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Eizellenspende

Über den anstrengenden Weg, in Österreich Eizellen zu spenden

Eine Ehepaar sucht im Internet nach Eizellen-Spenderinnen. Ich habe mich bei den beiden gemeldet.
ALIMA-Nanna Kreutzmann | FlickrCC 2.0

Es war eine dieser Nächte, in der man anstatt zu schlafen, online Sachen bestellt, die man ganz sicher nie brauchen wird. Oder auf Social Media Kommentare schreibt, die hochroten Hauptes dann als erste morgendliche Amtshandlung sofort wieder gelöscht werden. In meinem Fall war es eine Antwort auf das Inserat von Melissa.

Melissa sucht in einer Facebook-Gruppe für Wiener Student_innen nach einer Frau für sich und ihren Ehemann. Nach einer Frau, die gegen eine rechtlich nicht vorgegebene Summe bereit ist, Melissa und ihrem Mann Eizellen zu spenden.

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Ich denke gar nicht lange nach und schreibe ihr. Ich will dieses Paar kennenlernen. Ich will Menschen treffen, die über etwas nachdenken, das so weit weg ist von meiner Lebensrealität, und ihren Weg verstehen. Und sie müssen meinen Voyeurismus ja quasi befriedigen, schließlich wollen sie etwas von mir.

Striktes Nikotin-, und Alkoholverbot, auch sonstige Rauschmittel sind natürlich verboten und ja kein Sex.

Melissa antwortet am nächsten Tag. Sie fackelt nicht lange und das gefällt mir. "Da es um so etwas Persönliches wie Eizellen geht, können wir ruhig per du sein." Dann schildert sie mir genau, was diese Spende für mich und meinen Körper bedeuten würde und warum diese Prozedur in dieser Form nötig sei. Das Ganze würde zirka acht Wochen dauern und setzt recht viele Einschränkungen für mich voraus, zahlreiche Arztbesuche und Untersuchungen, Disziplin und Selbstkontrolle: Striktes Nikotin-, und Alkoholverbot, auch sonstige Rauschmittel sind natürlich verboten und ja kein Sex. Dass ich keine Rauschmittel konsumieren darf, verstehe ich, aber weshalb ich auf Sex verzichten muss, verstehe ich nicht.

Aber die logische Richtigstellung von Melissa: Kein Sex mit Menschen männlichen Geschlechts. Durch die horrende Hormonkeule, die meinen Körper zur Maximalfruchtbarkeit bringen würde, wäre das Risiko, die zu spendenden Eizellen durch eine Mehrfachschwangerschaft (ja, das gibt’s) meinerseits zu verplempern, einfach zu groß. Würde es passieren, würde ich jedoch nicht dafür haften. Dieses finanzielle Risiko liegt bei der Familie, die die Spende empfängt.

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Illegal ist das alles nicht: Das Fortpflanzungsmedizingesetz wurde 2015 aktualisiert, seitdem ist die Eizellenspende in Österreich erlaubt. Für Spenderinnen ist rechtlich keine Bezahlung festgehalten. Das Fortpflanzungsmedizingesetz sieht vor, dass sich interessierte Frauen ohne finanziellen Anreiz oder jegliche Aufwandsentschädigung bei den entsprechenden Kliniken melden. Das Empfängerpaar hat keinen Zugang zu den persönlichen Daten, und das aus der Spende entstandene Kind darf erst ab dem 14. Geburtstag Kontakt aufnehmen. Spenderinnen zu vermitteln oder für das Spenden zu werben ist untersagt. Hingegen ist eine Spenderin in die Klinik mitzubringen, eine Schwester oder Freundin zum Beispiel, zulässig. Hallo, Schlupfloch.

Laut der vom ehemaligen Bundesministerium für Gesundheit und Frauen und des Bundesministeriums für Justiz in Auftrag gegebenen Statistik wurden im Jahr 2016 137 Frauen insgesamt 152 Behandlungen mit Eizellenspenden unterzogen. 68 Eizellenspenden lagen Ende 2016 zur Aufbewahrung in österreichischen Kliniken.

Mehr Details zum Prozedere kann man in diesem Interview erfahren. Aber das medizinische Prozedere interessiert mich in dem Moment kaum. In erster Linie will ich wissen: Wem helfe ich hier wozu? Will ich einem heterosexuellen, weißen, gutbürgerlichen Paar in Mitteleuropa helfen, seinen Traum von der Mama-Papa-Hund-im-Garten-und-Auto-in-der-Garage-Familie zu erfüllen? Gegebenes zu akzeptieren ist oft sehr schwer, aber ich halte es für wichtig. Geld findet oft einen Weg, nicht akzeptieren zu müssen. Will ich das unterstützen?

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Ich will die Zwei kennenlernen. Bis ein Termin gefunden ist, bleiben Melissa und ich weiter in Kontakt. Wir diskutieren, erzählen von unseren Leben, scherzen und werden uns sympathisch.

Melissa drängt mich, mir über mein Honorar Gedanken zu machen. Ich kann mir vorstellen, eine Art Stundenlohn für die investierte Zeit zu verlangen. Aber es ist nicht das Geld, weshalb mich all das reizt. Ich will gewollt werden. Ich will, dass meine Gene für jemanden wertvoll sind. Ich will mein Ego füttern.

Meine Therapeutin kann mit diesem ganzen Thema eher wenig anfangen und gibt das auch offen zu: "Aber haben Sie keine Angst, dass Sie dann das Gefühl haben, Ihr Kind wurde Ihnen genommen?", fragt sie etwas überfordert. "Nein. Mutter bin ich, wenn es in meinem Bauch wächst." Ich will rebellieren. Gegen ein ikonisches Bild der Mutterschaft als weibliches Ideal. Ich will Leben erschaffen und verantwortungsfrei in einer Beobachterposition bleiben. Und irgendwie überwältigt mich die Vorstellung, ein Kind in einer anderen Frau zu zeugen.

Ich frage mich, ob ich den potentiellen Befruchter meiner Eizelle attraktiv finden würde, ob ich mir Sex mit ihm vorstellen könnte.

Natürlich bin ich am Tag des Treffens nervös. Ich frage mich, ob ich den potentiellen Befruchter meiner Eizelle attraktiv finden würde, ob ich mir Sex mit ihm vorstellen könnte und ob Melissa auch solche Gedanken wälzt – und dann frage ich mich, ob ich Melissa attraktiv finden werde und den Sex viel lieber mit ihr hätte. All diese Fragen sind mit dem ersten Augenkontakt schon verflogen – null sexuelle Spannung hier zwischen irgendwem und mir.

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Wir sprechen über Politik, Europa, persönliche Vergangenheit, die Zukunft. Ich will wissen, wie sie denken, wie sie sich bei einer Scheidung verhalten würden, ob sie genug Biss haben, genug Realismus, um sich der Herausforderung nach der Geburt stellen zu können, und genug Optimismus, um es weiter zu versuchen, wenn sie scheitern. Zumindest versuche ich es herauszufinden.

Sie erzählen mir von ihrem Kampf mit dem Wunsch nach einer Familie und vom Kampf, zu akzeptieren, dass dieser Wunsch vielleicht nicht erfüllt werden wird. Sie erzählen mir, dass sie auch Adoption in Betracht gezogen hatten und von den bürokratischen und persönlichen Herausforderungen des Eignungstests für Adoptiveltern in Österreich und der EU. Zwischen ihnen und einem Adoptivkind steht die strenge österreichische Gesetzgebung, so darf man ein Kind zum Beispiel nur innerhalb eines Bundeslandes adoptieren. Genau das ist es, was einer Adoption im Weg steht.

Durch Job und das durch Kredit finanzierte Eigenheim wäre Umziehen ein zu großes finanzielles Risiko für die geplante Familie und in ihrem Bundesland gibt es keine Kinder, die auf Adoption warten – dazu kommen die Wartelisten. "Und ein Pflegekind, das geht für mich nicht. Ich möchte diesem Kind eine Mutter sein, das Kind soll darauf vertrauen können, dass es bei uns zu Hause ist. Die Vorstellung, dass die leibliche Mutter es wieder zu sich nehmen könnte, das schaffe ich nicht", erklärt Melissa. Auch mit der Adoption innerhalb der EU hätten sie sich beschäftigt, und auch dort fallen sie Bedingungskatalog für Bedingungskatalog irgendwie aus dem Raster.

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Melissas Mann interessiert mich kaum, die Chemie passiert zwischen ihr und mir.

Melissas Mann interessiert mich kaum, die Chemie passiert zwischen ihr und mir: Ich rede vor allem mit ihr, beobachte ihre Reaktionen, versuche, sie zu verstehen und mich ihr verständlich zu machen. Ich will wissen, ob diese Frau, die mit meiner Hilfe so sehnlich Mama werden will, auch noch eine Mama bleibt, wenn die Stricke des idealen Familientraumschiffs reißen. Eigentlich hätte ich damit gerechnet, dass sie mich genauso durchleuchtet. Schließlich soll ich ja das Holz sein, aus dem die beiden dann schnitzen. Aber kaum.

Wir reden über die Situation in Amerika, wo Eizellen anhand von Sportlichkeit, Attraktivität, Gesundheit und Intelligenz der Spenderinnen teils zu immensen Summen gehandelt werden. Es ist schon ein absurder, dieser freie Markt. Nichts davon fragt sie mich explizit, sie scheint einfach nur froh, mich zu treffen, lobt mich immer wieder für meine offene Kritik und das Hinterfragen von allem, was sie erzählen. Die besorgte Mütterlichkeit, die Melissa mir entgegenbringt, verwirrt mich: Werde ich Teil einer Familie oder bin ich Geschäftspartnerin?

Die meisten Frauen in meinem sind dagegen, die Männer dafür.

Nach dem ersten Treffen bleibt dieses seltsam entschlossene Gefühl, das mich wider Erwarten seit dem Schreiben der ersten Nachricht nicht mehr losgelassen hat. Sie geben mir so viel Zeit, wie ich möchte, um nachzudenken. Und ich nutze diese Zeit, um zu diskutieren: mit meiner Therapeutin, mit Freundinnen und Freunden. Es überrascht mich, wie einstimmig dagegen sich die Frauen und wie wertschätzend und befürwortend sich die Männer in meinem Umfeld dazu äußern. Aber jedes Gegenargument bekräftigt mich:

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Meine eigenen, niederträchtigen Motive sind für diese Familie und dieses Kind irrelevant. Und auch die Wünsche privilegierter Menschen obliegen nicht meiner Wertung. Aber ich will dazu beitragen, dass reflektierte und kampfbereite Menschen die nächste Generation erziehen.

Ich konnte mir sehr gut vorstellen, mit Mama Melissa und dem Nachwuchs auf ein Kennenlern-Eisschlecken zu gehen, sobald der Frischling Interesse an mir als Teil seiner Herkunft hat. Aber das hätte ja Zeit. Rechtlich gesehen 14 Jahre.

Ich bin traurig, diesen Weg nicht weiter gehen zu können.

Meine Entscheidung für diesen Schritt war dann leider das Ende der gemeinsamen Reise. Ich bin Diabetikerin Typ 1, diese chronische Autoimmunstoffwechselerkrankung verträgt sich nicht mit der vererblichen, seltenen Form der Kugelzellenanämie des potentiellen Vaters. Die Wahrscheinlichkeit, dass meine Eizellen sich mit seinen Spermien befruchten lassen, wäre zu gering gewesen.

Melissa und ihr Mann sind sehr traurig als sie es erfahren. Auch ich bin traurig, diesen Weg nicht weiter gehen zu können. Die Begegnung mit Melissa und dieser Thematik hat viel in mir ausgelöst, Reflexionen über mich selbst und meine Umwelt. Es hat mich berührt, mich gefordert und mich bestärkt: Glück kann man auch darin finden, das Leben zu nehmen, wie es ist.

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