Drogen

Ich habe eine App ausprobiert, die high machen soll

Die Macher von "Lumenate" versprechen einen Rausch – nur mit deinem Smartphone. Was steckt dahinter?
Ein junger Mann liegt voll bekleidet in einer Badewanne und probiert die lumenate app
Der Autor beim Ausprobieren der App | Alle Fotos: bereitgestellt vom Autoren, wenn nicht anders angegeben

Smartphones helfen uns überall im Alltag. Wir können damit einkaufen, Urlaube buchen, eine Partnerin oder einen Partner suchen und telefonieren. Was unsere Handys jedoch nicht können: uns high machen. Bis jetzt.

Eine neue App namens Lumenate soll sich mithilfe der Smartphone-Taschenlampe so auf das Gehirn auswirken, dass du einen Zustand irgendwo zwischen einem psychedelischen High und tiefer Meditation erreichst. Und im Gegensatz zu einem zehnstündigen LSD-Trip soll sich dieser Bewusstseinszustand mit nur einem Knopfdruck wieder beenden lassen. 

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Um herauszufinden, ob das alles wirklich zutrifft, probiere ich die App aus.

Eine Illustration zeigt drei Smartphones, auf denen die Lichtmaschinen-App Lumenate läuft

Das ist die Lumenate-App | Bild: Lumenate

Das Konzept, mit flackerndem Licht das Bewusstsein zu verändern, ist nicht neu. So soll Nostradamus Visionen bekommen haben, als er in die Sonne schaute. Und 1819 dokumentierte der Wissenschaftler Jan Purkyně visuelle Erscheinungen, die er erlebte, als er mit seiner Hand zwischen einer Gaslampe und seinen Augen hin- und herwischte.

Anfang der 1960er Jahre erreichte mit der Verbreitung von Stroboskoplampen flackerndes Licht auch den Mainstream. Etwa zur gleichen Zeit entwickelte der Künstler Brion Gysin zusammen mit dem Wissenschaftler Ian Sommerville die sogenannte Dreamachine. Der relativ simple Apparat besteht aus einem Zylinder mit Schlitzen, in dem eine Glühbirne befestigt ist. Dieser Zylinder dreht sich mit 78 Umdrehungen pro Minute. Man sitzt mit geschlossenen Augen davor. Die Farben und Formen, die dann hinter den Augenlidern explodieren, sollen einen trance-ähnlichen Bewusstseinszustand auslösen.

Eine junge Frau mit braunen Haaren sitzt mit geschlossenen Augen vor einer Traummaschine und lässt sich von einer Glühbirne anleuchten

So sieht die Traummaschine aus | Foto: EVAN SHARBONEAU / ALAMY STOCK PHOTO

Lumenate hat dieses Prinzip aufgegriffen, denn die App funktioniert im Grunde wie eine kleine Dreamachine. Hinter dem Ganzen steckt das in Bristol lebende Duo Tom Galea und Jay Conlon. Die beiden wollen "die Erforschung des Unterbewusstseins so zugänglich wie noch nie machen". Seit dem Start am 2. März wurde Lumenate bereits über 25.000-mal heruntergeladen. Galea und Conlon haben es sogar geschafft, Promis ins Boot zu holen: Die Schauspielerin Rosamund Pike probierte die App in der Beta-Phase aus und war so begeistert, dass sie Geld in das Projekt investierte und als Creative Director einstieg. 

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Galea sagt, dass er und Conlon sich 2019 ein EEG-Gerät gekauft hätten, also einen Apparat, der die elektrische Aktivität im Gehirn misst. Dann entwickelten die beiden auf der Grundlage von Hunderten Stunden Selbstexperimenten die App. "Im Grunde leuchten die Taschenlampe vom Smartphone und das Gehirn synchron auf. So wird ein Signal gesendet, das sich etwas verändert", erklärt Galea. "Diese Synchronisation mit dem Licht breitet sich langsam im ganzen Gehirn aus und es ist möglich, es in den gewünschten Zustand zu versetzen."

Der Theorie nach soll Lumenate chemische Aspekte eines klassischen psychedelischen Rausches imitieren – inklusive der dabei entstehenden Hirnaktivitäten.

"Die Erfahrung gefällt mir richtig gut. Sie ist aber eher interessant als nützlich."

Kann das funktionieren? Ein Forschungsteam der Sussex University führte 2019 ein Experiment mit 19 Studierenden durch, bei dem herauskam, dass stroboskopische Stimulation ein wirksames, nicht-pharmazeutisches Mittel sei, um veränderte Bewusstseinszustände hervorzurufen. Das verleiht Lumenate eine gewisse Legitimität. Aber wie funktioniert das jetzt in der Praxis? Und wie high wird man dadurch wirklich?

Als ich die App öffne, wird mir zuerst empfohlen, am besten einen dunklen Ort aufzusuchen und Kopfhörer aufzusetzen. Außerdem soll Alkohol die Intensität reduzieren. Während der fünfminütigen Test-Session erklärt eine männliche Stimme mit atmosphärischen Klaviermelodien im Hintergrund, wie der Lichttrip funktioniert: Man muss die Handytaschenlampe mit einer Armlänge Abstand auf die geschlossenen Augen richten, dann experimentieren. Dabei soll man die Augen entspannen.

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Bei Lumenate gibt es alles von entspannten "Erkundungstouren" bis hin zu einem vierstufigen Programm zum Lösen von emotionalen Blockaden. Im Grunde geht es bei allen darum, in irgendeiner Form deine innere Ruhe zu finden.

Wie soll ich die visuellen Bilder am besten beschreiben? Kneif deine Augen richtig fest zusammen, dann siehst du wahrscheinlich einen Mischmasch aus fraktalem Licht, sich bewegenden geometrischen Formen und vielleicht einen leuchtenden Tunnel, dem man ewig folgen kann. Lumenate ist so ähnlich, mit starker Beleuchtung und unerkennbaren Farbtönen. Und dennoch ist es teilweise wunderschön.

Ein junger Mann liegt voll bekleidet in einer Badewanne und lässt sich vom Licht seiner Smartphone-Taschenlampe ins Gesicht scheinen

Nach meine ersten Versuchen – die ich übrigens in der Badewanne durchführe, weil das Bad das dunkelste Zimmer in meiner Wohnung ist – gefällt mir die Erfahrung richtig gut. Sie ist aber eher interessant als nützlich.

Ich nehme mir ein paar Tipps der Lumenate-Facebook-Gruppe zu Herzen und probiere eine andere Umgebung aus. Jetzt liege ich seitlich auf meinem Bett, wähle die "Choose Your Own Soundtrack"-Option der App aus und lasse mich 20 Minuten lang treiben. Die Musik scheint sich mit den visuellen Bildern zu synchronisieren, die jetzt mobiler, intensiver und heller wirken, mich letztendlich aber doch beruhigen. Obwohl ich den ganzen Tag bei der Arbeit kaum hinterhergekommen bin, fühle ich mich so, als hätte ich den Nachmittag ganz entspannt und gedankenverloren in einem Spa verbracht – und das in einer Welt, in der das Coronavirus, Gewalt und Angstzustände nicht existieren.

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Um meiner Aufgabe als Journalist gerecht zu werden, probiere ich die App noch mal aus, nachdem ich ein paar Bierchen und einige Gläser Wein getrunken habe. Die Erfahrung kommt mir nun weniger eindringlich vor, aber ich nehme die Musik trotzdem mit meinem ganzen Körper wahr. Außerdem schlafe ich nach dieser Erfahrung erstmal neun Stunden lang durch. Und das ist bei meiner fast schon chronischen Schlaflosigkeit mehr als beachtlich.

Ein junger Mann liegt auf seinem Bett und lässt sich vom Licht seiner Smartphone-Taschenlampe ins Gesicht scheinen

Was andere Drogen betrifft, sagt Lumenate-Gründer Galea, dass die Erfahrung laut einiger App-User durch Marihuana einen ordentlich Schub bekommen solle. In der Facebook-Community schwärmt jemand außerdem davon, Lumenate mit Magic Mushrooms zu kombinieren.

Na ja, mir reicht erst mal das Geflacker.

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