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Film

Im Gespräch mit der Frau, die Julian Assange sechs Jahre begleitet hat

Filmemacherin Laura Poitras über einen misogynen Hacker und "die dystopische Wirklichkeit, die wir in uns selbst finden."
Left image: Julian Assange with courtesy of Praxis Films; Right image: Laura Poitras by Jan Stürmann

"Julian ist nicht zufrieden mit dem Film, wie du vielleicht mitbekommen hast", sagt die amerikanische Dokumentarfilmerin Laura Poitras. Eine bewusste Untertreibung. "Der Film war nicht so, wie er ihn wollte."

Tatsächlich musste Risk vor seiner Veröffentlichung einen langen und steinigen Weg zurücklegen. Die Filmemacherin begann 2011, an ihrer Dokumentation über Julian Assange zu arbeiten. Ein erster Zusammenschnitt wurde schon im Mai 2016 in Cannes gezeigt, die endgültige Version ihres Dokumentarfilms erschien allerdings erst ein Jahr später.

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Während dieser Zeit verschlechterte sich Poitras Verhältnis zu Wikileaks und dem Gründer Julian Assange so sehr, dass die Anwälte der Organisation Unterlassungsaufforderungen an ihre Vertriebspartner schickten und forderten, dass der Film umgehend eingestellt werden sollte. Sie waren der Meinung, dass die Dokumentation die dargestellten Personen "rechtlichen Gefahren" aussetzen würde.

Risk beschäftigt sich mit demselben Universum aus Hackern und Whistleblowern, das die Filmemacherin auch schon 2014 im oscarprämierten Citizenfour abgebildet hat. Dennoch haben ihr neuer Film und ihre Dokumentation über Edward Snowden nicht das Geringste gemeinsam. Während Citizenfour einen attraktiven und prinzipientreuen Whistleblower zeigt, der wenig später in einer überschwänglichen Filmbiographie von Joseph Gordon-Levitt gespielt wurde, ist Risk ein sehr viel komplexeres Porträt von einem weitaus komplizierteren Mann.


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Das liegt nicht nur daran, dass Assange inzwischen unmittelbar mit den Vergewaltigungsvorwürfen der beiden Schwedinnen in Verbindung gebracht wird. Oder daran, dass er sich seit über fünf Jahren in der ecuadorianischen Botschaft in London verschanzt und es kaum Hinweise darauf gibt, dass sich diese außergewöhnliche Pattsituation in nächster Zukunft auflösen wird, obwohl Schweden die Ermittlungen gegen Assange inzwischen eingestellt hat. Es hat auch nichts damit zu tun, dass Assanges Organisation kurzzeitig von Trump bejubelt wurde, weil sie die E-Mails des Demokratischen Nationalkomitees (DNC) veröffentlicht haben. (Mittlerweile vermuten die amerikanischen Behörden, dass russische Hacker für den DNC-Leak verantwortlich sein könnten.)

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Verantwortlich ist viel mehr, dass sich Assanges Kernthese – dass das Internet gut und die Informationsfreiheit von zentraler Bedeutung ist – trotz all seiner Vorträge über die Macht des Internets und der weltweiten Whistleblower durch die jüngsten Ereignisse als falsch erwiesen hat. In Risk geht es vor allem um eins: den Tod einer Internetutopie und die bösartigen, frauenfeindlichen Gesinnungen, die dadurch florieren konnten. Niemand verkörpert diese Entwicklung besser als Assange.

"Filmgestalterisch beginnt der Film mit sehr viel Optimismus und Hoffnung und endet mit einer sehr dunklen Note", sagt Poitras. "Der Film stellt eine etwas tragischere und ambivalentere Geschichte dar [als Citizenfour]."

"Eine Frau hat jedes Recht, [einen Mann] anzuklagen."

Poitras muss in der Dokumentation auch selbst zugeben, dass das so nicht geplant war. Ursprünglich wollte sie eine begleitende Dokumentation über die journalistische Arbeit von Wikileaks drehen. Allerdings wurde daraus schon nach kurzer Zeit ein aufschlussreiches Porträt über den Gründer der Organisation.

"Mich hat vor allem die journalistische Arbeit von Wikileaks interessiert und wie sie damit Ereignisse in aller Welt beeinflussen", erzählt sie. "Als ich ankam, kämpften sie aber gerade vor allem gegen den schwedischen Fall. Deswegen musste ich ihn auch im Film erwähnen."

In einer haarsträubenden Szene der Dokumentation lacht Assange die Anschuldigungen gegen sich einfach weg und nennt sie "eine vollkommen geschmacklose und radikal feministische, politische Positionierung". Er deutet sogar an, dass eine der Anklägerinnen unglaubwürdig sei, weil sie mal einen lesbischen Nachtclub eröffnet hätte.

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"Eine Frau hat jedes Recht, [einen Mann] anzuklagen", kommentiert Poitras Assanges Verhalten in der Szene. "Verteidige deine Unschuld, aber attackiere nicht die Frauen. Verteidige deine Unschuld, aber verbreite keine Verschwörungstheorien über sie und versuche nicht, sie zu diskreditieren."

Assange in Verkleidung. Foto: Praxis Films

Am meisten habe sie allerdings verstört, was er anschließend im Film sagt. "[Er war überzeugt davon] dass die Frauen von weiten Teilen der Weltbevölkerung verunglimpft werden würden", sagt sie. "Das finde ich ziemlich beunruhigend. Im Grunde sagt er: Das Internet steht hinter mir."

Sonst hält sich Assange eher bedeckt. In diesen Momenten bekommt man allerdings einen Eindruck davon, wer er wirklich sein könnte. Laut Poitras soll diese Szene eine von denen gewesen sein, die der Wikileaks-Gründer aus dem Film streichen wollte. Doch sie weigerte sich. Gerade weil Assange so entschlossen wirkt, die Geheimnisse anderer Menschen zu enthüllen, kann es besonders frustrierend sein, dass er seine eigenen Emotionen und innersten Gedanken vollkommen unter Verschluss hält. Nicht umsonst bezeichnete ihn einer der Kritiker als "eine Art Eidechse". In einer anderen Szene, die schon beinahe surreal wirkt, bekommt Assange Besuch von seinem selbsternannten Fangirl Lady Gaga. Sie versucht, in der Botschaft ein Interview mit ihm aufzunehmen und will wissen, wie er sich fühlt. "Mir ist egal, wie ich mich fühle", entgegnete er.

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"Darin liegt sicher auch ein Funke Wahrheit über Julian", sagt Poitras. "Er konzentriert sich vor allem auf das, was er erreichen möchte und in gewisser Weise interessiert es ihn nicht, wie er sich fühlt. Ich weiß nicht, ob ich auch auf einer emotionalen Ebene verstanden habe, was ihn bewegt. Das kann ich nicht beantworten. Ich glaube, das liegt aber auch daran, wer er ist."

"Ich kann den Film entweder gleich sein lassen oder weiter daran arbeiten."

In Risk gibt es keine Helden. Auch Jacob Applebaum, der damit vorgestellt wird, dass er Mobilfunkunternehmen in Ägypten vorgeworfen hat zuzulassen, dass die Regierung ihre Bevölkerung ausspioniert, wurde im Verlauf der Dreharbeiten des sexuellen Missbrauchs beschuldigt. Applebaum hat die Anschuldigungen zurückgewiesen. Poitras spricht in ihrer Dokumentation allerdings auch über ihre eigene sexuelle Beziehung zu Applebaum aus der Zeit davor.

Hat die Hacker-Szene ein Problem mit sexuellem Missbrauch? "Ich glaube, was der Film zeigt, sind Geisteshaltungen", sagt sie zögerlich. "Das erlebt man in der Technologie- und Hacker-Szene, aber auch am Arbeitsplatz und in sozialen Bewegungen. Man hat es immer auch mit innenpolitischen Belangen und Machtstrukturen zu tun, die sehr geschlechtsspezifisch werden können und manchmal auch in direktem Widerspruch zu den höheren Zielen und Werten einer Bewegung stehen."

Assange verrät sich selbst allerdings nicht nur durch sein herablassendes Verhalten gegenüber den vermeintlichen Opfern, sondern auch durch seinen grundsätzlichen Umgang mit Frauen. Assange ist die meiste Zeit des Films von Frauen umgeben – seinen Anwältinnen, Vertrauten und Unterstützerinnen. Nachdem er sich in der Londoner Botschaft von Ecuador eingerichtet hat, sind sie neben der Wikileaks-Redakteurin Sarah Harrison seine einzige Verbindung zur Außenwelt. Dennoch sieht man nie, dass er sich ihnen gegenüber auch nur im Geringsten wohlwollend äußerst oder dankbar zeigt. Auch als ihn Lady Gaga besucht, nutzt er die Gelegenheit nur, um sie vollzutexten. In einer Szene kann man ihn dabei beobachten, wie er über mehrere Minuten hinweg alle Regierungen auflistet, die gegen ihn ermitteln. Der Popstar ist sichtlich gelangweilt.

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"Meine Geschichte soll keine Lösung aufzeigen."

Die ersten Kritiken äußerten sich enttäuscht über die Mehrdeutigkeit des Films, die fragwürdige Entscheidung, Applebaum im Kontext einer ehemaligen Beziehung zu zeigen und das konstante Gefühl, dass der Filmemacherin die Erzählstränge ihrer Geschichte aus den Händen gleiten. Als der Film in Cannes vorgeführt wurde, hat der Großteil des dritten Aktes allerdings noch gar nicht existiert. Zum damaligen Zeitpunkt waren weder die Anschuldigungen gegen Applebaum bekannt, noch die Enthüllungen des DNC.

Für Poitras war es allerdings gar keine Frage, ob sie diese beiden Aspekte nachträglich in die Doku integrieren sollte, oder nicht. "Ich dachte mir: 'Ich kann den Film entweder gleich sein lassen oder weiter daran arbeiten."

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Wenn die Dokumentation unvollendet und unbearbeitet wirkt, liegt das auch daran, dass die Realität nicht stillsteht. Eine Realität, die durch Wikileaks entstanden ist – oder wie Poitras sagt: "Die utopische Vorstellung vom Internet und die dystopische Wirklichkeit, die wir in uns selbst finden." Wir müssen erst noch herausfinden, ob russische Hacker die Wahlen in den USA beeinflusst haben, Assange sitzt solange noch immer in der ecuadorianischen Botschaft in London und wie es scheint, wartet in diesen Zeiten jede Woche eine neue, noch verstörendere Enthüllung auf uns.

"Meine Geschichte soll keine Lösung aufzeigen", sagt Poitras. "Das Klischee, dass am Ende alles zusammenpassen muss, um dem Zuschauer das Gefühl zu vermitteln, dass er mit dem Film abschließen kann, ist irreführend, wenn wir von der Realität sprechen, in der wir leben."

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