Fatima Al Qadiri hat keine Lust mehr auf die Überheblichkeit des Westens
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Musik

Fatima Al Qadiri hat keine Lust mehr auf die Überheblichkeit des Westens

Die Elektro-Musikerin ist in Kuwait aufgewachsen, lebt aktuell in Berlin und will sich nicht länger vorhalten lassen, wie Frauen in der arabischen Welt unterdrückt werden, während Männer im Westen nach wie vor mehr verdienen.

Fatima Al Qadiri kennt als kuwaitische Künstlerin und Produzentin den Balance-Akt zwischen verschiedenen kulturellen Identitäten seit Jahren. Geboren im Senegal, führte sie ihr Studium aus ihrer eigentlichen Heimat Kuwait nach New York, von wo aus sie nach über 15 Jahren nun Richtung Berlin zog. Die sagenumwobene Clubkultur der deutschen Hauptstadt ist eben nicht nur für Party-Touristen, sondern auch für Vertreter der elektronischen Musikszene nicht ganz uninteressant. Weil mit Brute außerdem gerade ihr zweites Album erschienen ist, trafen wir uns mit der 34-Jährigen, um über ihre bewegte Vergangenheit, die männlich dominierte Musikszene und die kulturelle Zerrissenheit, die sie als Künstlerin zwischen der arabischen Welt und dem Westen erlebt, zu reden.

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Broadly: Du sprichst in Interviews immer wieder von der schwierigen Position, die Künstler einnehmen, wenn sie wie du im Westen arbeiten, aber aus einem arabischen Land stammen. Wie empfindest du diese unterschiedlichen Welten im Hinblick auf deine Arbeit?
Fatima Al Qadiri: Das westliche Publikum sagt gerne: „Diese arabische Künstlerin macht traditionelle Sachen, wie toll." Und das arabische Publikum wirft dir dafür vor, du wolltest nur den westlichen Appetit nach Exotischem stillen, lässt dich vor deren Karren spannen und vergisst dabei deine Wurzeln. Gerade als Frau wirst du verstärkt mit dieser Zerrissenheit konfrontiert. Ich habe eine Dokumentation gesehen, mir fällt der Name nicht mehr ein, aber darin sprachen saudische Frauen darüber, wieso sie aufgehört haben, Interviews zu geben. Sie sagten, wann immer sie mit lokalen Medien in ihrer Heimat über ihre Arbeit sprachen, wurde ihnen von denen vorgeworfen, sie seien zu westlich. Und wenn sie mit der westlichen Presse sprachen, liefen sie Gefahr, für irgendwelche Propaganda-Zwecke missbraucht zu werden und damit tatsächlich ein Stück weit ihre Werte für eine westliche Ideologie zu verraten. Ein Dilemma, bei dem man nie gewinnen kann.

Bei uns gibt es aktuell dieses große Interesse an der Hintergrundgeschichte von Musikern und Künstlern, die aus arabischen Ländern stammen. Unabhängig davon, ob das für ihre Kunst nun essentiell ist oder nicht. Wie beurteilst du das?
Je älter ich werde, desto mehr fällt mir diese „Exotisierung" meiner Herkunft auf. Ja, ich bin anders, ja, ich komme aus einem arabischen Land, dennoch sind wir am Ende nicht ansatzweise so verschieden, wie es einem manchmal vorgemacht wird. Wir haben auch Einkaufszentren, fahren dicke SUVs, sehen gerne Hollywood-Romanzen. Ich finde es schon interessant, dass gerade wir Künstlerinnen mit arabischen Wurzeln immer wieder gefragt werden nach diesen Themen. Und dann wollen alle wissen wie es war, unter erschwerten Bedingungen als Mädchen aufzuwachsen. Dann sagen sie „Oh mein Gott, wie schlimm", um sich selbst dadurch besser zu fühlen. Was mich sauer macht, ist diese scheinbar immer noch sehr lebendige Überzeugung im Westen, dass man „den armen Frauen dort" helfen muss. Und gleichzeitig sehe ich mich hier im Westen um und frage mich, warum gibt es noch immer keine gleichberechtigte Bezahlung für Frauen? Ich weiß von keinem einzigen westlichen Land, bei dem das anders wäre. Und deshalb sage ich auch: Konzentriert euch zunächst mal auf euch selbst und eure eigenen Probleme, bevor ihr uns bewertet!

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Absolut nachvollziehbar. Allerdings kann man wohl auch sagen, dass wir da auf zwei unterschiedlichen Ebenen über Gleichberechtigung reden. In der westlichen Welt wird beispielsweise nicht in Frage gestellt, ob es in Ordnung ist, wenn Frauen Auto fahren oder ein Land regieren.
Natürlich gibt es da Unterschiede. Dennoch ist die faire und gleiche Bezahlung von Frauen und Männern doch eine der grundlegendsten wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine gleichberechtigte Gesellschaft. Und der Stellenwert von gleicher Bezahlung der Geschlechter scheint mir nicht ansatzweise angemessen diskutiert zu werden. Übrigens gibt es in Kuwait mehr gebildete Frauen als Männer, glaube ich. Und wie viele Länder in der Welt können das von sich behaupten?

Foto: Camille Blake

Laut dem Amnesty International-Report von 2013 gab es 2011 einen Fall, bei dem Jura-Absolventinnen in Kuwait gegen das Justizministerium geklagt hatten, weil nur Männern bestimmte Jobs angeboten wurden. Und die Frauen waren erfolgreich damit. Im September 2012 kündigte der Oberste Justizrat an, Frauen könnten sich auf eine Reihe von Stellen bei der kuwaitischen Staatsanwaltschaft und im Justizwesen bewerben. Ein Schritt in die richtige Richtung oder noch weit weg vom Ziel?
Die kuwaitische Justiz ist ein einziges Chaos. Ich sprach erst vor kurzem mit einer kuwaitischen Anwältin, die dort praktiziert, und sie sagte, sie habe gerade von Familienrecht zu Unternehmensrecht gewechselt, weil sie mit den Zuständen innerhalb des Systems—gerade wenn es um Schicksalsgeschichten ging—nicht mehr klarkam. Trotzdem besteht doch gerade darin die größte Chance auf Veränderung. Indem man die Gesetze ändert, verändert man ja auch grundlegend das Land.

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Ich habe gelesen, dass deine Mutter während des Golfkriegs 1990 verbotene Handzettel über den Widerstand unter ihrer Abaya trug und so tat , als sei sie schwanger, um bei Kontrollen von irakischen Soldaten durchgelassen zu werden. Inwiefern hat dich deine Mutter in deinem Dasein als kuwaitische Konzeptkünstlerin, die im Westen lebt und arbeitet, ermutigt?
Ich schätze mich sehr glücklich, meine Mutter zu haben. Solange ich mich erinnern kann, hat sie jede meiner kreativen Ideen und Aktivitäten immer unterstützt. Ohne auch nur einmal infrage zu stellen, warum ich das jetzt eigentlich mache. Das hat mich stark geprägt. Meine Mutter ist eine unfassbar mutige und starke Frau. Diese Haltung war und ist bis heute für mich und meine Schwestern essentiell. Wir drei haben alle im Ausland studiert, konnten fernab von unserer Heimat unsere beruflichen und persönlichen Träume verfolgen. Das macht extrem viel aus.

Eine ermutigende Haltung, gerade in einem trotz allem vom Patriarchat der Männer dominierten Land.
Auf jeden Fall. Doch so jemand wie sie kann einen als Tochter auch verwöhnen. Seinem Kind immer die Freiheiten zu geben, die es will, das ist nicht ganz unproblematisch (lacht). Aber dann war da ja auch noch mein Vater. Er war in seiner Haltung zur Kunst und zu Kreativem im Allgemeinen oft das Gegenteil meiner Mutter. Für ihn ist alles Kreative ein Hobby, kein ernstzunehmender Beruf. Er präferiert Berufe, in denen man ordentlich Geld verdienen kann. Leider hat er damit stellenweise ja auch recht. Kreative Berufe werfen nun mal keine Unsummen ab.

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Die Szene ist bis heute unfassbar von Machos geprägt, die dieses Genre dominieren. Es ist verrückt.

Außer man ist Mainstream-Künstler—wovon du durch deine sehr spezielle, elektronische Musik recht weit entfernt bist, oder?
Das trifft schon zu, klar. Meine Mutter hat mich allerdings über viele Jahre hinweg unterstützt, bis ich überhaupt die Fähigkeiten dazu besaß, die Art von Musik zu machen, die ich mir in meinem Kopf vorgestellt habe. Ich wusste ja gar nicht, wie man mit einem Computer Sounds erzeugen kann, die dann zu Musik werden. Es kostete mich eine verdammte Ewigkeit, bis ich die Software soweit beherrscht habe, dass ich überhaupt irgendwie Musik selbst produzieren konnte.

Dabei denken alle bestimmt immer, du bist so ein Naturtalent-Software-Nerd.
[lacht] Ja total! Als würde ich zwischen Hunderten von Tastaturen und Rechnern in meiner Kommandozentrale sitzen und den ganzen Tag an Tracks rumbasteln. Dabei kann ich gerade mal mein Telefon bedienen. Ich bin echt schlecht, was Technik angeht. Bei mir läuft alles nach Instinkt. Alles was entsteht, ist wie ein Unfall. Alle Beats, die ich mache sind Zufallsprodukte. Die Melodien und Harmonien improvisiere ich. Ich spiele sie zuerst live und wenn sie sich bewähren, verwende ich sie für Stücke auf einer Platte. Ich produziere auch bis heute all meine Musik in meinem Schlafzimmer. Nur wenn ich mit Future Brown [Anm.: Produzenten und Künstler-Kollektiv aus den USA, dem Al Qadiri angehört] aufnehme, bin ich in einem richtigen Studio.

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Du bist eine der wenigen bekannten weiblichen Produzentinnen in der Elektroszene. Fühlst du dich gerade anderen Frauen gegenüber als eine Art Vorbild oder willst du das gar nicht erst sein?
Künstlerinnen und Künstler sind wohl die abgefucktesten Menschen der Welt und sollten wohl prinzipiell für niemanden als Vorbild dienen [lacht]. Auch ich habe mit so vielen inneren Dämonen zu kämpfen, dass ich es seltsam fände, als Vorbild zu gelten. Allerdings will ich gerade den jungen Frauen da draußen zeigen: Auch ihr könnt als Musikproduzentin arbeiten! Und ihr müsst dafür verdammt nochmal nicht hübsch aussehen, ihr müsst dafür nicht singen können und garantiert auch nicht tanzen. Denn genau diese Attribute werden im Musik-Biz vor allem Frauen eingetrichtert, bis sie es am Ende glauben. Das ist Bullshit. Ich glaube sogar, dass es bei Country-Musik deutlich mehr Gleichberechtigung zwischen männlichen und weiblichen Künstlern gibt, als in der elektronischen Musik. Die Szene ist bis heute unfassbar von Machos geprägt, die dieses Genre dominieren. Es ist verrückt.

Wie motiviert und ermuntert man dann trotzdem andere Frauen, sich davon nicht abschrecken zu lassen?
Ich finde es immer spannend zu sehen, welche Menschen an der Spitze einer Industrie sind. Ich glaube es war der Fader, der einen Artikel publizierte, in dem die 40 mächtigsten Menschen an der Spitze der amerikanischen Musikindustrie vorgestellt wurden. Etwa 35 von diesen 40 Top-Leuten sind alte, weiße, heterosexuelle Männer. Das sagt doch alles über das Biz aus, was man wissen muss. Ich will jetzt nicht sagen, dass es unmöglich wäre, mit diesen Mustern zu brechen, aber es ist kein leichter Weg.

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Foto: Camille Blake

Das lässt sich ja leider auch auf andere Branchen übertragen.
Natürlich. Du arbeitest als Journalistin. Wie viele Frauen, von denen du weißt, sind in obersten Führungspositionen? Wer leitet als Chefredakteur diese Publikationen? Jedes Musikmagazin in der westlichen Welt wird von einem weißen, schätzungsweise oder bewiesenermaßen heterosexuellen Mann mittleren oder fortgeschritteneren Alters geleitet. Solange diese Positionen so besetzt sind, werden sie es sein, die am Ende mittels ihrer Ansichten, ihrer Sozialisierung und gemäß ihrem Hintergrund entscheiden, welche Themen durchkommen und welche nicht. Du kannst noch so gute Ideen pitchen, am Ende müssen sie über ihren Tisch gehen. Sie kontrollieren den Inhalt.

Wie könnte sich das in Zukunft verändern? Glaubst du überhaupt daran, dass sich etwas in absehbarer Zeit verändern könnte?
Ich glaube, der Fortschritt der Technologie wird eine bedeutende Rolle spielen, was die Veränderung dieser Strukturen angeht. Denn junge Frauen, die vielleicht nicht die materiellen Mittel hatten, um sich als Musikerinnen oder Produzentinnen in ein Studio einzumieten, können heutzutage einfach mit einem Laptop in ihrem Zimmer sitzen und Musik kreieren. Natürlich hat auch nicht jede die finanziellen Möglichkeiten, einen Laptop zu kaufen. Das muss man bedenken. Aber die Voraussetzungen, um selbst innerhalb des Musikgeschäfts aktiv zu werden, sind durch diesen technologischen Fortschritt heute einfacher geworden.

Welchen Ratschlag kannst du aufgrund deiner eigenen Erfahrung als Frau in deinem Biz anderen Frauen konkret mitgeben?
Man muss sich bewusst machen, dass Musik produzieren unheimlich viel Zeit beansprucht. Bis man die Technik versteht und mit den Tools umgehen kann, dauert es eine ganze Weile. Und um das gut zu machen, müssen sich gerade Frauen von einigen Stereotypen oder an sie adressierte Erwartungen verabschieden. Also was ich eben schon sagte—gut auszusehen und sich der Gesellschaft hübsch darzustellen: Das stiehlt jungen Frauen so viel Zeit. Darauf sollte man, sofern man das auch als Belastung empfindet, pfeifen! Je älter ich geworden bin, desto egaler sind mir diese Erwartungshaltungen geworden. Ich schminke mich nicht täglich, ich trag keine langen, nett frisierten Haare, ich mache da nicht mit bei diesen Ritualen, die mir dann vorgaukeln, ein akzeptiertes Mitglied der Gesellschaft zu sein.

Hast du das Gefühl, dass dir Menschen wegen deines Aussehens oder deiner Haltung irgendwie seltsam begegnen?
In Kuwait ist das definitiv so. Dort gibt es eine riesige Erwartungshaltung Mädchen gegenüber, mädchenhaft-feminin auszusehen. Wenn ich dort bin, weil ich meine Familie besuche, gibt es schon immer wieder befremdliche Situationen, weil ich diesem Klischee-Bild nicht entspreche. Aber ich sage dir ehrlich, ich gebe einen Scheiß auf diese Haltung mir gegenüber.

Sprichst du denn derzeit noch viel mit Freundinnen aus Kuwait über ihr Leben dort und wie sich die Gesellschaft wandelt?
Ja, und mein Eindruck ist, dass sie eben einen sehr großen Aufwand betreiben müssen, indem sie sich durch harte Arbeit ihre Freiheiten erkämpfen. Aber es ist kein auswegloser Kampf. Ich habe immer das Gefühl, dass hier im Westen immer noch diese unheimlich starke, kulturelle Überlegenheit herrscht, wovon wir anfangs sprachen. Ich habe kein Problem damit, über Missstände in arabischen Ländern zu sprechen, aber wir sollten mit der selben Härte unsere eigenen Probleme betrachten. Und was Gleichberechtigung von Frauen ganz allgemein betrifft, in anderen Branchen und Bereichen des Lebens, sowohl hier als auch dort, liegt noch immer so viel Arbeit vor uns.