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Verbrechen

Wenn deine beste Freundin eine bekannte Serienmöderin ist

Aileen Wuornos wurde 2002 wegen dem Mord an sieben Männern hingerichtet und gilt als eine der berüchtigtsten Serienmörderinnen der USA. Wir haben mit ihrer Kindheitsfreundin gesprochen, die während der Zeit im Gefängnis ihr wichtigster Bezugspunkt war.
Screenshot via YouTube

Aileen Wuornos ist Amerikas berüchtigtste weibliche Serienmörderin. Sie erschoss zwischen 1989 und 1990 sieben Männer, während sie in Florida als Prostituierte arbeitete. Ihrer eigenen Aussage nach tötete sie aus Notwehr, weil die Männer versucht hätten, sie zu missbrauchen. Diese Aussage nahm sie später allerdings wieder zurück—wahrscheinlich aber nur, weil sie unbedingt sterben wollte. Sie wurde zum Tod durch die Giftspritze verurteilt und war bereit, es hinter sich zu bringen.

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„Der traurigste Teil daran war, dass sie über viele Jahre hinweg immer und immer wieder versucht hatte [sich hinrichten zu lassen]. Sie wollte, dass es getan wird", erzählt ihre Kindheitsfreundin, Dawn Botkins, im Gespräch mit Broadly. Dawn und Aileen standen sich während ihrer gemeinsamen Kindheit in Michigan sehr nahe und wurden beste Freundinnen. Auch später, während Aileens Zeit im Gefängnis, schickten sich die beiden weiterhin Briefe.

Wuornos wurde am 9. Oktober 2002 hingerichtet. Vor ihrer Hinrichtung erklärte ein Sachverständiger der Verteidigung, dass sie unter einer Borderline-Störung und einer dissozialen Persönlichkeitsstörung litt, weil sie als Kind missbraucht worden war. Wuornos hat ihren Vater nie kennengelernt—er war ein verurteilter Kinderschänder, der sich im Gefängnis selbst das Leben nahm—und wurde von ihren Großeltern aufgezogen, bei denen sie von ihrer Mutter allein zurückgelassen wurde. Zahlreichen Berichten zufolge wurde sie von ihrem gewalttätigen und alkoholkranken Großvater missbraucht. „Was er ihr angetan hat, war schrecklich", sagt Botkins.

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Mit 11 Jahren begann Aileen, sich für Geld und Zigaretten zu prostituieren. Mit 13 wurde sie schwanger. Wie Freunde von ihr in Nick Broomfields Dokumentation Aileen: Leben und Tod einer Serienmöderin berichteten, war die Schwangerschaft das Resultat des Missbrauchs durch einen älteren, ortsbekannten Pädophilen. Diesen Vorwurf wiederholt auch Botkins im Gespräch mit Broadly. „Der Typ, der sie missbraucht hat … war um die 60 Jahre alt und er liebte Kinder", sagt sie. „[Aileen] war betrunken und er hat das ausgenutzt. So wurde sie von ihm schwanger."

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Nachdem Wuornos das Kind zur Welt gebracht hatte, wurde sie von zu Hause rausgeworfen und lebte auf der Straße. Sie schlief häufig in irgendwelchen verlassenen Autos. In guten Nächten konnte sie in den Wohnungen und Hotelzimmern ihrer Freier übernachten, in schlechten dagegen schlief sie während den harten Wintern in Michigan einfach im Schnee.

Wuornos hatte nur wenige wahre Freunde, als sie in Michigan aufwuchs, weil die meisten Gleichaltrigen sie für ihre Schwangerschaft und ihre Arbeit als Prostituierte verurteilten. Doch sie hatte Dawn Botkins, die Wuornos größter Trost während ihrer Zeit im Gefängnis wurde. In den Jahren nach Wuornos Hinrichtung hat sich eine Art Kult um sie gebildet und viele ihrer gegenwärtigen Anhänger sehen in dem angeblichen sexuellen Missbrauch während ihrer Kindheit einen Beweis dafür, dass sie für ihre Taten nicht hingerichtet hätte werden dürfen. Ihre beste Freundin sieht das nicht ganz so.

Wir haben uns mit Botkins getroffen und darüber gesprochen, wie sie und Aileen Freunde wurde, warum sie gehänselt wurde und warum Botkins nicht im Geringsten schockiert war, als die Polizei vor ihrer Tür stand und sie mit Aileens Morden konfrontierte.

Broadly: Wie hast du Aileen kennengelernt?
Dawn Botkins: Wir waren ungefähr 15, als wir beste Freundinnen wurden. Zuerst waren ihre Schwester [theoretisch Aileens Tante] und ihr Bruder meine besten Freunde. Ich habe nicht wirklich gewusst, dass sie eine Schwester haben. Naja, ich wusste es, weil ich all die anderen Kinder hörte, wie sie über sie redeten und meinten: „Mit der will man nicht mal rumhängen. Sie macht nichts als Ärger. Sie ist eine Hure." Und all das, weil sie missbraucht wurde. Sie wurde automatisch abgestempelt. Niemand wollte sich mit ihr abgeben oder so. Es war schrecklich

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Ihr Bruder und mein Bruder waren Freunde, deswegen waren sie fast immer bei uns zu Hause. Sie kamen eines Tages [mit Aileen] rüber und sie sagte: „Möchtest du mit in die Mall kommen und einen Hot Dog mit mir essen?" Und ich meinte: „Warum nicht?" Ich bin noch nie zuvor getrampt. Ich hatte Angst davor, erwischt zu werden, aber damals ging das noch. Wir schlichen uns auch oft auf die Pferderennbahn. Das machte sie gerne.

War sie in deinen Augen eine gute Freundin? Hattet ihr Spaß?
Ja, ich hatte jede Menge Spaß mit ihr.

Aileen wurde als Kind also gehänselt, ist das richtig?
Oh ja, es war schrecklich. Jeder hat ihr die kalte Schulter gezeigt. Niemand wollte etwas mit ihr zu tun haben. Sie wurde missbraucht, als sie 13 war. Sie wurde wirklich missbraucht, aber all die anderen Kinder, glaubten ihr nicht. Sie waren wirklich mies zu ihr.

Niemand wollte sich mir ihr abgeben, während all die anderen Kinder in der Nähe waren, aber sobald sie weg waren, dachten sie, dass sie sie einfach vögeln könnten. „Hier, Aileen, ich hab ein paar Zigaretten." Es machte ihr nichts aus, weil sie Zigaretten und so einen Kram bekam. So war sie einfach. Sie schlief mit ihnen, weil sie nichts hatte. Auf diese Weise hatte sie wenigstens ein bisschen Geld und ein paar Zigaretten. Ich meine, sie konnte ab und zu auch bei ihnen übernachten, sich duschen und so was.

Wann hast du sie zum letzten Mal gesehen?
Bei der Hinrichtung natürlich. Ich war der letzte Besucher. Aileen verweigerte ihre letzte Mahlzeit. [In der Presse] wurde das total dramatisch dargestellt. Aber eigentlich hat sie nur darauf verzichtet, weil sie wusste, dass ich an diesem Abend zum letzten Mal zu Besuch kommen würde und Essen im Wert von 20 Dollar [18 Euro] mitbringen durfte. Sie wollte zwei Calzone, Kartoffelchips und Softdrinks. Das Ganze war also nicht so traurig, wie es dargestellt wurde.

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Es gab eine Diskussion darüber, ob sie hingerichtet hätte werden dürfen. Was denkst du darüber?
Natürlich hätte sie hingerichtet werden sollen. Sie hat sieben Männer getötet. Ich hätte es nicht anders entschieden. Nur weil sie eine Frau ist? Nein. Sie hat sieben Männer getötet. Auch wenn sie drei umbringt, dann wird sie dafür hingerichtet. Tatsächlich konnte sie ihre Hinrichtung kaum erwarten—sie hat es immer und immer wieder versucht. Sie wollte in den Himmel. Jeder sagt: „Wie kannst du nur glauben, dass sie in den Himmel kommt nach dem, was sie getan hat?" Aber sie sagen auch, wenn du Gott um Verzeihung bittest, dann vergibt er dir.

Denkst du, dass es genauso gekommen wäre, wenn sie als Kind nicht vergewaltigt und missbraucht worden wäre? Oder wären die Dinge anders für sie gelaufen?
Wenn ihre Großmutter noch am Leben gewesen wäre, wäre alles anders gelaufen. Sie war die Einzige, die sie wirklich geliebt hat.

Man hat dir ihre Asche gegeben, richtig?
Sie und Ty [Aileens Freundin, die sich irgendwann gegen sie gewandt hat] gingen oft an den Flagler Beach [in Florida]. Aileen prostituierte sich die ganze Nacht, nur damit die dumme, zahnlose Ty was zu beißen hatte. Das war der einzige Grund, warum Ty mit ihr zusammen war. Aileen stellte sicher, dass sie Geld hatte.

Aileen sagte mir: „Wenn ich tot bin, verstreu meine Asche auf dem Flager Beach." Irgendwann habe ich darüber nachgedacht und schrieb ihr [ins Gefängnis]: „Ich werde dich dort nicht verstreuen." Ich meinte: „Ich möchte deine Gefühle nicht verletzten, aber Flager Beach ist der letzte Ort in Florida, wo die Leute deine Asche verstreut haben wollen. Du hast sieben ihrer Lieben ermordet. Du kommst hierher nach Hause. Du suchst dir auf einem Foto einen Walnussbaum aus und deine Asche kommt zu deiner besten Freundin nach Hause. Schluss aus." Schließlich stimmte sie zu. Deswegen ist ihre Asche jetzt hier und sie hat den schönsten Baum von allen.

Wie hat sich eure Freundschaft, während ihrer Zeit im Gefängnis und während ihr euch Briefe geschrieben habt, verändert?
Sie hat mir so viel beigebracht. Sie war sehr politisch. Sie erklärte mir alles über Präsidenten und Kriege und so. Wenn sie mir schrieb, antwortete ich auf jeden einzelnen Absatz. Nur für den Fall, dass sie mich austricksen wollte, um zu sehen, ob ich auch aufpasste!

Ich war stolz darauf, ihre beste Freundin zu sein. Viele meiner Freunde haben gesagt: „Wie kannst du mit ihr befreundet sein nach dem, was sie getan hat?" Ich meinte nur: „Das hat nichts mit dem zu tun, was sie getan hat. Es geht dabei nur um unsere Freundschaft."