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Porno

Adrineh Simonian – von der Opernsängerin zur Pornoproduzentin

Die ehemalige Opernsängerin Adrineh Simonian produziert experimentelle und feministische Pornografie in Wien. Wir haben sie getroffen und mit ihr über Feminismus und ihre Arbeit gesprochen. 

Foto mit freundlicher Genehmigung von Adrineh Simonian

Adrineh Simonian hat als Mezzo-Sopranistin an der Wiener Oper gesungen. Mit 42 kündigte sie ihren Job, um feministische Pornografie in Wien zu produzieren, weil sie fand, dass die Mainstream-Pornos nichts mit ihrer Sexualität zu tun hatten. Adrineh wollte Filme machen, die sie sich auch selbst gerne ansehen würde.

Zu Beginn wusste sie nicht einmal, wie man eine Kamera einschaltet. Filmen und Bearbeitung lernte sie sich selbst. Heute produziert die ehemalige Opernsängerin hauptberuflich Clips wie Blind Date, in dem zwei Menschen mit verbundenen Augen miteinander schlafen, die sich noch nie zuvor gesehen haben. Im Gespräch mit Broadly erklärt Adrineh, warum es grundsätzlich nichts Erniedrigendes ist, wenn ein Mann in das Gesicht einer Frau ejakuliert und warum in ihren Filmen auch mal Menstruationsblut zu sehen ist.

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Broadly: Du hast 15 Jahre an der Wiener Oper als Mezzo-Sopranistin gesungen. Vor einem Jahr hast du dich dazu entschieden, feministische Pornos zu produzieren. Wie bist du darauf gekommen?
Adrineh Simonian: Eines Tages tranken wir in der Kantine einen Kaffee und neben uns saßen Leute, die sich über Pornografie unterhalten haben. Die Männer haben geprahlt und die Frauen haben gesagt: „Furchtbar, wir schauen doch keine Pornos". Ich bekam ihr Gespräch nicht mehr aus dem Kopf. Dann habe ich begonnen zu recherchieren und bin auf die Filme von Petra Joy und Erika Lust gestoßen. Mich interessiert vor allem die Psychologie hinter der Sexualität. Dazu konnte ich keine Pornografie finden. Dann dachte ich mir, ‚OK, sowas gibt es noch nicht, das könnte ich doch machen'. Diese Gedanken habe ich dann mal ein paar Monate sacken lassen und mich mit Kameras und dem ganzen technischen Hickhack beschäftigt.

Ein heftiger Schwenk, oder?
Nein, finde ich gar nicht. Singen ist etwas sehr Körperbetontes. Um die Techniken zu lernen, brauchst du viele Jahre und musst deinen gesamten Körper einsetzen und kennen. Für mich als Sängerin war die Rolle, die ich gespielt habe, immer viel wichtiger als die Stimme. Ich wollte authentisch sein.

Wie haben deine Kollegen reagiert?
Ich habe nur gesagt, dass ich eine Firma gründe. Was ich genau mache, haben 99 Prozent nicht gewusst. Als Arthouse Vienna dann online ging, war ich schon von der Oper weg.

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Wie arbeitest du genau? Nur mit Profis oder auch mit Amateuren?
Mein Projekt Blackbox besteht zum Beispiel nur aus Amateuren. Der Mann in der Let's Fuck Porn-Reihe ist ein Pornodarsteller. Ich arbeite nicht mit Mainstream-Pornografen, sondern nur mit Darstellern, die auf feministische Pornografie oder andere alternative Richtungen spezialisiert sind.

Ich kann nur Videos hochladen, bei denen die Menschen zu hundert Prozent dahinter stehen.

Wenn Menschen das erste Mal vor deiner Kamera stehen, haben sie dann Angst?
Ja, natürlich. Ihre Angst ist immer dieselbe: dass sie unästhetisch im Internet dargestellt werden. Mein ursprüngliches Ziel war es ja, Frauen in meinem Alter zu filmen. Aber genau meine Generation macht das nicht. Ich höre dann immer: „Ich habe zwei Kinder zur Welt gebracht, darum ein paar Kilo zu viel, ich habe Cellulite, ich bin alt oder wer will mich schon sehen." Ich versuche ihnen dann zu erklären, dass die Leute sie sehen wollen. Sie wollen „echte" Frauen sehen. Aber ich verstehe ihre Angst total.

Wie funktioniert deine Produktion? Besprecht ihr, was im Film passiert?
Egal mit wem, wir schicken zuerst immer lange E-Mails hin und her. Dabei können sie mich alles fragen, was sie interessiert. Wenn die Leute später bei mir vor der Tür stehen, darf man sich nicht vorstellen, dass ich sage: „So und jetzt ausziehen und los." Man trinkt einen Kaffee, redet über Politik, Kunst und Gott und die Welt. Dann zeige ich ihnen alles, mache die Kameras an und sie ziehen sich um oder aus. Ich wünsche ihnen viel Spaß und gehe raus.

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Du bist also nie dabei?
Nur bei Pärchen bin ich dabei. Da gibt es zu viel Bewegung beim Sex und ich muss selbst filmen. Ich habe bisher nur drei Paare aufgenommen, zwei davon sind noch online. Den dritten Film musste ich rausnehmen. Das Mädchen wollte unerkannt bleiben und eine Maske tragen. Sie wurde aber trotzdem erkannt, darauf angesprochen und geriet total in Panik. Das ist eine Frage der Ethik für mich. Ich kann nur Videos hochladen, bei denen die Menschen zu hundert Prozent dahinter stehen. Wenn sich jemand unwohl fühlt, auch nach einem Jahr, dann nehme ich das raus.

Kann man mit feministischer Pornografie Geld verdienen?
Der österreichische Markt ist natürlich zu klein. Aber Deutschland, Schweiz und Österreich zusammen funktioniert gut. Die Leute zahlen gerne für die Filme, weil es so etwas noch nicht gibt. Es erstaunt mich auch sehr, dass auf unserer Seite vor allem Männer sind.

Screenshot aus dem Making Of von „Blind Date"

Warum ist das so?
In der Mainstream-Pornografie siehst du gar nichts von der weiblichen Lust, als würde sie gar nicht existieren. Ich glaube, dass meine Filme eine edukative Richtung angenommen haben. Männer sind interessiert an der weiblichen Sexualität. Sie wollen mehr erfahren und auch mehr können, um ihre Partnerinnen „richtig" zu berühren und ihnen zu geben, was ihnen guttut.

Du beschreibst deine Filme als ästhetisch. Geräusche und Flüssigkeiten beim Sex sind aber oft das Gegenteil.
Genau das will ich zeigen. Ästhetik bedeutet nicht, dass es etwas Schönes sein muss. Es gibt eine hässliche Ästhetik, aber auch eine schöne. Mein Film Die Party fängt auch damit an, dass eine Frau orgiastisch und sexy Erdbeeren isst, endet aber damit, dass die beiden Körper voll mit Schokolade, Schlagsahne, Birnen und Bananen verschmiert sind. Das ist für mich aber auch eine Form der Ästhetik. In meinem ersten Video waren MadKate und Ganymed. Kate meinte zuvor, sie habe ihre Tage und ich antwortete ihr nur, es hätte nichts Besseres passieren können. In einem Teil des Filmes sieht man auch, wie er ihr den Tampon rauszieht und sein Körper später blutverschmiert ist. Mir war sehr wichtig, das zu zeigen.

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Die Gesellschaft bläut uns schon als junge Mädchen ein, dass wir keinen Sex haben sollten, wenn wir unsere Tage haben. Auch wenn wir das möchten. Glaubst du, dass deine Filme uns zu selbstsicheren Frauen machen können?
Ich glaube, dass durch Filme, in denen Tabus gezeigt werden, eine Öffnung entstehen kann. Alles, ganz unabhängig von Pornografie, was neu ist, macht dem Menschen Angst. Wenn etwas Neues auf uns zukommt, müssen wir uns damit konfrontieren. Dann sieht man nämlich, dass es nichts Schlimmes ist.

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Manche Feministinnen sagen, dass Pornografie und Sexismus zwei Gegenpole sind, die nicht zusammengebracht werden können. Was siehst du das?
Das ist absoluter Blödsinn. Ich glaube, dass der Feminismus heute ein anderer ist. Idole wie Alice Schwarzer, Catharine MacKinnon oder Andrea Dworkin vertraten ja die Meinung, dass es in der Theorie Porno ist, in der Realität aber Vergewaltigung. Es gab sicherlich Produktionen, wo es schlimm zuging, aber das war nicht nur in der Pornografie der Fall. Durch den Feminismus haben die Frauen langsam begonnen, sich zu öffnen und sich zu ihrer Sexualität zu bekennen. Warum sollten wir unsere Sexualität tabuisieren? Das schadet nur uns selbst. Für mich geht Feminismus und Pornografie darum Hand in Hand.

Petra Joy setzt in ihren Filmen zum Beispiel Dogmen. Du siehst nicht, dass ein Mann einer Frau ins Gesicht ejakuliert—mit der Begründung, das sei demütigend für die Frau. Es gibt Frauen, die das mögen. Und wenn ich ein Pärchen habe, das sagt „Wir wollen das machen, weil die Frau das mag", soll ich dann sagen „Nein, das ist ja demütigend für sie"? Für eine Frau ist es nur dann demütigend, wenn sie es nicht möchte und man es dennoch macht. Ja, das ist schlimm und auch illegal. Ich kann keine Dogmen für die Lust setzen, denn sie lässt sich nicht generalisieren. Ich sehe Pornografie und Feminismus als eine Hassliebe. Ich finde es wahnsinnig wichtig, dass sich die feministische Pornografie weiterentwickelt. Auch die Männer bemerken erst langsam, dass es weibliche Lust gibt. Es geht nicht nur um rein und raus.

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