Ringen mit Dämonen: die tragische Geschichte hinter dem Tod von Wrestlerin Chyna
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Ringen mit Dämonen: die tragische Geschichte hinter dem Tod von Wrestlerin Chyna

Die amerikanische Wrestling-Ikone Chyna starb vergangenes Jahr an einer Überdosis Medikamente und Alkohol – am selben Tag wie Prince. Seither ist ein Kampf darüber entbrannt, ob Amerika sie als bahnbrechende feministische Athletin oder einen tragischen...

Im Juni, am Abend vor der Gedenkfeier für Joanie "Chyna" Laurer, haben sich ihre Freunde in einem Thai-Restaurant auf dem Sunset Boulevard versammelt. Der Pornostar Ron Jeremy kam in Crocs und schlürfte seine Suppe neben einem älteren Herrn im Hawaii-Hemd. Der Besitzer der Bunny Ranch, Dennis Hof, hatte seinen Arm um seine Teilzeitfreundin, die Sexarbeiterin Caressa Kisses, gelegt. Während sie Pad Thai und Curry aßen, dachten sie gemeinsam darüber nach, woran ihre Freundin gestorben sein könnte.

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Aus medizinischer Sicht starb Chyna an einer Überdosis Alkohol und verschreibungspflichtiger Medikamente. Ihre Leiche wurde am 20. April gefunden. Die Nachricht über ihren Tod verbreitete sich am darauffolgenden Tag – 12 Stunden bevor TMZ über den Tod von Prince berichtete, der neben David Bowie, Muhammad Ali und Fidel Castro nur einer von mehreren großen Ikonen war, deren Gedenkfeiern Chynas Tod im vergangenen Jahr überschattet haben. Kein Nachruf, keine ausführlichen journalistischen Berichte über ihr Lebenswerk – nach ihrem Tod wurde Chyna nicht als bahnbrechende weibliche Athletin gefeiert, obwohl sie die erste Frau war, die in der WWF (auch bekannt als WWE) gegen Männer angetreten ist. Außerdem wurde sie die Erst- beziehungsweise Zweitplatzierte in den Meisterschaften des Schwergewichts und gewann zweimal den zweitwichtigsten Titel der Liga, die Interkontinentalen Meisterschaften – genau wie Dwayne "the Rock" Johnson und Stone Cold Steve Austin. Bis heute gab es keine andere Frau, die diesen Titel gewonnen hat. Sie war die Joan Rivers der Wrestling-Szene.

Trotz allem ging sie nur als eine seltsame Randnotiz unter der C-Prominenz und als Anna Nicole Smiths Co-Star in ihrem letzten Film Illegal Aliens in die Geschichte ein. Kisses weinte während des gesamten Abendessens. Sie hat eine ziemlich kitschige Chyna-Puppe an ihre Tasche gehängt – ein Geschäft, auf das sich Chyna des Geldes wegen in den Jahren nach ihrer Karriere eingelassen hatte. "Ich werde sie bei mir behalten", meint Kisses über die Puppe. Dann drückt sie auf ihren Bauchnabel, woraufhin die Puppe mit schriller, piepsiger Stimme anfängt, jede Menge schmutziger Sprüche von sich zu geben, wie: "Ich habe meine Muschi rasiert!"

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Kisses hat Chyna bei ihrem ersten Besuch auf der Bunny Ranch kennengelernt. Die Wrestlerin begann kurz darauf, regelmäßig Zuflucht in dem Bordell zu suchen. "Eine meiner schönsten Erinnerungen ist, dass Chyna immer Gedichte rezitiert hat, wenn sie auf Beruhigungsmitteln war", erzählt mir Hof in einem Telefoninterview. "Das war witzig, aber auch sehr traurig." Hof hat Chyna zum ersten Mal nach ihrem berühmten Auftritt bei Celebrity Boxing Match im Jahr 2002 in sein Bordell eingeladen, damit sie seinen Mädchen zeigen konnte, wie man wrestlet – "ein beliebter Fetisch", wie er sagt. Die Sexarbeiterinnen trafen sich mit Chyna im Fitnessraum der Bunny Ranch. Sie brachte ihnen bei, wie wichtig es ist, sich dabei richtig einzuölen. Auf diese Weise bekämen sie die Männer nicht zu fassen und die Frauen könnten einfach davon schlittern, bevor sie wieder zum Angriff ansetzen und ihre Klienten am Schwanz packen (und damit den Kampf für sich entscheiden). Chyna hat den Trick selbst beim Wrestlen gelernt. Gerade vor großen Männern lehnte sie sich regelmäßig nach vorne und schlug sie in die Hoden – eine Technik, die die Fans "Chyna's low blows" nannten.

Chyna verbrachte zum Teil mehrere Tage auf der Ranch. Meistens lag sie nachmittags auf den roten Samtsofas herum und tratschte mit den anderen. "Sie war eine sehr starke Frau", sagt Kisses unter Tränen. "Sie war das genaue Gegenteil von mir. Ich bin viel zu gutmütig und zu vorsichtig. Ihr Stärke hatte eine unglaubliche Anziehung auf mich."

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Hof glaubt hingegen, dass Chyna tief im Inneren nicht die Kriegerin war, die sie nach außen zu sein schien. "[Sie war] sensibler als alle Menschen, die ich kenne", sagt Hof. "Ich habe auch erlebt, dass sie wegen der Sachen, die über sie gesagt wurden, weinen musste: dass sie männlich sei oder ein Transvestit – es gab schreckliche Gerüchte, die über sie verbreitet wurden, weil sie sehr groß war und gut in Form", sagt Hof und kämpft dabei ebenfalls mit den Tränen. "Das machte sie ziemlich fertig. Sie war längst nicht so tough, wie sie nach außen wirkte."

Chyna auf dem roten Teppich bei den MTV Video Music Awards im Jahr 2000. Damals befand sie sich am Höhepunkt ihrer Karriere als Wrestlerin. Foto: imago | ZUMA Press

Ihren Freunden und Fans erschien Chyna unsterblich. Alle sahen in ihr ein Idol – von den eingefleischten Wrestling-Kennern bis hin zu transsexuellen Teenagern, die sie für ihre doppelte Identität bewunderten. Als ausgemachtes Sexsymbol und breitschultrige Kämpferin dominierte Chyna die Wrestling-Welt von Mitte der 90er- bis Anfang der 2000er-Jahre. Nach ihrer Ausbildung unter Walter "Killer" Kowalski, einem legendären WWF-Wrestler, der sein Leben der Ausbildung zukünftiger Wrestling-Ikonen widmete, begann sie schon bald, alle Männer im Ring zu schlagen. Nachdem Paul Levesque, auch bekannt als Triple H, Chyna kämpfen gesehen hatte, stellte er ihr den WWF-CEO Vince McMahon vor.

McMahon stellte sie 1997 ein und machte Chyna zur ersten Frau, die gegen männliche Wrestler im WWF-Ring antrat – zum Ärger vieler Fans, die gegen Chynas Anwesenheit protestierten, indem sie Batterien in den Ring warfen und böse Gerüchte streuten. (Mal behaupteten sie, dass sie die weltgrößte Vagina hatte, dann sagten sie wieder, sie hätte einen Penis.) Doch die Beleidigungen schienen sie nicht aufhalten zu können. Während eines Kampfes im Jahr 1999 wurde sie von Triple H in die Brüste getreten. Der Kommentator sagte nichts. Als Chyna sich rächte, indem sie Triple H in die Eier schlug, meinte er dagegen nur: "Ich bin noch immer nicht sicher, ob ich mich wohl dabei fühle." Nachdem Chyna Triple H ein paar Minuten später besiegt hatte, wurde sie von dem pensionierten Wrestler Mick Foley alias Mankind angemacht. Sie schlug ihn ebenfalls in die Eier und meinte: "Falls du es nichts verstanden hast – das bedeutet Nein."

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"Ich lasse die Männer ihr Ding machen", sagte Chyna in einem Interview mit Vince Russo im Jahr 2015. "Mein Job ist es, meinen Mund zu halten." Doch in den meisten Fällen besiegte sie ihre männlichen Gegner und wurde schließlich bekannt als "das neunte Weltwunder."

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"Sie stand nicht nur im Ring, um mit Männern zu wrestlen, sie wollte sie besiegen", sagt der ehemalige WWE-Kommentator Justin Roberts. "Sie tat etwas, was damals nur Männer machten und was, glaube ich, seither auch keine andere Frau getan hat. Was sie machte, war unglaublich. Sie war eine echte Revolutionärin in der Welt des Wrestling."

Chynas Privatleben legte allerdings bereits den Grundstein für ihren Untergang. Kurz nachdem Chyna 1997 der WWF beigetreten war, begann sie, mit Levesque auszugehen. Dieser hatte sie für die WWF angeworben und kämpfte auch ab und zu gegen Chyna, wenn er in die Rolle des Wrestlers Triple H schlüpfte. Chyna erzählte Russo, dass sie davon geträumt hatte, ihn zu heiraten und in ein großes Haus zu ziehen. "Ich war so stolz auf ihn", erinnerte sie sich. Allerdings hatten sie ihre Beziehung immer geheim gehalten.

In dem Interview mit Russo erzählte sie auch, dass Levesque sie vor der WWF-Leitung verteidigen musste: Sie hatte die Liga damit verärgert, dass sie im November 2000 nackt in einer Ausgabe des Playboy posiert hatte. "Die WWE ist ein bedingt jugendfreies Produkt. Wenn ein Pornodarsteller für sie arbeitet, könnte das zu einem öffentlichen Ärgernis führen", erklärte Dave Schilling vom Guardian. In ihren 2001 erschienen Memoiren If They Only Knew bezeichnete Chyna die WWF als ihre "Familie", die sie liebte und mit der sie gelegentlich auch stritt. "Vincent K. McMahon ist wie mein Vater", schrieb sie. "Vince weiß, genau wie ich, welche Bedeutung solche Konflikte haben … Aber im Gegensatz zu Vince nehme ich das Ganze sehr ernst."

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Allerdings wusste Chyna nichts von dem größten "Konflikt" in der WWF-Familie: Levesque schlief neben Chyna auch mit der familienfreundlicheren, dabei aber sehr durchschnittlichen Wrestlerin Stephanie McMohan. Chyna beachtete Stephanie eigentlich überhaupt nicht, weil sie die "Tochter des Chefs" war und Herrin über das milliardenschwere Wrestling-Vermögen der McMahons. (Ihre Mutter, Linda McMahon, wurde vor Kurzem von Präsident Donald Trump zur neuen Vorsitzenden der Small Business Administration ernannt.) Im Jahr 2001 erfuhr Chyna dann von der Affäre der beiden. Levesques WWF-Karriere war damals bereits auf dem absteigenden Ast, weshalb er sich umso mehr auf Stephanies Einfluss verließ und sich letztendlich für Stephanie entschied. Chyna rief als alte Kämpferin daraufhin Stephanies Vater, Vince McMahon, an – Chynas Boss. Er sagte ihr, dass sie am Montag zu ihm ins Büro kommen solle. Nach ihrem gemeinsam Meeting, sagte Chyna gegenüber Russo, schickte er ihr dann ein Fax, in dem stand, dass die WWF ihren Vertrag nicht verlängern würde. Levesque heiratete Stephanie letztendlich und wurde Vizepräsident der WWE.

Levesque, Vince und Stephanie McMahon ließen über ihren Pressesprecher Matthew Altman mitteilen, dass sie keinen Kommentar dazu abgeben wollten. In einem Statement sagt Altman: "Das Hinscheiden von Joanie Laurer (Chyna) ist tragisch. Unsere Gedanken sind bei ihrer Familie, ihren Freunden und ihren Fans. Nachdem ihr Vertrag vor fast 15 Jahren ausgelaufen ist, konnten Joanie und die WWE zu keiner Übereinkunft hinsichtlich eines neuen Vertrags kommen, um sie in ihrer Rolle als Chyna weiter zu beschäftigen."

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"Ich habe mit ihr oft über [Levesque und Stephanie] gesprochen", sagt Chynas Mutter, Jan LaQue. "Es gab verschiedenes, was sie im Leben beschäftigte. An vorderster Stelle war, dass [Levesque] sie für Stephanie verlassen hatte. Das hat sie nie verkraftet."

Genauso kam sie nie darüber hinweg, dass sie gefeuert wurde. Sie betrachtete ihre Entlassung als einen persönlichen Betrug. Sie hatte keine Ersparnisse angelegt und hatte den Rest ihres Lebens Schwierigkeiten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie änderte ihren Namen offiziell zu Chyna, weil die WWF, auch bekannt als WWE, die Urheberrechte an dem Namen besaß. ("Die WWE hat Joanie immer Tantiemen gezahlt, seit ihr Vertrag 2001 ausgelaufen war", sagt Altman in seinem Statement. "Die Rechte an ihrer Rolle, Chyna, liegen bei der WWE.")

Sie tat etwas, was damals nur Männer machten und was seither auch keine andere Frau getan hat.

Chynas letztes finanzielles Sicherheitsnetz war, dass sie in der Zeit des Aufstiegs von Reality-TV-Stars und Celebrity Porn entlassen wurde. Im Jahr 2002 modelte sie zum zweiten Mal für den Playboy und trat in einer Folge von Celebrity Boxing auf, wo sie gegen Joey Buttafucco kämpfte – den Automechaniker aus Long Island, dessen Frau in den 90ern von seiner minderjährigen Geliebten erschossen worden war. Von 2003 bis 2005 war sie mit dem ehemaligen WWF-Wrestler Sean Waltman liiert, der unter dem Namen X-Pac auftrat. Ihm zufolge nahmen die beiden auch Drogen zusammen. Chyna beschrieb die Beziehung der beiden in einem Interview mit Jim Norton im Jahr 2015 als turbulent, stritt allerdings immer ab, Drogen mit ihm genommen zu haben. Sie beschuldigte Waltman allerdings, sie vergewaltigt zu haben und warf ihm vor, ein privat gedrehtes Sextape unter dem Titel 1 Night in Chyna an Vivid Entertainment verkauft zu haben – demselben Unternehmen, das auch Paris Hiltons 1 Night in Paris im Jahr 2004 ohne ihre Erlaubnis veröffentlichte. (Waltmann hat auf die Bitte um einen Kommentar nicht reagiert. Er hat Chynas Vorwürfe wiederholt bestritten und behauptet, dass er beweisen könne, dass Chyna der Veröffentlichung des Sextapes vorab zugestimmt hatte.) Am 1. Januar 2005 wurde sie von der Polizei wegen häuslicher Gewalt festgenommen, weil sie ihn geschlagen haben soll. "Sie beschimpfte mich und schlug mich mehrere Male auf den Kopf und ins Gesicht, nachdem sie aus der Playboy-Villa zurückgekommen war", schrieb Waltman damals auf seiner Webseite. "Es gab mehrere Zeugen, die ihr Verhalten beobachten konnten, darunter auch Jeff Meacham von The Extreme Mayhem Show. Leider wurden auch meine beiden Kinder Zeuge davon und mussten sich alles mit anhören. Sie wurde heute wieder auf freien Fuß gesetzt und hat auch keine weiteren Konsequenzen zu befürchten."

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Noch im selben Jahr trat sie in The Surreal Life, einer Reality-Show von VH1, auf – an der Seite ihres bis dahin Ex-Freundes Waltman und Verne Troyer, dem Schauspieler von Mini-Me aus Austin Powers. Sie begann diesen Karriereweg auch weiter zu verfolgen: 2008 trat sie in einer Staffel von Celebrity Rehab auf und übernahm im selben Jahr auch eine Rolle in dem 2008 erschienen Low-Budget-Film Illegal Aliens an der Seite von Anna Nicole Smith. In der Zeit von 2009 bis 2011 arbeitete Chyna als Stripperin und trat in fünf verschiedenen Pornos auf, die zwischen 2009 und 2013 bei Vivid erschienen.

"Ich fühlte mich wie ein Monster", erzählte sie Norton in den 2000er-Jahren über ihre damaligen Probleme. "Es gab einfach keinen Ausweg für mich."

Chyna spielte einen Alien namens Rex in ihrem letzten Film: "Illegal Alliens" von dem Regisseur David Giancola. Foto: Edgewood Studios

Im Jahr 2011 wurde ihr klar, dass sie eine absolute Kehrtwende machen musste und beschloss, nach Tokyo zu ziehen. Chyna sprach Japanisch, Französisch, Deutsch und Spanisch (sie hatte sogar einen Abschluss in spanischer Literatur). Sie hatte vor, dort als Englisch-Lehrerin zu arbeiten. "Natürlich werden sie mich einstellen. Ich bin Chyna!", sagte sie noch während ihrem Interview mit Russo. Sie merkte allerdings schon bald, dass es in diesem Fall nicht von Vorteil war, Chyna zu sein. Sie hatte Schwierigkeiten, Arbeit zu finden und bekam schließlich eine schlecht bezahlte Stelle als Englischlehrerin. "Was würde passieren, wenn Hulk Hogan in einer der bekannten [Englischschulen] arbeiten wollen würde?", sagte sie in dem Interview mit Russo. "Es war komisch, weil die Leute wissen, wer ich bin."

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Viele ihrer Freunde glaubten, dass Chyna in Japan clean wurde. Im Februar 2013 begann sie ihrer Mutter, Jan LaQue, mit der sie 27 Jahre lang nicht gesprochen hatte, E-Mails zu schreiben. LaQue hat Chyna gemeinsam mit ihren beiden Geschwistern Sonny und Kathy in einem turbulenten Haushalt groß gezogen. "Du willst eine Momentaufnahme? Also es war so", schrieb Chyna in If They Only Knew. "Von 1973 bis 1983 (ich nenne das die schönsten zehn Jahre mit meiner Mutter) zogen wird viel um. Die meiste Zeit über war meine Mutter wütend, verliebt oder beides." Sie warf ihrer Mutter vor, sie verbal misshandelt zu haben und bezeichnete LaQue als ihren ersten lebenslangen Kampf. "Immer wenn ich sie angegangen bin, was ich fast nie getan habe, konnte ich spüren, wie sie mich erdrückte. Es war immer nur eine Frage der Zeit, bis sie mich wieder einwickelte oder überwältigte", schrieb sie. Chyna behauptete auch, dass ihre Mutter sie mit 16 Jahren vor die Tür gesetzt hätte und sie zu ihrem Vater ziehen musste.

Ob das der Wahrheit entspricht, ist nicht klar. Eine Quelle, die Chyna sehr nahe stand, sagte, sie sei unberechenbar gewesen, als sie das Buch schrieb und auch LaQue hat sämtliche Vorwürfe von Chyna abgestritten. "Als das Buch erschien, dachte ich, sie wäre verrückt", sagt LaQue. "Ich habe sie nicht vor die Tür gesetzt. Sie ist aus freien Stücken gegangen. Da waren noch viele andere Sachen, die sie – oder wer auch immer dieses Buch geschrieben hat –gesagt hat und die einfach nicht wahr waren."

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Allerdings entsprach das Buch, laut LaQue, an anderer Stelle auch durchaus der Wahrheit. Ihr Elternhaus war wirklich "zerrüttet" und auch die Passage, in der sie beschreibt, wie Chynas alkoholkranker Vater LaQue niedergestochen hat, ist korrekt.

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Im Jahr 2013 nahm LaQue wieder Kontakt zu Chyna auf. Sie glaubt, dass ihre Tochter damals versuchte, ihrer Rolle als Chyna zu entkommen und einfach wieder Joanie Laurer zu sein – die Frau, die sie vor ihrer Zeit als Wrestlerin und vor den Drogen war. LaQue wusste allerdings nicht, dass Chyna auch E-Mails an Steve Hirsch schickte – den Pornomogul, dessen Firma Vivid Entertainment zuvor bereits Chynas Pornofilme produziert hatte. "Ich bin ziemlich verrückt, aber ich bin auch eine Frau. Also hör dir an, was ich zu sagen habe", schrieb Chyna in mehreren E-Mails an Hirsch. "Es läuft nicht besonders gut. LOL. Es war komisch in Japan. Ich kann es wirklich verstehen, aber gleichzeitig verstehe ich es auch überhaupt nicht. Sie sind ziemlich vorlaut und seltsam … Auf der anderen Seite habe ich das Gefühl, dass meine Haut wirklich schön ist und meine Figur sehr feminin und hübsch. Ich glaube, ich sehe im Moment ziemlich gut aus. Das tue ich. Lass und reden: Was ist der nächste Schritt? Können wir über das Geld sprechen? Sag mir Bescheid. Ich möchte ein wunderschöner Pornostar werden."

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Chynas Freunde glauben, dass sie nicht nur wegen dem Geld in den Pornos mitspielen wollte – sie suchte nach der Bestätigung der Männer. Aufgrund der Beleidigungen der WWF-Fans war sie überzeugt davon, dass sie aussah wie ein Monster. Sie sah sich selbst eher als King Kong und nicht als Weltwunder. "Menschen können unglaublich gemein sein", sagt der Pornostar Mary Carey, eine enge Freundin von Chyna. "Auf 40 nette Kommentare kommt immer mindestens eine Peron, die so etwas sagt wie: 'Du hast einen Penis.' Das hat ihr wirklich zu schaffen gemacht."

Chyna hat nicht erkannt, welchen Einfluss ihr Aussehen auf die Popkultur hatte. In einer Szene aus der ungekürzten Version von Amy, der Oscar-prämierten Dokumentation über Amy Winehouse, sieht man, wie die verstorbene Sängerin ihren Manager anbettelte, weil sie in dem WWE-Themenrestaurant The World essen gehen möchte – einfach nur, weil sie Chyna verehrte. "Die großen Stars gehen dahin und betrinken sich und geben den Leuten einen aus", sagt Winehouse in der Szene. "Chyna war da auch!"

"Sie war der erste Mensch, der mir das Gefühl gab, dass nicht jeder Körper gleich aussieht", sagt Lilyana, eine Transfrau, die schon als Teenager eine große Bewunderin von Chyna war. "Ich glaube, das sie einen wichtigen Einfluss auf meine Sexualität hatte, weil ich durch sie erkannt habe, dass Körper ganz unterschiedlich aussehen und trotzdem sexy und stark sein können."

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Carey glaubt, dass Chyna sich der Kraft ihrer Ausstrahlung nicht bewusst war. Sie dachte, sie müsste wie ein Pornostar aussehen, um wunderschön und feminin zu sein. "Ihr gefiel, dass ich so eine Art Sexsymbol war. Ich glaube, das wollte sie auch", sagt Carey. "Sie wollte, dass die Leute sie sexy finden und konnte es aber selbst nicht sehen." Hof würde sich auch wünschen, dass Chyna einfach akzeptieren hätte können, dass Männer ihren sportlichen Körper anziehend fanden. "Sie war sexy!", sagt er. "Sie fanden sie auch als Wrestlerin heiß. Sie war eine Berühmtheit."

Chyna am Set von "Illegal Aliens", während sie auf Anna Nicole Smith wartet.

Vergangenes Jahr nahm Chyna wieder Kontakt zu Anthony Anzaldo auf. Er war früher als erfolgreicher Plattenpromoter tätig und verbachte die 2000er-Jahre damit, ehemalige Athleten und Fernsehschauspieler wie Barry Williams aus Brady Brunch und Jeff Conway der die Rolle von Kenicki in Grease gespielt hatte, an Reality-TV-Shows zu vermitteln. "Ich war in einem Raum mit [Conway], als er starb!", prahlte Anzaldo bei unserem ersten Treffen. Das einzige Mal, als er näher an die großen Stars herankam, war in den 90er-Jahren, als er für Madonnas Plattenlabel Maverick arbeitete. Sein Bruder war dort als Manager tätig.

Laut Anzaldo trafen er und Chyna sich im Jahr 2002 bei Celebrity Boxing Match, wo Chyna gegen Joey Buttafucco antrat. Kurz danach begannen sie zusammenzuarbeiten. Anzaldo brachte Chyna zu The Surreal Life und Celebrity Rehab. Nach 2008 trennten sich ihre Wege allerdings wieder – aus Gründen, die Anzaldo nach wie vor ein Rätsel sind. Carey erinnert sich, dass Chyna mehrmals ihren Manager gewechselt hat. "Wir waren bei einer Erotikmesse in New Jersey, wo wir gemeinsamen auftraten und plötzlich stand da irgend so ein Kerl", erzählt Carey. "[Chyna] meinte nur: 'Du wirst mein neuer Manager.' Und dann war dieser Kerl eben ihr neuer Manager. Sie erzählte mir immer wieder von verschiedenen Kerlen. Einmal lernte sie einen Typen in einer Bar kennen, der daraufhin zwölf Monate lang bei ihr wohnte."

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Im Jahr 2015 meldete sich Chyna bei Anzaldo. Die genaue Art ihrer beruflichen Beziehung ist allerdings etwas undurchsichtig: Anzaldo sagt, dass er nie für sie gearbeitet hat, vielmehr war sie seine "Partnerin." Er sagt, dass sie wie Familie war und er niemals als ihr Manager beschäftigt war. Dennoch begann er, ihr Comeback zu planen, das damit enden sollte, dass Chyna im MGM Grand Hotel und im Casino in Las Vegas als Wrestlerin auftreten sollte. "Leute, die so weit oben sind wie Chyna, verdienen Millionen [und verlieren sie dann wieder]", sagt Chynas Freundin Tasha Bardon. "Es ist frustrierend." Anzaldo wollte das ändern.

Ein ehemaliger Fan, der 40-jährige Bostoner Comedian Rob Potylo, schickte Anzaldo schließlich eine neue Geschäftsidee per Mail zu. Er hatte Anzaldos Kontakt im Internet gefunden. Potylo hatte sich als Kind immer die Kämpfe der WWF angesehen und bewunderte Chyna. Er war neugierig, was mit ihr passiert war und begann, im Netz zu recherchieren. "Allerdings fand ich nicht mehr als diese saukomischen Videos von ihr in Japan, in denen man sieht, wie sie sich einen Smoothie macht und meint: 'Ich werde versuchen Kürbis in den Smoothie zu machen'", erklärt er. Er meldete sich bei Anzaldo, weil er noch mehr solcher Videos mit Chyna drehen wollte. Anzaldo machte einen Gegenvorschlag: Eine Dokumentation über Chynas Comeback.

"In The Reconstruction of Chyna geht es um die Erneuerung von Körper, Geist und Seele", sagt Anzaldo. "Jeder hat das Ziel, Glück im Leben zu finden und ironischerweise ist das auch das Einzige, worüber wir wirklich die Kontrolle haben."

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Sie erschuf einen ganz neuen Typ Frau, zu dem sich Männer hingezogen fühlten – oder zumindest machte sie es salonfähig, muskulöse und starke Frauen attraktiv zu finden.

Potylo hatte keinerlei Erfahrungen mit Dokumentationen und wandte sich an seinen Freund Erik Angra – einen aufstrebenden Dokumentarfilmer, der bereits bei einer Reihe von Kurzfilmen Regie geführt und einen Film von Ken Burns bearbeitet hat. (Angra hat auch als Kameramann in zwei Episoden von VICE gearbeitet, einem HBO-Programm, das von VICE Media produziert wird, wozu auch Broadly gehört.) Angra selbst wirkt eigentlich wie ein seriöser Filmemacher und nicht unbedingt wie jemand, der mit Online-Comedians und abgewrackten ehemaligen Profi-Wrestlern rumhängt. Er trägt einen kurzen braunen Bart und kommt in Unterhaltungen gerne auf die internationale Politik zu sprechen. Es sagt, dass ihm "Wrestling scheißegal ist", aber er kannte Chyna, weil er in New Hampshire aufgewachsen ist – nicht weit entfernt von dort, wo Chynas und Levesques lebten.

"Sie war diese Kleinstadtberühmtheit", erzählt Angra. "Sie erschuf einen ganz neuen Typ Frau, zu dem sich Männer hingezogen fühlten – oder zumindest machte sie es salonfähig, muskulöse und starke Frauen attraktiv zu finden. Ohne sie gäbe es auch keine Ronda Rousey. Es gäbe viele Leute nicht ohne sie."

Anzaldo beauftragte Angra, einen Film zu machen, der Chynas Aufstieg und Untergang sowie ihre Errungenschaften als Athletin zeigen sollte. Angra sagte zu. Anzaldo und Chyna wurden die Produzenten des Films, allerdings bekam Angra die Rechte an dem Film. Damals lebte Chyna noch immer in Japan. Angra kaufte ihr deshalb ein Ticket und ließ sie nach New York einfliegen. Chyna schickte ihren Freunden kurz zuvor noch zahlreiche E-Mails, in denen sie ihnen von ihren Plänen, im Frühling 2015 wieder zurück in die USA zu ziehen, erzählte.

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Hof bat sie daraufhin inständig, LA zu meiden. Er bot ihr sogar an, in die Bunny Ranch zu ziehen und versprach ihr, ihr einen Psychiater, einen Berater und einen Suchtspezialisten zu zahlen. "Sie sah in mir seltsamerweise so etwas wie einen Vater", sagt Hof. "Es machte mich sehr glücklich, [sie als meine Tochter ansehen zu dürfen], denn ich bin vieles für viele Menschen."

"Ich wusste nur, dass Kalifornien kein guter Ort für sie war – auch wenn sie es hier liebte", sagt Chynas Freundin Tasha Bardon. "In der Regel trank sie hier am allermeisten."

"Sie versuchte allerdings nur, [die Sorgen ihrer Freunde und ihrer Familie] abzutun", sagt LaQue. "Ich habe ihr eine einzige E-Mail geschickt, in der ich ihr gesagt habe: 'Halte Abstand von deiner Rolle als Chyna – sei einfach Joanie. Wenn du einfach nur Joanie bist, wird alles gut werden. Geh nicht zurück nach Los Angeles. Du wirst wieder an dieselben Leute geraten und abrutschen.' Und genau das ist auch passiert."

Chyna kam im Juni 2015 zurück nach New York. Angra, Potylo und Anzaldo trafen sich mit ihr am Flughafen. Alle drei erinnern sich noch daran, dass Chyna nüchtern wirkte. Sie fuhren nach New Jersey, wo sie bei einem Freund von Anzaldo übernachteten. Chyna verbrachte einige Tage mit den Medien, gab Interviews für diverse Blogs und Radiosender und kündigte ihr großes Comeback an. Außerdem betonte sie immer wieder, dass sie wieder trocken sei. Anschließend brach die Gruppe mit dem Auto nach Kalifornien auf. Chyna zeigte sich gegenüber der Gruppe und den Journalisten immer nüchtern, aß ausschließlich vegane Mahlzeiten und trank andauernd Smoothies.

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"Die Medien haben einen ganz falschen Eindruck von dem, was ich getan habe. Sie denken, ich wäre ein Monster", sagte sie im Juni 2015 in einem Interview mit VICE Sports. "Ich bin ein ganz neuer Mensch … Ich mache Yoga."

Am fünften Tag ihrer Tour durch die Staaten ging Chyna dann einen Abend allein aus. Angra kann sich noch daran erinnern, dass sie stark nach Alkohol roch, als sie zurückkam. "Anthony tat, was er tun konnte, um sie wieder fit zu kriegen, weil sie eigentlich in einer Radiosendung auftreten sollte. Er wollte nicht, dass sie merken, dass sie rückfällig geworden war. Das hätte seine ganze Geschichte zerstört. In dem Moment habe ich sie zum ersten Mal angesehen und dachte nur: 'Ach du Scheiße.'"

Ein paar Tage später bemerkte Angra, dass Chyna japanische Pillendöschen dabei hatte. Er nahm an, dass sie Zolpidem oder sonst irgendein Schlafmittel nahm. Eines Nachts bot sie Potylo dann eine Pille an. (Das war nicht weiter ungewöhnlich. Carey zufolge hatte Chyna immer eine kleine Dose mit vielen verschiedenen Pillen dabei.) Potylo beschloss, Chynas Angebot anzunehmen. "Ich schlafe so schlecht", erklärt er. "Am nächsten Tag haben wir versucht, sie zu fragen, was sie mir da gegeben hatte. Wie sich rausstellte, waren es irgendwelche japanischen Roofies – total verrückt."

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"Sie meinte nur: 'Oh, das ist Rohypnol'", sagt Angra. "Außerdem schluckte sie jede Menge Valium und Zolpidem. Niemand braucht so viele Medikamente."

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Als sie in Las Vegas ankamen, bestand Chyna darauf, im Palms feiern zu gehen – ein Hotel und Casino im Herzen von Las Vegas. Als Chyna zehn Jahre zuvor noch in der WWF kämpfte, galt das Palms als eine der heißesten Adressen im Nachtleben von Vegas. Auch der Cast von The Real World: Las Vegas lebte damals in dem Hotel. Außerdem fanden in dem Theater des Hotels die MTV VMAs 2007 statt, wo Britney Spears ihr fehlgeschlagenes Comeback feierte und auch Hugh Hefner und Holly Madison haben in einer Folge von The Girls of the Playboy Mansion in einem Penthouse im Palms gefeiert. Allerdings hat Madison mittlerweile den Gründer des Electric Daisy Carnival geheiratet und junge Leute gehen heute eher ins Cosmopolitan trinken. Das Palms hingegen ist ein Relikt aus den frühen 2000er-Jahren – aber Chyna liebte es.

"Das war ein wirklich trister Ort", erzählt Agra. "Sie erzählte die ganze Zeit über, wie es früher dort aussah. Ich hatte den Eindruck, dass sie ziemlich oft dort gewesen sein musste."

Chyna wollte unbedingt mit Angra feiern gehen, weshalb er schließlich zustimmte. "Das fand alles ohne Kamera statt", sagt Angra. "Ich nehme eigentlich selbst Clonazepam, habe aber ausnahmsweise einige Pillen von ihr genommen und ich glaube, am Ende sind wir dann gemeinsam feiern gegangen." Chyna prahlte vor ihm, dass sie noch vor zehn Jahren immer fünf Bodyguards dabei hatte, wenn sie ins Palms ging. Außerdem ist sie, wie er erzählt, durch das gesamte Hotel gerannt und hat Leuten erzählt: "Ich bin Chyna – wisst ihr denn nicht, wer ich bin?"

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"Es war grenzwertig peinlich", sagt Angra. "Ich habe noch immer Schuldgefühle deswegen. Ich wünschte, ich hätte nichts mit ihr getrunken."

"Da war diese Seite an ihr, die sie zur Diva mutieren ließ", sagt Potylo. "Sie wollte ein Star sein und dieser Wunsch hat sie komplett vergiftet."

Chyna strippte regelmäßig mit Mary Carey, ihrer Kollegin bei "Celebrity Rehab." Foto: Mary Carey

Nach ihrem Trip nach Las Vegas fuhr Angra gegen Ende des Sommers wieder zurück nach Boston. Chyna flog nach Los Angeles, wo sie in Anzaldos Eigentumswohnung am Redondo Beach zog. Als ich Anzaldo ein paar Wochen nach Chynas Tod dort besucht habe, hing dort ein Brady-Bunch-Poster mit der Unterschrift von Barry Williams im Gang und ein schwarzer Schnauzer rannte durch die Wohnung. Sein Bücherregal zierten Selbsthilfebücher mit Titel wie Das Geheimnis, Die Stärke und Die Kunst des Glücks.

"Wir waren dabei, Chynas Körper, Geist und Seele zu heilen", sagt Anzaldo. "Sie litt unter jeder Menge emotionaler Probleme."

Anzaldo sagt, dass Chyna angefangen hatte, zu einer Selbsthilfegruppe für Opfer häuslicher Gewalt und zum Hot Yoga zu gehen. In einem YouTube-Video von September 2015 sieht man, wie sie mit einem Handtuch um den Hals und einer Yogamatte unter dem Arm vor dem Hot Yoga Center der Stadt steht. "Sieben Tage habe ich hinter mir", sagt sie. "Das nächste Ziel sind 30 … Ich bin in der besten Form meines Lebens … Lebt gesund!"

Potylo beschloss, in Los Angeles zu bleiben und schlief auf Anzaldos Couch, von wo aus er beobachtete, wie Anzaldo versuchte, Chynas Karriere wieder aufleben zu lassen. "Sie versuchten, sie dazu zu bringen, wieder in einem Porno mitzuspielen", sagt er. "Eines Tages trafen wir uns dann mit Steve Hirsch von Vivid." Hirsch wollte, dass Chyna in mehreren Videos seines Unternehmens auftreten sollte. "Die Leute sprachen noch immer [über ihre bisherigen Filme]", sagt Hirsch. "Sie haben sich unglaublich gut verkauft." Eine nahestehende Quelle von Vivid sagt, dass der Deal an Anzaldo scheiterte. Er streitet das allerdings ab.

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Im Herbst 2015 verdiente Chyna ihr Geld hauptsächlich damit, Autogramme zu schreiben und zog in eine Wohnung in Anzaldos Straße. Potylo kaufte sich ein Haus in Los Angeles, verbrachte den Großteil der Woche aber noch immer bei Chyna, die Angra nahezu täglich anrief. In der einen Woche erzählte sie ihm: "Ich bin komplett clean, alles ist super. Ich mache jeden Tag Yoga und nehme keine Drogen mehr." Doch in der nächsten Woche konnte es sein, dass sie ihn wieder anrief und sagte: "Ich nehme wieder Drogen."

Angras Vision von einer real-life Version von The Wrestler – ein Film über der Comeback eines professionellen Wrestlers, der trotz seines Alters nicht in Rente gehen möchte – hatte sich in in das jüngste Desaster von Chynas langer Liste an persönlichen Niederlagen verwandelt. Angra begann, sich immer mehr Sorgen um Chynas Gesundheit zu machen und beschloss, ihr Hilfe zu suchen. Er rief Waltman an, den Wrestler, der in den 2000er-Jahren eine turbulente Beziehung mit Chyna geführt hatte und sprach mit Levesque. Laut Angra setzte sich Levesque mit der WWE zusammen, um sich einen Plan zu überlegen.

Da war diese Seite an ihr, die sie zur Diva mutieren ließ. Sie wollte ein Star sein und dieser Wunsch hat sie komplett vergiftet.

Im Oktober 2015, sagt Angra, hat ihn die WWE dann kontaktiert. Sie boten an, für Chynas Entzug zu zahlen. Er gab den Vorschlag an Anzaldo weiter und versicherte ihm, dass er ihre Zeit in der Klinik nicht filmen würde. Anzaldo lehnte die Hilfe ab. "Er sagte, sie würde da sowieso nicht hingehen. Das hat vielleicht sogar gestimmt, weil sie ziemlich paranoid war, was die WWE anging", sagt Angra. "Sie dachte, sie würden sie kidnappen und irgendwo im Wald aussetzen, sodass sie nie wieder zurückkommen würde. Ich weiß nicht, ob ihr [Anzaldo] von dem [Angebot der WWE] erzählt hat. Im Grunde sagte er mir nur, dass ihr Terminkalender zu voll war und sie [zum Dreh von einer Episode der Reality-TV-Show] Botched müsse."

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In Botched unterzog sich Chyna einigen Eingriffen, um Fehler aus früheren Schönheitsoperationen zu korrigieren. Es wurde auch gesagt, dass sie in der ersten Folge der dritten Staffel zu sehen sein würde. "Offenbar haben sie entschieden, lieber Botched zu machen [als einen Entzug]", sagt Angra. "Die Schönheitsoperationen waren 80 Riesen wert. Das wollte sie unbedingt haben und das hat sie letztendlich auch bekommen."

Nach ihrem Tod berichtete TMZ, dass Chyna dem Arzt von Botched, Dr. Terry Dubrow, nüchtern vorkam. Er meinte, dass sie keine Medikamente im Blut hatte, die ein Problem für die Operation dargestellt hätten. Kurz darauf – einige Wochen vor ihrem Tod – verschob Anzaldo den Entzug dann erneut, weil er einen Deal mit der Reality-TV-Show Intervention aushandeln wollte, was für jede Menge Kritik sorgte, da er den Fernsehspot abwarten wollte, bevor Chyna die Hilfe bekommen sollte, die sie brauchte. Auf diese Weise ließ er letztendlich wertvolle Zeit verstreichen.

"Sie hätte die Hilfe [der WWE] nicht angenommen", sagt Anzaldo. "Alle haben mir gesagt: 'Du hättest nicht zur WWE gehen sollen.' TMZ veröffentlichte eine Geschichte über mich, die wirklich hart war. Sie meinten, dass ich im Grunde darauf gewartet habe, einen Deal mit einer Reality-TV-Show zu machen, anstatt ihr Hilfe zu besorgen."

Anzaldo sagt, dass Intervention Chyna einen sicheren, freien und bestmöglichen Entzug angeboten hätte – die beste gesundheitliche Versorgung, die man sich hätte vorstellen können. Im Gegenzug hätte man sie in der Show gezeigt. Doch dazu kam es nie – weder vor noch hinter der Kamera. Chyna verdiente ihr Geld auch im Winter und Frühling 2016 damit, Autogramme zu schreiben. Bei einem ihrer letzten Auftritte im Westin Hotel in der Nähe des Flughafens von Los Angeles, tauchte Chyna mit einer Pferdemaske auf, die an Bojack Horseman erinnerte, die Hauptfigur des Netflix-Cartoons, in dem die vergessenen Hollywood-Größen verspottet werden, die Drogen nehmen und trinken, um ihr Schicksal zu verkraften. "Chyna hat diese Serie geliebt", sagt Angra. "Ich habe die letzte Staffel davon gesehen, in der eine Figur an einer Überdosis stirbt und musste dabei an Chyna denken."

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Im März 2016 flog sie mit Angra nach Miami, um das Grab ihres Vaters zu besuchen. Sie hatten eigentlich geplant, im Anschluss noch LaQue zu besuchen – es sollte das erste Treffen mit ihrer Mutter nach über 30 Jahren werden –, aber LaQue sagte das Treffen kurz zuvor ab. Sie hatte sich Sorgen gemacht, weil Chyna ihr ganz offensichtlich betrunken E-Mails geschrieben hatte. Chyna hat ihre Mutter nie wieder gesehen.

Chyna dokumentierte ihren letzten Versuch, clean zu werden, in Fotos, die sie an den CEO von Vivid Entertainment, Steve Hirsch, mailte. Fotos: Steve Hirsch

Ein paar Wochen vor ihrem Tod – das genaue Datum variiert – hat sich Chyna dann von Anzaldo getrennt. Laut Anzaldo gerieten sie wegen ihres Drogenkonsums in einen heftigen Streit. Er sagte ihr: "Du wirst sterben. Du bist als nächste dran und wir müssen etwas unternehmen und zwar auf der Stelle." Chyna schickte ihrer Mutter am 10. April mehrere unzusammenhängende E-Mails, in der sie verschiedene Erklärungen für den Bruch fand. "Anthony und ich machen für den Moment eine kleine Pause … Anthony hat Ladegeräte und Geld geklaut." LaQue war sich nicht sicher, ob sie wirklich "Ladegeräte" meinte. Anzaldo bestreitet, Chyna bestohlen zu haben.

Eine Woche vor Chynas Tod meldete sich Anzaldo bei den Produzenten von Intervention. Er wollte, dass sie für 90 Tage zu einem Entzug in die Betty Ford Klinik geht. Die Kosten hätte Intervention übernommen. Er sprach mit Anwälten und Produzenten. Sie hätten letztendlich innerhalb von acht oder neun Tagen mit den Dreharbeiten beginnen können, sagt Anzaldo.

Am Sonntag, dem 17. April, hinterließ Chyna Angra eine ausschweifende Sprachnachricht. "Hey, ich bin's. Es tut mir leid, dass du dich nicht gut fühlst", sagte sie. "Es ist so ein schöner Tag draußen. Ich wünschte, du wärst hier. Einfach nur so zum Spaß. Du bist jederzeit willkommen und kannst auch hier schlafen. Genieß einfach die Aussicht. Dieser Milkshake kostet mehr als 5 Dollar, siehst du das? Jedenfalls sind heute alle Boote auf dem Wasser. Es ist so ein schöner Tag. Ich liebe dich und es geht mir schon viel besser. Meine philippinische Familie weiß jetzt, wo ich lebe. Sie kommen bald mal vorbei. Wir werden uns etwas zu essen holen … Ich muss die beiden Steuererklärungen nochmal durchgehen." Drei Tage später, am 20. April, wurde Chyna tot aufgefunden.

"Es hatte etwas von einem Drama von Shakespeare – nur knapp vier Stunden später starb Prince", sagt Potylo. "Ihr war nicht einmal dieser eine Tag vergönnt – ein Tag, an dem die Leute sagen: 'Oh mein Gott, Chyna ist gestorben? War das nicht diese Wrestlerin, die auch auf dem Cover der Fernsehzeitung und des Playboy war?' Das klingt jetzt wie aus 'Candle in the Wind', aber obwohl sie [einen Nachruf] in WWE Raw [dem Montagabendprogramm der Wrestling-Liga] bekommen hat, haben sie das Ganze nur kurz angeschnitten."

Anzaldo filmte den Moment, als er in Chynas Wohnung taumelte und sie tot in ihrem Schlafzimmer fand. Er rief all ihre berühmten Freunde an – allerdings nicht ihre Mutter, was LaQue unglaublich wütend gemacht hat. Sie erfuhr von ihrem Sohn Sonny, dass Chyna gestorben war und rief Anzaldo selbst an.

Er lud sie zu ihrer sehr aufwendig geplanten Beerdigung ein. LaQue sagte ihm, dass sie nicht kommen würde wegen der Kameras, von denen sie annahm, dass er sie bereits eingeladen hatte und weil sie glaubte, dass sie es emotional nicht verkraften würde.

LaQue unterzeichnete ein Dokument, das Anzaldo die Erlaubnis gab, Chynas Habseligkeiten an sich zu nehmen und einen Teil von Chynas verbliebenem Geld dafür zu verwenden, die Beerdigung zu zahlen. "Ich habe selbst nicht viel", schreibt LaQue. "Ich würde Anthony und alle anderen Beteiligten, die sich um die Beerdigung kümmern, deshalb bitten, bei ihren Entscheidungen die Kosten im Auge zu behalten, sodass keine unannehmlichen finanziellen Belastungen für mich entstehen." Danach, so LaQue, sollte er ihr die restlichen Habseligkeiten und das verbliebene Geld schicken. Da Chyna über kein Testament verfügte, war LaQue nach kalifornischem Recht die rechtmäßige Erbin. Anzaldo sagte allerdings, dass er sich weigerte, ihre Chynas Habseligkeiten zu schicken. Er meinte, dass LaQue kommen und die Sachen ihrer Tochter selbst abholen müsste.

LaQue und anderen engen Freunden von Chyna ist klar, dass Anzaldo die Bekanntheit der ehemaligen Wrestlerin wichtiger war als ihre Karriere und ihr Andenken. Anzaldo wartete mit ihrer Gedenkfeier bis Juni, weil sich in diesem Monat ihre Rückkehr in die USA jährte. Anzaldo dachte, dass das einen stärkeren Symbolcharakter in Angras Dokumentation hätte. Während der Veranstaltung stand Anzaldo auf der Bühne des Redondo Beach Performing Arts Center und hielt dabei eine schlichte Urne hoch, in die der Wrestler-Name der Verstorbenen eingraviert war. Wie Rafiki, der Simba in Der König der Löwen dem Volk präsentiert, hielt auch Anzaldo die Urne vor der Menge in die Luft. "The bitch is in the house!", rief er. "Sup, girl?" Anschließend ermutigte er die Menschen dazu, Selfies mit der Urne zu machen.

Der Backstagebereich sah aus wie die C-Promi-Version der Met Gala. Hof saß gemeinsam mit Kisses an einem weißen Plastiktisch Platz – an der Seite des alten Mannes mit dem Hawaii-Hemd, der auch schon beim Abendessen neben ihnen saß. Er zeigte auf einen ungewöhnlich kleinen Mann in einem schwarzen Anzug: "Das ist das Kind, das in Fröhliche Weihnachten mit der Zunge an der Laterne kleben bleibt." Kurze Zeit später brachte Hof einen Kerl mit riesigen, glänzenden Silberringen an den Fingern mit an den Tisch – es war Joey Buttafucco. Diese Männer haben Chyna geliebt. Einige von ihnen haben sogar geweint, während der Mormonenchor beliebte Songs wie "What's Going On," "Drops of Jupiter" und "All Star" gesungen hat.

Anzaldo verbrachte hingegen den gesamten Abend damit, exklusive T-Shirts von Chynas Beerdigung zu verkaufen. Er behauptet, dass alle Einnahmen an eine neue Wohltätigkeitsorganisation namens Ninth Wonder of the World Association gingen, welche angeblich Geld für den Tierschutz und die Schulbildung von Kindern sammelt. Die Bundessteuerbehörde der USA hat allerdings keine Wohltätigkeitsorganisation in Redondo Beach aufgeführt, wo Anzaldo lebt und arbeitet. "Wenn sie mich einfach tun lassen würden, was ich möchte, dann gäbe es diese Stiftung schon längst", sagt er. "Es käme auch schon genug Geld rein, aber im Moment geht alles an ihre Mutter." Er hat hat Chynas Cello weggegeben. Den Abend hat er damit beendet, zu einer Diashow mit Fotos von sich und Chyna vor einem riesigen Bildschirm zu singen. Er hat mit keinem Wort erwähnt, dass Chyna einige Wochen vor ihrem Tod aufgehört hatte, Geschäfte mit ihm zu machen.

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Einige Wochen nach der Gedenkfeier, sagt LaQue, hat sie einen Karton per Post zugeschickt bekommen. "Ich habe eine Schachtel mit ihrer Asche bekommen", sagt LaQue. "Ich meine: Komm schon!" Erst später sah sie ein Video von der Gedenkfeier und erfuhr, dass Anzaldo Chynas Habseligkeiten im Netz versteigerte – angeblich für einen guten Zweck. Allerdings hat ihm LaQue nie die Erlaubnis gegeben, Chynas Eigentum zu verkaufen. Im Oktober hat sie Anzaldo deshalb verklagt. Das Geld für den Prozess hat sie über Crowdsourcing zusammengekratzt. Ein Richter räumte LaQue das Recht ein, über Chynas Nachlass zu verfügen.

"Ich habe Anthony aufgefordert, mir Chynas/Joanies persönliche Habseligkeiten und ihre Kleidung (von der mir Anthony Bilder geschickt hat) sowie ihre Papiere und sonstige Aufzeichnungen über meinen Anwalt zu übergeben. Allerdings hat sich Anthony bisher nicht an die Abmachung gehalten", sagt LaQue in einer E-Mail. "Weil er sich nicht an die Abmachungen hält, muss ich meine Rechte jetzt eben vor Gericht geltend machen."

Als ich LaQue frage, ob sie sich wünschen würde, dass Chyna niemals Wrestlerin geworden wäre, sagt sie Ja. "Ich bewundere sie dafür, dass sie so stark war, aber soweit ich das beurteilen kann, glaube ich, dass sie leer ausgegangen ist. Ich glaube, wenn du über Nacht berühmt wirst und in diese Welt eintauchst, wird es immer schwieriger und schwieriger, mit dem Druck zurechtzukommen." Rückblickend wirken Chynas sportliche Erfolge wie eine Ruheinsel in ihrem sonst so choatischen Leben – eine kurzer Wolkenbruch inmitten einer unendlichen Dürre. Sie hat die Welt verändert, aber ihre bahnbrechende Karriere hatte einen hohen Preis, den Chyna persönlich zu zahlen hatte und der letztendlich all ihre Erfolge aufgewogen hat.

Vermutlich hätte Chyna ihrer Mutter zugestimmt. Einige Wochen vor ihrem Tod hat sie sich ein letztes Mal mit Angra getroffen, der ihr Fragen über ihr Leben stellte – über ihre Beziehung zu ihrer Mutter, ihre Zeit bei der WWF und die vergangenen 15 Jahre. Zum Schluss fragte Angra sie, ob sie alles nochmal so machen würde. Chyna begann daraufhin zu weinen.

"Als Frau sollte man nicht berühmt werden", meinte sie gegenüber Angra. "Werde Ärztin oder Anwältin oder geh und such dir einen reichen Mann – aber werde bloß nicht berühmt. Es wird dich zerstören."