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Hexerei

Instrumente Satans: Wie Christen 'Charmed', 'Pokémon' und Co. verdammten

Wenn wir nicht in den Himmel kommen, weil wir 'Harry Potter' gelesen haben, wollen wir da auch gar nicht hin. Mit einer Sache könnten sie allerdings Recht haben.
Szene aus der Fernsehserie 'Charmed'. Foto: Imago | United Archives

Christlich fundamentalistische Gruppen predigen schon seit Langem, dass die Popkultur der vergangenen vier Jahrzehnte vor allem eins war: ein Minenfeld aus teuflischen Verlockungen und Verweisen auf Satan. In den 80er-Jahren gaben evangelische Christen in den USA Dungeons und Dragons die Schuld an Drogenkonsum, Selbstmorden und sogar Teufelsanbetungen. Als Pokémon den Höhepunkt der Beliebtheit erreicht hat, warnten religiöse Gruppen davor, dass die kleinen Monstern ganz eindeutig die Stellvertreter von Dämonen wären, die beschwört würden wie böse Geister aus der Hölle, um den Befehlen ihrer Meister zu gehorchen. Und 2008 verdammte die offizielle Vatikanzeitung die Harry Potter-Bücher wegen ihrer Darstellung okkulter Motive und nannte die positive Repräsentation von Hexerei "eine schlimme und schwerwiegende Lüge."

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Im selben Jahr, in dem auch der beliebte Zauberschüler offiziell aus dem Vatikan verbannt wurde, schrieb die rechte US-Aktivistin Linda Harvey – die 2016 im Wahlkampf Ted Cruz unterstützte und als Leiterin der homophoben Organisation Mission America tätig ist – einen christlichen "Elternratgeber" über die vermeintlichen Gefahren des modernen Heidentums und der neuen Spiritualität. Schon im ersten Kapitel warnte sie: "Wir hören die letzten Sekunden eines Countdowns ticken, bevor wir eine Explosion radikaler, heidnischer Praktiken unter amerikanischen Kindern miterleben werden. Dennoch scheinen die meisten Eltern nichts davon mitzubekommen oder zumindest nicht im Geringsten besorgt." (Anschließend bezeichnet sie den Disney-Song "Farbenspiel des Winds", die Science-Fiction-Serie Animorphs und die gesamte Stadt Seattle als Tor zur Hölle.)

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So absurd sie auch klingen mögen – Harley ist mit diesen Ansichten nicht allein. Auch heute noch beschäftigen sich zahlreiche Webseiten und Bücher mit der Vorstellung, dass das Fantasy- und Science-Fiction-Genre voller Gefahren lauert, die junge Menschen vom rechten Weg abbringen und in Hexen oder Okkultisten verwandeln würden. Die meisten von uns sehen darin natürlich nichts weiter als die paranoiden Fantasien religiöser Fanatiker – aber könnte darin vielleicht auch ein winziger, teuflischer Funke Wahrheit stecken?

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Gemessen an meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen: Ja. Harry Potter war ganz klar die Einstiegsdroge, die mich in die Welt der Hexerei gebracht hat. Als ich die Geschichten über Zauberei und Magie gelesen habe, war ich so begeistert, dass ich angefangen habe, auch in der wahren Welt danach zu suchen. Ich kann mich noch ganz genau daran erinnern, wie ich mit 13 Jahren eine Ausgabe von The Witches' Almanac in einem kleinen Buchladen gefunden habe und darin meine eigene – und meiner Meinung nach schon längst überfällige – Einladung in die magische Welt sah.


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Seit dem Erscheinen des ersten Bands von Harry Potter sind inzwischen knapp zwei Jahrzehnte vergangen. Gleichzeitig hat seither in den USA wie auch in Großbritannien die Zahl der Menschen, die sich selbst als Hexen oder Anhänger der Wicca-Bewegung identifizieren, deutlich zugenommen. In Deutschland gibt es keine genauen Zahlen darüber, wie viele Menschen sich genau mit den sogenannten neuheidnischen Bewegungen identifizieren. Schätzungen zu den Anhängern von Wicca und anderen verwandten Bewegungen hierzulande schwanken zwischen 1.000 und 100.000. "Heidnische Gruppen – die die meisten Menschen meinen, wenn sie von modernen Hexen sprechen – haben sich zu einer religiösen Bewegung entwickelt, die sich nur noch schwer ignorieren lässt", schrieb Alex Mar in einem Artikel im Guardian. "Allein [in den USA] liegt die Zahl der selbstidentifizierten Hexen Schätzungen zufolge bei rund einer Million. Zum Vergleich: Die Zahl der Siebenten-Tags-Adventisten und der Zeugen Jehovas ist ähnlich groß."

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Es gibt zahlreiche, mögliche Erklärungen für diese Entwicklung. Einer der Gründe für das okkulte Revival unter Millenials könnte die enge Verbindung zu feministischen Strömungen sein. Andere vermuten, dass dahinter eher die subversive Freiheit im Netz oder die Tatsache stecken könnte, dass der Okkultismus ein wirksames Mittel im "Kampf gegen Existenzängste" darstellt. Eines steht allerdings fest: Die Popkultur ist und bleibt einer der verlockendsten Wege in die Welt der Magie.

"Die Figuren in den Büchern und Serien sind normalerweise immer Problemlöser oder Menschen, die nach Antworten suchen. Das hat mich einfach angesprochen."

Annabel Gat arbeitet als Astrologin und verbindet dabei Chaosmagie mit klassischer Hexerei. Sie sagt, dass sie in jungen Jahren durch die Romanreihe His Dark Materials zur Magie gefunden hat: "[Die Trilogie] hatte einen großen Einfluss auf mein Leben als Hexe." Filme und Fernsehsendungen wie Verliebt in eine Hexe, Akte X und Sabrina – Total verhext haben einen ähnlich starken Eindruck bei der angehenden Hexe hinterlassen. "Die Figuren in den Büchern und Serien sind normalerweise immer Problemlöser oder Menschen, die nach Antworten suchen. Das hat mich einfach angesprochen."

Katie Thokar ist Runenleserin aus New York und sagt, dass Der Herr der Ringe ihr Interesse an der uralten Kunst der Runenmagie geweckt hat. (Runen wurden von altnordischen Kulturen als Alphabet und divinatorisches System genutzt. Jede Rune stand für ein Objekt oder ein Konzept sowie ein Geräusch und konnte ähnlich gelegt und gelesen werden wie Tarotkarten.) "Tolkien war ein Meister der Linguistik, der das bestehende magische Alphabet übernommen und in seine Geschichten eingeflochten hat. Das Interessanteste daran ist aber, dass die Runen schon existiert haben, ich aber erst durch einen Fantasy-Roman in die Kunst eingeführt wurde und mich deshalb erst mal zum eigentlichen Ursprung vorarbeiten musste."

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Foto: Milada Vigerova | Unsplash | CC0

Manche Menschen gehen noch einen Schritt weiter und nehmen popkulturelle Aspekte direkt mit in ihre magischen Praxis auf. Manchmal wird dieses Phänomen auch als "popkulturelles Heidentum" bezeichnet. Wie Creatrix Tiara von Motherboard schreibt, würden die Anhänger dieser Kunst beliebte funktionale Charaktere mit ihrer Zauberei beschwören. "Einige entwickeln Tarot-Karten nach dem Vorbild der fiktionalen surrealistischen Nachrichtensendung Welcome to Night Vale, andere erforschen die Edelsteine, die den Charakteren aus dem Cartoon Steven Univers ihre heilenden und magischen Eigenschaften verleihen und wieder andere bauen einen Schrein, um die Trolle aus dem bekannten Kult-Webcomic Homestuck zu verehren."

Das mag im erste Moment alles etwas seltsam klingen, aber tatsächlich lässt sich diese Denkweise sehr gut mit verschiedenen Formen der Magie vereinen – allem voran der Chaosmagie, einem vergleichsweise neuen und gewissermaßen postmodernen System, das im Verlauf des 20. Jahrhunderts entstanden ist. In der Chaosmagie wird der Glaube selbst als Werkzeug betrachtet und der Wirkung magischer Arbeit wesentlich mehr Bedeutung zugemessen als dem Ursprung oder dem Aufbau des angewandten Zaubers.

"Magie kann nicht alle Probleme lösen."

In einem seiner Bücher zur Einführung in die praktische Magie beschreibt Kleister Crowley, einer der womöglich bekanntesten Okkultisten aller Zeiten, das grundlegende Glaubenssystem der Chaosmagie und warnt davor, okkulten Objekten zu viel Bedeutung beizumessen. "Dieses Buch spricht von Sephiroth und den Pfaden, von Geistern und Beschwörungen, Göttern, Sphären und Plänen und vielem anderen, das existieren könnte oder auch nicht", schreibt er. "Ihre Existenz ist aber auch nicht von Bedeutung. Bestimmte Handlungen resultieren in bestimmen Ergebnissen." In anderen Worten: Wenn wir daran glauben, dass unsere magische Arbeit durch eine fiktionale Figur unterstützt wird, dann sollten wir diesen Glauben nutzen, bis er keine Wirkung mehr zeigt und ihn dann wieder aufgeben und uns einen Besseren suchen.

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Vielleicht hatten religiöse Fundamentalisten ja doch Recht und okkult angehauchte Popkulturen haben tatsächlich eine neue Generation von Hexen erschaffen. Ihre Angstmacherei ist aber (natürlich) vollkommen unbegründet. Selbst wenn aus allen Menschen, die Harry Potter gelesen oder Charmed angesehen haben, Hexen geworden wären, wäre das nicht weiter schlimm.

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Die meisten von ihnen finden das Heidentum oder das Okkulte sowieso vor allem deshalb so anziehend, weil sie eine offenere Beziehung zu Geschlechtern und Sexualität pflegen, insbesondere im Vergleich zu den großen Weltreligionen. "Ich glaube, besonders interessant ist auch, dass die größten Religionen [des Westens] monotheistisch sind und die Gottheit in den meisten Fällen als männlich dargestellt wird", sagt F. Jennings, einer der Inhaber von Catland Books, einem okkulten Buchladen in Brooklyn. "Es mag abgedroschen klingen, aber es kommt auch immer auf die Darstellung an. Das gilt auch für das Heilige."

Für all jene, die durch die Fiktion zur Magie gefunden haben, gibt es viel zu lernen, sagt Gat. "Magie kann nicht alle Probleme lösen. Du wirst noch immer Kummer und Schmerz verspüren und sterben", sagt sie. "Doch das Leben ist besser mit dem Magischen und Unberechenbaren, als ohne alles."

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