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goodbye england

Rohan Ricketts ist der Fußballprofi, der schon die ganze Welt gesehen hat

Rohan Ricketts hat sich nicht nur gewagt, von den Gunners zu den Spurs zu wechseln. Er hat auch schon in rund zehn Ländern gespielt und dabei so einiges erlebt.

Rohan Ricketts hätte als Kind nicht für möglich gehalten, dass er einmal in einer der besten Ligen der Welt gegen Fußballlegenden wie Roy Keane oder Paul Scholes spielen würde. Vor zehn Jahren spielte er nämlich vor 68.000 Zuschauern im altehrwürdigen Old Trafford im Trikot von Tottenham Hotspur gegen Manchester United. Das schönste Spiel seiner Karriere, wie er findet.

Das Spiel endete torlos und Ricketts—ein Produkt der erfolgreichen Jugendakademie von Arsenal—wurde erst in den letzten Sekunden des Spiels ausgewechselt. Doch es sollte gleichzeitig sein letztes Spiel für die Spurs sein, denn schon kurz darauf wurde er an die Zweitligisten Coventry City und Wolverhampton Wanderers ausgeliehen.

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Die beiden Ausleihen sollten den Startschuss für eine äußerst bunte Weltenbummlerkarriere darstellen, die ihn in so ziemlich jede Ecke der Welt führte. Als ich von dem mittlerweile 32-Jährigen wissen will, was er einer Person gesagt hätte, die für ihn vor zehn Jahren in die Kristallkugel geschaut hätte, meint er nur: „Dass der Typ ne Macke haben muss!"

„Ich hätte es für ein Albtraumszenario gehalten! Ich spielte damals ja für die Spurs, hatte eine Menge Freunde und eine nette Bude in Essex, das Übliche halt. Ich spielte für die U21 Englands und war kurz davor, in die A-Nationalmannschaft berufen zu werden. Hätte mir also jemand gesagt, dass ich mal in scheiß Goa und all diesen anderen Orten spielen würde, hätte ich ihn für verrückt erklärt."

Mit „all diesen anderen Orten" meint er eine stolze Liste von Ländern, in denen er seit seinem Wechsel aus England schon sein Geld verdient hat: Kanada, Ungarn, Moldawien, Deutschland, Irland, Indien, Ecuador, Thailand und Hongkong. Dazu kamen auch noch Probetrainings in Schottland und Belgien.

Wenn er an das eine Spiel in Old Trafford zurückdenkt, betont Ricketts, dass es das absolute Lieblingsspiel seiner Karriere war, „weil ich fast durchgespielt und eine super Leistung gezeigt habe." Er stockt kurz, um dann weiterzuerzählen: „Und jetzt sitze ich hier in einem Starbucks in Hongkong und esse irgendeine Apfeltasche"

Er befindet sich aktuell in Hongkong, weil er für den heimischen Eastern Sports Club gespielt hat. Ein Verein, der lange Zeit als Titelfavorit gehandelt wurde und am Ende die Meisterschaft doch nicht holen konnte. Sein Vertrag ist mittlerweile ausgelaufen, weswegen er sich gerade nach einem neuen Verein umschaut. Wo es ihn als nächstes hinzieht, weiß er noch nicht.

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Ricketts beim Toronto FC. Foto: USA TODAY Sports

„Ich mache mich aber nicht verrückt", sagt er. Das war auch die Mentalität, die ihn in den letzten zehn Jahren ausgezeichnet hat, als es mal wieder darum ging, einen neuen Verein zu finden. Ricketts hat schon einiges gesehen und erlebt und kann wie kaum ein Zweiter vom Arbeitsmarkt für Fußballer fernab der großen (europäischen) Ligen berichten. Dabei zeichnet er ein Bild, das sehr an die Schauspielerbranche erinnert, wo alle von Hollywood träumen, aber die meisten mit kleinen Rollen und wenig Ruhm vorlieb nehmen müssen.

„In Thailand gibt es Spieler aus der ganzen Welt. Drei, vier ausländische Spieler sitzen oft in einem kleinen Wartezimmer und hoffen auf einen Vertrag. Es gibt so viele vertragslose Spieler im Land, dass nicht jeder von ihnen einen neuen Verein finden kann. Da wären zum Beispiel all die Spieler aus Deutschland, die mal in der ersten und zweiten Bundesliga gespielt haben, jetzt aber nur noch in der dritten und vierten Liga einen Vertrag bekommen würden. Die gehen lieber nach Asien und versuchen hier ihr Glück. Doch das ist gar nicht so einfach, weil es vielerorts Quoten in Bezug auf ausländische Spieler gibt.

„Es kann schon ganz schön hart sein, denn Fußball ist unser Leben. Das ist alles, was wir können, wovon wir träumen. Manch einer war schon so nah dran oder hat vielleicht schon mal einen Vorgeschmack vom Ruhm genießen können. Und dann muss man sich mit Agenten rumschlagen, die dir ins Gesicht lügen. Viele Spieler zahlen 400 Dollar oder mehr, nur um ein Probetraining absolvieren zu dürfen. Ich habe einen Freund, der rein nichts mit Guam am Hut hat, jetzt aber einen guamischen Pass hat, weil er als Asiat gelten möchte, um die Quoten zu umgehen. Zahlreiche Spieler versuchen, einen neuen Pass zu ergattern oder andere Gesetzeslücken aufzudecken."

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Was sich für Außenstehende vielleicht nach einer sorglosen XXL-Weltreise anhört, ist alles, nur das nicht. Ricketts hatte mit verspäteten Lohnzahlungen zu kämpfen. Und er hatte Verträge unterschrieben, die sich am Ende als gar nicht mal so rosig entpuppten. Seine Zeit in Moldawien beschreibt er als einen einzigen Albtraum, Indien als kleinen Albtraum und in Bezug auf seine Ungarnerfahrung meint er nur: „Ich hatte in drei Monaten drei verschiedene Trainer, habe nicht meinen vollen Lohn ausgezahlt bekommen und zudem in einem Drecksloch gehaust."

Über seine letzten Aufenthalte in Südostasien berichtet Ricketts Folgendes: „Das technische Niveau ist okay. Das Spiel ist aber nicht besonders physisch. Das kommt mir aber aufgrund meines Alters durchaus entgegen. Die Mentalität ist auch eine ganz andere, weil sie mit Fußball häufiger erst etwas später beginnen." Und weiter: „Es war nie mein Plan, eine Weltenbummlerkarriere einzuschlagen. Stattdessen war ich immer nach dem bestmöglichen Deal aus, aus finanzieller wie auch aus sportlicher Sicht." Und das hatte auch seine Vorteile. Denn nicht nur, dass sein Reisepass mit jedem Langstreckenpiloten mithalten kann und er in unzähligen Sprachen böse fluchen kann, er hat auch in Toronto seine Freundin getroffen und in Ecuador Spanisch gelernt. Und er glaubt, dass es sich auch finanziell ausgezahlt hat, nicht in Großbritannien geblieben zu sein.

„In England sind die Steuern viel höher", erzählt er. „Wenn also jemand 5.000 in der Woche verdient, dann sind das bei Weitem nicht 5.000. Dann muss man auch noch für die Wohnung bezahlen, Fernsehgebühren, das Auto usw. All diese Dinge wurden in vielen meiner Auslandsstationen vom Verein übernommen. Und einige Länder waren auch sehr günstig. Darum denke ich, dass es wirtschaftlich durchaus Sinn gemacht."

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Rohan Ricketts mit ein paar fußballbegeisterten Kindern. Foto: EPA

Ein weiterer Grund, warum Ricketts, der aus Südlondon kommt, seiner Heimat den Rücken zugekehrt hat, hat direkt mit Fußball zu tun. Denn Ricketts, der sich selbst als feinen Mittelfeldtechniker beschreibt, fühlt sich im englischen Fußball—mit seiner aus seiner Sicht eher konservativen und defensiv ausgerichteten Spielweise—nicht wirklich gut aufgehoben, geschweige denn willkommen.

„Viele Trainer wissen nicht, wo sie einen Spieler wie mich in ihrem heiligen System unterbringen sollen. Meine Spielweise wird oft als etwas zu extravagant angesehen. Dieses Problem kennen viele technisch versierte Spieler im englischen Fußball. Wo spielt denn gerade ein Typ wie Josh McEachran (ein hochgelobter 22-jähriger Spieler vom FC Chelsea, das aktuell an Vitesse Arnheim ausgeliehen ist, Anm. d. Red.)? Alle sagen, wie toll er ist. Doch bei Chelsea wird er nie spielen. Oder Jack Wilshere—er hat echt Glück gehabt, bei Arsenal das Fußballspielen gelernt zu haben. Dort darf man so spielen. Anderswo in England hätte er mit seiner Spielweise keine Chance."

Auch wenn er manchmal eine gewisse Wut auf sein Heimatland nicht ganz verbergen kann, ist es zumeist Gleichgültigkeit, was er in Bezug auf England empfindet. Und eine kleine Prise Frust, dass die MLS erst in den letzten Jahren zu einer besseren Adresse im Fußball wurde.

„Mittlerweile ist mir der englische Fußball egal, so wie ich ihm auch egal bin. Ich habe aber zumindest mal für Arsenal, die Spurs, die Wolves und Barnsley gespielt. Vier respektable Vereine. Danach ging ich ja in die MLS. Und als ich dann mit einer Rückkehr nach England liebäugelte, hieß es immer nur: ‚Wo war er? In Amerika? Oh nein, dann nehmen wir lieber einen aus der vierten englischen Liga, den wir im letzten Jahr beobachtet haben.' Und plötzlich heißt es: ‚Wow, die MLS'. Wer dort gespielt hat, ist mittlerweile auch für englische Verein potentiell interessant."