalige Einkaufsleiter von BuyCostumes.com, dass schätzungsweise 90 bis 95 Prozent der Frauenkostüme, die der Shop zu dieser Zeit im Angebot hatte, zumindest „ansatzweise sexy" waren. Irgendwann musste die Seite ihre „attraktiven Angebote" in drei separate Kategorien unterteilen. Neun Jahre später sind es sogar schon vier, wie ich bei meiner Recherche festgestellt habe.

Sexy Trump, sexy Pizza-Ratte und sexy Nemo—natürlich alle unter falschem Namen, um das Urheberrecht zu umgehen—schmücken die Homepage von Yandy.com.

Die gesamte Bandbreite von BuyCostumes.com ist ein Sinnbild purer Geschmacklosigkeit. Zum einen gibt es da das Model, das sich in ein hautenges „Teenage Mutant Ninja Turtles"-Kostüm aus smaragdgrünem Lamé geschmissen hat und mit lässig zur Seite geneigter Hüfte posiert, um uns daran zu erinnern, dass wir für nur 22,88 Euro auch der Traum eines jeden Schildkrötenfetischisten werden könnten. Außerdem gibt es noch den „Air Force Angel", der im Jumpsuit salutiert und den „Victorian Vamp", dessen Produktbeschreibung nur zur Hälfte der Wahrheit entspricht. Die Kostüme sind nicht unbedingt sexy, sondern eher so eine Art alberne, witzige Adaptionen popkultureller Ikonen in Form von leichtentflammbaren Stoffen. Die Outfits sind vor allem deshalb „ansprechend", weil sie implizieren, dass ihre Trägerin sich selbst nicht allzu ernst nimmt und Spaß versteht. Fair enough.

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Yandy.com kommt der allgemeinen Vorstellung von sexy Kostümen aber wohl am nächsten—sprich, nur so viel Stoff, um von der Tatsache abzulenken, dass man auch gleich auf das Kostüm verzichten hätte können. Gleichzeitig wird ziemlich offensichtlich, dass bei der Kollektion ein besonderes Augenmerk auf die Viralität gelegt wurde. Sexy Trump, sexy Pizza-Ratte und sexy Nemo—natürlich alle unter falschem Namen, um das Urheberrecht zu umgehen—schmücken die Homepage von Yandy.com und lassen keinen Zweifel daran, dass die Kostüme auf Klicks und Shares zugeschneidert sind.

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Ein vor Kurzem erschienener Bericht von Bloomberg Business bestätigt, dass die Netzkultur eine immer wichtigere Rolle für das Kostümdesign spielt, doch die wenigsten Kunden kaufen sich die flachen Witze am Ende auch. Das Kostüm von der bekannten pizzaliebenden Ratte aus der New Yorker U-Bahn war im vergangenen Jahr zwar ein viraler Hit, verkauft wurden davon in der Woche vor Halloween allerdings nur 100 Stück. Offiziellen Angaben zufolge ist das beliebteste Halloweenkostüm für Erwachsene nach wie vor der gute alte Festtagsklassiker: die Hexe—dicht gefolgt von Tieren, Zombies, Piraten und Vampiren. Und das, obwohl es durch soziale Medien und die sich ständig wechselnden popkulturellen Trends „für Kunden leichter den je ist, ein kreatives Halloween-Kostüm zu finden", wie Pam Goodfellow, führende Chefanalystin von Prosper Insights, es in einer Pressemitteilung der US-amerikanischen National Retail Federation, die die Vorlieben der Amerikaner zu Halloween Dollar für Dollar nachverfolgt, formulierte.

Wie so vieles ist allerdings auch Sexiness zyklusabhängig. George Garcia, Besitzer eines großen Geschäfts für Fantasy-Kostüme in Chicago, schätzt, dass sich sexy Kostüme momentan sogar auf dem absteigenden Ast befinden. „Ich habe das Gefühl, dass sie nicht mehr so beliebt sind wie noch vor vier oder fünf Jahren", sagt er. Grund dafür sind seiner Einschätzung nach die neuen Action- und Superhelden-Filme und die zugehörigen Fanartikel, durch die charaktertreue Kostüme wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt wurden. Gleichzeitig muss er aber auch zugeben: Das freizügige Catwoman-Kostüm gehört nach wie vor zu den absoluten Bestsellern.


Foto: imago | Xinhua