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Sex

Transfrauen erzählen, wie die Hormonersatztherapie ihre Sexualität verändert hat

So fühlt es sich an, sein hormonelles Geschlecht zu ändern und dadurch Teile seiner psychologischen und geistigen Sexualität zu entdecken, von der man gar nicht wusste, dass sie existieren.
Symbolbild für eine Transfrau
Photo by Nemanja Glumac via Stocksy

Wenn du denkst, dass Penis und Vagina Dinge sind, anhand derer Identitäten definiert werden können, hinkst du der gegenwärtigen Transgenderdiskussion einige Jahre hinterher. Dank der öffentlichen Thematisierung von Transsexualität und Gender existiert in der allgemeinen Bevölkerung seit den letzten Jahren ein stärkeres Bewusstsein für das „binäre Geschlechtersystem". Natürlich ist die Einteilung von Männern und Frauen in abgetrennte, gegensätzliche Gruppen à la Mars und Venus bereits seit Langen überholter, sexistischer Bullshit, jedoch hat die sogenannte Transfeminismusbewegung dabei geholfen, die kulturelle, empirische und physiologische Funktion von Geschlechtern aufzuarbeiten.

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Die Geschichte transsexueller Menschen rund um ihren Körper herum aufzubauen, ist ein typisches Klischee; die Körper transsexueller Menschen wurden lange zur Sensation gemacht, weil sie dem langweiligen, binären, heteronormativen Mainstream widersprachen. Doch während viele dieses Argument zurecht nutzen, um die Aufmerksamkeit von der Diskussion um die Körper transsexueller Menschen abzulenken, ist es dennoch wichtig, die Realität eines transsexuellen Körpers zu betrachten, da sie konventionelle und schädliche Vorstellungen von intrinsischen und unveränderbaren Unterschieden zwischen den Geschlechtern begegnen. Die Erfahrungen, die einige Transfrauen gemacht haben, die sich einer geschlechtsverändernden Hormontherapie unterzogen haben, könnten wichtige Einblicke in das Potenzial des menschlichen Körpers liefern und zugleich dumme Vorstellungen über feste und nicht veränderbare Geschlechter in Frage stellen.

Kibz ist eine türkische, homosexuelle, transsexuelle Frau Mitte 20. In einem Interview mit Broadly erklärt sie, dass sich ihr Verhältnis zu ihrem Körper und zu ihren Genitalien während der letzten fünf Monate, in denen sie sich einer Hormonersatztherapie von Mann zu Frau unterzogen hat, drastisch verändert hat. „Zunächst sind meine Hoden geschrumpft und Richtung Norden gewandert, als wären sie Eierstöcke", sagt sie.

Ich liebe meinen Penis und bin froh, dass ich ihn habe, aber ich nehme ihn nicht als männliches Organ wahr.

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Eine Erfahrung, die als bis heute als typisch weiblich galt–weil man dachte, dass diese mit den physiologischen Eigenschaften einer Vagina zusammenhinge—, ist der multiple Orgasmus. Aber Kibz erzählte mir, dass ihr das Östrogen ermöglicht hat, multiple Orgasmen zu haben, obwohl sie vor ihrer Umwandlung nicht in der Lage war, mehr als einen auf einmal zu haben. „Bevor ich mit der Hormonersatztherapie angefangen habe, war ich auf einer Östrogendiät und hielt mich an einen strengen Trainingsplan, wodurch die Östrogenproduktion des Körpers über sechs Monate lang angeregt wurde", sagt sie. „In dieser Zeit habe ich zum ersten Mal multiple Orgasmen bekommen und wurde süchtig danach."

Kibz sagt, während ihre erogenen Zonen früher auf den Penis konzentriert waren, kann sie heute auch zum Höhepunkt kommen, wenn sie andere Körperteile stimuliert, die sonst sexuell inaktiv waren—wie die Nippel, oder auch durch indirekten Geschlechtsverkehr, zum Beispiel beim Rummachen.

„Ich liebe meinen Penis und bin froh, dass ich ihn habe, aber ich nehme ihn nicht als männliches Organ wahr", sagt Kibz und fügt hinzu, dass die binäre Betrachtungsweise von Geschlechtern beklemmend ist für Menschen, die sich selbst außerhalb dieser Kategorien definieren. „Mein Penis ist nicht männlich aus dem einfachen Grund, dass er Teil meines Körpers ist. Genitalien sind veränderbar und sie als männlich oder weiblich zu klassifizieren, entspricht dem Nonsens der industriellen, westlichen Medizin. Es ist verletzend für intersexuelle und transsexuelle Menschen."

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Lana ist eine transsexuelle Künstlerin Mitte 30. „Vor meiner Umwandlung gab es keinen Ausschalter für meine Libido.", sagt sie in einem Interview mit Broadly. „Ich würde es als eine Art Lawine beschreiben, etwas was ich nicht beherrschen konnte, sondern was vielmehr mich beherrschte." Wie viele transsexuelle Menschen verwendet sie nicht die üblichen Begriffe, wenn sie über ihre Genitalien spricht. „Mein Stück wurde ziemlich geradlinig erregt", erklärt sie. „Ich musste zum Höhepunkt kommen, sonst wurde ich von meinem sexuellen Verlangen aufgefressen."

Lana sagt, dass ihre Sexualität vor der Hormonersatztherapie wie ein Glass Wasser war, in das jemand einen Haufen Dreck geworfen hat. Aber mit der Hormontherapie vom Mann zur Frau hat sich das geändert. „Die Hormonersatztherapie hat dazu geführt, dass sich all die Teilchen und der Schmutz gesetzt haben", sagt sie. „Das Wasser wurde klar und meine Sexualität wurde geschärft und definiert." Auf diese Weise erlangte sie die Kontrolle über ihre einst übermächtige Sexualität. Obwohl Frauen traditionell als impulsiv bezeichnet werden, mit weniger Kontrolle über ihre Emotionen und ihren Körper, lassen die Erfahrungen von Transfrauen darauf schließen, dass das Gegenteil der Fall ist. Sie sagen, dass—gemessen daran, welche Auswirkungen das Östrogen auf sie hatte—Testosteron eher irrationale Entscheidungen beförderte. „Ich bin kein Sklave des Testosterons mehr", sagt Lana.

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Zoey, eine Transfrau Anfang 20, empfindet das genauso. „Ich glaube die Art und Weise wie Testosteron meine Sexualität beeinflusst hat, war verunsichernd auf eine Art, die mir gar nicht voll bewusst war", erklärt sie mir. „‚Aggressiv' ist nicht das richtige Wort, aber wenn ich erregt war, brach es stärker über mich herein."

Nach der Hormontherapie schienen plötzlich verschiedene Teile ihres Körpers aktiviert zu sein. „Vor der Hormonersatztherapie waren meine Orgasmen genau lokalisierbar", sagt Lana und erklärt, dass ihre Orgasmen auf ihre Genitalien beschränkt waren. „Als sich mein Hormonspiegel veränderte, konnte ich spüren, wie mein gesamter Körper beim Sex mit einbezogen war. Irgendwann hat es Klick gemacht und Orgasmen wurden etwas Spirituelles und Magisches." Sex wurde zum Genuss, weil das Bedürfnis nicht mehr so dringend, impulsiv und plötzlich war. „Meine Östrogenorgasmen fühlen sich an wie ein Drogenhigh (Gras, nicht Kokain). Meine Gedanken verlieren sich im Gefühl und im Bewusstsein, dass das eine neue Form des Höhepunkts ist", sagt sie.

Zu der verstärkten Kontrolle über ihre Sexualität und den funktionellen Veränderungen, die sie erlebt hat, sagt Lana, kommt auch noch hinzu, dass sie von visuellen Darstellungen von Sex weniger stark erregt wird. Nachdem sie mit der Hormonersatztherapie begonnen hatte, haben Pornos ihren einstigen Reiz verloren. „Es wurde befriedigender, einfach im Bett zu liegen und mich selbst im Dunkeln anzufassen."

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Zoey ist seit der Hormonersatztherapie ebenfalls weniger leicht visuell erregbar. „Ich habe bemerkt, dass sich meine Sexualität viel mehr auf das Sinnliche fokussierte", sagt sie. „Ich war emotional leichter erregbar als visuell und fand heraus, dass mich Vorstellungen und Fantasien viel mehr anturnen als irgendetwas visuelles."

Vor meiner Umwandlung gab es keinen Ausschalter. Ich würde es als eine Art Lawine beschreiben, etwas was ich nicht beherrschen konnte, sondern was vielmehr mich beherrschte.

Vor der Hormonersatztherapie waren Lanas Orgasmen unbedeutend, unmittelbar und kraftvoll. Heute beschreibt sie sie als „erstaunlich" und viel intensiver als früher. „Sie kommen wie in Wellen, während dem Sex und auch danach", sagt Lana. „Auch nachdem ich gekommen bin, zuckt mein Körper immer noch und mit jedem Mal räkle und winde ich mich in meinen Kissen und Laken. Die Wellen eines Orgasmus dauern bis zu zehn Minuten nach dem Höhepunkt an, bevor sie abklingen."

Wie viele Transfrauen nimmt sich Lana Zeit, um ihren Sexualpartnern zu erklären, wie sie angefasst werden möchte. Sie sagt, es gäbe eine Lernkurve für die Menschen, mit denen sie schläft. „Kein bestialischen Gestoße mehr mit dem Penis, um erregt zu werden", sagt Lana. „Jetzt braucht mein Stück zartere Berührungen. Reibung, Vibration und sinnliche Berührungen sind ein paar der Wege, wie ich zum Höhepunkt komme." Sie erklärt ihnen auch, welche unüblichen Begriffe sie verwenden sollen, um über ihren Körper zu sprechen. „Man könnte sagen, ich habe eine Menge Regeln", sagt Lana. „Mein neuer bzw. erneuerter Körper möchte erforscht und entdeckt werden."

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Aber nicht alle transsexuellen Menschen benennen ihren Körper neu. Sowohl Kibz als auch Zoey nennen ihren Penis „Penis".

Während der Hormonersatztherapie haben sich jedoch nicht nur ihre Körperfunktionen verändert, erzählt mir Kibz, sondern wen sie attraktiv findet. Zoey erzählt mir dasselbe. „Ich bin wirklich glücklich darüber, dass die Hormonersatztherapie meine Sexualität verändert hat und dass ich das Interesse an maskulinen Menschen verliere", sagt Kibz und fügt hinzu, dass sie insbesondere auf Leute steht, die auch transgender sind; das Leben nach den Männern war bis jetzt sehr erfüllend. „Ich bin immer noch offen gegenüber der Idee, Sex mit einem Cismann zu haben und diesen Teil meiner Sexualität zu entdecken—aber es ist nichts, was ich noch aktiv verfolge und das fühlt sich befreiend an", sagt sie.

Sex ist für die meisten Menschen ein fundamentaler Bestandteil ihres Lebens. Wie ihr wahrscheinlich schon vermutet habt, hatten die drastischen Veränderungen, die diese Transfrauen erlebt haben, nachdem sie ihr hormonelles Geschlecht verändert haben, auch Einfluss darauf, wie sie sich selbst (und das Leben) wahrnehmen. „Ich fühle mich sehr viel wohler mit einer Form der homosexuellen, fließenden Sexualität", sagt Zoey. „So kann sowohl meine Männlichkeit als auch meine Weiblichkeit gedeihen."

Die Erfahrung einer Geschlechtsumwandlung war zudem auch existenziell aufschlussreich. „Ich dachte immer, da wäre irgendeine Art ‚authentisches Ich' in mir vergraben, das darauf wartet sich zu zeigen", sagt sie. „Heute glaube ich, dass es schon immer da war, sich immer weiter verändert und wächst, während ich die Welt und die Leute darin immer besser kennenlerne."

Lana fühlt sich ebenfalls geistig neugeboren, nachdem ihre Zellen mit Östrogen geflutet wurden. „Meine Veränderung—die Hormonersatztherapie mit eingeschlossen—hat mir einen anderen Blick auf das Leben gegeben", sagt sie. „Obwohl ich immer noch mit Dysphorie und Depressionen zu kämpfen habe, fühle ich mich, als wäre ich persönlich als Mensch gewachsen (vor allem meine Brüste)."