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Eine Patientin des "Horror-Zahnarzts" teilt ihre Geschichte

Der Niederländer Jacobus van Nierop wurde diese Woche zu acht Jahren Haft verurteilt, nachdem er zahllose Patienten verstümmelt und gequält hatte.
Paul Douard
Paris, FR

Der Zahnarzt Jacobus van Nierop, der am 26. April schuldig gesprochen wurde, nachdem er mindestens hundert Patienten verletzt und verstümmelt hatte. | Foto: MaxPPP

Wenn du so bist wie ich, dann verkrampft sich bei der bloßen Erwähnung des Wortes "Zahnarzt" schon jeder einzelne Muskel im Körper. Gerade wenn du eine Zahnarzt-Phobie hast, solltest du dir deswegen zweimal überlegen, ob du dich mit der Geschichte von Jacobus "Mark" van Nierop, besser bekannt als "der Zahnarzt des Grauens" befassen willst. Der niederländische Zahnmediziner wohnte von 2008 bis 2012 im französischen Château-Chinon, wo er Hunderte Patientinnen und Patienten brutal misshandelte, während sie glaubten, sich mit ihren Zahnproblemen in qualifizierte Hände zu geben. Nachdem er 2013 in Frankreich verhaftet wurde, floh er noch vor Prozessbeginn nach Kanada, wo er 2014 endlich wieder gefasst wurde. Nun wurde ihm vom Strafgericht in Nevers auf Lebenszeit verboten, den Zahnarztberuf auszuüben, und er wurde zu acht Jahren Haft verurteilt.

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Als Nierop seine Praxis 2008 in Château-Chinon im zentralen Département Nièvre eröffnete, war er den Einheimischen mehr als willkommen, denn auf dem französischen Land und vor allem in der Region um Château-Chinon waren sehr viele medizinische Fachleute abgewandert. Doch bald verbreitete sich die Kunde über seine brutalen und mittelalterlichen Methoden, unter deren Folgen viele Patienten litten. Natürlich wusste keines seiner Opfer vor der Behandlung (oder eher Misshandlung), dass ihm in den Niederlanden bereits die Approbation entzogen worden war. Nun da der Prozess ein Ende genommen hat, können seine geschädigten Patientinnen und Patienten anfangen, ihr Leben wiederaufzubauen und das Grauen zu vergessen, das sie schon monate- und jahrelang mit sich herumtragen. Sylviane Boulesteix war eines von Nierops Opfern und hat sich großzügig bereiterklärt, ihre Geschichte zu erzählen.

VICE: Können Sie mir von Ihrem ersten Termin bei van Nierop erzählen?
Sylviane Boulesteix: Damals war ich bereits in Pension. Ich war schon einige Jahre nicht mehr beim Zahnarzt gewesen und mein alter Zahnarzt war auch in den Ruhestand gegangen, also war van Nierop der einzige in der Region, zu dem ich hätte gehen können. Im Januar 2012 beschloss ich, zu ihm zu gehen. Er wollte sofort meine Zähne ersetzen. Er gab mir einen Kostenvoranschlag, Fotos und den ganzen Rest. Ganz am Anfang injizierte er mir irgendein Mittel, das angeblich meine Zähne "wiederaufbauen" würde. Das war sehr schmerzhaft. Die Betäubung hat dann dafür einen ganzen Tag lang gewirkt. Er machte auch Abdrücke von meinen Zähnen, bei denen ich das Gefühl hatte, er versucht, meinen Kiefer auseinanderzureißen. Aber wenn man erst einmal im Stuhl sitzt, stellt man nicht so gern viele Fragen.

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Zu diesem Zeitpunkt hatten Sie nicht den Verdacht, dass etwas nicht stimmte?
Nein! Was soll ich sagen; wir tendieren dazu, Ärzten zu vertrauen. Ich wohne in einem kleinen Dorf, in dem die Leute Fremden gegenüber meist misstrauisch sind. Ich wollte aber nicht auf das Gerede der Leute hören. Außerdem hatte eine ehemalige Kollegin von mir auch einen Termin gehabt und alles war gut gegangen. Seine Praxis sah auch völlig normal aus. Er hatte eine Sprechstundenhilfe in einer weißen Bluse, die weder besonders nett noch besonders unfreundlich war, und eine Zahnarzthelferin. Alles wirkte funktionstüchtig und sauber. Er hatte sogar eine schicke Bronzeplakette, in die sein Name eingraviert war. Wer soll bei so einem Gesamtbild auch Misstrauen entwickeln?

"Dann zog er acht Zähne auf einmal, bevor er mit der Zahnarzthelferin in die Mittagspause ging, während ich dasaß und den Stuhl vollblutete."

Wie ging es weiter?
Nach zwei Terminen, die bereits sehr schmerzhaft waren, rief mich die Sprechstundenhilfe an und bestellte mich rein, damit der Zahnarzt meine abgenutzten Zähnen ersetzen konnte. Und wieder vertraute ich ihm, doch diesmal war es schrecklich. Ich bekam acht Betäubungsspritzen ins Zahnfleisch. Dreiviertel meines Gesichts waren eingefroren. Ich konnte nur schwer atmen. Dann zog er acht Zähne auf einmal, bevor er mit der Zahnarzthelferin in die Mittagspause ging, während ich dasaß und den Stuhl vollblutete. Als er zurückkam, versuchte er auch noch, einen Witz zu reißen, und fragte: "Na, hätten Sie gern ein kleines Sandwich, Madame?" Ich blieb noch einige Stunden dort, doch die Blutung hielt insgesamt drei Tage lang an. Danach steckt man in einem Teufelskreis. Ich hatte so starke Schmerzen, also ging ich natürlich wieder zu ihm. Mein Zahnfleisch war komplett entzündet, also nahm er den Zahnersatz heraus, damit alles verheilen konnte. Nach diesen Terminen wurde die Praxis plötzlich geschlossen.

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Wie war Ihr erster Eindruck von ihm?
Ich fand ihn eher nichtssagend. Er war gebaut wie ein Rugby-Spieler und konnte nicht besonders gut Französisch, aber genug, um sich zu verständigen. Er war ziemlich kurz angebunden, aber wie gesagt, wenn man daliegt und den Mund aufgesperrt hat, dann stellt man kaum Fragen. Es ist wahr, dass er brutal vorgegangen ist, aber man denkt sich einfach: "Er ist Zahnarzt." Zahnärzte sind selten so besonders sanft. Außerdem hat er alles versucht, um kein Misstrauen aufkommen zu lassen. Er war sehr sympathisch. Erst, als er die Werkzeuge in der Hand hatte, wurde er zum Folterer.

Denken Sie, er hat es irgendwie genossen, seine Patienten leiden zu lassen?
Nein, das glaube ich nicht. Rückblickend glaube ich, dass er einfach nur ehrlichen Leuten das Geld aus der Tasche ziehen wollte. Leider. Man musste immer 40 Prozent der Gesamtrechnung im Voraus zahlen. Ich hatte nicht genug Geld und musste mir den Betrag leihen—ich zahle das heute noch ab.

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Waren Sie seitdem wieder beim Zahnarzt?
Angesichts des Zustands, in dem er mich zurückgelassen hat, hatte ich keine Wahl. Fast anderthalb Jahre lang war ich [teilweise] zahnlos. Die meisten Sachen konnte ich nicht essen. Ich habe immer einen Kloß im Hals, wenn ich zum Arzt muss. Ich hatte früher immer volles Vertrauen in die Medizin, aber jetzt ist es komplizierter. Wir versuchen zwar, unser Leben so gut wie möglich wiederaufzubauen, aber vergessen können wir es nie. Ich werde wegen ihm den Rest meines Lebens Zahnersatz brauchen.

Haben Sie sich bei all dem mit Ihren Problemen alleingelassen gefühlt?
Von der Medizin, ja. Hier in Frankreich gibt es auf dem Land keine Ärzte mehr. Es ist völlig leergefegt. Es gibt einen Arzt, der alle zwei Wochen zu einem Hausbesuch kommen kann. Ich habe nicht einmal ein Auto und auch keinen Internetanschluss. Was soll ich denn machen? Zum Glück hat die Justiz uns als Opfer anerkannt und man wird uns Schmerzensgeld zahlen.

Wie war der Prozess für Sie?
Ich habe gezittert, als ich ihn gesehen habe. Er hat nichts beantwortet. Bei jeder Frage, die ihm der Staatsanwalt gestellt hat, lautete seine Antwort "Ich weiß es nicht mehr" oder "Kein Kommentar". Er schien völlig von der Realität abgekapselt. Ich bin froh, dass das alles vorbei ist.