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Film

Eine richtige Betty: Die Geschichte des 90er-Jahre-Kultfilms „Clueless"

Regisseurin Amy Heckerling über Jugendsprache, Jungfrauen ohne Führerschein und wie einer der ikonischsten Filme unserer Jugend beinahe ganz anders geworden wäre.
Images courtesy of Metrograph

„Ich kann dir bei jedem Wort sagen, woher es stammt", antwortet die Regisseurin Amy Heckerling. Gerade sprechen wir über den Ursprung der mittlerweile zum Kult gewordenen Clueless-Dialoge, die die Sprache einer ganzen Generation mitprägten. Ein Mitglied der Crew schlug den Ausdruck „going postal" vor, was so viel bedeutet wie „ausrasten" oder „Amok laufen". Tatsächlich hatten die Schauspieler damals aber noch gar keine Ahnung, was damit gemeint sein könnte. Der Satz „Keeping it real" (in der deutsche Fassung: „Weil ich es will") kam dem Schauspieler Donald Faison am Set spontan in den Sinn. Und die Floskel „As if!" (zu deutsch „Als ob!") geht direkt zurück auf eine gute Freundin von Heckerling. „Hymenally challenged", was so viel bedeutet, wie durch seine Jungfräulichkeit eingeschränkt zu sein, war Heckerlings Reaktion auf die zunehmende Verbreitung von Computern in den 90ern. Doch ist sie auch dafür verantwortlich, dass man das Wort „whatever" immer und überall zu hören bekommt? „Ich habe in einer linguistischen Studie gelesen, dass ‚whatever' das Unwort des Jahres war", sagt sie und klingt dabei ein bisschen schadenfroh. „Es lässt sich einfach in so vielen Situationen anwenden." Die Eltern von Teenagern vergangener und zukünftiger Generationen können sich also bei ihr bedanken.

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Es ist der Stärke von Heckerlings Drehbuch zu verdanken, dass Clueless sowohl so zeitgemäß als auch zeitlos wie sein großes literarisches Vorbild ist. Eigentlich ist der Film nämlich eine moderne Neufassung von Jane Austen's Emma, der die Geschichte aus einem englischen Herrenhaus des 19. Jahrhunderts nach Beverly Hills, dem Epizentrum der „modernen Lässigkeit" cooler Teenager, verpflanzt. Heckerling hat es geschafft, den Geist und den satirischen Witz von Austens Roman zu bewahren, während sie die Dialoge in die Umgangssprache der 90er übertragen hat. Einerseits stellt Clueless eine Art Zeitkapsel dar, in der die Popkultur von 1995 konserviert wurde, andererseits musste das damals noch junge Publikum zum Teil auch erst in den Film reinwachsen. So machen selbst diejenigen, die damals noch zu jung waren, um die subtilen Anspielungen, das verschmitzte Augenrollen, die Doppeldeutigkeiten und die zahlreichen Querverweise des Films zu verstehen—auch wenn sie trotzdem andauernd von allen zitiert wurden—heute Memes daraus.

Heckerling ist mittlerweile 62 Jahre alt, spricht aber nach wie vor gerne über den Film. Sie freut sich über die positive Rückmeldung, die sie nach wie vor bekommt, gibt aber auch gerne zu, dass einer der unvergesslichsten Momente des Films—als Cher in Mr. Halls Debattierclub das Wort „Haitians" falsch ausspricht, was in der deutschen Fassung leider nicht übernommen wurde—nicht mehr als ein glücklicher Zufall war. „Das stand so nicht im Drehbuch", erinnert sich Heckerling, „aber so hat sie es gesagt. Jeder ist plötzlich auf sie [Alicia Silverstone] zugerannt und wollte sie korrigieren. Ich meinte aber nur: ‚Bleibt von der Schauspielerin weg!' Ich wollte nicht, dass sie einfach nur schauspielert. Ich wollte, dass sie dieses Selbstbewusstsein wirklich spüren konnte."

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Doch es gibt einen großen Unterschied zwischen einfach nur dümmlichen Charakteren und der Hauptfigur in Clueless. „Ich wollte nicht, dass [Cher] nicht intelligent ist", erklärt Heckerling. „Ich wollte nur, dass ihr nicht klar ist, was sie noch nicht weiß." Cher ist sicherlich nicht auf den Kopf gefallen. Sie mag vielleicht „Spartakus" falsch aussprechen, Billie Holiday für einen Mann halten und die Fernsehzeitung anstelle von Shakespeare zitieren, aber sie lässt auch ganz nebenbei Wörter fallen wie „kapriziös" oder „sporadisch". Und sie verwendet Monet als Metapher, um ihre Widersacherin quer durch den Raum zu dissen. („Sie ist ein Monet … von weitem betrachtet ist sie OK, von nahem nur ein großes Durcheinander.")

Cher redet ziemlich viel—und sie redet schnell. Sie hat immer eine geistreiche Bemerkungen parat und einen gelungenen Konter griffbereit und vor allem ist sie sich bewusst, dass ihre rhetorischen Fähigkeiten ihre stärkste und mächtigste Waffe sind—selbst wenn sie sie manchmal etwas fehlgeleitet einsetzt. (Wie Emma ist auch Cher vor allem damit beschäftigt, andere Leute zu verkuppeln und sich in ihr Leben einzumischen, um gewissermaßen ihr soziales Universum zu kontrollieren). Aus diesem Grund kann man sie wohl auch ziemlich treffend als direkten Nachfahren der schnell sprechenden Damen aus Filmen der 30er- und 40er-Jahre charakterisieren, obwohl sie im Grunde genommen der Inbegriff eines Mädchens aus dem LA-Valley ist. „Das gefällt mir!", meint Heckerling, als sie von der Theorie hört. „Ich sehe in ihr gerne die Enkelin von Una Merkel."

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Amy Heckerling

Heckerling ist ganz klar von Sprache fasziniert—Slangs, Tonalitäten, Rhythmen und Akzente. Zuzuhören ist nicht nur Teil ihrer Arbeit als Autorin, sondern vielmehr eine Lebenseinstellung. Sie besitzt immer noch eine Kopie der 1995 erschienen linguistischen Studie, die sie als Referenz für ihre Arbeit bei Clueless verwendet hat. Sie hat sie bei sich zu Hause immer griffbereit für den Fall, dass sie sie braucht. Doch abgesehen von ihrer Expertise für Jugendsprache redet sie selbst wie eine geborene New Yorkerin: Sie spricht das T sehr hart aus und verschluckt das H am Wortanfang. Sie hat den dezenten, klaren Kleidungsstil einer Frau von der Ostküste, die sich am liebsten ganz in Schwarz kleidet (heute trägt sie allerdings einen dunkelgrünen Blazer und ein weißes Hemd), wozu auch ihr dicker schwarzer Eyeliner passt.

Ihr einfarbige Eleganz scheint in direktem Kontrast zu den Bonbonfarben des Films zu stehen, was ebenfalls Heckerlings vielseitigen Interessen, Vorlieben und Referenzen zuzuschreiben ist. Im Laufe unseres Interviews kommt sie von den Bowery Boys über die Gedichte von John Donne auf Woody Allen und erzählt von ihrer Vorliebe für das japanische Kino aus der Vorkriegszeit (vor allem Ozu Yasujirō) und Fritz Langs Film M. Sie ist darüber hinaus auch ein großer Fan von alten amerikanischen Gangsterfilmen und klassischen Musicals. Im Moment arbeitet sie an einer Musical-Version von Clueless. Tatsächlich sind auch die Kniestrümpfe, die dank Cher und ihrer Clique über Nacht modern wurden, eine Hommage an Liza Minnelli in Cabaret. „Sie sang damit ‚Auf Wiedersehen, mein Herr' und ich war total verrückt nach ihnen!", sagt Heckerling.

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Sowohl die Regisseurin als auch die Kostümdesignerin Mona May waren zu der Zeit, als sie den Film gemacht haben, total abgeschreckt von dem ganzen Grunge-Ding der 90er. „Ich konnte nicht fassen, dass diese [tiefsitzenden Hosen] so lange in Mode waren", sagt Heckerling. „Man hat sich die Jungs angeguckt und gedacht: ‚Warum sollte ich jemanden süß finden, der den Gürtel unter seinem Hintern trägt?" Klingt vertraut? Stichwort: „Die sehen doch aus, als wären sie gerade erst aus dem Bett gefallen … und wir sollen vor Begeisterung dahinschmelzen? Na, wohl kaum."

Sie mieden übergroße Flannelhemden und wählten einen angepassteren, feminineren Look. Heckerling und May erschufen einige der denkwürdigsten Outfits der letzten 20 Jahre, indem sie sich für einen Look entschieden, der sowohl zur Ästhetik als auch zu einem guten Dialog beitragen würde. Zum Beispiel Chers weißes Hemd ohne Kragen von Fred Siegel—das Outfit, in dem sie am kompetentesten aussieht; das rote Kleid von Alaia, in dem sie ausgeraubt wird; das weiße, hautenge Kleid von Calvin Klein, zu dem ihr Vater nur meinte: „Sieht aus wie Unterwäsche"; Ihre lila Clogs. Und wer könnte Dionnes Hut von Dr. Seuss vergessen (was tatsächlich vom Grunge-Trend eingeschleppt wurde und an das Musikvideo zu „What's up" von den 4 Non Blondes erinnert)?

Hinter dem kommerziellen Erfolg und dem zeitgeistformenden Erbe des Films steckt ein langer beschwerlicher Weg. So wurde Heckerling unter anderem von Fox vorgeschlagen, sich mehr auf die männlichen Charaktere zu konzentrieren. Die ganze pseudo-inzestuöse Romanze mit Chers Stiefbruder Josh (gespielt von dem jungen Paul Rudd) hat ebenfalls die Alarmglocken bei den Verantwortlichen schrillen lassen. „Das war so albern", erinnert sich die Regisseurin. „Sie meinten: ‚Wie kann man nur Sex mit seinem Stiefbruder haben?' Aber sie waren ja nicht verwandt, ihre Eltern waren nur kurze Zeit verheiratet und [Chers] Vater hatte noch immer ein gutes Verhältnis zu [Josh]. Das ist ja nicht verboten!?" Letztendlich wollte Fox den Film nicht haben, also ging Heckerling mit ihrem Drehbuch zu Paramount. „Ich erzählte Scott Rudin von all den Dingen, die ich ursprünglich in dem Film mit drin hatte und er sagte mir, dass ich sie alle wieder mit reinnehmen sollte."

Was ist mit der dämlichen Behauptung, Mädchen könnten nicht witzig sein? Ist Heckerling deswegen in den Studios und bei anderen Drehbuchautoren auch gegen Wände gelaufen? „Und ob", sagt sie. Dabei ist es überraschend und ein bisschen erschreckend, dass Heckerling, eine erstklassige Dialogistin, nicht im selben Atemzug mit Filmemachern wie Whit Stillman oder Noah Baumbach erwähnt wird.

Für alle, die sich wundern, was hinter der „ziemlichen fiesen" Beleidigung „Du bist ne Jungfrau, die nicht Autofahren darf" steckt: „Nun ja, das war ich selbst—eine lange Zeit lang", lacht Heckerling, „Man nimmt die Dinge, die einem am peinlichsten sind und baut sie einfach mit ein."