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Kündigung während der Schwangerschaft – Alltag für viele Näherinnen bei H&M

Das Leben der Frauen, die unsere Kleidung nähen, wird von schlechten Arbeitsbedingungen, sexueller Belästigung und illegalen Abtreibungen bestimmt.
Young Cambodian garment workers. Photo courtesy of Asia Floor Wage Alliance

Nur wenige Tage nachdem die sri-lankischen Fabriken, in denen Beyoncés groß aufgezogene Sportkollektion hergestellt wird, wegen der Ausbeutung ihrer Arbeiter in die Kritik geraten sind, steht bereits der nächste Bekleidungsgigant im Zentrum der Aufmerksamkeit.

Recherchen der Organisation Asia Floor Wage haben ergeben, dass der schwedische Konzern H&M seine Arbeiter in Indien und Kambodscha nach wie vor laufend ausbeutet. Der Bericht enthält Interviews mit 251 Arbeitern, die in den Zuliefererwerken von H&M arbeiten und führt zahlreiche Verstöße gegen die internationalen Vorgaben der Arbeitsgesetzgebung an. Er zeichnet das entsetzliche Bild vom Leben der überwiegend weiblichen Arbeiterschaft in Asien, die billige Klamotten für uns herstellen.

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Für eine Näherin in einem der kambodschanischen oder indischen Zuliefererwerke von H&M bedeutet eine Schwangerschaft oftmals die Kündigung. Laut dem Bericht haben Arbeiterinnen in 11 von 12 Fabriken in Kambodscha bereits mitbekommen oder selbst erlebt, dass Frauen während der Schwangerschaft gekündigt wurde. Auch alle 50 befragten Arbeiterinnen einer indischen Zuliefererfabrik haben angegeben, dass Frauen regelmäßig entlassen werden, wenn sie schwanger sind. Zudem gehört auch sexuelle Belästigung zum Alltag der Näherinnen. Allein in Kambodscha berichten Arbeiterinnen aus neun von 12 Fabriken, dass sie bereits Erfahrungen mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz machen mussten.

Strukturelle Faktoren machen es den Menschen unmöglich, den niedrigen Löhnen und den unsicheren Arbeitsverhältnissen zu entgehen. Fast alle Fabriken in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh stellen ihre Arbeiter nur mit befristeten Verträgen über ein bis drei Monate an. Das bedeutet auch, dass der Vertrag eines Arbeiters, der aus der Reihe tanzt (beispielsweise, wenn er nach Krankheitstagen fragt, sich weigert, Überstunden zu machen oder—Gott behüte—mal ein bisschen zu spät kommt), nicht verlängert wird.

Wer sich mit anderen zusammentut und versucht, eine Gewerkschaft zu bilden, um sich für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen stark zu machen, muss sich darauf einstellen, dass sämtliche Bemühungen von den Fabrikbesitzern in Zusammenarbeit mit der Polizei so brutal wie möglich zerschlagen werden. Zudem sitzen die Arbeiter aufgrund der schlechten Bezahlung (in den Fabriken in Kambodscha bekommen die Arbeiter durchschnittlich 125 Euro pro Monat) in einem Job ohne Perspektiven fest und ohne Weiterbildungsmöglichkeiten, die ihnen die Chance auf einen besser bezahlten oder sicheren Arbeitsplatz bieten würden.

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H&M betont gerne seine Bemühungen, die Arbeitsbedingungen in der Zuliefererkette des Konzerns zu verbessern. Doch sowohl in Kambodscha als auch in Indien werden diese Behauptungen durch Aktivisten vor Ort angefochten. In einem Statement gegenüber Broadly bezeichnet ein Pressesprecher des Unternehmens die Vorwürfe des Berichts als branchenweites Problem: „H&M arbeitet seit vielen Jahren aktiv daran, die Situation der Arbeiter zu verbessern. Doch die Bedingungen in der Textilindustrie zu verändern, ist ein langwieriger Prozess, an dem wir Schritt für Schritt arbeiten. Die dauerhafte Präsenz verantwortungsvoller Abnehmer ist essenziell für die zukünftige Entwicklung von Ländern wie Kambodscha und Indien und wir wollen auch weiterhin zur stetigen Verbesserungen dieser Märkte beitragen."

Die Lebensverhältnisse für die Arbeiter in Indien. Foto: Asia Floor Wage

Die indische Arbeiteraktivistin Anannya Bhattacharjee sagt, dass die Behauptungen von H&M in Bezug auf die Nachhaltigkeit ihrer Zuliefererkette nur leere Floskeln sind. „Wir müssen immer wieder feststellen, dass H&M nur vordergründig entgegenkommend ist: Sie beantworten Anrufe und E-Mails, aber sie sind nicht wirklich transparent. Sie sagen nicht, in welchen Fabriken sie ihre Pilotprojekte durchführen und sie geben auch nicht bekannt, wie sie den Mindestlohn durchsetzen wollen."

Bhattacharjee und Tola Moeun, ein Aktivist aus Kambodscha, haben zudem ernste Bedenken über den Umgang mit schwangeren Näherinnen geäußert. „In einer Industrie, in der überwiegend Frauen arbeiten, ist das ein großes Problem", erklärt Bhattacharjee. „Die Frauen werden gezwungen zu gehen oder sie werden entlassen. Und wenn sie wiederkommen, verlieren sie ihr Dienstalter und ihre Zuschüsse."

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Moeun erzählt uns von Arbeiterinnen in kambodschanischen Fabriken, die illegale Abtreibungen in irgendwelchen Hinterhöfen vornehmen lassen—aus Angst, ihren Job zu verlieren. In Kambodscha ist Abtreibung innerhalb der ersten 12 Schwangerschaftswochen legal, doch aufgrund der geringen Bildung und des mangelnden Zugangs zu ärztlicher Versorgung wenden sich viele Frauen dem Schwarzmarkt zu. „Wenn man sich die Beschäftigtenzahl in der Bekleidungsindustrie ansieht, stellt man fest, dass 85 Prozent der Beschäftigten Frauen sind und der Großteil von ihnen im gebärfähigen Alter ist. Die meisten haben nur befristete Verträge und können ihren Vorgesetzten nicht sagen, dass sie schwanger sind, weil ihr Vertrag dann nicht verlängert wird. Also treiben sie ab—und wenn wir über Abtreibungen in Kambodscha sprechen, dann handelt es sich dabei nicht um medizinische Eingriffe."

Indische Arbeiter in einer Fabrik der Bekleidungsindustrie. Foto: Asia Floor Wage

Dass die Arbeiter keine Gewerkschaften bilden dürfen, ist eines der größten Probleme. „Wir bekommen immer wieder mit, dass paramilitärische Truppen gegen Arbeiter in Indonesien und Kambodscha vorgehen", erklärt Bhattacharjee. „Dabei sind bereits Arbeiter gestorben, wurden verletzt oder grundlos inhaftiert. Und dennoch können die Unternehmen kommen und dafür sorgen, dass die Produktion fertiggestellt wird, wann immer sie wollen."

Obwohl H&M die Gewerkschaftsbildung nicht ausdrücklich untersagt, prangern die Aktivisten an, dass es den Arbeitern durch das Unternehmen nahezu unmöglich gemacht wird, sich zusammenzuschließen. Bhattacharjee erklärt auch, dass die Frauen so überarbeitet sind, dass ihnen schlichtweg die Energie oder die Zeit fehlt, um zu Versammlungen zu kommen. „H&M sollte die Gewerkschaftsbildung möglich machen und nicht sagen: ‚Na los, macht ruhig und bildet eine Gewerkschaft, aber wir machen es euch so schwierig wie möglich.' Das Unternehmen muss zeigen, dass es die Bildung von Gewerkschaften unterstützt, wenn es die Versammlungsfreiheit wirklich respektiert."

Mehr lesen: Der lebensgefährliche Arbeitsweg kambodschanischer Näherinnen

Für viele der Arbeiter ist es schwer, einen Ausweg zu finden. Meoun stellt fest: „Befristete Verträge sind wie Handschellen. Man muss alle vom Arbeitgeber vorgegebenen Bedingungen akzeptieren, andernfalls wird der Vertrag nicht verlängert. Die anderen Handschellen sind die geringen Löhne. Die Arbeiter können von den 125 Euro im Monat nicht leben, deshalb sind sie gezwungen, Überstunden zu machen."

„Auch wenn es dir nicht gut geht oder deine Kinder krank sind, musst du dich zwingen, zur Arbeit zu gehen. Andernfalls kannst du deine monatlichen Ausgaben nicht decken. Du isst weniger, arbeitest schneller und machst Überstunden. Und wenn du dich von deinen Handschellen befreien willst, indem du für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen protestierst, dann wirst du leiden."