„IS-Soldaten sind leichte Ziele”: Die Frau, die loszog, um den IS zu bekämpfen
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Terrorismus

„IS-Soldaten sind leichte Ziele”: Die Frau, die loszog, um den IS zu bekämpfen

Joanna war erst 22, als sie ihr Leben als Studentin in Dänemark aufgab, um sich dem Kampf gegen den IS und das Assad-Regime anzuschließen. Sie bildete junge Frauen an den Waffen aus—und wurde mit Unmenschlichem konfrontiert.

Von den etwa 750 jungen Europäerinnen, die sich bisher auf den Weg nach Syrien und in den Irak gemacht haben, hat es nur eine Handvoll wieder sicher zurück nach Hause geschafft. Der Aufruf zum Heiligen Krieg, der das Gemetzel durch das Assad-Regime in Syrien nach mehr als 45 Jahren beenden soll, hat mehr als 27.000 ausländische Kämpfer aus über 81 Ländern dazu veranlasst, sich dem Konflikt anzuschließen. Der Großteil von ihnen kämpft nun auf der Seite des IS.

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Die meisten Frauen und Mädchen, die sich auf den Weg in den Krieg gemacht haben, wurden vom IS manipuliert und angeworben. Joanna Palani, eine 23-jährige Politik- und Philosophiestudentin aus Kopenhagen, hat auf Seiten der Kurden gekämpft. Zuerst für die Volksverteidigungseinheiten in Syrien (die YPG) und dann für die Peschmerga, die vom Westen ausgebildete und ausgerüstete Armee der kurdischen Regionalregierung. Die Peschmerga (kurdisch für „Die dem Tod ins Auge sehenden") haben sowohl beim Sturz von Saddam Hussein als auch bei der Festnahme von Osama Bin Laden eine wichtige Rolle gespielt. Derzeit erringen sie langsame, aber bedeutende Siege gegen den IS im Irak.

Sowohl Palanis Vater als auch ihr Großvater waren Peschmergakämpfer. Sie ist eine iranische Kurdin und wurde 1993 in einem UN-Flüchtlingslager in Ramadi im Irak geboren. Durch den Golfkrieg war ihre Familie gezwungen, aus ihrem Zuhause zu fliehen. Sie zogen nach Kopenhagen, als sie noch ein kleines Kind war und beschreibt ihr Familienleben als „normal und bequem Leben". Als Kind waren ihre Lieblingsbeschäftigungen Lesen und Schießübungen. Ihr erstes echtes Gewehr hat sie mit neun Jahren in Finnland bekommen. Sie war begeistert.

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„Ich liebe es", sagt sie. „Es ist mein Leben. Für Kurden ist es ganz normal, dass sie lernen, mit einer Waffe umzugehen." Palani spricht perfektes Englisch mit einem amerikanischen Akzent. Sie ist unglaublich höflich und lacht viel.

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Im frühen Herbst 2014 hat sie die Uni verlassen und sich auf den Weg nach Syrien gemacht, um auf Seiten der Kurden zu kämpfen. Palani wollte helfen, den IS und Assad zu besiegen und—wie sie sagt—„für die Menschenrechte aller zu kämpfen."

„Am 14. November 2014 bin ich in den Irak gereist. Von dort aus fuhr ich nach Rojava in Syrien. Ich habe sechs Monate bei der YPG verbracht und dann weitere sechs Monate bei den Peschmerga. Ich habe also ein Jahr lang gekämpft."

Im November 2014 war die syrische Armee von Machthaber Bashar al-Assad durch das 3-jährige, wahllose Morden an der Zivilbevölkerung bereits kampferprobt. Die Armee verfügt über ein Arsenal an Waffen und Munition, darunter auch chemische Waffen, die sie gegen ihre eigenen Leute einsetzen. Der IS hat zu dieser Zeit gerade seine grausame Annexion im Nordirak abgeschlossen.

Palanis erste Nacht an der Front war brutal. Während sie auf der nächtlichen Patrouille mit einem ausländischen Kämpfer aus Schweden war, wurden die beiden von einem Scharfschützen angegriffen, der den Rauch einer Zigarette gesehen hat und ihrem Kameraden direkt zwischen die Augen schoss. Sie beschreibt uns, wie seine Zigarette noch immer brannte, während er starb und sich ihre neue Uniform mit seinem Blut voll sog.

„Ich hatte ihm gesagt, dass er an der Frontlinie nicht rauchen soll, aber er hat nicht auf mich gehört. Als ich zum ersten Mal dort war, habe ich es auch nicht ernst genommen", gibt sie zu. „Aber nach dem ersten Angriff hat sich das geändert."

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In Syrien stellte sie fest, dass sie ein Händchen dafür hatte, im richtigen Moment zu schießen oder still zu sein—zwei essentielle Fähigkeiten für einen guten Soldaten, wie sie sagt. Die Zeit, als sie gegen Assads Truppen kämpfte, sollte die schwierigste Zeit ihrer gesamten Karriere als Soldatin werden. Die Armee des Machthabers ist bekannt dafür, dass sie ihre Gegner mit Chlorgas, Fassbomben und mittlerweile auch mit Aerosolbomben angreift—all diese Waffen sind eigentlich per internationalem Gesetz verboten. Zudem ist das Regime für den Tod von mehr als 181.000 Zivilisten verantwortlich. Es laufen Untersuchungen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

„IS-Soldaten sind leichte Ziele", sagt sie und schmunzelt. „Die Kämpfer des IS sind gut darin, ihr Leben zu opfern, aber Assads Soldaten sind sehr gut ausgebildet und spezialisierte Tötungsmaschinen."

Palani ist hörbar stolz, wenn sie von ihrer Rolle als Ausbilderin für überwiegend jüngere, kurdische Kämpferinnen spricht. „Die Mädchen sind großartig. Sie sind total aufgekratzt, wenn sie von der Front zurückkommen. Sie sind sehr mutig—mutiger als ich es in ihrem Alter je hätte sein können."

Fotos von Palani aus der Zeit, als sie in Syrien gekämpft hat. Fotos: Joanna Palani

Die YPG hat unter anderem auch den jesidischen Familien dabei geholfen, ihre Angehörigen aus dem Gebiet des Islamischen Staats zu schmuggeln. Palani erzählt, dass sie Briefe von Mädchen in Gefangenschaft bekommen hat, die versucht haben, ihre eigene Flucht zu organisieren oder um Hilfe flehten.

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„Auch wenn ich eine Kämpferin bin, ist es noch immer schwer für mich, von einem 10-jährigen Mädchen zu lesen, die missbraucht wurde und deshalb zu verbluten droht", sagt sie. Die Briefe und Schilderungen von sexueller Folter begannen bereits im Oktober 2014. Palani wurde Anfang 2015 eine neue Position zugewiesen. Sie wurde Teil eines Bataillons, das ein Dorf in der Nähe von Mosul befreit hat, sagt sie. In diesem Dorf haben sie eine große Gruppe von Kindern gefunden, die von den IS-Milizen gefangen gehalten und missbraucht wurden. Es war ein „Gefängnis", wo junge Mädchen eingeschlossen, missbraucht und an die Kämpfer an der Front, die einen niedrigeren Rang haben, „ausgeliehen" wurden.

„Keines der Mädchen war älter als 16—einige von ihnen waren noch richtig jung. Ich habe eines der Mädchen in dem Krankenhaus besucht, in das wir sie gebracht haben. Sie war eine syrische Christin und starb, während ich ihre Hand hielt. Sie war erst 11 Jahre alt und schwanger mit Zwillingen. Ihr kleines Gesicht war total geschwollen. Es war einfach falsch. Ich erinnere mich daran, wie der Arzt geweint hat und mich und meinen ersten Soldaten angeschrien hat." Sie musste den Arzt erst davon überzeugen, dass sie nicht für den Missbrauch und die Schwangerschaft, wegen der das Kind starb, verantwortlich waren.

Trotzdem fand Palani das Leben an der Front fesselnd. Selbst, dass sich ihr Vater und ihre Mutter zu Hause in Kopenhagen große Sorgen um ihre Tochter machten, hat daran nichts geändert. „Ich habe niemals daran gedacht, nach Hause zu gehen. Natürlich gab es Zeiten, in denen ich Angst hatte und gebetet habe, dass ich überlebe, ja, aber es gab nicht einen Moment, in dem ich mir gewünscht habe, ich wäre wieder zu Hause. Ich wusste, dass ich am richtigen Ort war."

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Ihre militärische Karriere nahm weiter Fahrt auf. Letztes Jahr fuhr sie während ihres Urlaubs nach Hause, um ihre Familie in Kopenhagen zu besuchen. „Die Peschmerga haben mir 15 Tage freigegeben", sagt sie. „Als ich in Dänemark ankam, bekam ich nach nur drei Tagen eine E-Mail von der Polizei. Darin stand, dass mein Pass nicht länger gültig war und mir entzogen werden würde, wenn ich versuchen würde, das Land zu verlassen. Wenn ich versuchen würde zurückzugehen, könnte ich bis zu sechs Jahre ins Gefängnis kommen."

„Das hat mich in eine unangenehme Situation gebracht. Ich habe ziemlich viele Leute enttäuscht. Einige der Mädchen, die ich an der Waffe ausgebildet habe, habe ich hängen gelassen, weil das Training noch nicht abgeschlossen war."

Sie ist wütend auf die dänische Regierung, weil ihr Pass aufgrund von Gesetzen, die darauf ausgerichtet sind, den Zulauf zum IS zu stoppen, beschlagnahmt wurde. Sie beschreibt das Vorgehen als „Verrat". Nun steht sie vor der Wahl, ihren Pass abzugeben und sich dem Bataillon anzuschließen, oder in Kopenhagen zu bleiben und abzuwarten—in der Hoffnung, dass das Gesetz geändert wird und zwischen ihr und den Dschihadisten differenziert. „Ich muss immer an die Dinge denken, die ich im Kampf gesehen habe und an die Leute, die ich dort zurückgelassen habe", erzählt sie mir.

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„All die kleinen Mädchen, die Sexsklaven—das kann ich als Mensch, insbesondere auch als kurdisches Mädchen, nicht einfach ignorieren. Ich kann nicht behaupten, dass es mir hier in Dänemark gut geht angesichts dessen, was diesen Mädchen in Kurdistan angetan wird."

Weil sie es allerdings genau so hasst, ihre Freiheiten in Europa zu verlieren, sitzt sie zunächst in Kopenhagen fest. Statt mit ihren „Schwestern" bei der Peschmerga (die, wie sie sich beschwert, in den letzten sieben Monaten nicht bezahlt wurden) zu kämpfen, studiert sie widerwillig Politik und Philosophie in Dänemark.

„Ich bin ein europäisch-kurdisches Mädchen. Die meisten meiner Überzeugungen und Moralvorstellungen sind europäisch. Ich könnte nicht länger als ein oder zwei Jahre in Kurdistan leben. Als Frau ist es dort nicht besonders angenehm für mich. Ich würde mich eher für soziale Gerechtigkeit als für persönliches Glück entscheiden. Ich würde mein Leben für Europa, die Demokratie, die Freiheit und die Rechte der Frauen lassen. Ich fühle mich, als hätten mich diejenigen, denen ich bereitwillig mein Leben opfern würde, betrogen."