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Dating

Ich habe beim „Kakao-Dating” nach Liebe gesucht – und Durchfall bekommen

Ich war beim Kakao-Dating und habe mich dort auf die Suche nach süßer, süßer Liebe gemacht. Die anderen Teilnehmer wirkten trotz der ganzen Entspannungsübungen allerdings trotzdem relativ aggressiv.
All photos by Alice Zoo

Kakao schmeckt nach Kreide und hat angeblich eine stark abführende Wirkung. Ein bisschen wie billiges Kokain. Kein Wunder also, dass das braune Pulver kürzlich zur angeblichen neuen In-Droge in Berliner Clubs ausgerufen wurde. Vielleicht kommt daher auch die Annahme, Kakao würde Menschen schneller einander nahe bringen—irgendeine soziale Komponente muss er in jedem Fall haben, sonst würde ich mich nicht auf dem Weg zu einer Kakao-Dating-Nacht befinden.

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Organisiert wird das Ganze von den Londoner Dating-Experten Shhh Dating und als erwiesener Dauer-Single der Broadly Redaktion wurde ich auserwählt, die ungewöhnliche Veranstaltung unter die Lupe zu nehmen. „Mach unbedingt ein Foto, wie du den Kakao schnupfst!" ruft mir meine Kollegin ZIng zum Abschied zu.

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Bedauerlicherweise verfahre ich mich und als ich ankomme, steht der Kakao schon leise blubbernd auf einer mobilen Herdplatte. Die Veranstaltung findet im Farmopolis statt, das sich selbst als „DIE Adresse für moderne, urbane Gartenkultur" bezeichnet. Tatsächlich sieht es aber aus wie ein ganz gewöhnliches Restaurant, an das ein paar Gewächshäuser angebaut wurden. Ich betrete den holzvertäfelten Raum und nehme auf einem in Plastik gewickelten Heuballen Platz. Auf einer kleinen Bühne sitzt ein ernst dreinblickender Mann, der mit überschlagenen Beinen und voller Inbrunst Flöte spielt.

Alle Fotos: Alice Zoo

Ich stelle mich bei dem Gründer von Shhh Dating, Adam Taffler, vor. Taffler sieht ebenfalls sehr ernst aus, trägt dazu aber eine mit Juwelen besetzte Mütze und einen spektakulär aussehenden Bart. Er sieht mich durchdringend an—wie ein Ladendetektiv, der eine Gruppe junger Mädchen in der Kosmetikabteilung verfolgt. Ich frage ihn, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse hinter dieser ganzen Veranstaltung stecken.

„Heute Abend geht es nicht um Wissenschaft. Es geht um ein Ritual und um Selbstwahrnehmung. Es geht darum, ein Gefühl für unseren Körper zu entwickeln. Es geht darum zu erkennen, was wir über uns selbst denken, was wir mögen und was wir nicht mögen und uns von dieser Erkenntnis führen und öffnen zu lassen", sagt Taffler. Der Kakao ist seiner Meinung nach „lediglich das Tor zu dieser Erkenntnis."

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Adam Taffler

Ich muss an meine ganz persönliche Dating-Erfahrung denken, nach der alles besser wird, wenn man mit Alkohol nachhilft.

„Alkohol führt oft dazu, dass wir uns verstecken, unsere Hemmungen verlieren und gewisse Seiten an uns verbergen. Ich bin der Ansicht, dass das ein großes Problem von modernem Dating ist", widerspricht Taffler. „Man lernt nicht die wahre Person kennen und ist später enttäuscht. Die Beziehungen meiner Gäste halten in der Regel länger."

Unser Gespräch ist bald vorbei, denn es wird Zeit für ein paar Aufwärmübungen. Taffler stellt meine Fotografin Alice und mich der Gruppe vor, die aus insgesamt 30 Leuten besteht. Verständlicherweise ist nicht jeder von der Vorstellung begeistert, dass seine Dating-Bemühungen von einer Journalistin und einer Fotografin dokumentiert werden.

„Für welche Publikation arbeitest du?", fragt mich jemand.

„VICE", antworte ich.

Ich vernehme ein deutlich hörbares Stöhnen.

„Ist hier jemand, der nicht fotografiert werden möchte?", fragt Alice.

80 Prozent der Hände gehen nach oben. Eine besonders unentspannt wirkende Frau mit braunen Haaren und einer Lederjacke schaltet sich ein.

„Vielleicht könntest du nach der Veranstaltung ein paar nachgestellte Situationen fotografieren?"

„Ich könnte die Gruppe auch ohne Gesichter fotografieren", schlägt Alice höflich vor.

Die unentspannte Frau wiederholt ihre Frage aggressiver. Das war ganz offensichtlich kein Vorschlag, sondern ein Befehl. Wir fügen uns. Der ernst dreinblickende Typ mit der Flöte spielt noch ein bisschen Weltmusik.

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Wir fangen mit ein paar Vorstellungsübungen an. Wir laufen herum, stellen Augenkontakt her und schütteln uns gegenseitig die Hand. Anschließend gehen wir zu anderen Formen der Begrüßung über: Luftküsse und Namastes. „Namaste", murmele ich einem Mann mit einem roten Schnurrbart zu. „Namaste", Frau mit der perlenverzierten Flechtfrisur.

Die Begrüßungsrunde ist vorbei. Es ist Zeit, gemeinsam anzukommen.

„Ich möchte, dass ihr euch einen Moment Zeit nehmt, um anzukommen", erklärt Taffler. „Lasst uns ein paar Mal tief durchatmen. Lasst euren Atem aus euch herausströmen."

Ich atme intensiv aus.

Ich gehe nach jeder Übung davon aus, dass wir zum eigentlichen Teil des Abends übergehen: dem Dating. Doch wie sich später herausstellte, sind die Übungen abendfüllender Bestandteil der Veranstaltung. Nach einer Klatschübung, die ich bis jetzt nicht verstanden habe, spielen wir Sprungspiel.

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„Teilt euch in Gruppen auf und versucht, alle gleichzeitig hochzuspringen", sagt Taffler. Wir springen gemeinsam in die Luft wie eine 90er-Jahre Boygroup, die für ihre erster Covershooting posiert. Anschließend hüpfen wir noch ein bisschen weiter auf der Stelle, nur dieses Mal in größeren Gruppen. Ein paar der Teilnehmer sind noch immer am Klatschen. Wir sehen aus wie eine Gruppe von Erstklässlern, die noch ein paar Spiele spielt, bevor es Zeit wird, nach Hause zu gehen.

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Als nächstes sollen wir uns einen Partner suchen und ein bisschen Kung Fu üben. „Berühr deinen Gegner so leicht wie möglich an einer angemessenen Stelle", erklärt uns Taffler. Ich schlussfolgere daraus, dass ich niemandem in den Schritt greifen soll.

Ich tue mich mit einer kleinen Frau mit einem kurzen blonden Pixie zusammen. Sie tippt mir leicht auf die Schulter und lacht. Eine Welle unkontrollierbaren Konkurrenzdenkens überkommt mich und ich klatsche ihr (versehentlich) einmal voll auf die Stirn. Es tat mir zwar unglaublich leid, aber rückblickend war es der befriedigendste Moment des ganzen Abends.

Anschließend spielen wir ein Spiel, bei dem man der Hand seines Gegenübers folgen muss. Mein Partner dreht sich mit ausgestrecktem Arm um sich selbst, während ich seiner Handfläche nachjage. „Mir wird schwindelig", jammere ich. Er lächelt gleichmütig und wirbelt weiter herum. Als ich an der Reihe bin, lasse ich ihn flach auf den Bauch liegen und über den Boden kriechen, während ich wie eine Wahnsinnige lache. „Ich finde es nicht so toll, wenn du dran bist", sagt er.

Endlich ist es Zeit für ein wenig Kakao. Wir stellen uns im Kreis auf. Der ernst dreinblickende Flötenmann wechselt mühelos zu etwas Stammesmusik. Ich fühle mich, als würde ich mich an einer Amazonas-Wildwasserbahn im Disneyland anstellen. Der Kakao wird verteilt.

[In diesem Moment beschwert sich die unentspannte Frau wieder und Alice muss ihre Kamera wegpacken. Deswegen gibt es kein Foto von mir beim Kakaotrinken.]

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Taffler erklärt, dass es sich um einen sehr hochwertigen Kakao handelt, den er von einem Mann namens Keith bekommt. Es gibt auch noch Honig zum nachsüßen. Ich möchte mir schnell etwas aufschreiben, aber irgendwer fängt an zu meckern, dass ich zu viele Notizen auf meinem Telefon mache. Trotz all der Spiritualität wirkt der Stamm überraschend aggressiv.

Bevor wir unseren Kakao trinken dürfen, müssen wir eine sogenannte Kakao-Zeremonie abhalten. Wir schließen gehorsam unsere Augen.

Soweit ich das verstanden habe, besteht die Kakao-Zeremonie daraus, dass uns Taffler dazu auffordert, uns auf irgendwelche beliebigen Körperteile zu konzentrieren und uns selbst zu fragen, wie sie sich anfühlen. Spoiler alert: Egal, wie sie sich anfühlen, es ist immer OK. Beispiel gefällig?

„Ich lade dich ein, dich auf deinen Solarplexus zu konzentrieren. Wie fühlt er sich an?"

[Regenwaldmusik.]

„Wenn er weh tut, ist das in Ordnung."

[Ich denke darüber nach, wo genau sich mein Solarplexus befindet.]

„Wenn er sich ganz normal anfühlt, ist das auch in Ordnung."

Das geht eine gefühlte Ewigkeit so weiter, bis Taffler endlich die Körperteile ausgehen. Als nächstes sollen wir an unserem Kakao riechen. Meiner riecht köstlich—leicht würzig und kräftig—und schließlich dürfen wir ihn auch tatsächlich trinken.

Der Kakao ist nur noch lauwarm. Ich trinke ihn trotzdem.

Anschließend wird wieder gespielt. Bei dem Großteil der Spiele geht es darum, sich anzustarren, zu umarmen oder sich anzustarren, während man sich umarmt. Ein älterer Mann legt seine ausgestreckte Handfläche auf meine, während er mir tief in die Augen sieht. Ich verspüre eine plötzliche Welle der Empathie für ihn. Diese Geste ist ungefähr genauso intim wie eine Vorsorgeuntersuchung beim Frauenarzt oder Marina Abramović' Performance im MoMa aus dem Jahr 2010.

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Nach noch mehr Spielen (unter anderem auch einem, bei dem man aneinander riechen muss) ist der Abend dann irgendwann vorbei und es wird Zeit, nach Hause zu gehen. Bevor wir gehen dürfen, bittet uns Taffler noch, ein Oval des Glücks zu bilden. Wir stellen uns brav nebeneinander. Beim Rausgehen bemerke ich, dass sich tatsächlich ein paar Pärchen gebildet haben—vielleicht hat das ganze Hüpfen und Starren ja doch was gebracht.

Draußen an der frischen Herbstluft setzt dann auch schließlich die Wirkung des Kakao ein. Ich fühle mich eigenartig aufgekratzt … aber da ist noch etwas. Mein Bauch rumort unheilvoll.

Ich begebe mich auf eine weitere Suche—aber nicht nach Liebe, sondern nach einer Toilette.