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Popkultur

Schlimmer war nur „Wetten, dass ..?“: Der Life Ball TV-Nachbericht

Statt einem „Garten der Lüste“ war der diesjährige Life Ball im ORF eher eine „Sumpflandschaft der Unlust“.

Foto von Katha Schinkinger

Auch, wenn jetzt einige den Kopf schütteln werden, aber ich hab immer ein leicht schlechtes Gewissen, wenn ich Charity-Events kritisiere. Wie aktuell den Life Ball. Denn die Sache ist nach wie vor eigentlich lobenswert, und es gibt auf der ganzen Welt keine vergleichbare Charity-Veranstaltung. Keszler und sein Team haben in den letzten 22 Jahren wahnsinnig viel bewirkt und wirklich viele Leben gerettet. Das muss noch mal in aller Deutlichkeit gesagt werden.

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Okay, jetzt kann ich mit (fast) reinem Gewissen und kleinem All Caps-Tourette sagen: WTF???!!!!

Was war denn heuer los, beim Life Ball, im Garten der Lüste, beim Wo-ist-mein-Müsli-Festl, beim Feuerwehr-Heurigen am Rathausplatz? Die Pannen zogen sich durch die Show, fingen schon bei der Pre-Show an und hörten erst (wirklich!) in allerletzte Sekunde auf. Das ging über Kameraeinstellungen des ORF bis zu flapsigen Sagern von Ich-kann-nicht-alt-werden-Haider bis zu vollkommen unlustigen Moderatoren, die genauso fehl am Platz waren wie Schwule bei einer Dolly Buster-Show (oder so—lustige Vergleiche waren noch nie mein Ding). Hier ist eine kleine Chronik des Pannen-Spektakels.

Pre-Show

Foto von Katha Schinkinger

Da fing der Spaß schon mal an. Bei der Tumler, die sich wahrscheinlich tatsächlich vorkam wie „Alice im Wunderland“, zumindest als sie neben einer Riesen-Gottesanbeterin stand und nicht wusste, ob sie vor Lachen umkippen oder einfach nur vor Schreck still stehenbleiben sollte, wie Menschen in Jurassic Park das angesichts eines T-Rex machten. Ihr Gesicht wollte beides gleichzeitig, plus ein bisschen weinen, denn die Gottesanbeterin (keine biologisch echte, nur um Missverständnisse vorzubeugen) gab einen witzig gemeintes, aber vollkommen deplatziertes Statement ab: „Sorry Männer, aber alle, die sich mit mir ins Bett legen, werden gekillt. Höhö.“ Nett eigentlich—an einem Abend, an dem es um HIV und Aids geht.

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Neben der Gottesanbeterin war Tumler noch mit einigen Promis beschäftigt. Und ja, die Alice im Wunderland kann supertoll Französisch, aber deshalb muss sie nicht gleich die Moderation des nächsten Song Contests übernehmen, wie so mancher auf Twitter sofort forderte. Besonders nicht, wenn sie so uncharmante Sager loslässt, wie im Interview mit Transgender-Model Carmen Carrera: „Du wurdest mit dem Penis geboren, die Brüste kamen erst später dazu.“

Natürlich durfte Tumler auch die Moderatoren Manuel Rubey und Thomas Stipsits befragen, die sich in umgekehrten Rollen sichtlich genauso unwohl fühlten wie viele der Red Carpet-Gäste in ihren Frischhaltefolien-gleichen Kostümen. Wie ist man bloß auf die beiden gekommen? Sicher, die beiden wollten schon mal ein schwules Pärchen in einer Sitcom spielen—was der ORF (Omelette suprise!) natürlich damals nicht wollte—und gut ausschauen tun sie auch, aber c’mon … Denen sieht man doch an, dass die lieber beim Heurigen sitzen würden, was Stipsits auch anklingen lässt: „Man muas denken, man moderiert irgendahn Feuerwehr-Heurigen.“ Und Rubey wollte am liebsten sowieso auf der Stelle abhauen: „Wir haben uns vorgenommen, uns an Gery Keszler ein Beispiel zu nehmen, der seit drei Tagen nicht auffindbar ist für uns.“ Eine Panne ging in diesem knappen 2-Minuten-Gespräch aber noch: Als Tumler Rubey nach dessen Glatze fragte und er erklärte, die komme von seiner Rolle als Krebs-Kranker, fragte die Alice: „Und jetzt geht’s dir wieder gut?“ Rubey starrte kurz verwundert zurück, bevor er antwortete: „Ja, jetzt geht’s mir wieder gut.“ DAS nennt man Interview! Aber nur mangels eines besseren Wortes.

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Live vom Red Carpet

Sorry, heißt ja nicht so beim Life Ball, da sind die ganz streng. Also nochmal:

Live vom Magenta Carpet

Foto von Julia Marischler

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Hier funktionierte null. Also fast null. Die Kameras zeigten Zaungäste, aber keine Promis. Dann zeigten die Kameras irgendwas, das ihnen vors Objektiv kam, aber nicht die gerade sprechenden Moderatoren Miriam Weichselbraun und Alfons Haider—so als wären die Kameras nervöse Insekten, die sich von jedem Impuls ablenken lassen und dabei sofort vergessen, was sie 10 Sekunden vorher noch geplant hatten. Haider war übrigens in Konfrontations-Laune und gab launische Kommentare ab. Genervte Kommentare. Zum Beispiel zu den anwesenden Journalisten-Fritzen: „Entschuldigung, aber WIR sind auch live im Fernsehen.“ Oder: „Wir sind ja gar nicht auf Sendung. Wir sind auf Sendung? Ja, wenn keiner was sogt zu uns …“ Oder: „Wink amoi den Leutn, vielleicht freun die sich dann.” So viel Gleichgültigkeit kennt man sonst von von Peter Rapp in der Brieflos-Show.

Super auch: Alfons der Geilspecht wollte mit Ricky Martin reden. Den kriegte aber Miriam. Haider war entnervt, weil er nur die Koller Dagmar bekam. Noch dazu: Miriam kündigte Alfons mit Courtney Love an, der stand aber dann mit der Dagi da. Das war, wie Dieter Chmelar es ausdrückte, „ein österreichisches Schicksal.“ Ob er damit das Schicksal von Dagmar oder Alfons meinte, ist unklar. Jedenfalls hatte es Alfons an diesem Abend auch nicht leicht: Er wollte Sportler interviewen, sah aber nur Conchita Wurst herumstehen. Klar, die Wurst war überall an diesem Abend, und eigentlich der einzige Promi, an dem die Leute wirklich interessiert waren. Aber Alfons, ganz Medienmensch und Journalist, hatte sich an der Wurst schon ein bisschen sattgegessen und suchte Sport-Stars—die auch nicht mehr inhaltliches Fleisch hergaben. Aus Ermangelung echter Promi-Interviewpartner ging er irgendwann dazu über, Zaungäste zu interviewen. Die wollten alle nur „die Conchita“ sehen, zum Beispiel ein Teenie, der die Wurst natürlich fragen würde: „Magst du den Justin Bieber?“ Klar, würd ich auch.

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Nur ein altes Ehepaar war nicht vorrangig an Conchita interessiert. Sie sagten, ganz aufgeschlossen, dass es gar kein Problem für sie sei, wenn der Sohn „so wäre wie die Conchita Wurst“ (wie Haider es ausdrückt). Aber eigentlich ist denen das alles ganz egal, denn, wie der Ehemann über seine Gattin klarstellte: „Aber a Büdl wü’s hom mit Ihnen.“ Also mit dem Alfons. Der freute sich, endlich, war aber auch ein bisschen überfordert. So sehr sogar, dass er, als er wieder mal mit irgendwem aus der Meute sprach, ausgerechnet Carmen Carrera—den Spatzi-Busen-Star des Life Ball-Plakats—nicht erkannte, als sie an ihm vorbei ging.

Dafür hatte er endlich Vivienne Westwood erblickt. Aber, O-Ton: „Da ist sie ja, die Vivienne, aber die is auf der foischn Seitn.“ Dafür durfte er endlich einen Sportler interviewen, nämlich Marcel Hirscher (der ganz schön sexy ist, nebenbei bemerkt). Alfons wollte wissen, warum er da sei. Darauf Hirscher: „Audi hat mich eing’laden.“ Höhöhö. Maschek hätte es vielleicht besser geschrieben, aber auch bis Dienstag dafür gebraucht.

Miriam Weichselbraun machte ihre Sache währenddessen ganz gut—abgesehen davon, dass ihr Kleid förmlich nach ORF-Sparkurs schrie. Sie hatte so viel Spaß an der Sache, dass sie die Antworten der Promis, wie schon beim Opernball, nach Lust und Laune völlig frei übersetzte. Let the moment carry you away, Miri. Als Billy Zane (wo auch immer der herkommen mag) zwei Minuten über Sinn und Zweck des Life Balls sprach, übersetzte Miriam seine Rede mit: „Er freut sich sehr.“ Auch sie hatte es nicht einfach, weil ihr immer irgendein Teil vom entfesselnden Garten der Lüste ins Gesicht hing. „Da ist noch irgendwas … Ah, ein Flügel vom Schmetterling!“ Zum Glück, es hätte auch viel schlimmer sein können.

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Die Eröffnung/Main Show

Foto von Katha Schinkinger

Inzwischen hatten die meisten Zuschauer zuhause bereits eine ganze Polizei-Wand voller Hinweise auf die brennende Frage „Wo hat die Regisseurin denn bitte ihre Ausbildung gemacht?“ Dass man nicht immer das im Bild sah, wovon gerade die Rede war, hatte man zu diesem Zeitpunkt bereits akzeptiert. Besonders wahrnehmungsaktive Menschen konnten sich das Ganze vielleicht sogar als Herausforderung schönreden. Ich meine, wozu auch nur bebildern, was doch sowieso schon im Off zu hören ist? Befreie dich von den Fesseln des Hollywood-Diktats, oh aufgeklärter Zuschauer! Zumindest funktionierte das Ganze schon ein bisschen besser als am Red, sorry, Magenta Carpet. Immerhin.

Dafür eskalierten die Moderatoren immer weiter. Ich hatte ja noch gehofft, die Aufregung von vorhin hätte sich bei Rubey und Stipsits mittlerweile gelegt. Hatte sie nicht. Dabei begann die Hauptshow-Sequenz mit Rubey und Stipsits noch so vielversprechend: Die beiden gaben sich einen leidenschaftlichen (und sehr erotischen!) Zungenkuss und meinten daraufhin: „Du schmeckst so nach … Mensch.“ Die Message kam rüber und ist auch durchaus, naja, sehr schön halt. Ich dachte mir in diesem Moment sogar noch, dass Rubey absichtlich so monoton redete—ein bekiffter James Franco bei den Oscars, ein verwirrter Jason Schwartzman bei den YouTube Awards, ihr versteht schon. Aber das Gefühl von Absicht hinter seinem Rede-Tonfall (wobei hier nichts fällt und auch nur genau ein Ton enthalten ist) verschwand mit der Zeit. Vor allem, weil Rubey bis zum Schluss gleich monoton weiterredete. Auch das absichtlich schlechte Englisch von ihm war nicht lustig und, trotz aller Absicht, immer noch schlecht („so schlecht, dass es schon wieder gut ist“ funktioniert als Prinzip nur bie Filmen mit sehr viel mehr Blut). Die Kabarett-Witze von Stipsits kamen auf der internationalen Bühne nicht an. Die Idee von Nationalität meets Internationalität beim Engagement von Rubey und Stipsits ging nicht auf. Stattdessen fremdschämte man sich hier für seine Nationalität—und das machen wir doch sonst schon zur Genüge, wenn gerade nicht Life Ball ist.

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Zumindest Rubey hielt sich beinahe panisch an seinen Moderationskärtchen fest und wurde vollkommen aus der Bahn geworfen, wenn der Ablauf ein Sekündchen vom Plan abwich. Als Christina Perris Auftritt (Schatzi, bitte sing nie wieder live!) sich ein klein wenig verzögerte, stand Rubey unentschlossen und überfordert mit Hausfrau Marcia Cross (die echt cool ist) und Billy Zane auf der Bühne herum, als würde er sich jeden Moment in einen Blob verwandeln. „Wir müssen noch weitersprechen. Nur die Fragen sind aufgebraucht …“ Ein Imrpovisationstalent ist Rubey Manuel augenscheinlich nicht.

Von seinem Partner, dem Stipsits, bekam er sowieso längst keine Hilfe mehr. Der hatte sich nämlich irgendwann verabschiedet mit den Worten: „Boah, die Kulisse ist so schön, die muss ich mir genauer anschauen.“ Alles klar. So beginnen die besten Trips und die schlechtesten Horrorfilme. Kurz, bevor er hinter der Bühne verschwand, murmelte er noch: „Zahlt kriag i eh nix …“ Als Belohnung für diesen Bombenwitz würde ich Stipsits nächstes Jahr im Marie „Sollen sie doch Kuchen essen“ Antoinette-Kostüm moderieren lassen (okay, Antoinette hat den Satz angeblich nie gesagt, aber Adam war der Bibel zufolge auch kein Typ mit Hodenkopf und Eva keine Carmen Carrera, insofern). So einen Spruch beim größten Charity-Event der Welt abzulassen, ist einfach nur dreist und dumm.

„Gery Keller“ ftw! Screenshot von Katha Schinkinger

Und weil der Stipsits ein Meister der Suspense ist, kam der Abhandengekommen-Geglaubte plötzlich wieder zurück. Als Blumenbeet verkleidet. Wegen Garten der Lüste und so (übrigens: auf ORF 2 lief zur gleichen Zeit ein anderer Garten der Lüste, nämlich das Schlager-Sommerfest mit dem Silbereisen).

Anschließend sollten noch die besten Kostüme prämiert werden, aber weil wohl irgendwo im Life Ball-Team doch zumindest ein Filmstudienabbrecher schlummerte, der sich zu diesem Zeitpunkt an die Begriffe „Dramaturgie“, „Continuity“ und „Fallhöhe“ erinnerte, beschloss man, diese Einlage einfach auch zu verhauen und die Show stilecht abzurunden. Rubeys gespielt schlechtes Englisch, das er in wahrer Actors Studio-Manier bereits so verinnerlicht hatte, dass er die Sprache auch in echt schon verlernt hatte, wurde ihm (und uns allen) zum Verhängnis. Niemand verstand, ob jetzt die Nummer 19 oder 93 gewonnen hat. Nicht, dass die beiden Zahlen in gesprochenem Englisch besonders ähnlich klingen würden, aber egal. Auflösung gab es keine mehr. Sogar Kommentator Eppinger kann nicht umhin, zu bemerken: „So hätte das nicht ablaufen sollen.“

Wahrscheinlich war Rubey nur abgelenkt, weil ihm immer noch Häupls Auftritt zu Beginn des Abends durch den Kopf ging, als dieser sich für die Bart-PR und Tourismus-Werbung des Tom Neuwirth dankbar zeigte, indem er hinausschrie: „Besonders bedanken möchte ich mich bei der Conchita Wurscht!“ Hihihi. So viel zum Feuerwehr-Heurigen.

Zum Schluss kam dann noch die Fashion Show, die man am stilechtesten mit einem sehr, sehr langezogenen „Faaaaad“ beschreiben kann. Promis waren so gut wie keine zu erkennen, außer Courtney Love und ihre Brüste (zwei getrennte Einheiten). Carmen Carrera, das Model vom Plakat, erkannten wir auch nicht. Was aber ganz klar war, wie Eppinger uns beruhigte: „Sie erkennen sie nicht, weil sie was anhat.“ Okay, alles klar. So ist es wahrscheinlich auch dem Alfons zuvor gegangen.

Gerade, als ich in einen angstschweißerfüllten Alptraum entschlummern wollte, kam plötzlich noch der Auftritt von Conchita Wurs(ch)t. Souverän, wie immer, auch wenn man das Gefühl hat, der Phönix müsste mittlerweile schon langsam fertig aufgestiegen sein. Das erste Mal an diesem Abend kam wirklich Stimmung im Publikum auf, Handys wurden gezückt. Eigentlich hätte an dieser Stelle Jean-Paul Gaultier auf die Bühne kommen sollen, um Conchita, seine Muse, abzubusserln, aber der Typ blieb—genau wie der Erfolg der Sendung—einfach weg. Zumindest hatte es Conchita, wie André Heller im Vorfeld befürchtet hatte, nicht hingehauen. Sein Sager im O-Ton: „Wär ja blöd, wenn’s die am Höhepunkt ihres Ruhms auf die Pappn haut auf der Bühne.“ Exakt. Fast so blöd, wie wenn der ganze Life Ball stolpert und auf die Pappn fällt.