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Schönheit

Sind schöne Menschen die wahren Verlierer unserer Gesellschaft?

Legt den Schminkspiegel weg und spart euch das Fitnessstudio: Charlize Theron behauptet, dass gutes Aussehen eine Bürde ist. Wir haben bei Experten nachgefragt.
Photo by Mariya Butd via Flickr

Während die schönen Menschen ihre Millionen in Hollywood bunkern, schauen wir—das niedere, hässliche Proletariat—zu. Es ist leicht, die spindeldürren Stars zu verurteilen und unserer Faust gegen die Welt zu heben, empört angesichts der Ungerechtigkeit, dass Menschen, die einem nahezu unerreichbaren Schönheitsideal entsprechen, bevorzugt behandelt werden. Und ja, es ist auch recht einfach, zu betonen, dass unsere Schönheitsideale immer nur dünne, weiße Cis-Frauen zeigen und zu sagen wie „uncool" das ist. Aber hast du schon mal darüber nachgedacht, dass auch „heiße" Leute aufgrund ihres Aussehens diskriminiert werden könnten? Nein? Wir auch nicht. Bis wir das Interview gelesen haben, dass die nach allgemeinen Maßstäben ziemlich gut aussehende Schauspielerin Charlize Theron kürzlich der GQ gegeben hat.

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„Wie viele Rollen gibt es da draußen für das Ballkleid-tragende, 1,80 Meter große Model? Wenn es um tiefgründige Rollen geht, müssen die Schönen immer als erstes gehen." Diese Aussage fanden viele Leute im Internet ziemlich nervig. Aber während das Internet debattiert, haben wir uns gefragt, ob sich Therons Behauptungen soziologisch begründen lassen.

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Deborah Carr ist Professorin für Soziologie an der Rutgers Universität in New Jersey. Im Interview mit Broadly bestätigt Carr, was den meisten Leuten intuitiv bereits klar war: Die physische Erscheinung bestimmt, wie Leute in der Gesellschaft wahrgenommen werden. „Bereits in der Kindheit werden Menschen dafür belohnt, hübsch auszusehen", sagt Carr und ergänzt, dass je hübscher ein Kind ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass es im sozialen und schulischen Leben Erfolg haben wird—was attraktiven jungen Menschen wiederum dabei hilft ein entsprechendes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Ein klarer Vorteil. „Oft handelt es sich dabei um eine ‚selbsterfüllende Prophezeiung'. Durch die positive Behandlung, die attraktive Kinder erfahren, werden sie selbstbewusster, freundlicher und selbstsicherer, wodurch ihre Beliebtheit und ihr soziales Ansehen wiederum steigen", erklärt Carr.

Na gut, aber was ist mit der Diskriminierung, die heiße Menschen im späteren Leben erleben? Gibt es ein solches Phänomen? „Die meisten Untersuchungen zeigen, dass Attraktivität eher wiederholt belohnt wird und seltener Nachteile mit sich bringt", sagt Carr, fügt aber auch hinzu, dass es Ausnahmen gibt. „Zu einem neigen wir dazu zu denken, dass außergewöhnlich attraktive Menschen selbstbezogen seien, weshalb wir annehmen, dass sie beispielsweise weniger gute Eltern sind. Zum anderen wurden Frauen mit einem bestimmten Aussehen—kurvige Frauen—in Studien, in denen Versuchspersonen Bilder von Frauen anhand einer Reihe von persönlichen Eigenschaften bewerten sollten, als ‚weniger intelligent' eingestuft", sagt sie.

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Theron behauptet, dass ihr gutes Aussehen ein Hindernis ist, dass zwischen ihr und den anspruchsvolleren Rollen in Hollywood steht. Von möglichen Nachteilen bei der Kindererziehung war allerdngs nicht die Rede. Also hat Broadly noch eine weitere Soziologin angerufen, Michelle Newton-Francis von der American University in Washington D.C., um zu sehen, ob Therons Genörgel Substanz hat. „Wir dürfen nicht vergessen, dass Theron eine gut aussehende Schauspielerin ist, die eben weil sie attraktiv (und talentiert) ist, Zugang zum sozialen und ökonomischen Kapitel von Hollywood hat", sagt Newton-Francis. Darüber hinaus sei Theron Mitglied einer Elite und zieht Profit aus ihrer Schönheit. Im Grunde hat Theron von ihrer Schönheit also wahrscheinlich eher profitiert, als dass es ihrer Karriere geschadet hätte. „Das widerlegt jedoch nicht die Annahme, dass ernstzunehmendere weibliche Rollen—und Hauptrollen—rar sind und vor allem auf reifere oder farbige Frauen zugeschnitten sind", sagt Newton-Francis.

Nur weil schöne Menschen generell „bevorzugt" werden, bedeutet das nicht, das Attraktivität nicht auch dazu führen kann, dass Menschen wie Theron diskriminiert werden. Es ist kompliziert. Newton-Francis erklärt, dass Theron durch ihre zwiespältige Erfahrung als Schauspielerin zu einem Sinnbild für die sozialen Vorteile, die mit diesem Berufsfeld in Verbindung gebracht werden, wird. Modells werden oft für weniger intelligent oder kompetent gehalten als andere Menschen. „Dass Models, die als attraktiv gelten, weniger intelligent sind oder weniger Fähigkeiten besitzen, ist ein Vorurteil, das natürlich nicht stimmt", sagt Newton-Francis.

„Meiner Meinung nach werden Menschen in Hollywood in vielerlei Hinsicht bevorteilt, gleichzeitig gibt es aber auch viele Situationen, in denen sie ausgegrenzt werden", sagt sie. „Attraktivität kann dabei sowohl der Grund für die Bevorteilung, wie auch für die Ausgrenzung sein. Aber abgesehen davon, ist es auch möglich, dass Theron eigentlich auf die Themen Sexismus und Altersdiskriminierung angespielt hat, die leider Alltag sind in Hollywood." Newton-Francis' Punkt in Bezug auf Altersdiskriminierung und Sexismus entspricht einer weiteren Aussage von Theron, die man auf ihrem GQ-Profil findet. Über dieses doppelte Übel sagt Theron:

„Wir leben in einer Gesellschaft, in der Frauen welken und Männer reifen wie Wein. Und seit Langem akzeptieren Frauen das. Wir haben darauf gewartet, dass sich die Gesellschaft verändert, aber jetzt nehmen wir das Heft in die Hand. Es wäre eine Lüge zu behaupten, dass sich Frauen weniger Sorgen über das Älterwerden machen müssten als Männer … Man hat das Gefühl, dass es dieses unrealistische Ideal gibt, wie eine Frau auszusehen hat, wenn sie über vierzig ist."

Wenn man versuchen möchte zu verstehen, welche Rolle körperliche Attraktivität während unserer Sozialisierung spielt, bedarf es einer differenzierten Herangehensweise. Newton-Francis erklärt: „Theron kann aufgrund ihres guten Aussehens sowohl bevorzugt behandelt, als auch ausgegrenzt werden." Und das gilt nicht nur für die glamouröse Welt der reichen High Society. „Es wäre wichtig, darüber nachzudenken, inwiefern wir alle durch unsere Vorstellung von Attraktivität eingeschränkt werden", sagt sie.