Ich bin fast 30 und habe eine Woche lang versucht, ein cooler Teenager zu sein
Me, as a cool teen. All photos by Regina Lemaire-Costa

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Teenager

Ich bin fast 30 und habe eine Woche lang versucht, ein cooler Teenager zu sein

Schon nach dem ersten Gespräch mit meinem 14-jährigen Cousin wurde mir klar: Auf Instagram und Co. als lässiger Teenie durchzugehen, ist nicht so einfach, wie es aussieht.

Ich fühle mich alt. Ich gehe hart auf die 30 zu und gehöre damit nun eher zur Zielgruppe von Jason Sudeikis als zu der von Jaden Smith. Doch eine kleine Stimme sagt mir, dass ich noch immer jung bin – zumindest fühle ich mich noch längst nicht erwachsen. Zumindest nicht im eigentlichen Sinne des Wortes. Gleichzeitig gibt es allerdings vieles, was ich einfach nicht mehr verstehe. Lil Peep zum Beispiel. Es war also Zeit für mich, der Wahrheit ins Auge zu blicken: Je älter ich werde, umso uncooler werde ich auch.

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Das bedeutet allerdings nicht, dass ich mich kampflos ergeben werde. Also habe ich meinen 14-jährigen Cousin David angeheuert, um mir zu zeigen, wie ein cooler, moderner Teenager aus mir wird.

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David ist nicht nur irgendeiner dieser coolen Teenager, die tausende Follower auf Instagram haben. Er geht mit der Tochter eines berühmten Supermodels zur Schule und hat mal zusammen mit Justin Bieber Fußball gespielt. Ich wurde hingegen 2009 das letzte Mal als cool bezeichnet, als ich von einem Filialleiter von American Apparel (RIP) angesprochen und gefragt wurde, ob ich mir vorstellen könnte, als Model zu arbeiten. David hat mal ein Foto von sich mit einem Wasserball von Supreme auf Instagram geteilt. Wusstest du überhaupt, dass Supreme Wasserbälle herstellt?

"Meine erste Frage lautet", schreibe ich ihm über Instagram. "Sollte ich heute zur Arbeit gehen?"

"Hmmmm ja, ich glaube, das wäre eine gute Idee", antwortet er. "Ich meine, wenn du nicht gehst, wirst du dann nicht entlassen?"

Ich war so naiv zu glauben, dass ich während meines Selbstversuchs die Arbeit schwänzen und hinter einer Skate-Rampe Keta rauchen würde – oder was Teenager heutzutage eben so tun. Doch David lässt mich nicht so leicht vom Haken. Stattdessen hilft er mir, an meinem Styling zu arbeiten.

Es gibt einen Jungen in der 11. Klasse, der schon mehr als 3.500 Euro damit verdient hat, dass er Klamotten weiterverkauft. Dabei ist er erst 15.

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Skater-Klamotten sind im Moment total angesagt, aber letztendlich läuft alles auf drei Marken hinaus: "In meinen Augen sind das Supreme, Palace und Adidas", sagt er. "Es gibt aber auch noch andere Vintage-Marken, die ziemlich angesagt sind, wie Champion, Polo Sport und Ralph Lauren."

Doch wie kann sich ein cooler Teenager Klamotten von Supreme leisten – insbesondere, wenn man bedenkt, dass ein einfaches T-Shirt schon 120 Euro kostet? David sagt, dass sie das Startkapital von ihren Eltern bekommen und anschließend Geld verdienen, indem sie die begehrtesten Teile weiterverkaufen – eine Art "geschlossener Geldkreislauf", der von einer Horde 14-jähriger Teenager befeuert wird, die nicht Gefahr laufen, ihren Job zu verlieren, wenn sie unter der Woche vor einem Ausverkauf von Supreme Schlange stehen.


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"Ich verkaufe T-Shirts und Kapuzenpullover teilweise doppelt so teuer weiter", sagt David, "und wenn du erstmal Geld hast, kannst du damit noch mehr Klamotten kaufen und alte Teile weiterverkaufen. Ich verkaufe die meisten meiner Sachen über Depop. Dort habe ich einen dieser ganz normalen Kapuzenpullover mit dem Supreme-Logo drauf, die im Laden umgerechnet rund 160 Euro kosten, schon mal für 240 Euro verkauft."

David erklärt mir auch, dass das nicht immer klappt, doch einige seiner Mitschüler haben sich auf diese Weise schon ein kleines Unternehmen aufgebaut. "Die meisten von ihnen kaufen angesagte Klamotten in großen Mengen an und verkaufen sie dann teurer weiter", sagt er. "Das finden natürlich nicht alle toll und viele machen sich auch lustig über sie, aber es gibt einen Jungen in der 11. Klasse, der schon mehr als 3.500 Euro damit verdient hat, dass er Klamotten weiterverkauft. Dabei ist er erst 15."

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Meine Depop-Anzeige.

Ich muss zugeben, ich bin beeindruckt. Ich habe mal versucht meine alten Klamotten von Topshop über eBay und Depop zu verkaufen, habe aber nie mehr als 80 Euro verdient. Leider habe ich auch nichts von Supreme oder Palace im Schrank hängen, weil mein Zugang zur Kreditkarte meiner Eltern vor knapp sieben Jahren gesperrt wurde. Stattdessen habe ich noch einen alten Tennisrock von Fila, den ich vor knapp fünf Jahren gekauft habe. Damals war ich hochmotiviert, wieder mehr Tennisspielen zu gehen, doch leider hat der Rock nie mehr als ein Fünftel meines Hinterns bedeckt, sodass meine Motivation auch schnell der Vergangenheit angehörte. Ich beschließe, ihn über Depop zu verkaufen und versehe ihn mit den Hashtags #angesagt und #vintage.

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Unter Berücksichtigung von Davids Vortrag über "angesagte Marken" versuche ich auch, mich selbst anzuziehen wie ein cooler Teenager. Leider stammt der Großteil meiner Sportbekleidung von der offenbar ziemlich uncoolen Marke Nike. Allerdings habe ich noch eine Hose und ein Sweatshirt von Adidas und kombiniere das Ganze mit einem alten Skateboard. Außerdem habe ich zwar keine Adidas Yeezy Boosts, aber ein Paar Adidas Gazelles. Alle großen Fashion-Magazine sagen zwar, dass Adidas Gazelles im Moment total out sind, aber ich hoffe, dass David sie als "vintage" durchgehen lässt – ich meine, er war noch in der Grundschule, als sie zum letzten Mal modern waren.

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Ich schicke ihm ein Foto und warte quälende sechs Minuten auf seine Antwort. "Haha sehr cool", sagt er und fügt ein "Alles OK"-Emoji an.

Mein neues Teenager-Ich. Alle Fotos: Regina Lemaire-Costa

Berauscht von meinem Erfolg beginne ich, meinen Feierabend mit Freunden zu planen. Zunächst möchte ich von David allerdings wissen, was ein Teenager seines Kalibers an einem Dienstagabend machen würde. "Frage: Ich möchte mit Freunden etwas trinken gehen", schreibe ich ihm. "Wie viel sollte ich trinken?"

"So viel, wie du willst, aber nicht so viel, dass du komplett zerstört bist", antwortet er. "Es hängt ganz davon ab, ob du ein Leichtgewicht unter den Schwergewichten bist oder nicht LOL."

"Ist es cool, total betrunken zu sein?", frage ich.

"Nein, es ist nicht cool", sagt er. "Genauer gesagt macht es keinen Spaß und du würdest dich nur blamieren. Man möchte ja schließlich noch seine Würde behalten." David erklärt mir, dass die Leute in seinem Alter immer im Hinterkopf haben, dass ihre Eskapaden mit dem Smartphone dokumentiert werden könnten und daher sehr misstrauisch sind – "vermutlich, weil sie nicht wollen, dass andere Leute ein Video davon machen, wie sie betrunken sind – sie hätten sonst immer etwas gegen dich in der Hand."

Beim Trinken teenagerfreundlicher, antialkoholischer Getränke.

Als ich noch ein Teenager war, war es noch ganz normal, dass man betrunken war und das Ganze in einem Facebook-Album mit mehr als 200 Bildern dokumentiert wurde. Ich bin derweil schon nach zwei Gläsern ziemlich angetrunken und bin mir sicher, dass mein minderjähriger Lebensberater keinem weiteren mehr zustimmen würde. Davids Generation ist viel vernünftiger, als ich dachte, und selbst wenn ihre Angst, online verewigt zu werden, niemals Wirklichkeit wird, haben sie sie doch andauernd im Hinterkopf – und das hört sich schon ziemlich erschreckend an.

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Doch wenn man seine Beliebtheit nicht dadurch steigern kann, dass man fünf Jägermeister hintereinander in sich hineinschüttet, wie kann man seinen sozialen Status denn dann erhöhen?

Als ich noch jung war, wollte niemand ein Teenager sein.

"Meme-Accounts sind ziemlich groß im Moment", sagt David. "Es geht darum, etwas Witziges zu machen, das irgendwie random ist und es an entsprechende Accounts zu schicken, die das Ganze dann teilen."

Meme-Seiten! Endlich etwas, was ich auch verstehe. Ich schaue mir ständig feministische Memes an. Allerdings sind das nicht die Art von Memes, von denen David spricht. Seine Lieblings-Accounts haben hunderttausende Follower. Ich kenne trotzdem keinen einzigen von ihnen: @imjustbait, @hackneysfinest und @londonbaithead. Der Letztere verspricht "Original Street Banter" mit einem Totenkopf-Emoji in der Beschreibung.

Ich habe nichts, was annähernd zu dieser Beschreibung passt. Doch ich finde noch ein altes Facebook-Meme, das ich vor knapp zehn Jahren gemacht habe, als Boris Johnson gerade als Bürgermeister von London kandidierte. Werde ich es mit @londonbaithead schaffen, das nostalgische Gefühl von icanhascheezburger.com wieder aufleben zu lassen?

Die Antwort lautet Nein.

Ich muss zugeben, dass ich inzwischen ein wenig entmutigt bin. Ich schaue auf Depop nach, ob ich wenigsten schon meinen Fila-Rock verkaufen konnte, doch es gibt keinen einzigen Interessenten. Mein Rock hat noch keinen einzigen Like.

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Nach einer Woche beende ich meinen erfolglosen Versuch, ein hipper Teenager zu werden. Vielleicht war mein Vorsatz auch von vornherein zum Scheitern verurteilt – immerhin war ich noch nie ein cooler Teenager. All die Dinge, auf die ich mit 14 Jahren stand, werden inzwischen entweder allgemein verspottet (siehe Emos) oder sind mit der Zeit ausgestorben (siehe Nu Rave). Ich habe erwartet, dass mein Selbstversuch, ein moderner Teenager zu werden, eine nostalgische Reise zurück in meine eigene Teenagerzeit werden würde. Doch die kulturelle Landschaft hat sich komplett verändert und ich befinde mich schon längst am Rande der Bedeutungslosigkeit und versuche nur noch, gegen meine zunehmende Veralterung anzukämpfen.

Als ich noch jung war, wollte niemand ein Teenager sein. Niemand von uns ist gerne auf Jugendpartys gegangen oder wollte schlechtes Gras rauchen und Mülltonnen anzünden, nur weil uns so langweilig war, dass solche Beschäftigungen als Unterhaltung durchgingen. Wir sahen in unserem Teenagerdasein lediglich einen akzeptablen Kompromiss zum Erwachsensein, bis wir endlich soweit waren, wirklich erwachsen zu werden und tun zu können, was wir wollten.

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Mittlerweile ist es so, dass jeder jung sein möchte. Jeder möchte die neuesten Klamotten von Supreme, ein Skateboard, tausende Instagram-Follower. Teenager werden nicht schneller erwachsen – die Interessen von Erwachsenen sind mittlerweile nur nicht mehr von denen von Teenagern zu unterscheiden.

Ohnehin sind die Drogen, die wir uns durch die Nase ziehen und die Drinks, die wir hinunterkippen, doch auch nichts weiter als der verzweifelte Versuch, wieder jung zu sein, der Langeweile des Arbeitsalltags zu entfliehen und uns einen Moment lang frei und unabhängig zu fühlen. Wir versuchen uns zurückzuversetzen in eine Zeit, in der zwischenmenschliche Beziehungen noch endlos schienen und aus dem gleichen Musikgeschmack noch lebenslange Freundschaften wurden – eine Zeit, in der man noch ohne die Hilfe illegaler Substanzen bis zum Morgengrauen wachbleiben und sich unterhalten konnte, und zwar Nacht für Nacht.

Ich weiß natürlich schon, was David dazu sagen wird: So denken nur Erwachsene. Mir wurde auf alle Fälle klar, dass Nostalgie ein Abenteuer ist, das ausschließlich Erwachsenen vorbehalten ist – und der Preis ist unsere Jugend.