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Sex

Ich war bei einem Seminar, um zu lernen, ohne meine Hände zum Orgasmus zu kommen

Wenn du durch reine Gedankenkraft kommen willst, dann sind Mental-Gymnastik und kontrollierte Atmung dein Schlüssel zum Erfolg.
All photos by Steph Wilson

Ich liege auf dem Boden, bewege mein Becken im Halbkreis hin und her und stelle mir dabei vor, wie ein rotes Licht aus meinem Damm scheint. Um mich herum stöhnen zwölf fremde Menschen, während sie die gleichen Bewegungen ausführen wie ich. Ich nehme an einem sogenannten „Energygasm"-Workshop teil und versuche, ohne die Hilfe meiner Hände (und damit nur durch reine Gedankenkraft) zum Orgasmus zu kommen.

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Gayatri Beegan, unsere Kursleiterin, schreitet in einer schwarzen Spitzenbluse und gemusterten Leggins barfuß durch den Raum. „Konzentriert euch auf die Rundheit eurer Atmung! Durch die Nase einatmen, durch den offenen Mund wieder ausatmen!" Ich starre an die geweißte Holzdecke und versuche, nicht zu hyperventilieren.

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Ich wurde an einem stürmischen Nachmittag losgeschickt, um über diesen tantrischen Workshop zu berichten. Wir nähern uns dem Höhepunkt der Session und die Visualisierung des roten Lichts, das aus unserem Basis-Chakra (dem Damm) herausscheint, ist dabei der erste Schritt in Richtung Energie-Orgasmus.

Aber trotz der Tatsache, dass ich in einem Raum voller Menschen sexuelle Geräusche von mir gebe, fühle ich mich irgendwie nicht peinlich berührt. Der Kurs dauert nun schon drei Stunden und die meiste Zeit davon wurde dazu genutzt, zu den anderen Teilnehmern Vertrauen aufzubauen. Außerdem wurden uns die Techniken beigebracht, die zum Energie-Orgasmus führen sollen. Ich fühle mich also tatsächlich ganz entspannt.

Kurz vor Beginn des Workshops ist mir allerdings noch etwas anders zumute und ich nehme Gayatri beiseite. Ich gestehe ihr, dass ich verdammt viel Schiss vor dem Ganzen habe und auf dem Weg zum Workshop die ganze Zeit darüber nachdachte, wie ich mich vor dem Kurs drücken könnte. Gayatri—eine zierliche Frau Mitte 40—widmet sich meinen Sorgen mit einem wohlklingenden schottischen Akzent und gibt dabei auch oft ganz unerwartet ein wunderbar herzliches Lachen von sich.„Bei mir war es vor meinem ersten Energie-Orgasmus genauso!", versichert sie mir. „Das Ganze war Teil meines Trainings mit der berühmten Tantra-Fachfrau Barbara Carrellas und ich hatte richtig Angst davor. Ich war so eingeschüchtert, dass ich einfach nur regungslos dalag, während die Leute um mich herum total ekstatische Erfahrungen machten. Das war mir richtig peinlich. Aber dann legte der Energie-Orgasmus in mir irgendwie einen Schalter um und ich hatte einen Vision, wie ich selbst ganze Menschengruppen zum Orgasmus führe. Seitdem mache ich diese Workshops und konnte schon über 400 Teilnehmer verzeichnen."

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Schließlich schauen wir ihr dabei zu, wie sie ohne jegliche Berührungen einen intensiven Orgasmus erlebt. Ich bin mir auch hundertprozentig sicher, dass sie uns nichts vorspielt.

Ich frage sie nach ihrem bisher größten Kurs. „Das waren so 50 Leute, die alle gleichzeitig zum Höhepunkt kamen. Mann, das hatte schon was." Ihre Augen glänzen bei der Erinnerung an diesen Moment. Ich trinke weiter meinen Chai-Tee.Zu diesem Zeitpunkt stoßen auch andere Teilnehmer zu uns und legen ihre Yoga-Matten im Halbkreis aus. Ich unterhalte mich mit einer rothaarigen Frau, die Hand-der-Fatima-Ohrringe trägt. Sie erzählt mir von ihrem Wunsch, dass die Leute dem Thema Orgasmus gegenüber offener sein würden. Danach schwärmt sie noch von den anderen Tantra-Sessions, die sie schon mit Gayatri erleben durfte.Wie sich herausstellt, kennen die meisten Teilnehmer (altersmäßig ist dabei von Anfang 20 bis Mitte 60 alles vertreten) Gayatri bereits von Festivals oder speziellen Tantra-Workshops. Sie werden von ihr persönlich begrüßt und umarmt—zweiteres meiner Meinung nach ungewöhnlich lange.

Die Session beginnt damit, dass wir im Halbkreis dasitzen und uns gegenseitig vorstellen. Ich erzähle davon, dass ich einen Artikel über den Workshop schreibe, dabei aber ausschließlich meine Erfahrungen das Thema sein werden—ansonsten dürfte ich hier auch gar nicht teilnehmen. Nachdem die Einführung vorbei ist, legen wir die Ziele fest, die wir erreichen wollen. Ich schließe meine Augen. „Ich schwöre, für das Ganze hier offen zu sein."Es folgen Übungen zur Vertrauensbildung. Wir werden dazu aufgefordert, Augenkontakt mit einem anderen Teilnehmer zu halten. „Heißt sie mit euren Augen willkommen!", meint Gayatri eindringlich. Einer komplett fremden Person in die Augen zu schauen, ist auf eine komische Art und Weise total intim. Ich kämpfe gegen meinen Drang an, nervös loszulachen, während ich eine junge Frau mit grünen Haaren durch meinen Augenkontakt begrüße.

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Uns wird dazu noch die Chakra-Atmung beigebracht und wir lernen, wie wir unsere Energie auf die individuellen Chakren unseres Körpers fokussieren. Das heißt: Ohne Pausen durch die Nase ein- und durch den Mund wieder ausatmen. Gayatri nennt das die „runde Atmung". Nachdem wir unsere Chakra-Atmung geübt haben, schließen wir erneut die Augen und stellen uns vor, wie ein komplettes Universum durch die Spitze unseres kleinen Fingers wirbelt.An diesem Punkt habe ich doch schwer mit mir zu kämpfen. Konzentration und Tantra sind nicht gerade meine Steckenpferde und ich bin es nicht gewohnt, so lange still dazusitzen. Besorgt mache ich mir Gedanken darüber, dass ich meine Tasche zu nahe an der Heizung abgestellt haben könnte und der darin verstaute Krabbensalat deswegen schlecht wird. Dann schiebe ich diesen Gedanken jedoch ganz weit von mir weg—so als ob ich die Tür eines übervollen Kleiderschranks zupresse—und konzentriere mich wieder auf die Milchstraße in meinem kleinen Finger.

Nach zwei Stunden folgt eine Teepause. Danach geht es direkt mit dem Bewegungsübungen los. Dazu legt Gayatri Marvin Gayes Hit „Let's Get It On" auf.„Fahrt mit euren Hüften eine Acht nach!", ruft sie energetisch.

„Und wiederholt meine Worte: Ich bin sexy!"

„ICH BIN SEXY!", brülle ich, während ich mein Becken wie wild herumstoße.

Wir tanzen unseren hektischen Hüfttanz weiter um Gayatri herum.„Jetzt dreht euch zu der Person neben euch und ruft: DU BIST ORGASMISCH!"

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Wie ein wildgewordener Flummi hüpfe ich auf und ab und schreie dabei einem unscheinbaren Mann mit Brille die Worte „DU BIST ORGASMISCH!" ins Gesicht. Jetzt habe ich richtig viel Spaß.Demnach bin ich dann auch etwas enttäuscht, als Gayatri die Musik ausmacht und uns darum bittet, uns wieder hinzusetzen.Neben der Atmung, der Energie und den Bewegungen sind Geräusche die letzte Komponente eines Energie-Orgasmus. Das heißt, dass wir unsere orgasmischen Laute in der Gruppe üben—angeführt von Gayatri.

Gayatri läuft umher und zeigt uns, wann genau wir atmen und unseren PC-Muskel anspannen müssen. Dabei weist sie uns auch an, immer intensivere Orgasmus-Laute von uns zu geben.

Ich könnte das Ganze jetzt zwar schon für euch beschreiben, aber was würde das bringen? Es klingt genau so, wie ihr euch das gerade vorstellt. Ich schließe meine Augen und gebe ein monotones Stöhnen von mir. Ich meinem Kopfkino sehe ich dabei, wie ich die Tonspur für einen Porno aufnehme.Nachdem uns jetzt auch noch der letzte Schritt zum Energie-Orgasmus beigebracht wurde (das Anspannen des PC-Muskels), sind wir endlich dafür bereit, unseren ersten eigenen Energie-Orgasmus zu erleben.

Zuerst demonstriert Gayatri das Ganze aber noch mal. Sie legt ihren Schafsfell-Teppich in die Mitte des Kreises und alle warten gespannt darauf, was nun passieren wird. Schließlich schauen wir ihr dabei zu, wie sie ohne jegliche Berührungen einen intensiven Orgasmus erlebt. Ich bin mir auch hundertprozentig sicher, dass sie uns nichts vorspielt.Die Stimmung ist ziemlich unerotisch und das Ganze kommt auch nicht wirklich versaut rüber. Ich denke darüber nach, wie cool es eigentlich ist, dass sich Gayatri so wohl in ihrem Körper fühlt, und wie uns gesellschaftliche Normen annehmen lassen, dass allein das Reden über das Thema Sex falsch ist. Mir fällt wieder ein, was die Frau mit den Hand-der-Fatima-Ohrringen über das Brechen des Orgasmus-Tabus gesagt hat. Jetzt weiß ich, was sie damit meint.

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So langsam spüre ich, wie mein Körper von einem wohltuenden Gefühl durchdrungen wird. Ich bin leicht benommen und spüre, wie ich mich von allem löse.

Inzwischen ist es draußen dunkel geworden. Wir legen uns in dem durch das schummrige Kerzenlicht erleuchteten Raum auf unsere Decken und bereiten uns auf den Energie-Orgasmus vor. Schamanische Heilmusik ertönt aus den Lautsprechern. Wir bewegen unsere Becken hin und her und stellen uns vor, wie ein rotes Licht aus unserem Basis-Chakra scheint. Gayatri läuft umher und zeigt uns, wann genau wir atmen und unseren PC-Muskel anspannen müssen. Dabei weist sie uns auch an, immer intensivere Orgasmus-Laute von uns zu geben.So langsam spüre ich, wie mein Körper von einem wohltuenden Gefühl durchdrungen wird. Ich bin leicht benommen und spüre, wie ich mich von allem löse. Der Raum kommt mir plötzlich sehr warm und einladend vor. Ich bilde mir ein zu schweben. Ich kenne und liebe dieses Gefühl.

Und schon bin ich eingeschlafen.

Als ich wieder aufwache, deckt mich Gayatri gerade lächelnd zu. Ich frage mich, ob sie weiß, dass ich geschlafen habe. Die restlichen Kursteilnehmer sind währenddessen ganz der Post-Energie-Orgasmus-Glückseligkeit verfallen. Aber auch ich fühle mich fantastisch, denn ein schönes Nickerchen macht mich einfach glücklich.

Als ich nach der Session mit den Teilnehmern rede, erzählen mir alle, dass sie etwas Tiefgreifendes verspürt haben. Allerdings muss man hier auch erwähnen, dass ein Energie-Orgasmus nicht mit einem sexuellen Orgasmus vergleichbar ist. Als Mann saut man sich zum Beispiel nicht die Hose ein.Ganz ehrlich: Ich gehe stark davon aus, dass eine Person, die dieser Erfahrung gegenüber offener eingestellt ist als ich (obwohl ich wirklich mein Bestes gegeben habe), wohl auch ein besseres Ergebnis erzielt hätte. Zwar kann ich wirklich überall einschlafen, aber ich habe die Nacht zuvor auch ordentlich gezecht und deswegen die Augen nicht wirklich zugekriegt.Der Workshop endet mit einem Friedensgebet. Als ich so dastehe und die Hände von mir völlig fremden Personen halte, wird mir plötzlich etwas klar: Es liegt etwas quasi Greifbares in der Luft, das die Leute zusammenwachsen lässt. Dabei handelt es nicht wirklich um Freundschaft, sondern eher um gemeinschaftliches Mitgefühl.Bevor ich mich auf den Nachhauseweg mache, umarme ich noch alle Anwesenden fest und lange. Dabei habe ich nicht den Eindruck, dass sich die Situation irgendwie komisch oder unangenehm anfühlt, sondern eher ziemlich gut. Wenn ich heute irgendetwas gelernt habe, dann auf jeden Fall eine schöne Umarmung.

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