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David Blaine liebt Elektrizität bis in den Wahnsinn

Ein Interview mit David Blaine, der morgen Abend nach drei Tagen in dieser elektrischen Monstrosität entweder tot oder zumindest dem Wahnsinn sehr nahe sein wird.

(Fotos von Bryan Derballa) Vergangene Woche hat mich David Blaine verdammt gegruselt. Es wollte mir nicht seinen Finger in meinen Anus teleportieren oder so, ganz im Gegenteil, unser Gespräch lief sogar recht herzlich ab, doch trotzdem verließ ich sein Büro mit etwas Unbehagen. Ich hatte vorgehabt, mit ihm über ELECTRIFIED zu sprechen, Davids neues Performance-Stück, in dem er im Grunde in einer überdimensionierten Version einer Plasmalampe steht. Während ich diese Zeilen schreibe, wird David gerade in New York von extrem energiereichen Blitzen beschossen, die von sieben gigantischen Teslaspulen erzeugt werden. Kunstfaschisten werden mich wohl tadeln, wenn ich sage, dass das, was David Blaine macht, sich nicht so sehr von den Werken von Marina Abramović unterscheidet. Beide erforschen die Grenzen ihrer Körper, ihrer Psyche und die der Zuschauer. Es wäre zu kurz gegriffen, David Blaine als einen Zauberer abzutun, denn er ist wahrscheinlich der einzige Mensch auf der Welt, der eine Chance gehabt hätte, Marina während ihrem 2010er MoMA-Starr-Wettbewerb The Artist is Present zu bezwingen. Das war vielleicht auch einer der Gründe, weshalb er in Erwägung zog, die Performance dadurch zu beenden, indem er sie mit einer Axt umbringt. Vor dem Interview probierte David ein paar Kartentricks an mir aus, die alle unerklärbar waren und mich fürchten ließen, dass er meine Gedanken lesen konnte (oder sich zumindest so schnell bewegen konnte, dass meine Augen nicht mehr hinterher kamen). Morgen Abend wird David in dieser elektrischen Monstrosität drei Tage und drei Nächte zugebracht haben. In dieser Zeit hat er weder etwas gegessen, noch geschlafen und er musste durch einen Katheter pissen, während Hunderte Zuschauer mit dem Finger auf ihn zeigen. Hier könnt ihr das Event im Live-Stream erleben. Im Interesse der Transparenz muss ich erwähnen, dass VICE bei der Finanzierung von ELECTRIFIED durch unsere Kreativabteilung und Intel geholfen hat. Obwohl wir es eigentlich ablehnen, über gebrandete Sachen zu schreiben, wollte ich den Typen dennoch treffen. VICE: Du bist jetzt 39, oder?
David Blaine: Yeah. Wann hast du Geburtstag?
Am 4. April. Wann ist deiner? 23. Januar.
Whoa. [David rollte die Ärmel seines T-Shirts hoch und zeigt ein Tattoo, das die Nummern 1, 2, 3  vertikal aufgereiht zeigt.] 1, 2, 3. Was bedeutet das für dich?
Das ist der Tag, an dem meine Mutter starb. Es war neben der Geburt meiner Tochter am 27. Januar der wichtigste Tag meines Lebens. Hat der 23. Januar noch eine andere Bedeutung?
Es war der Tag, an dem ich anfing, anders über die Welt zu denken.    Deine Mutter starb, bevor du wirklich etwas erreicht hattest …
Sie starb, bevor ich irgendetwas geschafft hatte, aber sie wusste es trotzdem. Sie wusste es?
Sie hatte nie Zweifel an dem, was ich tun wollte. Sie war eine große Unterstützung und glaubte an mich.

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Und sie starb am 23. Januar?
Ja. Ihr Tod war tragisch, aber dieser Tag war in vielerlei Hinsicht bedeutsam. Und ich glaube daran, dass sie nun überall und immer zur gleichen Zeit ist.   Es scheint so, als hättest du eine andere Beziehung zum Tod als die meisten. Das wirft natürlich die Frage auf, ob du eine Lebensversicherung hast.
Ich habe erst kürzlich eine abgeschlossen. Ich muss meine Verlobte und meine Tochter schützen.   Erst kürzlich?
Ja. Erst am vergangenen Freitag. Normalerweise versichere ich jeden Stunt einzeln, aber nun habe ich eben eine Lebensversicherung. Ich schätze mal, das hat Spaß gemacht.  
Gott, das war unglaublich teuer. Ich muss etwas schmunzeln, wenn ich mir den Versicherungsvertreter vorstelle, wie er den Papierkram ausfüllt und irgendwie klären muss, dass „drei Tage ohne Nahrung und Schlaf in einem Feld mit einer  Millionen Volt zu stehen“, abgedeckt ist. Ich habe im Vorfeld zu ELECTRIFIED etwas Recherche betrieben und bin dabei auf einen Artikel gestoßen, in dem du deine Erfahrung mit weißen Haien beschreibst. Du meintest, dass du das Gefühl hattest, dass ein elektrischer Blitz neben dir war, als sie an dir vorbeigeschwommen sind.
Hab ich das gesagt? Ja.
Das ist witzig, daran musste ich denken, ja. Eigentlich wollte ich im ersten Konzept direkt im Zentrum einer Plasmakugel stehen. Ich wollte, dass es so aussieht wie Hellraiser, da ich wusste, dass die Elektrizität einen Pol braucht. Ich stellte mir also vor, wie ein paar Nägel aus meinen Gesicht ragen würden und die Zuschauer die Glaskugel berühren könnten und die Elektrizität in ihre Finger übergehen würde. Aber nach etwas Recherche musste ich feststellen, dass man sich in einem Vakuum befinden muss, weshalb das also nicht klappte. Dann stießen wir auf ArcAttack und ich meinte: „Können wir einen gigantischen Käfig mit Teslaspulen bauen? Können alle auf die Mitte gerichtet werden? Es war wie ein Schulprojekt, das ich niemals zuvor machen durfte. Wie liefen die Tests ab? Fühlt man sich wie Thor?
Es war wirklich so, als würde man mit weißen Haien schwimmen. Es war das gleiche Gefühl. Es liegt einfach nicht in deiner Kontrolle. Alles, vor dem uns unser Gehirn seit Millionen von Jahren warnt, ist plötzlich um einen herum. Dein Kopf tickt auch ganz anders, da dich die Eindrücke einfach überwältigen. Man ist plötzlich ein Teil einer Natur, der man eigentlich nicht zu nahe kommen sollte. Ich sagte also, dass die Blitze auf mich geschossen werden sollen und ich das so lange wie möglich aushalten will. Deshalb auch die 72 Stunden. Das längste waren für mich bislang die 63 Stunden im Eis und das war ein Albtraum.

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Im Vorfeld meldete sich ein Professor des MIT zu Wort und meinte, das Ganze sei nicht besonders gefährlich. Er ist 69 Jahre alt und sagte: „Ich mach es.“ Was hältst du davon?
Nun, ich glaube, dass er daran denkt, sich dorthinein zu stellen, aber eben nicht für 72 Stunden. Das ist ein klein wenig anders. Würdest du deine Großmutter für 72 Stunden dort reinstellen? Die Antwort wäre bestimmt: „Unter keinen Umständen würde ich das tun.“ Deshalb würde ich sagen, dass es nur gefährlich ist, wenn etwas schief läuft. Wenn alles glatt geht, ist es überhaupt nicht gefährlich, es gibt jedoch eine Menge Variablen. Etwas, das du bereits in deinen anderen Performances getan hast: Die Grenzen des Unbekannten testen.
Es wurde noch nie zuvor getan, aber wir haben ein kompetentes Team, dem ich vertraue. Mit ihnen spreche ich über meine Bedenken. Ich sprach auch mit vielen Wissenschaftlern, Ärzten und Psychologen der NASA, um soviel Feedback wie nur möglich zu bekommen. Und du steckst in diesem Kettenanzug, im Grunde ein Faradayscher Anzug, der den Strom um dich herumführt. Ich kann mir vorstellen, dass daran lange getüftelt wurde.
Ja, es hat sich viel verändert. Die Stromstärke ist ja aber eigentlich nicht der gefährlichste Aspekt des Ganzen, oder? Die Nebenprodukte sind viel gefährlicher.
Nun, man kann nur für eine gewisse Zeit in einem elektro-magnetischen Feld stehen, bevor einen die Ozon-Strahlung umbringt. Strahlung kann bereits nach zwei Stunden Langzeitfolgen hervorrufen. Oder in 10, 15 oder 20 Jahren könnten die Schäden erst auftreten. Das Unbekannte ist auch das, worauf wir nicht vorbereitet sind. Und auch die Neuronen und Elektronen in deinem Gehirn werden sich innerhalb eines elektro-magnetischen Felds anders verhalten.   Was war die längste Zeitspanne, die du während der Tests darin verbracht hast?
Wir mussten die Tests jedes Mal vorher abbrechen. Weshalb?
Alles lief total schief. Manchmal musste sogar das Lagerhaus komplett geräumt werden. Ich bete also, dass der alte Typ vom MIT Recht hat.

Glaubst du, das ist das Gefährlichste, das du jemals getan hast?
Ich persönliche meine ja. Bei allem Anderen—abgesehen davon, als ich auf der Säule stand—gab es immer eine Lösung, wenn etwas schief gehen sollte. Diesmal weiß man einfach nicht, was nach drei Tagen oder eben in zehn Jahren passieren wird.   ArcAttack stellen Teslaspulen als Musikinstrumente her und während der Performance werden verschiedene Musiker auch mit MIDI-Instrumenten die Spulen „bespielen“. Woher stammt die Idee?
John DiPrima hat die erste Spule für Musik hergestellt. Ich dachte einfach, dass es eine coole Idee sei. Es ist eine nette Abwechslung für die Zuschauer. Wandert dein Bewusstsein während so einer langen Belastung an andere Orte?
Das muss es. Man ist dazu gezwungen. Man stellt sich einfach vor, irgendwo anders zu sein. Das Problem ist nur, dass irgendwann Paranoia einsetzt und dein Gehirn anfängt zu träumen, während du wach bist. Deine Augen sind also offen und du träumst. Es ähnelt einem Albtraum, aber man weiß nicht, ob man wach ist oder schläft. Die Grenze verwischt irgendwann. Tagträume also?
Das wäre es, wenn du tagsüber Albträume hättest. Stell dir vor, ich würde plötzlich anfangen, seltsame Dinge zu tun, wie zum Beispiel auf der anderen Seite des Zimmers auftauchen oder mit dir verschmelzen. Man weiß einfach nicht mehr, ob das nun wirklich geschieht, oder ob man es sich einbildet. Man stellt sich die Frage, ob man jemals wieder normal wird oder für immer in diesem Zustand bleibt.   So stelle ich mir die Hölle vor.
Es ist nicht unbedingt die Hölle. Es ist wie Fantasyland, nur sehr gruselig.[ ](https://twitter.com/rocco_castoro)