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Beziehung

Heiratsanträge sind immer noch Männersache – warum eigentlich?

Während sich unsere Gesellschaft und mit ihr auch die Institution der „traditionellen“ Ehe wandelt, scheint der Heiratsantrag von diesem Wandel vollkommen unberührt zu bleiben. Oder um es in Kevin Federlines Worten zu sagen: „Ich dachte, der Junge muss...
Illustration by Amanda Lazone

Im Jahr 2004 irgendwo auf dem Flug von Irland nach New York hat die 22-jährige Britney Spears den 26-jährigen Backgroundtänzer Kevin Federline gefragt, ob er sie heiraten möchte. Er sagte „Nein". „Er fand, dass das so nicht richtig wäre", sagte Spears gegenüber dem People-Magazine. Federline führte das genauer aus und meinte: „Ich dachte, der Junge muss das Mädchen fragen. Deswegen habe ich ein paar Minuten gewartet und dann habe ich sie gefragt." Den Rest der Geschichte kennen wir ja.

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Diese Verlobungsgeschichte wirkt, wie ich finde, noch absurder als die Ehe der Federlines selbst. Natürlich macht es durchaus Sinn, ein paar Minuten über seine Antwort nachzudenken, nachdem man soeben einen Heiratsantrag von einem Popstar bekommen hat, mit dem man erst seit drei Monaten zusammen ist. Aber einen geplanten Antrag abzulehnen, nur um ein paar Minuten später selbst einen zu machen, ist einfach nur lächerlich. Trotzdem: so ungewöhnlich ist die Strategie von K-Fed gar nicht.

Die einstigen Kerneigenschaften einer traditionellen Ehe—Religiosität, Heterosexualität und Monogamie—gelten schon seit Längerem als überholt. Doch während sich unsere Gesellschaft und mit ihr auch die Institution Ehe wandelt, scheint der Heiratsantrag von diesem Wandel vollkommen unberührt zu bleiben. Nach wie vor ist es üblich, dass der Mann mit einem Diamanten vor der Frau auf die Knie geht. Trotz der archaisch frauenfeindlichen und materialistischen Wurzeln dieser Tradition hat der Heiratsantrag noch immer einen signifikanten Stellenwert in unserer modernen Gesellschaft. Verlobte Paare teilen ihre Geschichten auf Facebook, Twitter oder YouTube und die Standardreaktion auf „Wir sind verlobt" ist meist ein atemloses: „Wie hat er gefragt?"

Mein Verlobter hat mich in unserem Wohnzimmer gefragt. Ich saß auf der Couch und habe gearbeitet, als er mir einen Brief in den Schoß gelegt hat, in dem stand, warum wir sicher sein könnten, dass wir bereit sind, den nächsten Schritt in unserer Beziehung zu machen. Es war schlicht, süß und wunderschön. Ich fühlte mich nur ein wenig schlecht, dass ich ein Sweatshirt trug und keine Lust gehabt hatte, meine Hose wieder zu zu machen, nachdem ich eine Stunde zuvor auf der Toilette war. Ich sagte „Ja" und wir haben uns ungewöhnlich lange umarmt. Dann haben wir eine riesige Käsepizza bestellt und sie zusammen verputzt.

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Während sich unsere Gesellschaft und mit ihr auch die Institution Ehe wandelt, scheint der Heiratsantrag von diesem Wandel vollkommen unberührt zu bleiben.

Wenn ich die Geschichte erzähle, fühle ich mich immer ein bisschen wie ein Drückeberger: Ich hatte zuvor schon ein paar mal versucht, ihm die Frage zu stellen, aber er hat mich jedes Mal nur ausgelacht. „Lass mich das einfach machen!", meinte er immer. „Das ist ziemlich altmodisch und dumm, aber ich will derjenige sein, der fragt."

Ich habe mit mehreren Frauen gesprochen, die um die Hand ihres Partners angehalten haben (oder es zumindest versucht haben) und habe festgestellt, dass Federline und mein Verlobter nicht die einzigen waren, die so dachten. Frauen, die sich gegen Konventionen sträuben, die Dinge selbst in die Hand nehmen wollen oder einfach selbst eine Entscheidung treffen wollen, anstatt weiter abzuwarten, stoßen selbst bei den feministischsten Männern meist auf wenig Gegenliebe—und das nur, weil es irgendwelche uralten Traditionen gibt, bei denen es ursprünglich um die Mitgift oder Grundstücksverhandlungen ging. Viele der Frauen, mit denen ich gesprochen habe, haben gesagt, dass sich ihr Partner erstaunlicherweise ziemlich entmannt gefühlt hat, als er den Antrag bekommen hat und dass vielen von ihnen in dem Moment, als sie es aus dem Mund ihrer Freundin gehört haben, bewusst wurde, dass sie die Frage lieber selbst gestellt hätten. Obwohl es meinen persönlichen Überzeugungen—und sicherlich auch denen der meisten Männer—widerspricht, scheint ein Heiratsantrag eben doch Sache der Männer zu sein.

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Das scheint sich auch mit dem Gefühl der breiten Bevölkerung zu decken. Die Leute scheinen generell wenig begeistert von dem „umgekehrten Heiratsantrag". Laut einer Umfrage von Elitepartner mit rund 7.000 Teilnehmern sagen drei Viertel der Frauen, dass der Mann den Antrag machen sollte und auch 57 Prozent der Männer bevorzugen das traditionelle Mann-fragt-Frau-Modell. Bei einer Studie mit 300 heterosexuellen Studenten der Universität von Santa Cruz sagten zwei Drittel der Teilnehmer, dass sie „definitiv" wollen, dass der Mann den Antrag macht. Nur ein verschwindend geringer Prozentsatz der Frauen (2,8) sagte, dass sie sich „irgendwie" vorstellen könnten, den Antrag zu machen. Von den Männern wollte das hingegen keiner. Nicht ein einziger Student—weder unter den Männern noch unter den Frauen—sagte, dass „definitiv" die Frau den Antrag machen sollte.

Nach einem irischen Brauch dürfen Frauen Männern nur am 29. Februar einen Antrag machen. Der Brauch geht zurück bis ins Mittelalter, als der Schalttag eine Art Auszeit von der sozialen Ordnung war—ein seltsamer, zusätzlicher Tag im reglementierten Kalenderjahr. Aber die Tradition war eher ein Scherz als eine Gelegenheit für Frauen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Auf historischen Zeichnungen und Abbildungen zu dem Schalttagsbrauch sieht man verzweifelte, hexenartige Frauen, die ihre Klauen in Männer schlagen, um sie in irgendeine Art eheliche Grotte zu zerren. In einigen Teilen Europas müssen Männer, die den Antrag am Schalttag annehmen, ihrer Zukünftigen zwölf Paar Handschuhe kaufen, damit man nicht sehen kann, dass sie keinen Verlobungsring hat.

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Selbstverständlich hat sich das Eheleben seit der Zeit, in der Leute noch nach alten Legenden gehandelt haben, stark verändert. Insgesamt heiraten immer weniger Menschen in Deutschland und dem restlichen deutschsprachigen Raum. Im Vergleich zu 1961 hat sich die Zahl der geschlossenen Ehen fast halbiert. Wenn Leute heiraten, dann oft erst sehr viel später, wenn beide Partner finanziell abgesichert sind und bereits längere Zeit zusammen gelebt haben. Insgesamt sind Ehen längst zu einem bürgerlichen Ritual mit einem Verfallsdatum von ungefähr acht Jahren geworden. Der einstige romantische Zauber von der Entscheidung, den Rest seines Lebens miteinander zu verbringen, ist dabei immer mehr verloren gegangen. Und dennoch halten wir an den althergebrachten Verlobungstraditionen, dass der Mann mit einem Diamanten auf die Knie geht, weiter fest.

Katherine, 32, hat um die Hand ihres heutigen Ex-Mannes angehalten—ganz im Stil der 2000er: Über die Videoleinwand während eines Baseball-Spiels. „Ich habe nur gezögert, es so öffentlich zu machen", sagt sie. „Ich hätte ihm keinen Antrag gemacht, wenn ich mir wegen seiner Antwort unsicher gewesen wäre. Aber rückblickend muss ich sagen, dass ich erst ungefähr zwei Minuten vor dem Antrag darüber nachgedacht habe, dass er ‚Nein' sagen könnte."

Aber er sagte „Ja" und die beiden heirateten ein paar Monate später. „Jeder meinte, es sei eine tolle Geschichte", sagt sie. „Erst Jahre später habe ich negative Reaktionen bekommen—aber niemals von Freunden oder Leuten, die mir nahe stehen, sondern immer nur von Fremden." Meistens hat Katherine zu hören bekommen, sie wäre „verzweifelt" gewesen oder ihr Mann sei ein „Handtaschenträger". Einige sind sogar so weit gegangen, dass sie den ungewöhnlichen Antrag als Grund für die Scheidung drei Jahre später gedeutet haben. „Die Leute haben immer den Eindruck, dass das Ende einer Beziehung zwangsläufig bedeutet, dass die Beziehung gescheitert ist, weshalb es in ihren Augen auch immer einen Grund dafür geben muss", sagt sie. „Und ich denke, viele glauben, dass ich zu verzweifelt gewesen wäre oder zu sehr die Hosen angehabt hätte."

Der materialistischste Bestandteil des ganzen Brimboriums bleibt in jedem Fall erhalten: der Ring.

Die Reaktionen auf diese eine einfache Geste (dass eine Frau einem Mann einen Antrag macht) stecken voller sexistischer Verallgemeinerungen. Aber schließlich werden Frauen auch schon früh darauf konditioniert—von Disney, ihren Familien oder der Hochzeitsindustrie—, ihr Leben lang hoffnungsvoll auf die Hochzeit hin zu fiebern. Gleichzeitig sollen sie aber nicht selbst die Initiative ergreifen, um sich den Traum von der Hochzeit zu erfüllen. Und von Männern wird erwartet, dass sie Angst vor der Ehe haben—oder sich ihr zumindest so lang wie möglich widersetzen. Wenn sie sich dann doch dazu entschließen, zu heiraten, müssen sie Unmengen investieren—finanziell und emotional—, um diesen außergewöhnlichen Moment männlicher Verwundbarkeit und Emotionalität (am besten öffentlich) zur Schau zu stellen. Wie hoch das Podest ist, auf die wir solche Geschichten stellen, wird allein schon daran deutlich, wie beliebt die Videos von Heiratsanträgen auf YouTube sind: Videos von Flashmobs mit der versammelten Familie, die allesamt Tränen in den Augen haben und der überraschten Braut, die schon unter Schnappatmung leidet, alles aufgenommen aus mindestens drei verschiedenen Winkeln. Wenn die Frau den Antrag macht, werden von ihr ungefähr dieselben Fanfaren erwartet. Dabei gibt es jedoch einen kleinen Unterschied: Wenn sie den Antrag macht, dann müssen sich beide Partner ein Leben lang aufziehen lassen und komische Kommentare von Fremden anhören. Kein besonders guter Deal für keine der beiden Parteien.

Und der materialistischste Bestandteil des ganzen Brimboriums bleibt in jedem Fall erhalten: der Ring. Abgesehen davon, dass diese Tradition von einer Werbefirma ins Leben gerufen wurde, die um 1900 für den Juwelier De Beers gearbeitet hat, scheint sich die heiratende Gesellschaft einfach nicht von diesem antiquierten Brauch trennen zu können. „Ich habe mich gefragt, ob ich mir selbst so einen dummen Ring kaufen muss, obwohl ich eigentlich gar keinen will oder ob ich ihm eine Uhr oder irgendwas anderes kaufen muss", sagt Katherine. Tatsächlich werden Verlobungssymbole für Männer immer beliebter. Das Hochzeitsmekka Etsy bietet hunderte Optionen unter dem Suchbegriff „Verlobungsring für Männer". 2009 hat einer der größten britischen Juweliere, H. Samuel, zum ersten Mal einen Verlobungsring speziell für Männer entworfen: Ein Titaniumring mit einem kleinen Diamanten. Der Ring kostet nur etwas mehr als 90 Euro—viel weniger also als die berühmte Regel von den drei Monatseinkommen, an die sich viele Männer bei der Wahl des Verlobungsrings halten. Sicherlich steht der wachsende Erfolg der Verlobungsringe für Männer auch im Zusammenhang damit, dass immer mehr homosexuelle Paare heiraten. Aber auch Frauen kaufen immer öfter Verlobungsschmuck für Männer.

Es gibt zwar keine genauen Zahlen, aber der „umgekehrte Antrag" scheint Konkurrenz durch den „gegenseitigen Antrag" zu bekommen—ein Antrag, der das Resultat intensiver Gespräche über die Zukunft zweier Menschen ist. Das ist zwar keine Szene für die Videoleinwand, kann aber trotzdem irgendeine Art von Männerschmuck mit einschließen. Im Großen und Ganzen wirkt diese Form des Antrags jedoch sehr viel moderner, ohne dass die Romantik dabei verloren geht. Und wer besonders emanzipiert wirken möchten, kann anschließend für die Pizza zahlen.