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Medien

Wie Mädchenmagazine an der Unsicherheit junger Frauen verdienen

Egal ob fragwürdige Flirttipps oder sexistische Rollenbilder—an den Inhalten deutscher Teenie-Hefte hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht viel geändert.
Alle Fotos: Grey Hutton

Einst der ultimative Gradmesser dafür, was bei jungen Menschen relevant und angesagt war, haben Jugend- und Mädchenmagazine seit Jahren mit schwindenden Abonnenten und rückläufigen Verkaufszahlen zu kämpfen. Die Bravo selbst erscheint nur noch alle zwei Wochen, Bravo Girl! und Mädchen einmal im Monat. In den Printausgaben schlagen sich die rückgängigen Verkaufszahlen vor allem in mehr Werbung und einem deutlichen Anstieg der Beautyproduktstrecken nieder. Was die Zeitschriften mit anderen Printpublikationen eint: Der Großteil der jungen Leserschaft findet sich mittlerweile im Internet. Mädchen.de ist inzwischen das größte Online-Magazin für junge Frauen im deutschsprachigen Netz, Bravo Girl! hat fast zwanzigtausend Follower auf Instagram. Doch auch wenn sich Verbreitungswege und Darbietungsform zunehmend wandeln, an den Inhalten hat sich bei den Branchenführern in den letzten Jahrzehnten kaum etwas geändert.

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Wenn man Hefte aus den Neunzigern und frühen 2000ern mit den aktuellen Ausgaben vergleicht, fällt auf: Nach wie vor gibt es neben kurzen Reportagen über Selbstverteidigung oder sexuellen Missbrauch, in jedem Heft Mode, Beautytipps, Foto-Lovestorys, eine Kummerkastentante und jede Menge Ratschläge. Besonders was Geschlechterrollen betrifft, bleibt man dabei offensichtlich gern beim Alten, auch jetzt noch. Zwar hat die ABF im Kosmos der Mädchenmagazine inzwischen einen höheren Stellenwert als früher, doch über allem schwebt nach wie vor der rosarote Traum vom heterosexuellen Liebesglück, um dessen Erfüllung es für die Leserinnen zu kämpfen gilt.


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„Die Themen haben sich über die Jahre weniger geändert, als man denken könnte", sagt auch Jens-Stefan Hübel, der als Chefredakteur von Mädchen für ebenjene Themen verantwortlich ist. „Unsere jüngsten Leserinnen sind Acht oder Neun und unsere ältesten 15 bis 16." Das Magazin für „anständige Mädchen", das laut Hübel auch bei deren Müttern gut ankommt, existiert seit fast 40 Jahren und ist neben der traditionell etwas unanständigeren Bravo Girl! die erfolgreichste Zeitschrift auf dem Markt, die sich explizit an junge Leserinnen in der Pubertät richtet. Beide sehen sich gerne in der Rolle der erfahrenen großen Schwester, die den kleineren zeigt, wo es langgeht.

Mädchen ist so lange ein Thema, wie es um das Entdecken geht", erklärt Hübel, „für Mädchen in der Pubertät, die anfangen sich für Jungs zu interessieren. Wenn die Mädchen sexuell aktiv werden und in einer ersten festen Beziehung sind, wird Mädchen uninteressant, dann sehen sie sich als junge Frauen und lesen lieber Joy, Jolie oder Maxi. Bei uns sind sie noch in der Orientierungsphase und auf Tipps sehr angewiesen."

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In ihrer Funktion als Ratgeber geben Mädchenmagazine unter anderem Tipps für ein strahlenderes Lächeln, glänzendere Haare oder ein größeres Selbstbewusstsein, doch meistens geht es um Jungs—oder besser gesagt darum, was Jungs angeblich am meisten an Mädchen gefällt.

Alle Fotos: Grey Hutton

Die Leserinnen lernen, dass sie Jungs niemals fragen dürfen, ob sie zu dick sind und beim ersten Date nicht über ihren Ex reden sollten. Dass sie beim Flirten lachen sollten, aber nicht zu viel, weil das Jungs nervt, und auch nicht mit geschlossenem Mund, weil das verkrampft und zickig wirkt. Sie sollen die Haare zurückwerfen, aber nicht so oft, dass es albern wirkt, gut riechen, aber nicht zu viel, denn das wirkt aufdringlich. Wenn sie sich all diese vermeintlich wohlmeinenden Ratschläge gemerkt und in die Tat umgesetzt haben, und es dann auch noch geschafft haben, dabei „total natürlich" rüberzukommen, steht dem großen Liebesglück mit dem Traumboy schließlich nichts mehr im Wege.

Wie absurd das auf Menschen wirkt, die den Fängen der Pubertät längst entkommen waren und das Ganze mit einem gewissen Abstand und einem hohen Maß an Mehrwissen be- und verurteilen konnten, zeigte sich im vergangenen Jahr. Die Bravo veröffentlichte damals eine Liste von 100 Flirttipps, die in ihrem antiquierten Sexismus geradezu lächerlich wirkten. Das Problem dabei: Die Zielgruppe hat weder diesen Abstand noch das Mehrwissen. Die Pubertät ist für viele Mädchen die Hölle auf Erden und die eigene Unsicherheit allgegenwärtig. Da erscheint jede Art von Orientierungshilfe im ersten Moment verlockend. Mädchenmagazine reflektieren diese allgemeine Verunsicherung perfekt und wissen sie effektiv zu nutzen.

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Die Soziologin und Journalistin Christina Mundlos hat sich in der Vergangenheit intensiv mit den Inhalten von Mädchen- und Frauenmagazinen auseinandergesetzt und erklärt, wie diese funktionieren: „Mädchen wird eingebläut, dass sie Anerkennung nur durch ihren Körper bekommen können und dass ihr Körper von Natur aus defizitär ist. Sie brauchen Produkte, um diese Defizite wegzumachen. Darum dreht sich alles in diesen Zeitschriften—nicht nur Kosmetik- und Modetipps, sondern auch die Foto-Lovestory und sogar die Beratungsrubriken. In diesen wird deutlich, dass es den Zeitschriften überhaupt nicht darum geht, das mangelnde Selbstbewusstsein der Leserinnen zu stärken, weil die Berater nicht dagegen halten, sondern das Ganze noch kultivieren und Mädchen in ihrer Unsicherheit bestätigen."

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Ein Beispiel gefällig? In einer Mädchen-Ausgabe aus dem Jahr 2001 wird das—übrigens auch für viele erwachsene Frauen komplexbeladene—Thema Oralverkehr folgendermaßen erklärt: „Wenn der Junge die Scheide und die Klitoris mit dem Mund liebkost, nennt man das Cunnilingus bzw. „lecken". Diese Zärtlichkeit bringt auch dem Jungen Lustgewinn, wenn er spürt, dass seine Freundin das mag. Wenn du deine Geschlechtsteile nicht schön findest, deinen intimen Körpergeruch nicht magst, sag einfach Nein zu dieser Liebespraktik." Welches junge Mädchen sich zum damaligen Zeitpunkt noch keine Gedanken darüber gemacht hatte, ob ihr Intimbereich irgendeinem Schönheitsideal entspricht oder nicht, tat es wahrscheinlich spätestens nach diesem Ratschlag.

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„Die Redakteure nutzen bewusst oder unbewusst das Wissen, das sie um die Verlustängste der Mädchen haben, zeigen nicht, dass es nicht nur darum gehen muss, Liebe und Anerkennung von Jungs zu bekommen, sondern kultivieren ihre Probleme sogar noch und knüpfen das Ganze dann an die Interessen der Kosmetik- und Modeindustrie.", beklagt Mundlos.

Mädchen

betitelt sich selbst gern als „Deutschlands jüngstes Frauenmagazin", die Kernzielgruppe liegt laut Jens-Stefan Hübel zwischen 10 und 13 Jahren. Allgemein setzten Mädchenzeitschriften in einem Alter an, in dem die Leserinnen nicht mehr wirklich Kinder, aber auch längst noch keine erwachsenen Frauen sind. Wenn man davon ausgeht, dass die Kategorie Geschlecht keine Gott gegebene oder biologisch bedingte Konstante darstellt, sondern vielmehr ein soziales Konstrukt, dass in sozialen Praktiken und Interaktionen hergestellt und ständig reproduziert wird, fungieren Mädchenzeitschriften als eine Art Gebrauchsanweisung zum Frau werden und können ihre Leserinnen durchaus in ihrer Entwicklung beeinflussen.

Doch warum funktioniert das gerade bei jungen Mädchen? Ein Faktor dabei ist laut Christina Mundlos, dass Jungen im gleichen Alter generell weniger lesen und dass sie weniger als Mädchen darauf vorbereitet werden, Konsumenten zu werden. Ein weiterer entscheidender Faktor sei der Umstand, dass Jungen und Mädchen nach wie vor unterschiedlich erzogen werden, wodurch Mädchen Minderwertigkeitsgefühle entwickeln, die sie ihr Leben lang versuchen auszugleichen. Mundlos sieht in diesem Gefühl der Unzulänglichkeit den Grund, aus dem sich Mädchen und Frauen ein Leben lang nach konkreten Anweisungen sehnen. „Sie suchen nach Informationen, fragen sich: Was genau ist an mir falsch und was kann ich dagegen tun? Deswegen sind Mädchen durch sprachliche Manipulation viel einfacher zu beeinflussen als Jungs. In der geschlechtsspezifischen Erziehung der Mädchen wurzelnde Verlustängste führen zu späteren Unsicherheiten und zu der Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung."

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Mädchen- und Frauenmagazine kommunizieren dabei laut Mundlos eine paradoxe Idee der romantischen Liebe, die zum einen bedingungslos sein soll und dann wieder an bestimmte Konditionen geknüpft wird. Wenn die Leserinnen den Beauty-Ratschlägen und Flirttipps Glauben schenken, kommen sie zu der Überzeugung, dass sie durch ihr optimiertes Äußeres und ein bestimmtes unterordnendes Verhalten die Liebe und Anerkennung eines Mannes gewinnen können. Klappt es trotz der befolgten Ratschläge nicht, zweifeln sie nicht deren Nutzen an, sondern suchen den Fehler eher bei sich selbst, sind noch verunsicherter und suchen nach den nächsten Tipps. Ein Teufelskreis. Aber ein Teufelskreis, der gleichzeitig eine bestimmte Sicherheit gewährt. „Wenn die Leserinnen reflektieren und den Schluss ziehen würden, dass man über einen neuen Lippenstift oder das Befolgen gewisser Tipps keine Anerkennung bekommt, dann wären sie an der Basis verunsichert", sagt Mundlos. „Sie wüssten überhaupt nicht mehr, wie man Anerkennung und Liebe bekommen kann, und dass das Ganze oft einfach ein Glücksspiel ist."

Das traditionelle Rollenverständnis und das Bild der Frau als schwaches Geschlecht wird in den Tipps unaufhörlich reproduziert, in dem sich das Girl gegenüber dem Boy immer wieder als Objekt inszenieren muss, egal wie selbstbewusst und unabhängig es normalerweise ist. Zwar darf das Girl ab und zu seinen Verstand einsetzen, wie in diesen „15 Fragen, die sofort sein Interesse wecken" aus der aktuellen Bravo Girl!: „Er weiß jetzt, dass du keine oberflächliche Smalltalk-Tussi bist, sondern ein Mädchen mit Tiefgang." Auf der letzten Seite finden sich dann aber doch wieder „10 Sätze, die wir gern von Jungs hören würden", in denen sich ein Abgrund von Geschlechterklischees auftut („Ich verzichte heute mal aufs Fußballschauen und wir gehen in die Stadt shoppen.")

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Dass sich Menschen und besonders verunsicherte Jugendliche, die nach Halt suchen, an traditionellen Rollenbildern festklammern anstatt sich gegen sie aufzulehnen, ist dabei nicht einmal so schwer nachzuvollziehen. In der Pubertät geht es vielen immer noch am meisten darum, nicht aufzufallen, nicht anzuecken, dazuzugehören und „normal" zu sein. Dass das Geschlecht und alle damit verbundenen Attribute bei der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit Jugendlichen nach wie vor so wichtig ist, sollte niemanden verwundern. Schließlich nimmt die Unterscheidung Mann/Frau in unserer Gesellschaft noch vor Nationalität, Alter, Religion oder ethnischer Herkunft eine existentielle identitätsstiftende Rolle ein—weswegen Formate wie Germany's Next Topmodel oder Der Bachelor, die stereotype Geschlechterrollen propagieren, nach wie vor funktionieren.

Der Chefredakteur der Mädchen sieht das als ebenfalls problematisch an—sich und sein Magazin allerdings auch auf der Seite, die diesem Druck auf junge Frauen entgegenwirken will. Auch dadurch, dass es im Blatt im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten deutlich weniger Sex gibt. Pornos werden generell nicht besprochen. „Da ist man schon zu einer gewissen Prüderie zurückgekehrt", sagt Hübel. „[Die ständige Konfrontation mit sexuellen Handlungen] führt bei den Mädchen zu einem Leistungsdruck, weil sie einfach performen wollen—weil sie perfekt aussehen, perfekt geschminkt, die perfekte Figur und die perfekten Klamotten an haben und dann gegenüber ihrem Freund auch noch die perfekte Liebesgöttin geben wollen." Facebook und Instagram haben die ständige Fixierung auf das Äußere zusätzlich noch verstärkt. Hübel hofft, den Mädchen, die sein Magazin lesen, ein Stück weit diesen Druck nehmen zu können. Er hält nichts von Diskussionen über Geschlechterrollen und glaubt, dass Mädchen heute im Allgemeinen selbstbewusster sind als früher.

Christina Mundlos hält das Verhalten der Redakteure trotzdem für fahrlässig, zumindest dann, wenn sie sich als moralische Instanz im Leben ihrer jungen Leserinnen verorten wollen. Sie glaubt nicht daran, dass Mädchen heute selbstbewusster sind als früher. Die generelle Verunsicherung in der Pubertät werde heute durch die angebliche Gleichberechtigung vielmehr noch intensiviert. „Den Mädchen wird von der Gesellschaft und den Medien gesagt, dass sie alles erreichen können. Dass für sie alles möglich ist, genauso wie für die Jungs. Gleichzeitig werden sie aber immer wieder auf ihren Körper, ihr Aussehen und ihre Sexualität reduziert. [Die Magazine] holen die Mädchen natürlich da ab, wo sie sind—aber führen sie dann in die völlig falsche Richtung. Sie treffen auf einen Nerv, der existiert, da nach 40 Jahren Frauenbewegung die Kinder immer noch ungleich erzogen werden. Sie entwerfen kein modernes und fortschrittliches Geschlechterbild, sondern führen in die Vergangenheit zurück und greifen auf ganz alte traditionelle Rollenbilder zurück, daher sind sie veraltet und anachronistisch."

Die Leserinnen selbst scheinen sich derweil wenig daran zu stören und auch der Chefredakteur der Mädchen freut sich darüber, dass den jungen Mädchen das Magazin nach wie vor gefällt. Sonst würde es schließlich Beschwerden auf Facebook hageln.