Ich habe mich als YouTube-Star ausgegeben, um ihr Erfolgsgeheimnis zu verstehen
Nicht die Autorin. Foto: Video Con Vienna | Andreas Tischler

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Ich habe mich als YouTube-Star ausgegeben, um ihr Erfolgsgeheimnis zu verstehen

YouTuber sind ein Phänomen, das oft belächelt wird. Fakt ist: Diese Leute erreichen unter 20 schon mehr junge Menschen als jedes Jugendmagazin. Ich war auf der Vienna Comic Con um herauszufinden, wie die Szene tickt und was Digital Influencer so...

YouTuber werden ja allgemein ein bisschen belächelt – zumindest von Menschen, die die Videoplattform nicht als Informationskanal verwenden und sich höchstens mal das neueste Drake-Video anschauen. Menschen wie mir. Ich mache mir nichts aus Life Hacks, Pranks und irgendwelchen Challenges. Mich interessieren Beauty-Blogger nicht und ich hatte bis vor kurzem auch keinen Schimmer von DagiBee, LeFloid und Konsorten. Trotzdem: Am Phänomen YouTuber kommt man nicht vorbei. Deswegen habe ich beschlossen, es wirklich wirklich verstehen zu wollen, bin auf die Vienna Comic Con gegangen und habe mich als YouTuberin ausgegeben. Wenn ich das System infiltriere, würde ich vielleicht verstehen, warum Webvideo-Stars so wahnsinnig beliebt sind. Und wer weiß: Vielleicht könnte ich dem ein oder anderen YouTuber noch ein Erfolgsgeheimnis entlocken?

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Schon beim Betreten der Wiener Comic Con fühle ich mich fehl am Platz, denn statt Kimono, Elfenohren oder Sailor Moon-Outfit trage ich Jeans und T-Shirt. Kurz überlege ich, ob ich mich zum Harajuku-Girl umstylen lasse, lasse es dann aber doch. Mein primäres Interesse gilt schließlich den anwesenden YouTube-Stars und ich will bei meinen Digital-Influencer-Kolleg_innen in spe einen professionellen Eindruck hinterlassen. Ich dränge mich durch die Menschenmassen—vorbei an den schrillsten Fantasy-Wesen, Harley Quinns, Pikachus und Star Wars-Figuren—, bis ich die Schlange vor dem Autogrammtisch der YouTuber erblicke. Und die Schlange ist lang.

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Bei der diesjährigen Comic Con hat das YouTuber-Netzwerk Diego5, das von der ehemaligen RTL 2-Moderatorin Sandra Thier und Agenturchef Rudi Kobza gegründet wurde, YouTuber aus Österreich, Deutschland und der Schweiz eingeladen, die für teils mehr, teils weniger unterhaltsames Bühnenprogramm sorgen, Autogramme verteilten und Selfies mit Fans machen. Ich beobachte Mädels, die völlig durchdrehen, weil sie ein Autogramm von einem Typen mit blonder Gelfrisur bekommen haben. Ich habe keine Ahnung, wer er ist und verfluche mich für meine mangelhafte Vorbereitung.

Ich frage die Girls, keins von ihnen älter als 14, was sie denn so an YouTubern fasziniert: „Die sind fast alle hübsch! Und die meisten sind voll nett, wenn man sie trifft. Sie machen Fotos mit einem und umarmen uns." Easy, Fotos machen und Menschen umarmen, das kann ich auch. Ich droppe ganz lässig, dass ich ebenfalls blogge und ob sie mit mir auch ein Selfie machen würden. „Ja, klar!", meinte eins der Mädchen mit Zahnspange und zückte sofort ihr glitzerbehülltes iPhone. „Wie heißt dein Blog?", will sie wissen. Ich nenne ihr den Namen meiner Wordpress-Seite, wobei ich nicht glaube, dass sie wirklich zugehört hat. Denn: Der nächste YouTube-Star unterbricht mit seinem Auftritt rüde meine erste richtige Unterhaltung mit potenziellen Fans. Die Mädels laufen kreischend zur Bühne und lassen mich stehen.

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Hey, dich kenn ich doch irgendwoher? Von Instagram?

Trotzdem verbuche ich die kurze Unterhaltung als Erfolg. Mit Fans umgehen, das klappt schon mal halbwegs und anscheinend wirke ich auch bloggermäßig genug, um bei 14-Jährigen als YouTuberin durchzugehen. Jetzt brauche ich nur noch Insiderwissen von den Profis, dann steht einer steilen YouTube-Karriere nichts mehr im Weg!

Natürlich kann man nicht mit einem echten YouTube-Star reden, ohne ihn zu einem Selfie zu zwingen. iBlali nimmt's professionell. | Foto: Sinah Endhofer

Ich treffe den 24-jährigen Viktor aus Köln, der den Kanal iBlali betreibt und mit 1,3 Millionen Instagram-Followern und 2,3 Millionen YouTube-Abonnenten zu einem der Größten im deutschsprachigen Raum zählt. Nachdem er Fotos mit seinen rosa-, blau-, und lilahaarigen Fans gemacht hat, ergreife ich meine Chance: Ich erzähle ihm, dass ich eine Bloggerin sei, die jetzt als YouTuberin durchstarten will und frage, ob er ein paar Tipps für mich hätte. Er fragt mich, in welche Richtung mein Blog geht und ich erkläre ihm, dass ich gerne einen gesellschaftskritischen Channel machen würde. Politische Themen gehen immer gut, meint er.

„Es gibt viele YouTuber, die machen nur das, was angesagt ist und ihnen Klicks bringt. Diese Asi-Formate, die keinen qualitativen Anspruch haben. Das sollte man vermeiden, wenn man langfristig erfolgreich sein will", meint er. Dadurch sei man sehr schnell austauschbar. Außerdem müsse man bedenken, dass man auch eine Vorbildfunktion hat. Sein Kanal besteht aus Videos über sein Leben, Gaming-Inhalten und ja, tatsächlich auch Kritik an YouTube und dem Kult um die erfolgreichsten Influencer.

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Ich frage ihn, wie er zum Thema Schleichwerbung steht—nur für den Fall, dass ich doch mal das ein oder andere Beauty-Tutorial drehen und dafür mal eben 500 Euro kassieren will. „Wenn man das nicht kennzeichnet, hat man echt viel Ärger am Hals. Und da sind auch die Zuschauer echt kritisch geworden!" Okay, Schleichwerbung und Clickbait sind No-Gos. Und zwei Mal wöchentlich sollte man posten, mindestens. Puh. Das Ganze klingt ganz schön anstrengend, muss ich zugeben. Ich bedanke mich für die Tipps und drehe eine Runde in der Halle. So ganz abgekauft hat er mir meine YouTube-Ambitionen nicht, glaube ich.

Auf der Bühne zeigt derweil YouTuberin Joanna, die auf ihrem Channel Maqaroon / Cute Life Hacks unter anderem bunte Einhorn-Scheiße bastelt, wie man glitzernden Knetschleim herstellt. Das Ganze hat eine ähnliche Faszination wie Kochshows im Fernsehen: Während sie ihre Finger immer wieder in den Glitzerschleim bohrt, erzählt sie, dass es Instagram-Seiten mit Millionen Followern gibt, die nur solche Slime-Videos posten. Ich reiße mich los und mache mich wieder auf die Suche nach weiteren YouTube-Stars, denen ich ihre Erfolgsrezepte entlocken kann. Da erkenne ich ein mir durchaus bekanntes Gesicht: Philipp Laude, eines der Y-Titty-Mitglieder, steht alleine und espressotrinkend am Diego 5-Infostand. Ich erkenne meine Chance und nutze sie.

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Ganz so begeistert über meinen Überfall scheint Philipp zwar nicht, aber wir kommen trotzdem ins Gespräch. Ich erwähne, dass ich auch blogge und jetzt auf YouTube durchstarten will. Er beäugt mich kritisch und meint mit süffisantem Grinsen, „Das sagst du jetzt nur so!" Sollte meine Tarnung etwa auffliegen? „Nein, nein, das meine ich ganz ernst!", beteuere ich. Ich erkläre ihm das Konzept meines Blogs, aber gesellschaftskritische Themen auf YouTube findet er schwierig: „Kann schon funktionieren, fände ich auch cool, aber man muss es entertainmentmäßig verpacken. Die Bibis Beauty-Palace-Reichweite wirst du damit aber nicht erzielen." Und Reichweite ist schließlich das, was zählt.

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YouTube bekommt immer mehr Service-Charakter, der Trend geht in die Richtung Selfmade, erklärt er mir. „Bei YouTube muss man sich jeden Tag was Neues überlegen und vor allem viel Kontakt zur Community aufbauen und aktuelle Themen aufgreifen." Zusätzlich müsse man auch beachten, dass die Zielgruppe immer jünger wird. Sich regelmäßig die Haare bunt zu färben würde einem auf jeden Fall Aufmerksamkeit bringen, aber darauf habe er selbst keinen Bock: Mit 26 gehöre er schon zur Generation „YouTube-Opa". und YouTube sei auch nichts, was er ewig machen wollte. Plötzlich bildet sich wieder eine Menschentraube neben uns, Mädels kreischen. Auch Philipp guckt etwas verwirrt, vielleicht auch, weil die Leute nicht auf ihn so euphorisch reagieren. Trotz drei Millionen YouTube-Abonnenten sind die ganz großen Teenie-Idol-Zeiten für Y-Titty vorbei. „Zum Glück!", sagt Philipp. Aktuell schreibt er an einem Drehbuch für einen Film, den er vielleicht mit Matthias Schweighöfer gemeinsam macht. Wer in der richtigen Filmbranche angekommen ist, braucht die Internet-Community eben nicht mehr ganz so dringend.

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Menschen, die auf YouTube-Stars starren | Foto: Sinah Endhofer

Eine Dame vom Diego5 erklärt mir, dass wegen der Special Guests gekreischt wird, von denen ich noch nie gehört habe. Trotzdem nicke ich wissend und sage „Wow, das ist ja toll!" Ich fühle mich wie ein Hochstapler—und vor allem alt. Fans aus dem Publikum dürfen den YouTubern auf der Bühne Fragen stellen. „Wie alt bist du?" und „Wie findest du mein T-Shirt?" sind da noch die aufregendsten. Aber die Fans drehen durch und ich verstehe die Welt nicht mehr. Ein Typ mit Brille brüllt zum Abschluss nochmal laut „Konsti, ich will ein Kind von dir!" (Wer ist Konsti?!), danach hat ein Typ namens fii seinen Auftritt. Er ist Beatboxer und Rapper. Nun besingt er Eistee, dass wir hier auf der Comic Con sind und wie viel Spaß das alles macht. Ich brauche frische Luft. Die Geräuschkulisse und das Gekreische bringen meinen Kopf fast zum Platzen. YouTube-Star wäre ich dann doch lieber von der ruhigen, sicheren Umgebung meiner Wohnung aus.

Draußen höre ich eine Stimme, die mir sehr bekannt vorkommt: Die österreichische Radiomoderatorin Anita Ableidinger, die den YouTube-Channel Anita Girlietainment betreibt, steht neben mir. In ihren Videos verwandelt sie ihr Pferd mal in ein Einhorn, mal versucht sie, seinen Schweif mit Ketchup zu waschen—Inhalte, die eine deutlich spezifischere Zielgruppe ansprechen als Schmink-Tutorials und Let's Plays. Trotzdem scheint das Konzept aufzugehen: 100.000 Abonnenten hat sie in nur einem Jahr erreicht. Ich quatsche sie an und erzähle ihr, dass ich auch schreibe und blogge, aber YouTube noch Neuland für mich ist. Auch sie glaubt mir meine kleine YouTube-Lüge nicht ganz, ich lasse mich jedoch nicht ermutigen und erzähle ihr, dass ich gerne einen gesellschaftskritischen YouTube-Channel hochziehen würde: Long Reads als Storytelling-Geschichte auf YouTube: Funktioniert so was? „Ich schaue Storytelling-Videos voll gern", ermutigt sie mich. „Aber zu lang sollte das Video nicht sein: Fünf bis zehn Minuten höchstens."

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Die sind fast alle hübsch! Und die meisten sind voll nett, wenn man sie trifft. Sie machen Fotos mit einem und umarmen uns.

Meine nächste Frage liegt mir wirklich am Herzen. Wer dreht ihre Videos und macht Fotos, wenn sie selbst vor der Kamera zu sehen ist? „Instagram-Husbands"—Männer, die ihre Partnerinnen für deren Social-Media-Ambitionen ins rechte Licht rücken müssen—haben mittlerweile eine beinahe tragikkomische Berühmtheit erlangt. Ich hingegen bin Single, was als Influencer durchaus ein Handicap sein kann. Anita dreht ihre Videos nach eigener Aussage aber auch hauptsächlich selbst. Wer Handkamera, Stativ und GoPro hat, braucht keinen Lebensabschnittspartner. Irgendwie hat mich das tatsächlich motiviert.

Ich will gerade gehen, da sehe ich die Schweizer Vloggerin Ana Lisa Kohler, die durch ihre Lip Sync Videos auf musical.ly bekannt wurde. „Hey, dich kenn ich doch irgendwoher? Von Instagram?" fragt sie. „Ja, vielleicht, ich blogge auch!", gebe ich cool zurück. Dann fragt sie nach meinem Namen. „Sinah, mit h!", rufe ich ihr zu, bevor sie mit ihrer Entourage abzieht und mir zum Abschied noch ein „Ah, achso!" zuruft. Ich glaube, sie hat mich verwechselt.

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Auf dem Weg nach Hause denke ich darüber nach, was ich heute gelernt habe. So, wie man früher zu bestimmten Uhrzeiten Serien im Fernsehen geschaut hat, warten heute Millionen Kids darauf, bis ihr Lieblings-YouTuber jeden Mittwoch um 16.00 Uhr ein neues Video online stellt. Inhaltlich unterscheiden sie sich eigentlich kaum von klassischen Lifestyle-Medien, Comedy-Shows oder Fernsehsendungen. Aber Digital Influencer stehen eben nur für sich selbst—und stehen und fallen damit, ob sich Zuschauer mit ihnen identifizieren können oder nicht. Die Szene wirkt auf mich recht offen, man supportet sich gegenseitig und netzwerkt wo man nur kann. YouTuber sind nicht nur vor der Kamera kommunikativ, sondern auch im echten Leben.

Die Vlogger, die ich kennengelernt habe, waren sehr kontaktfreudig, sie haben mich nach meinen Ideen gefragt und waren sich nicht zu fein dafür, einem Rookie wie mir Tipps zu geben. Was ich von ihnen gelernt habe? Authentizität und harte Arbeit zahlt sich immer aus. Und glitzernden Knetschleim basteln macht vielleicht wenig Sinn, aber dafür superviel Spaß. Vielleicht probiere ich das mit YouTube ja wirklich mal. Immerhin habe ich jetzt schon ein paar hochkarätige Selfies mit echten Influencern, um meine Instagram- und Twitterseite zu pushen.

Titelfoto: Video Con Vienna | Andreas Tischler