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Buch

Im Gespräch mit einem Kindersoldaten und dem Mann, dessen Leben er verschonte

Zahed war 13 Jahre alt, als er sich dem Befehl verweigerte, Najah zu töten. Die Geschichte der Beiden steht stellvertretend für die Grausamkeit des Ersten Golfkriegs.

Im Vergleich zu anderen Kriegen wissen die meisten Menschen verhältnismäßig wenig über den Ersten Golfkrieg. Die Memoiren I, Who Did Not Die sollen das nun ändern. Das Buch erzählt die Geschichte des Krieges aus Sicht des iranischen Kindersoldaten Zahed Haftlang und des Irakers Najah Aboud. Zahed war 13, als er den iranischen Basidsch-Milizen beitrat und hatte eigentlich den Befehl, alle Gegner des Irans zu töten.

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Trotzdem verschonte er Najah – ein Moment, der zu einem Markstein in der Geschichte der beiden Männer werden sollte, die dieselben Schicksalsschläge teilen: ein Leben in Kriegsgefangenschaft, umgeben von Tod, deren Flucht letztendlich in Kanada endete. Dort kreuzten sich ihre Wege wieder und Zahed und Najah erfuhren endlich auch den Namen des anderen.

Haftlang und Aboud mussten dieselben Erfahrungen machen wie viele andere Menschen auch. Der Erste Golfkrieg dauerte von 1980 bis 1988 und forderte laut der New York Times das Leben von mindestens 95.000 Kindern. Die Gewalt, die in I, Who Did Not Die beschrieben wird, macht das Buch zu einem der ergreifendsten, aber auch erschreckendsten Lebensberichte der vergangenen Jahre. Angesichts der Flüchtlingskrise in Syrien ist ihre Geschichte aber auch aktueller denn je.

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I, Who Did Not Die ist aber vor allem eins: Ein bewegende Geschichte über das Erwachsenwerden und die Flucht. Die Gewalt ist sehr konkret, aber durch die Hilfe der Journalistin Meredith May, wird die Geschichte universell.

Wir haben uns mit Haftlang, Aboud und May telefonisch und per Mail unterhalten, um über ihre Erfahrungen im Ersten Golfkrieg zu sprechen und sie zu fragen, wie es war, ihre Geschichte zusammen mit May zu Papier zu bringen.

Broadly: Was ist das womöglich größte Missverständnis, das es über junge Soldaten gibt?
Haftlang: Ich bin der Meinung, dass viele Kinder [den Milizen] beitreten, weil sie glauben, von Allah belohnt zu werden. Sie halten das alles nur für ein Spiel und glauben, dass sie mit Waffen spielen werden. In Wirklichkeit sind sie aber auch nur Kinder und würden am Ende des Tages lieber nach Hause zu ihren Müttern und Vätern.

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Aboud: Ich habe mir nichts ausgesucht, Soldat zu werden. Dort, wo ich herkomme [Irak], wird jeder Soldat, wenn er 18 Jahre alt wird. Die meisten von uns wollten es nicht tun, hatten aber keine andere Wahl.

Meredith May: Vor allem zum Mittleren Osten existiert nach wie vor der Irrglaube, dass alle jungen Kämpfer islamistische Fanatiker wären und im Namen Allahs morden. Durch meine Arbeit an der Geschichte dieser beiden Herren habe ich allerdings gelernt, dass das Ganze sehr viel prosaischer ist. Die Jungen sind besessen von dem Abenteuer, Waffen und dem Wunsch, ein Mann zu werden. Ich habe unter anderem auch gehofft, ihnen dabei zu helfen, anderen zu erklären, wie menschlich wir alle sind. Najah und Zahed sind genau wie alle aus jedem anderen Land. Vor allem Zahed, der vor seinem gewalttätigen Vater floh.


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Wie werden aus Jungen Kindersoldaten?
Haftlang: Der Befehlshaber kam zu uns an die Schule. Er sagte, er wolle mit uns über den Islam sprechen und hat uns einer Gehirnwäsche unterzogen. Er erklärte uns, dass wir zu Gott in den Himmel kämen, wenn wir als Märtyrer sterben. Alle Jungs spielen gerne mit Waffen und militärischen Gerätschaften. Sie haben sehr viel Energie und müssen diese Energie loswerden. Die Islamische Republik Iran hat die Kinder einer Gehirnwäsche unterzogen, sodass sie glaubten, dass sie zu Märtyrern werden, die Allah zu sich in den Himmel holt. Als Kind hatte ich dazu viele Fragen, konnte sie aber niemandem stellen, ohne Ärger zu bekommen.

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Was war das Schlimmste, was ihr in der Kriegsgefangenschaft erlebt habt?
Aboud: Ich machte mir Sorgen um meine Verlobte und ihren Sohn. Ich wusste nicht, ob sie noch am Leben waren oder nicht. Wir wurden immer öfter bestraft. Nach einem Jahr hörte ich auf, die Tage zu zählen und ging davon aus, dass ich für immer in Gefangenschaft bleiben würde. Ich hatte keine Hoffnung mehr. Ich sah um mich herum nichts als Dunkelheit und Hass. Ich war ein Mann "ohne Frühling". Ich dachte, ich würde niemals so glücklich werden [wie man es im Frühling ist]. Ich habe für all die geliebten Menschen geweint, die bereits tot unter der Erde liegen.

"Nach außen hin versuchte ich, stark zu wirken, doch innerlich zerbrach ich."

Haftlang: In der Gefangenschaft war alles schlimm. Sie versuchen, dich auf jede nur denkbare Weise zu brechen, körperlich und psychisch. Nach außen hin versuchte ich, stark zu wirken, doch innerlich zerbrach ich. Ich kann mich noch daran erinnern, dass sie mich einmal in ein beschissenes Erdloch gesteckt haben, weil ich ihre Befehle nicht befolgt habe. Sie ließen mich zwei oder drei Tage in diesem Loch. Wenn man in Gefangenschaft ist, verliert man jegliches Zeitgefühl: Sekunden fühlen sich an wie Stunden. Eine der Wachen hatte Mitleid mit mir und warf mir zwischendurch ein paar Stückchen Schokolade zu. Der Kommandant rettete mir letztendlich das Leben, indem er für mich log. Andernfalls wäre ich wohl in diesem Loch gestorben.

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Ein andermal wurde ich halb totgeprügelt und zum Sterben in eine Scheune gebracht. Ich dachte, das wäre mein letzter Tag auf dieser Erde, doch ich habe wie durch ein Wunder überlebt. Ich konnte wieder aufstehen und nach draußen gehen. Jede einzelne Sekunde in Gefangenschaft fühlte sich an wie ein ganzes Jahr. Die Zeit schien stillzustehen.

Hattest du Angst, dass das Buch zu reißerisch werden könnte, als ihr es geschrieben habt?
May: Ich habe schon von Lesern gehört, die die Geschichte so brutal fanden, dass sie das Buch weglegen mussten. Sie konnten es einfach nicht lesen. Meine Reaktion darauf lautet eigentlich immer: Du musst dich selbst fragen, warum es dir so schwerfällt, so etwas zu lesen. Die meisten Amerikaner wissen aus Büchern und Filmen sehr viel über den Vietnamkrieg und den Zweiten Weltkrieg. Der Erste Golfkrieg fand dagegen eher am Rande unserer Wahrnehmung statt. In diesem Krieg sind viele Menschen gestorben und viele von denen, die überlebt haben, leben heute im Iran oder Irak und haben Angst, offen darüber zu sprechen. Es gibt nicht mehr viele Augenzeugen.

War das der Grund, warum ihr über eure Geschichte schreiben wolltet?
Haftlang: Ich habe versucht, ein normales Leben zu führen. [Wir haben] vieles verloren, [deswegen] ist Kommunikation umso wichtiger. Wenn ich tot bin, wie soll ich [meine Erfahrungen] dann an die nächste Generation weitergeben? Kommunikation ist sehr wichtig: Ein Vater [muss] seinen Kindern sagen [was er im Leben erlebt hat].

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"Ich kann [noch immer] den Tod und das Gefängnis riechen, den Geruch von Blut und Waffen … Ich habe Albträume."

Aboud: Ich wollte das Buch machen, damit andere davon profitieren können. Sie sollen davon profitieren, von unseren Erfahrungen zu lesen und daraus zu lernen. Ich kann [noch immer] den Tod und das Gefängnis riechen, den Geruch von Blut und Waffen … Ich habe Albträume. All die schrecklichen Dinge, die mir zugestoßen sind, sitzen in meinem Kopf fest. [Meine Geschichte] zu erzählen und sie mit anderen zu teilen, hilft mir zu verstehen, was passiert ist.

Warum, glaubt ihr, haben so viele Menschen Angst vor Geflüchteten?
Haftlang: In Kanada ist das anders. Als ich nach Kanada kam, haben mir viele Menschen geholfen – Menschen, die ich überhaupt nicht kannte. Ich glaube, das liegt auch daran, dass hier überwiegend Einwanderer leben. Jeder hat eine eigene Geschichte, wie er hier gelandet ist. Jeder versucht einfach, irgendwie über die Runden zu kommen. Es gibt Geflüchtete, die arm sind und stehlen müssen, um zu überleben. Manche Menschen verstehen das nicht und halten sie deswegen für Kriminelle.

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Aboud: Menschen haben Angst, weil sie der Propaganda und all den schlimmen Dingen glauben, die andere über sie im Fernsehen sagen. Ich wollte nicht nach Kanada kommen – ich habe Kanada gefunden, als ich auf der Flucht war.

May: Tief in uns drin glauben wir immer noch, dass wir irgendwelchen Stämmen angehören. Wir unterscheiden schon seit Anbeginn der Zeit zwischen uns und ihnen. Die Angst vor Außenstehenden ist eine Form von Hass, die auch schon den Zweiten Weltkrieg und alle Kriege, die danach kamen, mitverursacht hat – und vermutlich auch all die Kriege zuvor. Auch aktuell gibt es genug Staatsoberhäupter, die bewusst diese ignoranten Ängste schüren. Dazu gehört auch, dass Menschen aus überwiegend muslimischen Ländern an amerikanischen Flughäfen angehalten werden. Wenn uns die führenden Politiker dazu ermutigen, so zu denken, dann glauben wir, es wäre richtig. Das führt dazu, dass wir die Schuld für unsere eigenen wirtschaftlichen und sozialen Problemen bei Außenstehenden suchen.

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