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Feminismus

Schadet der Mainstream-Feminismus der Frauenrechtsbewegung?

Immer mehr Prominente und Marken schmücken sich mit dem Label Feminismus und schlagen daraus Kapital. Wir haben mit Andi Zeisler von der popfeministischen Mediengruppe Bitch Media über die Seiten des Feminismus gesprochen, die nicht ganz so „sexy“ sind.
Image via Wikipedia

Über die letzten Jahre hat Feminismus seinen Schimpfwortcharakter abgelegt—auch wenn es immer noch genug Leute gibt, die geradezu allergisch auf den Begriff reagieren. Im Gegensatz zu einigen hochkarätigen Promis betrachtet sich der Großteil der Leute zwar immer noch nicht als „feministisch", doch gerade im Netz bilden sich immer mehr Initiativen, die für Aufklärung und Zusammenhalt sorgen. Die zunehmende Sichtbarkeit von Feminismus in den Mainstream-Medien hat auch eine Kehrseite, denn um mehr Akzeptanz zu erlangen, musste sich die Bewegung immer weiter an die kapitalistischen und patriarchalen Strukturen unserer Kultur annähern.

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Der „Marktplatz-Feminismus" wie es Andi Zeisler—Mitbegründerin der popfeministischen Mediengruppe Bitch Media—in ihrem neuen Buch „We were feminists once" nennt, ist eine zweischneidige Klinge. Viele Stars und große Marken profitieren vom vermeintlichen Siegeszug der Frauenrechtsbewegung, meint Zeisler, doch sie verwässern die feministischen Botschaften der Bewegung teils bis zur Unkenntlichkeit. Während Instagram-Stars im Namen der Selbstbestimmung Nackt-Selfies posten und Promis ihre „Girl Squads" als Sinnbild für weibliche Solidarität darstellen, geraten die reproduktiven Rechte von Frauen zunehmend in Gefahr, die wirtschaftliche Ungleichheit besteht weiter fort und weltweit leben Frauen weiterhin mit der ständigen Angst vor sexueller Gewalt.

Wir haben mit Zeisler über den abgespeckten Feminismus gesprochen, der uns von der Popkultur vorgesetzt wird und haben sie gefragt, welche Probleme dabei trotz allem unangetastet bleiben und wie Frauen die neue Popularität von Feminismus dennoch zu ihrem Vorteil nutzen können.

Foto: PublicAffairs

Broadly: Woran hast du „Marktplatz-Feminismus" zum ersten Mal erkannt und warum wolltest du darüber schreiben?
Andi Zeisler: Ich habe gemerkt, dass Feminismus durch die Politik immer stärker aus dem Kontext gehoben wurde. Es wurde mehr über die Definition von Identitäten gesprochen, als über tatsächliche Maßnahmen. Mit Beyoncé und Emma Watson schien Feminismus dann 2014 über Nacht einen massiven Durchbruch im Mainstream zu erleben. Plötzlich redete jeder über Feminismus. Mir wurde klar, dass es wichtig war, darüber zu sprechen, weil es zum Trend wurde und sobald etwas zum Trend wird, hat das auch entsprechende Auswirkungen darauf, was die Leute damit in Verbindung bringen und inwiefern sie einen Trend als politische Bewegung begreifen.

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Es ist interessant, dass Feminismus zum Trend wurde, die Bewegung aber dennoch immer noch mit so vielen negativen Stereotypen behaftet ist. Wie kann es sein, dass zwei so unterschiedliche Auffassungen nebeneinander existieren können?
Ich glaube, dass es da keinen Zusammenhang gibt. Als der Feminismus 2014 gewissermaßen seinen Durchbruch erlebte, passierte das nicht aus dem Nichts heraus. Über die letzten Jahrzehnte gab es immer wieder verschiedene feministische Strömungen—sowohl online wie auch offline—die den Boden dafür bereitet haben. Und selbstverständlich bot auch das Internet neue Wege, um das Bewusstsein für den Feminismus zu schärfen. Es ist eine Plattform, um dem Mainstream beziehungsweise einem breiteren Publikum Ideen zu präsentieren, die schon seit jeher innerhalb der feministischen Bewegung entwickelt wurden.

Wenn man zum Beispiel an den Fall der beiden Footballspieler aus Steubenville vor ein paar Jahren denkt, die eine 16-Jährige vergewaltigt haben, dann gab es auch damals viele Feministen, die anders darüber schrieben und davon berichteten als die Mainstream-Medien. Sie haben die Diskussion genutzt, um darüber zu sprechen, dass der Körper von Frauen generell immer als Eigentum betrachtet wurde und dass wir ein schädliches Bild von Männlichkeit bei Jungen heranzüchten. Dabei handelte es sich um feministische Ansätze, die jedoch aus aktuellem Anlass im Kontext des Mainstreams stattfanden.

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Die feministischen Diskussionen, die sich auf den Mainstream ausgedehnt haben, haben den Weg dafür geebnet, dass viele Leute Feminismus in einem anderen Licht sehen. Das wiederum führt allerdings auch dazu, dass Menschen—insbesondere die Industrie—versucht, daraus Profit zu schlagen.

Wäre es besser, es gäbe weniger Feministen, wenn dadurch die Bedeutung der Bewegung erhalten werden könnte?
Das ist eine zweischneidige Sache. Auf der einen Seite gibt es da diese strahlende, witzige und sexy Form von Feminismus. Feminismus ist aber eben nicht immer nur bequem. Deshalb geht es meiner Meinung nach nicht darum, ob der Trend nun etwas gutes oder etwas schlechtes ist. Es geht vielmehr um die Frage, wie wir diese Popularität nutzen können, um Feminismus an sich voranzutreiben.

Welche feministischen Themen sind durch die Kommerzialisierung der Bewegung verloren gegangen?
Sie sind nicht direkt verloren gegangen … Sie waren vermutlich nur nie wirklich auf dem Radar des Mainstreams. Viele der weniger kommerziellen Themen haben sicherlich mit dem Leben von Frauen zu tun, die nicht für irgendein Unternehmen arbeiten und sich nicht „vom Willen zum Erfolg", wie Sheryl Sandberg es nennt, leiten lassen. Dabei geht es vor allem um Frauen mit einem geringen Einkommen, in einer Anstellung ohne Kündigungsschutz wie Kellnerinnen oder Angestellte in Fastfood-Ketten oder Fabriken. Viele von ihnen sind arm, ganz egal wie hart sie arbeiten, was sie wiederum auch leichter zu Opfern sexueller Belästigungen oder Übergriffe oder unfairer Gehälter werden lässt. Zudem haben die meisten von ihnen keinen Anspruch darauf, sich eine Auszeit oder Zeit zum Stillen zu nehmen. Diese Umstände sind für viele Frauen noch immer Alltag, werden aber von dem vorherrschenden Elitefeminismus, der sich auf Individualität und Macht konzentriert, ausgeblendet, sodass diese Themen bei weitem nicht so präsent sind, wie sie eigentlich sein sollten.

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Ein Phänomen, das besonders viel Aufmerksamkeit bekommen hat, ist die Verwendung von sexualisierten Bildern als Zeichen der Selbstbestimmung—zum Beispiel Kim Kardashians Nackt-Selfie. Können Frauen, die mit ihrem Körper angeben, in deinen Augen Feministen sein oder handelt es sich dabei nur um eine direkte Demonstration von Marktplatz-Feminismus?
Im Fall von Kim Kardashian ist es natürlich so, dass sie selbst ihre eigene Marke ist. Dabei geht es nicht um Selbstbestimmung im Sinne einer gesellschaftlichen oder globalen Bewegung. In ihrem Fall geht es darum, dass sie als selbstbestimmte Frau ihren Körper zu Karrierezwecken einsetzt und Geld damit verdient. Wenn Kim Kardashian nicht aussehen würde wie Kim Kardashian, dann würde sie auch keine Nackt-Selfies posten und es Selbstbestimmung nennen. Natürlich gab es auch schon Bewegungen, die den weiblichen Körper direkt als Zeichen der Selbstbestimmung eingesetzt haben, aber ich bezweifle, dass das auch das Ziel von Kim Kardashians Nackt-Selfie war. In meinen Augen ging es vielmehr um ihre eigene Marke, als um die Befreiung von Frauen.

Das heißt nicht, dass wir Frauen, die auf diese Weise ein Gefühl der Selbstbestimmheit bekommen, zensieren oder herabstufen sollten. Doch die größere Frage sollte sich nicht um den Einzelnen drehen. Sie sollte sich auf das System beziehen. Warum leben wir in einer Gesellschaft, in der der leichteste Weg zur Selbstbestimmung die Zurschaustellung unseres nackten Körpers ist, dasselbe jedoch nicht für Männer gilt? Wie ist es möglich, dass daraus auch noch Profit gezogen wird? Und warum sind unsere Optionen überhaupt von Anfang an so begrenzt?

Wie könnte Selbstbestimmung ohne unsere kulturellen Schranken aussehen?
Das kann man sich kaum vorstellen. So lange es feministische Bewegungen gibt, gab es auch immer Institutionen und Industrien, die sofort zur Stelle waren, um Kapital aus ihnen zu schlagen. Würden wir ganzheitlicher über Selbstbestimmung sprechen, würden wir über Dinge reden, durch die Frauen tatsächlich bestärkt würden, die aber nichts mit ihrer Schönheit zu tun haben oder sie explizit als Frauen kennzeichnen.

Wohin sollte der Weg in Zukunft führen? Sollten wir den Marktplatz-Feminismus hinter uns lassen oder sollten wir ihn einfach annehmen?
Ich sehe ganz klare Vorteile darin. Alles, was den Grundgedanken des Feminismus und seine Bedeutung fördert, ist großartig. Ich denke jedoch auch, dass Marktplatz-Feminismus kein Ersatz für eine umfassendere feministische Bewegungen ist. Im Endeffekt würde ich gerne sehen, dass das Ganze nur eine Fortsetzung vergangener feministischer Bewegungen ist und die Leute einen tieferen Blick dafür entwickeln: Was wird nicht von der Werbung angesprochen? Welche Probleme übersehen wir, wenn wir nur hören, wie berühmte Menschen über ihre Haltung zum Feminismus sprechen? In meinen Augen geht es um kritisches Denken. Man muss erkennen, was durch den Marktplatz-Feminismus verändert werden kann und wir müssen Wege finden, um das Bewusstsein und den Aktionismus für Themen zu fördern, die weniger aktuell, attraktiv oder trendy sind.