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gesellschaft

Ich habe eine Woche in einem Bordell gelebt

Ich habe eine Woche in der weltberühmten Moonlite Bunny Ranch verbracht, wo die Prostituierten arbeiten, leben, essen und zu Britney Spears Karaoke singen.
Alle Fotos: Amy Lombard

Tag 1

Auf unserem Flug nach Reno riechen die Leute nach Casino und Kaugummi. Gemeinsam mit der Fotografin Amy Lombard bin ich auf dem Weg zu der weltberühmten Moonlite Bunny Ranch, um dort eine Woche lang zu leben.

Ich bin schwul (ich habe mal mit einer Frau geschlafen und hatte schon nach 30 Sekunden keinen Ständer mehr), aber ich habe immer davon geträumt, eines Tages die Bunny Ranch zu besuchen. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass ich als Kind von Cathouse aufgeklärt wurde—einer Reality-Show auf HBO, in der es um das Bordell, seine Sex-Arbeiter und seinen Besitzer, Dennis Hof, ging. Hof gehören die meisten legalen Bordelle in ganz Nevada. Er führt das Geschäft gemeinsam mit Madame Suzette, die als COO für die Bordelle tätig ist. Die klassischen Hollywood-Blondinen und die weite Wüste von Nevada ließen die Bunny Ranch, so wie sie in der Fernsehserie gezeigt wurde, wie ein Paradies wirken: ein künstlicher Zufluchtsort vor der Realität, an dem jeder willkommen ist—sogar Männer, die überhaupt kein sexuelles Interesse an den Körperöffnungen von Frauen haben. Die Bunny Ranch ist mein persönliches Britney-Spears-Musikvideo aus der Zeit, als es noch Musikcharts gab … mein Disneyland.

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Meine Träume wurden wahr, als Dennis gerade drauf und dran war, sein Buch zu veröffentlichen—seine Memoiren mit dem Titel The Art of the Pimp. Ich kenne seine Verlegerin Judith Regan—die legendäre (manche würden auch sagen berüchtigte) Verlegerin, die der Welt Wicked und OJ Simpsons If I Did It gebracht hat—und sie sagte Dennis, dass ich A) vertrauenswürdig bin und B) einen exzellent schlechten Geschmack habe. Also erklärte er sich bereit, Amy und mich für eine Woche auf der Bunny Ranch leben zu lassen.

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Dennis ließ uns einen Wagen kommen, um uns abzuholen. Judith hat mir vorab geraten, genug Handdesinfektionsmittel einzupacken, deswegen erwartete ich eigentlich einen spermaverklebten Bumsbus. Entsprechend überrascht bin ich, als wir am Flughafen von Reno ankommen, wo schon eine schwarze Stretchlimousine auf uns wartet. Dennis hatte den Wagen extra mit Champagner-Gläsern und Red Bull ausstatten lassen.

Auf dem Weg zur Bunny Ranch kommen wir an Pinocchio's Bar and Grill, einem Einkaufszentrum mit einem OfficeMax und einer großen Reklametafel mit der Aufschrift „Shocked" vorbei. Noch befanden wir uns mitten im amerikanischen Alltag, doch noch im selben Moment, als wir vor dem Bordell anhalten, beginnt die Realität zu verblassen. R&B-Musik dröhnt aus den versteckten Lautsprechern. Die blass gelben Wände und das pinke Schild der Bunny Ranch leuchten in den Scheinwerfern der Limousine. Ein weißer Palisadenzaun begrenzt das Grundstück.

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„Ich wusste nicht, dass es weiße Palisadenzäune wirklich gibt!", denke ich. „Die kenne ich sonst nur aus Filmen wie Sein Freund Jello, Ein Champion zum Verlieben oder irgendeinem anderen Disneyfilm!"

Auch die Inneneinrichtung wirkt surreal: Stühle aus rotem Plüsch und weiße offene Kamine neben der Bar. Mein Zimmer ist sogar noch schicker eingerichtet: zwei Flachbildfernseher, zwei Ledersofas, ein Holzbett und noch mehr offene Kamine.

Ich lege mein Gepäck ab und eile zurück zur Bar. Während ich an meinem Red Bull nippe, treffe ich zwei übergewichtige Freier, die beide ein weißes Bunny-Ranch-Shirt tragen. Ich frage sie, ob irgendetwas nicht in Ordnung sei. Sie zeigen auf die Schilder vor mir, auf denen die Namen von zwei der berühmtesten Sex-Arbeiterinnen stehen, die auch in Cathouse auftreten: Air Force Amy und Brooke Taylor.

Sie haben heute ihren berühmten freien Abend.

Tag 2

Am nächsten Morgen holt uns Dennis gut gelaunt und ziemlich früh ab, um uns herumzuführen. Er trägt ein graues Smokinghemd. Seine Glatze glänzt in der Wüstensonne, während er mit uns von der Bunny Ranch aus zu einer Reihe von angrenzenden Bordellen fährt. Während der Rezession hat er viele seiner Konkurrenten aufgekauft—insgesamt fünf Bordelle. Heute ist es Eigentümer der Sagebrush Ranch, der Love Ranch und vieler weiterer Ranches, die nebeneinander in einer Sackgasse liegen.

Wir machen an der Sagebruch Ranch halt, um dort in der riesigen Küche, die mit mehreren weißen Tischen und Kühlschränken ausgestattet ist, zu frühstücken. Eine mexikanische Frau macht uns ein fantastisches Omelette, während Dennis über seine beiden Leidenschaften plaudert: Die Geschichte der Bordelle Nevadas (er sagt, die Bordelle seien in Nevada Teil der Kultur, weil die Bergleute im 19. Jahrhundert eine Leidenschaft für Glücksspiele und Prostituierte hatten) und das Ende des Menschenhandels durch die Legalisierung von Prostitution. Er erzählt uns, dass die Kinder in Nevada damit aufwachsen, dass ihre Mütter ihr Geld damit verdienen, Bordelle zu putzen und sehen, dass legale Bordelle zu unserer Wirtschaft beitragen. (Er behauptet von sich selbst, der lukrativste Steuerzahler seines Countys zu sein, wegen all der Steuersünder in Nevada.)

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„Der beste Weg [Prostitution zu legalisieren] wäre es, die Bunny Ranch als Vorbild zu nehmen und dieses Konzept überall in Amerika anzuwenden und Bordelle [über die Steuer] in Profitzentren zu verwandeln", sagt er. „Geld wäre das Einzige, was die Leute [von der Legalisierung] überzeugen würde."

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Mit seinem monetären Blick auf die Welt, seiner Leidenschaft für die Americana und seinem kahlen Kopf erinnert mich Dennis an meinen biologischen Vater—ein sehr reicher, sehr kahler Geschäftsmann, der eine Welpenfarm besitzt und nie mit mir spricht. Ironischerweise bleiben mehrere Frauen während dem Essen an unserem Tisch stehen und nennen Dennis Daddy. Immer wenn sie Dennis küssen, beginne ich mich etwas unwohl zu fühlen. Ich denke kurz darüber nach, ihn ebenfalls Daddy zu nennen. Es ist eine meiner Fantasien, einen Vater zu haben, der mich liebt—also wortwörtlich liebt, nicht sexuell—, aber ich versuche, professionell zu bleiben.

Eine der Frauen weigert sich allerdings, Dennis Daddy zu nennen: seine Freundin Krissy Summers. Sie schwebt mit klackernden Absätzen in den Raum. Ihre langen blonden Haare reichen ihr bis zu ihrem schwarzen Minirock. Sie küsst Dennis und setzt sich neben ihn. Sie legt etwas pinken Lippenstift auf und stellt ihre Louis-Vuitton-Tasche auf ihren Schoß. Als ich sie später frage, warum sie ihren Freund nie Daddy nennt, muss sie lachen.

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„Das letzte Mal, als ich nachgesehen habe, hieß mein Vater noch Bill. Ich nenne Dennis nicht Daddy", sagt sie. „Kommt das auch in deinen Artikel? Mein Vater ist vor zwei Jahren gestorben, aber du kannst das gerne schreiben, wenn du willst."

Zum Abendessen nimmt uns Dennis mit über die Straße ins Bunny Ranch Restaurant—ein Fast-Food-Restaurant mit First-Class-Atmosphäre. Auf den Tischen stehen Steaksauce und Blumen. Hof stellt uns ein paar „seiner Mädchen" vor. Außerdem treffen wir einige Kunden der Bunny Ranch, unter anderem auch den berühmten Komödienschreiber Boby Zmuda, der Der Mondmann produziert und für Andy Kaufman gearbeitet hat. Zmuda trägt einen blauen Rollkragenpullover und einen stattlichen weißen Schnauzer. Er sagt immer wieder, dass Kaufman seinen Tod nur vorgetäuscht hätte, doch genau wie bei der Bunny Ranch kann ich nicht so genau sagen, wo die Realität beginnt und endet.

Tag 3

Auf der Bunny Ranch gibt es strenge Vorschriften einzuhalten. Einmal in der Woche stellen sich die Frauen an, um sich in einem Trailer vor Ort auf Drogen und Geschlechtskrankheiten testen zu lassen. Wenn sie den Test nicht bestehen, müssen sie das Bordell verlassen. Eine blonde Sex-Arbeiterin namens Christina trägt tatsächlich nur Schlappen und einen Bademantel, aber die meisten Frauen tragen ganz normale Arbeitsklamotten oder ganz schlicht Jeans. Als ich Christina mein Diktiergerät unter die Nase halte, spricht sie mit einer extrem kindlichen Stimme—wenn ich es ausmache, hat sie eine tiefe, fast vibrierende Stimme.

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Der Trailer hat die Ausstrahlung eines Pausenraums. Air Force Amy stürmt verspätet herein. Sie ist eine Prostituierte mittleren Alters, die mit Abstand am meisten Geld verdient. Sie trägt ein umwerfendes Kleid mit Gepardenmuster. „Verdammte Scheiße!", brüllt sie. „Ich will diese britischen Dollar nicht!" Eine andere Amy kommt ebenfalls verspätet rein: „Ich wurde angehalten, aber [der Bulle] hat mich gehen lassen, nachdem ich ihm gesagt habe, wo ich arbeite", erzählt sie.

Jede Frau verlässt den Trailer mit einem gelben Blatt Papier in den Händen. Ich begleite eine der Frauen in ihr Zimmer. Ihr Name ist Nene. Sie kommt aus Michigan und ist noch neu hier. Sie lebt in einem riesigen Zimmer. Ihre Koffer sind noch nicht vollständig ausgepackt. Mit ihren kurzen schwarzen Haaren erinnert sie mich an Hilary Swank, aber Dennis hat ihr lange Extensions gegeben. Wenn sie sie ansteckt, verwandelt sie sich in eine 80er-Jahre-Brünette aus dem Penthouse. Sie sagt mir, dass ihre Familiengeschichte tabu ist, aber „Du kannst ein Foto von meinem Vibrator machen." Sie stolziert vor mir durch den Raum.

„Ich laufe wie ein Pferd, oder?", fragt sie. „Sei ehrlich!"

Ich sage ihr, dass sie großartig aussieht, weil sie mit den Extensions wirklich gut aussieht, obwohl sie sonst recht seltsam aussieht.

In einem Zimmer im Garten posiert Krissy für einen Fotografen von Penthouse, einem Mann mittleren Alters mit einer Baseballmütze. Bevor sie sich auszieht, trägt sie Reizwäsche und Uggs. Sie springt auf dem Bett herum. „Ich hüpfe", ruft sie. Der Penthouse-Fotograf sagt ihr: „Sei sexy. Es geht nicht darum zu posieren." Er will, dass sie „natürlich" aussieht. Penthouse versucht, die Frauen so aussehen zu lassen, als hätten nun mal einfach zufällig riesige Brüste. Krissy hat allerdings Schwierigkeiten damit, normal auszusehen.

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Als ich ein paar Stunden später wieder durch den Garten komme, treffe ich Nene, die auf einem Liegestuhl am Pool liegt. Ihr Bauch wird von einem Korsett eingeschnürt und ihre Extensions hängen ihr vom Kopf, was sie in die fantastische Version einer Frau verwandelt. Sie erinnert mehr an eine Meerjungfrau als an eine junge Frau, die gerade aus dem Flieger aus Michigan gestiegen ist. Sie zeigt auf die Lücke zwischen meinen Oberschenkeln und schreit. „Ich habe dir nachspioniert", sagt sie neckisch.

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Einige Stunden später sagt uns Dennis, dass wir uns mit ihm im Wohnzimmer treffen sollen, um in die Stadt zu fahren und Sushi essen zu gehen. Nene, Krissy und noch ein anderes neues Mädchen kommen ebenfalls mit uns. Christina kommt vorbei und gibt mir einen Klaps auf den Hintern. „Ich wollte sehen, ob ich damit durchkomme, einem schwulen Mann einen Klaps auf den Po zu geben", sagt sie und erklärt mir, dass ich jetzt eine ihrer Fantasien bin—eine Herausforderung. Krissy kommt rein und sagt mir: „Schau nicht auf meine Muschi!" Sie erklärt mir, dass sie ihre Unterwäsche wechseln wollte, aber dann hat sie einfach entschieden, „einen auf Britney zu machen."

Als Dennis kommt, fängt Nene sofort an, ihm in den Arsch zu kriechen: „Es ist etwas Gutes, wenn man Hund genannt wird", sagt sie zu ihm. „Das heißt, dass man der beste Freund eines Mannes ist."

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Im Auto fragt Krissy Nene, wo sie herkommt. Sie sagt: „Flint, Michigan." Krissy schnappt nach Luft. Sie kommt auch aus Michigan.

„In Flint gibt es eine Stripperin mit nur einem Bein", sagt Nene.

„Flint ist die Stadt mit den meisten Morden auf der ganzen Welt!", sagt Krissy und lacht.

Wir gehen in ein traditionelles Sushi-Restaurant in der Stadt. Es befindet sich in einem Einkaufszentrum, direkt neben Starbucks und irgendeinem Obstladen. Unsere Gruppe wirkt wie die Vorstadtfamilie, die ich niemals hatte. Dennis hatte in der Vergangenheit ebenfalls familiäre Probleme. In seinen Memoiren erzählt er, wie seine Töchter in den 80er-Jahren sein Bankkonto geplündert und das Land verlassen haben, bevor er Anfang der 90er-Jahre sein erstes Bordell gekauft hat.

Sie haben immer wieder versucht, Kontakt mit ihm aufzunehmen und haben in der Bunny Ranch angerufen, aber er hat ihre Anrufe einfach ignoriert. Vor einigen Monaten kam eine seiner Töchter in einem Casino auf ihn und Krissy zu, erzählt Krissy. Er hat sich aber geweigert, auch nur Hallo zu sagen. Da ich selbst nicht mit meinen biologischen Eltern spreche, tut mir Dennis wirklich leid. Er braucht die Leute, die ihn Daddy nennen, genauso sehr, wie ich jemanden brauche, den ich Daddy nennen kann.

Dennis weiß, dass die Fantasie keine Probleme lösen kann, aber sie kann uns zumindest helfen, mit unseren Problemen zurechtzukommen. Nach dem Abendessen fahren wir zurück zur Bunny Ranch und trommeln alle zusammen, um in Dennis' Stripclub zu fahren, der in derselben Straße wie seine Bordelle liegt. Madame Suzette, die Anstandsdame der Bunny Ranch, hat das Lokal entworfen und es mit einem riesigen falschen Eiffelturm ausgestattet. Er strahlt die Romantik eines Bordells aus. Die Sexarbeiterinnen scherzen darüber, dass sie Sex mit mir haben könnten, solange ich da bin. Ich erkläre ihnen, dass ich schwul bin. Dennis und einige seiner Mädchen setzen sich direkt vor die Bühne. Eine der Frauen steigt auf die Bühne und fängt an zu strippen. Es spielt „Need You Now" von Lady Antebellum. Als wir aus dem Stripclub rauskommen, meint eine der Sexarbeiterinnen zum Scherz: „[Ein Stripclub neben einem Bordell ist] wie Mexikaner, die versuchen, sich mit legalen Einwanderern zu messen!"

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Tag 4

Ich werde von einer Nachricht von Dennis geweckt: „Heute ist Cowboy-Abend in der Küche." Ich schlendere in die riesige Küche, die Ähnlichkeit mit der Kantine einer katholischen Schule hat und finde dort schüsselweise Tortillas vor. Eine mexikanische Frau bereitet in Speck gewickeltes Hühnchen und Reis mit Bohnen vor. Ich nehme mir einen Teller und setze mich in eines der Esszimmer, das ebenfalls Ähnlichkeit mit einer katholischen Kirche hat. Es schmeckt köstlich. Neben mir sitzen drei Sexarbeiterinnen, die mit dem Penthouse-Fotografen essen und pausenlos quasseln.

„Ich sage ihm immer, dass er den größten Schwanz hat", lacht eine. „Ooh! Ooh! Du hast den größten Schwanz!"

Ich folge einer Sexarbeiterin namens Amy Page auf ihr Zimmer. Sie trägt einen langen weißen Bademantel. Auf ihrem Schreibtisch stehen DVDs wie American Splendor, Transamerica, Art School Confidential und viele mehr.

„Ich bin aufs College gegangen, um Grafikdesign zu studieren, aber ich mochte das College einfach nicht. Ich habe meine Kunstkurse geliebt, aber Chemie, Algebra und Englisch habe ich gehasst", erklärt sie in einem Südstaaten-Slang. „Ich bin das schwarze Schaf, was witzig ist, weil ich immer der Liebling der Familie war."

Wenn sie nicht arbeiten muss, ist sie zu Hause bei ihrem fünfjährigen Sohn, den sie alleine großzieht. Sie arbeitet nur ein paar Mal im Jahr zwei Wochen im Monat und verdient umgerechnet zwischen 61.000 und 74.000 Euro im Jahr—genug, um ihren Sohn großzuziehen. Wenn sie mal eine Pause hat—was nur selten vorkommt—, spielt sie Lego oder sieht sich auf YouTube Videos über Verschwörungstheorien an. Sie warnt mich vor der „schwarzen Regierung", die heimlich Amerika regiert.

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„Sie halten uns mit dem Fernsehsender E! auf Trab", sagt sie.

Amy Page wuchs in wohlhabenden Verhältnissen auf. Ihr Vater war Labortechniker und ihre Mutter Börsenmaklerin. Sie hat davon geträumt, eine berühmte Künstlerin zu werden. Vor vier Jahren hat sie dann die Bunny Ranch im Fernsehen gesehen. Sie hat ihrem Vater gesagt, dass sie dort als Prostituierte arbeiten möchte und er hat ihr Koffer und ein Flugticket gekauft.

„Ich glaube, er ist stolz auf mich, weil viele Frauen in seiner Familie Sex nutzen, um Macht auszuüben", sagt sie. „Oma hat sich Macht über Sex geholt. Er hat das Gefühl, dass ich das von [seiner Seite der Familie habe]."

Genau wie Air Force Amy und andere Prostituierte auf der Bunny Ranch sagt auch sie, dass sie schon früh sexuell aktiv war. „Ich hab schon in der Vorschule angefangen zu masturbieren", sagt Amy. „Ich kann mich nur noch daran erinnern, wie ich meine Decke besprungen habe. Ich habe die Decke noch—meine Babydecke, von der ich meinen ersten Orgasmus bekommen habe." Sie zieht eine Decke aus einer der Kisten. „Diese [Decke] war mein erster Freund. Sie drückt die Decke in ihr Gesicht und atmet tief ein.

„Ich bespringe gerne Sachen und liebe den Geruch meiner Muschi", erklärt sie. „Meine Schwestern haben mich oft dabei erwischt und meinten: ‚Amy, lass das. Das ist eklig.' Ich mach es aber bis heute … Ich stecke mir andauernd die Finger in die Hose!"

Der letzte Abend

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An meinem letzten Abend auf der Bunny Ranch treffe ich mich mit Dennis und Krissy in der Lounge zum „Hooker-Karaoke." Am selben Abend hat BuzzFeedThe Dress" veröffentlicht, aber keine der Prostituieren möchte darüber diskutieren, ob sie ein blaues oder ein goldenes Kleid sehen. Im Fantasieland der Bunny Ranch existiert das Internet nicht.

Dennis trägt sein schwarzes „Arbeitshemd"—ein Hemd mit Kragen, auf dem „Bunny Ranch" steht. Er steht mit Molly und Nene, den beiden neuen Sexarbeiterinnen, im Eingangsbereich. Er erklärt ihnen seine Verkaufstechniken—das Haus behält 50 Prozent der Einkünfte der Frauen, dafür machen die Frauen ihre Preise selbst. Er fängt mit dem „Line-up" an. Wenn die Freier reinkommen, stellen sich die Frauen im Gang in einer Reihe auf, sodass er sich eines der Mädchen aussuchen kann.

„Wenn du in der Mitte stehst, müssen sich [die anderen Frauen] einen anderen Platz suchen", sagt Dennis. „In der Hälfte der Fälle geht der Freier nicht mit dem Mädchen aufs Zimmer [das er sich ausgesucht hat]. Frag nicht warum. Sie hat es nicht geschafft, aber du wirst es schaffen." Dennis erklärt ihnen, was sie tun sollen, wenn sich ein Freier nicht für sie entscheidet: Nimm eine strategisch günstige Position ein. Wenn das Mädchen fertig ist, ihn durch das Bordell zu führen, entscheidet er, ob er mit ihr weitermachen möchte. Die Mädchen können ihn natürlich abfangen. „Jeder von ihnen wird dir die Hand schütteln. Wenn er auf dich zukommt, um dir die Hand zu schütteln, umarm ihn, schling deine Arme um ihn und führe ihn", sagt Dennis.

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Ich habe schon Welpenzüchter, CEOs und Studenten von der Wharton School of Business getroffen, aber ich habe noch nie einen so guten Verkaufsmann wie Dennis Hof gesehen. Ironischerweise hält er sich an eine ganz einfache Regel. „Die erste Regel im Verkauf lautet: ABC—always be closing. Das heißt, die beste Zeit zum Verkaufsabschluss ist jetzt."

Krissy sitzt mit Dennis' riesigem Hund Domino in der Ecke. Sie hält ihn an der Leine. „Er will seinen Dad sehen", sagt sie mir. „[Domino ist] sehr manipulativ. Er wickelt dich um den Finger und dann lässt er dich links liegen", sagt sie. Doch Dennis liebt den Hund. Er ist Dennis' einziges Kind—abgesehen von seinen biologischen Kindern, mit denen er seit Jahren nicht gesprochen hat.

„Dennis wird sterben, wenn Domino stirbt", sagt Krissy. Sie runzelt die Stirn. Sie verwandelt sich in Wendy am Ende von Peter Pan, als ihr klar wird, dass sie erwachsen werden und nie wieder zurück ins Nimmerland fliegen wird. „Daran möchte ich überhaupt nicht denken!", ruft sie.

Auf der anderen Seite des Raums singt ein älterer Mann allein Karaoke. Seine Sexarbeiterin Six sitzt neben ihm auf einem roten Sofa und klatscht. Sie kaut Kaugummi.

„Er ist fast immer da", sagt Krissy. „Er ist ein Stammgast."

Krissy freut sich darauf, Karaoke zu singen, weil sie mal „einen Tag Normalität" braucht.

„Ich lebe gerne hier, aber wenn man seine Freunde auf Facebook ganz normale Dinge tun sieht, dann denkt man sich schon manchmal: ‚Ich wünschte, das hätte ich auch'", erklärt sie. „Es hat drei oder vier Monate gedauert, bis ich mich an all das gewöhnt habe."

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Six singt „Genie in a Bottle" für ihren Klienten. Er sieht sie an und singt mit. Er hält einen Stock in der Hand.

„Jeder hier spricht in unterschwelligen Botschaften, wie Figuren aus einem Tennessee-Williams-Roman", denke ich mir.

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Krissy steht auf. Sie möchte, dass ich mitkomme. Ich bin Teil ihrer Fantasie von „Normalität." Ich entscheide mich für „Lady Marmelade." Krissy kennt den Text nicht. Eine Prostituierte namens Christina kommt zu uns und singt mit. Mitten ihm Lied reißt sie ihren Bademantel runter und entblößt ihre schwarze Reizwäsche. Krissy und ich singen „Need You Now" von Lady Antebellum und „White Horse" von Taylor Swift.

Dennis ruft meinen Namen. Er wirft mir ein Höschen und ein Tanktop zu, auf dem groß „Bunny Ranch" steht. Das soll ich anziehen, meint er. Wie eine brave Tochter gehorche ich. So wurde ich „zum ersten männlichen Bunny"—ein Teil der Bunny Ranch. Krissy legt „Every Rose Has Its Thorn" von Poison auf, gefolgt von „Lucky" von Britney Spears. Krissy, Christina und ich schmettern einen Song nach dem anderen. Eine der Frauen zieht an meinem Höschen, wobei meine Schamhaare zum Vorschein kommen. Ich habe mich seit Wochen nicht rasiert, aber in dem Moment ist mir das alles ziemlich egal. Zum ersten Mal in der gesamten Woche—vielleicht sogar zum ersten Mal in meinem gesamten Leben—fühlt sich die Fantasie real an und ich merke, wie sich Freiheit—das Wort, das die Amerikaner so lieben—wirklich anfühlt.

Dann bringt mich Krissy zurück in die Realität.

„She's so lucky", singt sie. „She's a whore, but she cry, cry, cry waiting for the money to come."

„Krissy!", schreit eine der Sexarbeiterinnen schockiert.

„Manchmal sage ich einfach die Wahrheit", sagt Krissy.

Tschüß, Nevada

Als uns am nächsten Morgen die Limousine zum Flughafen abholt, denke ich schon nicht mehr an Krissys Kommentar. Ich muss nur immer wieder daran denken, dass ich vor einer Gruppe Fremder Damenunterwäsche angezogen und mit zwei von Dennis' Mädchen „Lucky" von Britney Spears gesungen habe.

Die Bunny Ranch verkauft eine Fantasie und keine Fantasie ist real—selbst Disneyland ist mit bleihaltiger Farbe gestrichen. Doch genau wie Walt Disney hat auch Dennis Hof eine künstliche Wirklichkeit geschaffen, in der Männer und Frauen für einen kurzen 15-minütigen Blowjob oder ein 24-stündiges Stelldichein zwischen roten Plüschkissen, kitschigem Essen und offenen Kaminen vor der Realität fliehen können. Selbst wenn man—so wie ich—nicht dort ist, um Sex zu haben, kann man dort der Wirklichkeit entfliehen, denn Sexarbeiter sind die unvoreingenommensten Menschen der Welt.

Im letzten Jahr hat die Politik einen Schatten über die künstlichen Wirklichkeiten von Nevada geworfen. Der Menschenhandel ist explodiert, Berühmtheiten haben sich gegen den Plan von Amnesty International, Prostitution zu entkriminalisieren, gewandt und das FBI hat RentBoy.com durchsucht. Sexarbeiterinnen (und auch Sexarbeiter) und die Fantasien, die sie erschaffen, wurden für schreckliche Verbrechen verantwortlich gemacht, wobei sie eigentlich nur einen Zufluchtsort vor der Realität bieten und sich sonst mit dem gleichen Mist rumschlagen müssen, mit dem wir uns alle tagtäglich rumschlagen müssen.

Dabei könnte jeder von uns mal einen Ausflug ins Bordell vertragen, um dem Alltag nur einen Augenblick lang zu entkommen.