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Im Gespräch mit der Originalstimme von „Daria”, der Heldin unserer Jugend

Tracy Grandstaff war über fünf Jahre lang die unvergesslich monotone Originalstimme von Daria, dem sarkastischen Idol unzähliger Teenager der 90er sowie zahlreicher Tumblr-Jünger der Gegenwart. Wir haben mit ihr über ihre Rolle als Synchronspecherin...
Screengrab via YouTube

Wenn mir jemand sagen würde, dass ich wieder zurück zur Schule gehen müsste, würde ich mich weigern. Wenn es aber unausweichlich wäre, weil man mir jede Menge Geld anbieten würde oder es einfach keinen anderen Ausweg gäbe, dann würde ich Daria Morgendorffer um Rat fragen—die teilnahmslose, zynische Zeichentrickfigur, die sich auf MTV fünf Staffeln und zwei Filme lang durch die High-School gequält hat. „Schule ist scheiße", erklärte sie in ihrer Abschlussrede vor ihren Mitschülern. „Wenn ich noch mal von vorn anfangen müsste, würde ich mit den Fortgeschrittenenkursen schon in der Unterstufe anfangen, damit ich von der achten Klasse aus direkt zur Uni gehen könnte."

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Daria wurde zum ersten Mal 1997 ausgestrahlt. Die Hauptfigur, Daria Morgendorffer alias „misery chick", war ursprünglich eine Nebenfigur aus Beavis and Butt-Head und wurde von den Produzenten als „kluge weibliche Figur" im Kontrast zu den matschbirnigen Idioten Beavis und Butt-Head erschaffen. Daria war eine der klügsten und fesselndsten weiblichen Fernsehfiguren ihrer Zeit (wenn nicht aller Zeiten) und hat Teenager weit über die Grunge-Generation hinaus zusammengebracht. Obwohl die Serie 2002 eingestellt wurde, lebt der ausdruckslose Teenager im Schein der anhaltenden 90er-Nostalgie bis heute weiter—und zwar nicht nur auf Tumblr, sondern auch auf MTV Classic, einem neuen Fernsehsender, der 2016 gestartet ist.

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Jeder kennt Daria mit ihrer runde Brille und ihren Springerstiefeln, doch was sie wirklich einzigartig gemacht hat, war ihre Stimme—ihre trockene, monotone und mit Sarkasmus durchsetzte Stimme. Diesen wesentlichen Bestandteil ihres Charakters verdankt Daria Tracy Grandstaff, die damals als Autorin für MTV gearbeitet hat und zufällig zu ihrer Rolle gekommen ist, weil sie die einzige Frau im Team war. In ihrer Rolle als Daria hat Grandstaff die Unzufriedenheit fassbar und in gewisser Weise auch sympathisch gemacht. Obwohl sie ihre Zeit als Daria schon lange hinter ihr liegen—sie hat später bei Comedy Central angefangen und arbeitet aktuell Senior Vice President of Original Production bei dem Fernsehsender NBC—, sagt sie, dass es sie noch immer erstaunt, welchen Einfluss Daria auf junge Frauen auf der ganzen Welt hat (darunter auch auf ihre 12-jährige Tochter). Wir haben mit ihr telefoniert und sie gefragt, warum Daria ihrer Meinung auch nach 15 Jahren noch immer so beliebt ist.

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Broadly: Wie bist du zum Synchronsprechen gekommen?
Tracy Grandstaff: Ich war immer zu schüchtern, um zu schauspielern. Mein Vater war Theaterproduzent an der Western Michigan University in Kalamazoo und wenn ich keine Schule hatte, war ich fast immer im Theater—ich bin sogar mit ihm in die Vorlesungen gegangen. So habe ich viel über Stimmbildung, Sprache, Regie und Schauspielerei gelernt. Das hat mich unglaublich fasziniert. Mit der High-School hatte ich nicht viel am Hut. Ich fand es viel spannender an der Uni mit all diesen coolen Schauspielleuten rumzuhängen, die ganz anders waren als die Leute, die ich bis dahin getroffen hatte.

Während ich in den Vorlesungen rumhing, zu Theaterproben ging und den Leuten bei ihrer Arbeit zugesehen habe, habe ich gemerkt, was für eine harte Arbeit das ist und festgestellt: Das ist nichts für mich. Ich habe dann eine Umleitung genommen. Ich habe mir Shows wie Saturday Night Live und David Letterman angesehen und gedachte: „Das ist cool. Das würde ich auch gerne eines Tages machen." Während dem ersten Jahr auf dem College hatte ich meine eigene Radiosendung, habe ziemlich viele Kommunikationskurse belegt und war am Ende auch vor der Kamera echt gut. Ein Freund und ich hatten eine gemeinsame College-Radiosendung, die The Love Squad hieß. Jeden Montagmorgen haben wir erzählt, was auf dem Campus los ist und dazu richtig schlechte Musik gespielt. Außerdem haben wir unter Pseudonymen Klatsch und Tratsch verbreitet. Das war ziemlich witzig.

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Ich habe eine ziemlich monotone Stimme, deswegen habe ich die Rolle von Daria letztendlich wahrscheinlich auch bekommen.

Du hattest also auch Erfahrung vor der Kamera, hast dir aber nie gedacht: „Ich möchte Schauspielerin oder Synchronsprecherin werden"?
Ich hatte keinerlei Erfahrung als Schauspielerin. Das Ganze hat mich zu sehr eingeschüchtert, das war mir immer zu hoch. Ich habe an einigen Impro-Gruppen teilgenommen und ein paar Sketche gemacht, aber das war's auch schon. Ich hatte keine formale Ausbildung [als Schauspielerin] und ich kann auch nicht von mir behaupten, dass ich besonders gut war.

Wie bist du zu MTV gekommen?
Ich habe dort als Autorin angefangen und habe als eine Art Experiment an dem Piloten von The Real World gearbeitet. So habe ich dann die Produktionsleitung kennengelernt und habe auch eine Zeit lang in der Produktion gearbeitet, also Anrufe beantwortet und so was. Letztendlich wurde ich so auch für eine On-Air-Promotion angeheuert. Das ist eine ziemlich lange und öde Geschichte.

Schließlich bist du dann zu Beavis and Butt-Head gekommen …
Im Grunde war es so, dass Mike Judge „Frog Baseball" [die Pilotepisode von Beavis and Butt-Head] eingeschickt hat, wie ein Heimvideo. Keiner wusste etwas damit anzufangen, aber Mike Judge gefiel ihnen. Sie fanden das Ganze hätte etwas, also sollten sich die Autoren dransetzen und es ausarbeiten.

Das Schöne an MTV war, dass sie damals kein Geld hatten. Alles war möglichst billig produziert. Ich war eine von wenigen Autoren und die einzige Frau im Team. Mike Judge hat die meisten Charaktere selbst eingesprochen und bei allen weiblichen Charakteren, die er nicht sprechen wollte, haben sie mich in die Kabine geschickt, weil ich zu den Autoren gehörte und sie mich nicht extra bezahlen wollten. Ich habe Cassandra, das Mädchen mit den Gedichten, die Rockermädchen bei einem Konzert und Stewarts Mutter gesprochen—das war eine meiner Lieblingsfiguren, weil sie durch meine Tanten und Onkel aus dem Mittleren Westen der USA inspiriert wurde. Ich habe eine ziemlich monotone Stimme, deswegen habe ich die Rolle von Daria letztendlich wahrscheinlich auch bekommen—vielleicht aber auch, weil wir uns charakterlich sehr ähnlich sind. Als sie dann ihre eigene Serie bekam, haben sie mich zu einem Schauspiellehrer geschickt, um sicherzustellen, dass ich auch mit den längeren Monologen klarkommen würde.

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Man versteht ihre Motivation nie so ganz—man hat das Gefühl, dass man sie so richtig weiß, warum sie so ist, wie sie ist. Siehst du das genauso?
Ja und nein. Ihre Motivation ist, dass sie so schlau ist. Es ist fast so, als würde sie mehr in ihrem Kopf als in ihrem Körper leben. Sie weiß manchmal fast mehr, als gut für sie ist. Die Welt um sie herum ist dagegen ziemlich leicht zu durchschauen. Sie hat diesen gigantischen Bullshit-Radar, was sie schon fast wieder verunsichert. Das ist der Fluch jedes Teenagers, der sich nicht wohl in seiner Haut fühlt. Sie tut genau das, was ich auf der High-School auch getan habe: Sie versteckt sich, trägt weite sackartige Klamotten und gibt sich ein wenig burschikos. Sie versucht, nicht gesehen zu werden, was aber auch irgendwie auffallend ist und die Aufmerksamkeit auf sie zieht. Gleichzeitig ist sie total unsicher. Ich glaube, zehn Prozent waren damals wirklich glücklich, weil sie gute Erfahrungen auf der High-School gemacht haben, während sich 90 Prozent von uns gedacht haben: ‚Oh Mann, holt mich raus aus diesem Gefängnis.' Wahrscheinlich lag es an diesen 90 Prozent, dass sie so beliebt war. Ich müsste aber wahrscheinlich erst mal schauen, ob das tatsächlich stimmt. Vielleicht gehe ich da auch zu sehr von meinen eigenen Erfahrungen aus. Hast du aktuell Kontakt zu Leuten von der High-School?

Nein, überhaupt nicht.
Mein Mann ist Dirigent der Band einer High-School hier in Kalifornien. Ich gehe immer zu den Footballspielen am Freitag und bin unter Teenagern und Schülern. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass sich an der ganzen Dynamik von damals nichts geändert hat. Der Druck ist allerdings ein ganz anderer und die sozialen Medien haben auch alles verändert. Es wird aber auch nach wie vor gehänselt und gemobbt. Allerdings scheinen sich die Teenager von heute sehr viel besser zu kennen und machen sich auch viel mehr Gedanken darum.

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Heutzutage ist es cool, ein Außenseiter zu sein. Daria war die coolste Figur in der Sendung und obwohl es natürlich einige Vorgänger zu ihr gab, war sie in den 90ern der erste Charakter ihrer Art, der eine maßgebende Rolle in der Mainstream-Kultur bekommen hat. Vielleicht ist es auch deswegen heutzutage leichter, ein Sonderling zu sein: Die Leute sind mit der Darstellung von Außenseitern groß geworden.
Ich denke, damit könntest du Recht haben. Die aktuelle Elterngeneration hat beschlossen ihren Kindern—ganz egal wie sie aussehen oder wie sie sich fühlen—, das Gefühl zu geben, dass es OK ist ein Außenseiter oder ein Nerd oder einfach irgendwie anders zu sein.

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Und wenn man an seiner Schule keine Freunde findet, dann kann man sich Freunde im Internet suchen.
Es gibt hier einen Ort, der nennt sich Echo Park Film Center. Dort finden regelmäßig kleine Filmfestivals statt. Vor Kurzem haben sie einen „anti-gesellschaftlichen" Videoabend gemacht, wo sie Ghost World und einige Episoden von Daria gezeigt haben. Es sind auch ein paar Leute von uns hingegangen. Ich habe dort dieses Mädchen getroffen, die den ganzen Abend über Periscope übertragen wollte. Sie war ein echter Hardcore-Fan und meinte: „Ich werde den Abend über Periscope übertragen und ich weiß, dass es mindestens zwei meiner Freunde in Australien total ausrasten werden. Ich habe sie zwar noch nie getroffen, aber sie sind meine besten Freunde. Ich habe schon viele Leute über Daria kennengelernt." Sie hat diese Leute über Daria kennengelernt und obwohl sie sie noch nie getroffen hat, war sie sich 1000-prozentig sicher, dass das ihre besten Freunde sind. Das war so ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Das hat mich ziemlich umgehauen.

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Lorelai und Rory sind Daria gar nicht so unähnlich. Sie sind zwar sehr viel optimistischer und positiver, aber sie sind mindestens genauso ehrlich und frei heraus.

Die Sendung lief von 1997 bis 2002. Warum wurde sie eingestellt?
Die 90er waren vorbei und ich denke, dann hat das Ganze einfach seinen Lauf genommen. Das war nach dem Millenium-Bug, nach 9/11. Ich hatte damals auch schon bei Comedy Central gearbeitet. Im ersten Jahr habe ich mich immer noch in der Mittagspause verdrückt, um die Aufnahmen zu machen. Außerdem hat MTV seine Animationsserien runtergefahren und um ehrlich zu sein, weiß ich auch nicht, wie die Einschaltquoten waren. Da war ich nicht wirklich eingeweiht. Ich kann mich aber auch noch daran erinnern, dass ich nach der vierten Staffel ziemlich überrascht war und dachte: „Halt mal, was? Wir werden abgesetzt?"

Du hast eine zwölfjährige Tochter. Kennt sie Daria? Wie findet sie die Serie?
Ich fühle mich ganz schrecklich deswegen, aber sie hat Daria selbstständig entdeckt, im Netz. Sie hat sich die ganze Serie an einem Stück durchgeschaut—das war ziemlich witzig. An Halloween ist sie dann als Daria gegangen. Das war vor drei Jahren, glaube ich. Sie hat sich so eine Brille gekauft und hatte eine Daria-Geburtstagsfeier.

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Hattest du einen Auftritt bei ihrer Geburtstagsfeier?
Wir haben ziemlich viele Folgen von der Serie geschaut. Sie ist viel extrovertierter und optimistischer als Daria, aber ich finde es toll, dass ein junger Teeanger wie sie, der versucht eine selbstständige Persönlichkeit zu sein, Daria als Vorbild hat. In LA wird man von Möglichkeiten und Entscheidungen förmlich überschwemmt, wenn man herausfinden möchte, wer man ist. Ich finde es gut, dass es so eine Show gibt. Ich habe auch Gilmore Girls für mich entdeckt.

Ich hab mir die Serie früher nie wirklich angesehen, aber Lorelai und Rory sind Daria gar nicht so unähnlich. Sie sind zwar sehr viel optimistischer und positiver, aber sie sind mindestens genauso ehrlich und frei heraus. Ich denke, deswegen mag [meine Tochter] die Serie auch so. Solche Sendungen regen dazu an, darüber nachzudenken, was für ein Mensch man sein möchte und mit welchen Menschen man sich umgeben möchte. Es ist ziemlich schwierig, Sendungen zu finden, die man seiner leicht beeinflussbaren Tochter vorsetzen möchte. Ich versuche, sie von den Kardashians fernzuhalten.

Das heißt, du bist kein Fan der Kardashians?
Nein, überhaupt nicht. Ich denke, als nächstes zeige ich ihr Voll daneben, voll im Leben und vielleicht auch Willkommen im Leben.


Screenshot von YouTube aus dem Video Daria DVD Ad/Trailer von random22364