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Beruf und Kind

Das HSG-Umfeld ist gerade mitten in einem Sexismus-Streit und keiner in der Schweiz kriegt's mit

Das St.Gallen Symposium lädt die "Leaders of Tomorrow" zum Networking-Event. Mit jungen Müttern tun sich die Organisatoren anscheinend schwer.
Foto zur Verfügung gestellt von Mareike Geiling

Eigentlich ist es eine grossartige Nachricht für Mareike Geiling. Sie ist eine von 200 JungunternehmerInnen, die ausgewählt wurden, um in St. Gallen an einem von HSG-Studenten organisierten Symposium teilzunehmen. Heutige und zukünftige Führungspersonen sollen sich vor Ort kennenlernen und in Workshops Kontakte knüpfen – was in St. Gallen eben so gemacht wird. Ein Networking-Event, bei dem alle Kosten von den Förderern und Sponsoren übernommen werden.

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Mareike ist Sozialunternehmerin und Campaignerin in Berlin. Sie ist Mitgründerin der Online-Plattform "Flüchtlinge Willkommen", die Wohngemeinschaften und Flüchtlinge miteinander verknüpft. Für ihre Arbeit hat sie schon mehrere Auszeichnungen bekommen. Ausserdem ist Mareike Mutter eines kleinen Kindes, das sie im Moment noch stillt. Darum stellten sich ihr mit der Einladung nach St. Gallen auch organisatorische Fragen.

Da Mareikes Kind erst wenige Monate alt ist, kann sie es noch nicht länger als ein paar Stunden alleine lassen. Sie erkundigte sich im Vorfeld beim Symposium, wie sie die Betreuung ihres Kindes handhaben könnte. Sie bot an, an eineinhalb der drei Tage mit ihrem Kind teilzunehmen. Für diese Zeit hätte sie das Symposiumsprogramm und die Betreuung ihres Kindes miteinander vereinen können.

Von den Organisatoren des Symposiums wurde Mareikes Vorschlag abgewiesen. Daraufhin veröffentlichte sie bei Edition F einen öffentlichen Brief an die Organisatoren. In diesem beschrieb sie auch die Begründung für die Absage: Zuerst war das Problem, dass eine Teilnahme mit Kind aus Erfahrung nicht möglich sei. Diese Aussage sei später zurückgezogen und stattdessen eine andere Begründung gegeben worden: Es sei unmöglich, nicht an allen Tagen am Symposium teilzunehmen.

In einem Telefonat mit VICE erklärte der Geschäftsführer ad interim Dominic Baumann, der die HSG-Studenten bei der Organisation des Events unterstützt, die zwei Argumente: Erstens würden die Kosten aller Teilnehmer durch Gelder von Förderern und Sponsoren gedeckt. Da wäre es nicht fair, vorzeitig abzureisen. Zweitens (und das sei der Hauptgrund) bauten die Inhalte des Programms aufeinander auf. Wenn man also mal fehlt, kann man weniger von den anschliessenden Workshops profitieren. Wer nicht an allen Tagen vor Ort sein kann, kann deshalb auch nicht teilnehmen. Dies sei schon seit Jahren die Regel und nicht von den spezifischen Gründen abhängig. Ausserdem wurde Mareike Geiling laut Dominic Baumann nie ausgeladen. Sie habe die Einladung abgelehnt. Alternativen wurden ihr keine Angeboten.

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Mareike zeigt sich in ihrem öffentlichen Brief enttäuscht und verärgert darüber, dass das Symposium in St. Gallen keinen Kompromiss mit ihr gesucht hat. Wir haben uns nach dem öffentlichen Brief zuerst bei den Organisatoren des Symposiums erkundigt und anschliessend mit Mareike telefoniert, um der ganzen Geschichte auf den Grund zu gehen:

VICE: Der Geschäftsführer ad interim des Symposium meint, du wurdest nie ausgeladen, sondern dass du dich entschieden hast, nicht an der Veranstaltung teilzunehmen. Was stimmt?
Mareike Geiling: Er hat vollkommen recht. Sie haben nicht gesagt, dass ich nicht mehr kommen darf. Aber der Punkt ist, dass sie mich vor die Wahl gestellt haben ohne mein Kind zu kommen oder gar nicht. Und weil ich ohne Kind nicht kommen kann, weil mein Kind einfach noch gestillt werden muss, gab es für mich eigentlich keine Wahl. Während dem Telefonat mit dem Geschäftsführer, hat er mir dann auch keinen Kompromiss angeboten. Es war klar, dass ich nicht teilnehmen kann. Ausgeladen ist zugespitzt formuliert, aber es hat sich für mich so angefühlt.

Der Geschäftsführer ad interim hat uns seinen Standpunkt so erklärt: "Wie erwähnt, erachte ich eine viertägige Veranstaltung dieser Art für ein wenige Monate altes Kind als nicht geeignet. Diese Einschätzung müsste ich aber der Mutter überlassen." Wie wurde dir das kommuniziert?
Für mich hat es nie so gewirkt, als könnte man mit einem Kind teilnehmen, egal welchen Alters. Bei mir kam das anders an. Sie haben mir geschrieben, dass es erfahrungsgemäss nicht möglich ist. Ich dachte: "OK, Leute, das ist uncool." Und habe ihnen Alternativen vorgeschlagen. Daraufhin habe ich mit Baumann telefoniert. Unter mehreren Voraussetzungen sagte er, wäre es möglich, dass ich eventuell nächstes Jahr teilnehmen kann.

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"Es ist albern, das als Frauenthema zu handhaben. Es geht darum, allen Sorgetragenden entgegenzukommen."

Baumann hat eingeräumt, dass von der Seite des Symposiums nicht optimal kommuniziert wurde. Dabei geht es vor allem um den Satz "dass eine Teilnahme aus Erfahrung mit einem Kind nicht möglich ist". Das Organisationsteam hat nämlich bisher gar keine Erfahrung damit. Was sagst du dazu?
Es war ein bisschen merkwürdig. Ich wurde von jemandem aus dem Studenten-Organisationsteam eingeladen und diese Person hat mir eben auch diese Erklärung geschickt, die dann vom Geschäftsführer zurückgenommen wurde. Ich habe ihnen verschiedene Kompromisse angeboten. Ich habe zu Beginn auch nachgefragt, was denn ihnen am besten passen würde. Es hat sich für mich schon so angefühlt, als läge es am Kind. Aber klar, das ist meine Interpretation.

Kannst du verstehen, dass man zwingend drei Tage vor Ort sein muss?
Diese Argumentation verstehe ich gar nicht. Leute, seid doch mal ein bisschen flexibler! Es kann doch nicht die Lösung sein, dass man nur voll oder gar nicht teilnehmen kann. Was ist, wenn jemand körperliche Einschränkungen hat oder aus anderen Gründen nicht die volle Zeit teilnehmen kann? Dann wird die Person komplett ausgeschlossen. Dafür habe ich kein Verständnis bei einer Organisation, die offensichtlich in Geld schwimmt.

Der Geschäftsführer hat mir gegenüber erklärt, dass es einerseits darum gehe, dass die Anreise und der Aufenthalt bezahlt wird und dass man lieber in die Reise für jemanden investieren möchte, der auch die ganze Zeit vor Ort sein kann. Andererseits bauen die Workshops aufeinander auf, warum man keinen verpassen kann.
Das kann ich nicht nachvollziehen. Sie sparen eine Übernachtung, wenn ich nur die Hälfte der Zeit bleibe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es so knapp ums Geld steht, wenn man sich die Liste ihrer Sponsoren ansieht. Sie werben damit, wieviel Kohle und Support in dem Event steckt und dann lohnt sich die Teilnahme nicht, wenn man nicht die ganze Zeit dort ist? Es geht doch darum, Netzwerke zu bauen. Geht das nicht, wenn ich früher abreise?

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Was waren deine bisherigen Erfahrungen mit solchen Anlässen?
Mein Freund und ich waren für einen Kongress in New York und haben uns dort abgewechselt und uns gegenseitig unterstützt. In New York haben wir den Veranstaltern mitgeteilt, dass wir mit Kind anreisen. Ich glaube, die haben kurz geschluckt und dann gesagt: "Finden wir gut. Wir wollen uns sowieso kinderfreundlich aufstellen und wir haben eine Infrastruktur, die ihr nutzen könnt." Die anderen Teilnehmer haben mir auch gesagt, dass sie es gut und ermutigend fanden. Es stört letztendlich auch nicht. Ich sitze ja nicht mit einem schreienden Kind im Seminar! Wenn es schreit, gehe ich halt raus. In Berlin war es auch immer OK. Darum hat mich dieses kategorische Nein überrascht. Eineinhalb Tage hätte ich es mir zugetraut, alleine mein Kind zu betreuen und am Symposium teilzunehmen. Aber drei Tage nicht.

"Das Telefonat machte mir klar, dass die überhaupt nichts geblickt haben. Ich glaube, es liegt an einem männlich dominierten Team und Stiftung."

Wieso hat es das St. Gallen Symposium deiner Meinung nach nicht geschafft eine Lösung zu finden?
Ich habe diesen Brief veröffentlicht, weil mir das Telefonat klar machte, dass die überhaupt nichts geblickt haben. Ich glaube, es liegt an einem männlich dominierten Team und Stiftung. Das Studententeam besteht grösstenteils aus weissen, jungen Europäern zwischen 19 und 21 Jahren. Ich habe das Gefühl, dass ich ganz oft an solche Veranstaltungen eingeladen werde, weil ich die Frauenquote erhöhe. Jonas, mein Mitgründer bei "Flüchtlinge Willkommen", wird nie an die Veranstaltungen eingeladen, an die ich eingeladen werde.

Wie stellst du dir ein optimale Konferenz vor?
Es ist mir schon klar, dass eine Begleitperson hoch gegriffen wäre [Diesen Vorschlag präsentiert Mareike in ihrem offenen Brief]. Ich hätte erwartet, dass die Organisatoren sagen: "Mensch, so ein junges Kind und du traust dir dieses Doppelbelastung zu? Das wollen wir unterstützen. Was können wir tun?" Dann hätte ich geantwortet, dass es toll wäre, nur eineinhalb Tage teilzunehmen. Oder eine Kinderbetreuung, die von 09:00 bis 17:00 Uhr da wäre und dass ich auch ab und zu raus kann, um zu stillen.

Welche Rückmeldungen hast du auf deinen Brief bekommen?
Ich habe auf Twitter und Facebook verfolgt, wie das Echo war und auch mit kritischen Stimmen gerechnet. Aber ich habe das Gefühl, dass ich etwas ausgesprochen habe, das viele Frauen erleben. Mein Freund hat den Artikel auf Facebook geteilt und 15 von 16 Likes waren von Frauen. Da haben wir uns schon gewundert. Unsere Gesellschaft muss sich öffnen und nicht nur für junge Mütter. Es ist albern, das als Frauenthema zu handhaben. Es geht darum, allen Sorgetragenden entgegenzukommen. Sonst verliert man ihre Expertise und ihre Stimme im Diskurs. Dann kommt man über die Frauenquote von 20 Prozent auch nicht hinaus.

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