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Männer

Männer finden Junggesellenabschiede demütigend, peinlich und entwürdigend

Stripperinnen, jede Menge Alkohol und ein letztes Mal „frei sein“—alles Dinge, die Männer lieben, richtig? Falsch, sagt eine neue Studie. Wir haben die Forscher gefragt, warum die Junggesellenabschiedsindustrie dann trotzdem boomt.
Photo by Studio Firma via Stocksy

„Männer sagen bei Junggesellenabschieden immer: ‚Diese Geschichte werde ich noch meinen Enkeln erzählen.' Würdest du deinen Enkeln aber tatsächlich erzählen, dass du so betrunken warst, dass du ohnmächtig geworden bist? Oder dass dir, als du bewusstlos warst, irgendeine Kellnerin ‚Hurensohn' auf die Stirn geschrieben hat, woraufhin dich die ganze Bar ausgelacht, Fotos von dir gemacht und die Bilder auf Facebook gepostet hat?"

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Ich spreche mit Dr. Daniel Briggs, einem ethnografischen Forscher der Universidad Europea in Madrid. Er ist der Co-Autor einer neuen ethnografischen Studie, die festgestellt hat, dass die meisten Männer—trotz Vollsuff, Stripperinnen und Scheinchen—eigentlich überhaupt keinen Spaß auf Junggesellenabschieden haben, sondern lieber nach Hause gehen würden.

Dr. Briggs Studie ging aus anderen Untersuchungen zu Tourismus, Männlichkeit und Gewalt hervor und wurde über mehrere Jahre in „Bachelor Party"-Hochburgen wie Ibiza, Magaluf und Osteuropa durchgeführt. Er sagt, dass es nur sehr wenige Studien über die soziale Dynamik hinter Junggesellenabschieden und den potenziellen Schaden, den sie anrichten können, gibt.

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Es ist zum Teil auch der Popularität von Filmen wie Hangover oder immer billiger werdenden internationalen Flügen zu verdanken, dass die Industrie so lukrativ geworden ist. Eine Studie hat herausgefunden, dass 1,3 Millionen Briten 2015 ins Ausland gefahren sind, um dort ihre Bachelor- beziehungsweise Bachelorette-Party zu feiern. Jeder Einzelne von ihnen gab zu diesem Anlass im Schnitt umgerechnet 780 Euro aus. Doch diese vorehelichen Festivitäten haben auch eine dunkle Seite: Junggesellenabschiede werden oft mit dem Menschenhandel in Europa in Verbindung gebracht und können sogar tödlich enden. Im Juli ertrank ein Trauzeuge, nachdem er bei einer Party angeblich bewusstlos von einem Boot geschubst wurde und im Juni starb ein zukünftiger Bräutigam in der ersten Nacht seiner Bachelor-Party in Magaluf, Spanien.

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„Forscher haben festgestellt", erklärt Briggs, „dass Junggesellenabschiede oft gegen den Willen des Bräutigams und ohne die einvernehmliche Zustimmung der Gruppe auf ein noch extremeres Level gehoben werden." Er erzählt von betrunkenen Männern, die sich in fremden Städten verlaufen oder Junggesellenabschiede, bei denen der Bräutigam—nackt—mit Frischhaltefolie an eine Tür gefesselt wird. Seiner Ansicht nach beugen sich Männer dem Druck, sich an solchen beschämenden oder demütigenden Ritualen zu beteiligen, auch wenn sie es gar nicht wollen.

„Wenn man hinter all diese Momente der öffentlichen Demütigungen und Erniedrigungen schaut, merkt man, dass sich die meisten Männer ziemlich unwohl dabei fühlen", meint Briggs. Seiner Ansicht nach kurbeln Bachelor-Partys ein soziales Konstrukt von Männlichkeit an, das höchst performativ ist.

Foto: Global Panorama | Flickr | CC BY-SA 2.0 (bearbeitet)

„Wenn wir darüber nachdenken, was es heißt, heutzutage jung zu sein", sagt Briggs, „dann geht es darum, Erfahrungen zu sammeln, für die wir später im Leben soziale Glaubwürdigkeit einheimsen können. Auf diese Weise zeigen wir, dass wir ein erfülltes Leben geführt haben." Das Verhalten, erklärt er, ist selbstverstärkend und durch den Druck von Gleichaltrigen motiviert. „Die Leute haben das Gefühl, dass sie sich so verhalten sollten, also verhalten sie sich so—auch wenn sie sich dabei unwohl fühlen. Wenn man die Leute aus solchen Situationen rausnimmt und sie fragt, wie sie sich angesichts dessen, was am Vortag passiert ist, fühlen, sagen sie in der Regel, dass sie sich erniedrigt fühlen und schämen."

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„Ich kann mich an einen Junggesellenabschied erinnern, bei dem wir war", erzählt mir Briggs. „Der Bräutigam wehrte sich so heftig gegen die Idee, in einen Stripclub zu gehen, dass er sich fast mit dem Trauzeugen gekloppt hätte. Er ging dann doch in den Stripclub, fühlte sich angesichts all der nackten Frauen, die ihn nach einem Tanz fragten, aber unglaublich unwohl. Der Trauzeuge wiederum dachte, dass man von ihm erwartete, dass er so etwas organisieren würde."

„Jeder neigt dazu, Dinge mitzumachen, die er nicht unbedingt mag, um mit dem Rest der Gruppe mitzuhalten", erklärt der 32-jährige James*. „Meistens geht es vor allem darum, sich schon kurz nach dem Aufstehen dumm und dämlich zu saufen. All die Scheiße, die man sich anhören muss, wenn man aussteigt, ist es einfach nicht wert." Folglich entwickeln sich Bachelor-Partys „für alle Beteiligten zu einer Art Belastungsprobe. Am Ende ist man entweder so genervt oder so verkatert, dass man überhaupt keinen Spaß mehr hat."

Brigss betont, dass Junggesellenabschiede ein wichtiger Bestandteil der modernen Hochzeitsindustrie geworden sind: „Es ist Teil der Konsumgesellschaft, in der wir leben. Es gibt kommerzielle Erwartungen hinsichtlich dessen, wie wir uns verhalten, was zusätzlich durch soziale Erwartungen verstärkt wird. Deswegen gibt es auch Websites, die Trinkpakete und Clubeintritte anbieten. Außerdem gibt es kommerzielle Vorstellungen, die die Erwartung an bestimmte Verhaltensweisen steuern."

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Es ist nichts Neues, dass die gängigen Vorstellungen von Männlichkeit vor allem den Männern selbst schaden. Wie Bakterien, die sich in einer warmen Petrischale vermehren, sorgen auch Junggesellenabschiede für die optimalen Bedingungen, um männlichen Gruppenzwang gedeihen zu lassen. „Wenn es eine kleine Gruppe ist, die den exzessiven Konsum von Alkohol und Drogen unterstützt, ist das Risiko sehr hoch", warnt Briggs, „und es kann zu schrecklichen Unfällen kommen."

Obwohl für James* alles nochmal glimpflich ausgegangen ist, sind auch seine Erinnerungen an die letzten Junggesellenabschiede eine düstere Mischung aus Übelkeit und Verzweiflung.

„Wir haben die ganze Nacht über getrunken und Drogen genommen. Um zehn Uhr morgens sind wir dann in den Bus gestiegen und Kanu fahren gegangen", erinnert er sich. „Die Wirkung von Drogen und Alkohol ließ in dem Moment nach, als wir ins Wasser gingen. Folglich habe ich die darauffolgenden Stunden damit verbracht, mich entweder zu übergeben oder flach auf den Boden des Kanus zu liegen. Am Ende habe ich mich ins Wasser geworfen in der Hoffnung, dass ich mich danach besser fühlen würde."

„Es hat aber nichts geholfen."


*Name wurde geändert.

Titelfoto: imago | snapshot