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Drogen

Wie mich meine Liebe zu Gras fast meinen Job im Weißen Haus gekostet hätte

Bevor Alyssa Mastromonaco zur stellvertretenden Stabschefin von Präsident Obama wurde, entging sie nur knapp dem FBI – und alles nur, weil sie ab und zu gerne kiffte.
Photo by Pete Souza courtesy of Alyssa Mastromonaco

Es war Freitag, der 5. Oktober 2008 und ich hatte eine Panikattacke. Während Barack Obamas Präsidentschaftskampagne war ich diejenige, die seinen Terminkalender verwaltete und der letzte Monat vor den Wahlen stand kurz bevor. Doch die Krise, die mich an diesem Tag in der Wahlkampfzentrale in Chicago einholte, hatte nichts mit einer verpatzten öffentlichen Debatte, entgleisten Reiseplänen oder sonstigen Äußerungen gegenüber der Presse zu tun. Ich hatte eine Panikattacke, weil ich gerne gekifft habe.

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Was passiert war? Das Standardprozedere im Umgang mit der potenziellen neuen Regierung sieht vor, dass sich hochrangige Mitarbeiter einer direkten Sicherheitsüberprüfung unterziehen und hierzu vorab ein Formular ausfüllen müssen. Schließlich sollen sie sofort einsatzbereit sein, wenn sie die Wahlen gewinnen. An besagtem Freitag hatte einer meiner Kollegen sein SF86-Formular bekommen – ein schriftlicher Fragebogen, der an die nationalen Sicherheitsbehörden weitergeleitet wird und extrem einschüchternd wirken soll. Selbstverständlich standen wir alle um ihn herum, um zu sehen, was sie von uns wissen wollten: Name, Geburtsdatum und Sozialversicherungsnummer, Größe, Gewicht und Haarfarbe, polizeiliches Führungszeugnis, Reisepassinformationen – soweit so gut. Dann kamen wir zu Seite 93: "Illegaler Drogenkonsum und Drogenbesitz".

Mehr lesen: Ich habe aufgehört zu kiffen und es war ein absoluter Albtraum

"Haben Sie in den vergangenen sieben (7) Jahren, irgendwelche Drogen oder kontrollierte Substanzen illegal konsumiert? Geben sie die Art der Droge oder der kontrollierten Substanzen an." Es gab zwei Spalten mit Drogen und kontrollierten Substanzen. An zweiter Stelle stand: "THC (wie Marihuana, Gras, Pot, Haschisch etc.)"

Ich wuchs in den 90er-Jahren mit der Musik von Greatful Dead auf und besuchte später die Universität von Vermont, deren Studenten schon immer eine gewisse Vorliebe für Gras nachgesagt wurde. Meine Antwort auf diese Frage dürfte niemanden überraschen.

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Was es allerdings noch schlimmer machte, war, dass das Formular nähere Angaben verlangte: "geschätzter monatlicher Konsum und Jahr des ersten Konsums", "Monat und Jahr des letzten Konsums", "Art und Häufigkeit des geschätzten Konsums" … Es war wie einer dieser Albträume, in denen man vom Arzt gefragt wird, wann man das letzte Mal seine Tage bekommen hat, einem die Antwort aber einfach nicht einfällt. Ich habe keine Ahnung, wie ich so naiv sein konnte. Wieso kam es mir nie in den Sinn, dass es einen Drogentest geben könnte? Je detaillierter die Fragen wurden, umso klarer wurde mir, dass sie sich nicht einfach auf unser Wort verlassen würden.

Mehr als fünfhundertmal? – Schreiben Sie einfach 'nicht bekannt'!

Wahrscheinlich habe ich mich in Sicherheit gewogen, weil ich mich selbst als Regierungsveteran betrachtete. Ich arbeitete schon seit 2005 für Barack Obama (seit seiner Zeit als Senator) und war zuvor bei John Kerrys Präsidentschaftskandidatur involviert. Doch genau wie die aktuelle Regierung musste auch ich lernen: Das Weiße Haus ist mit keinem anderen Arbeitsplatz auf der Welt vergleichbar.

Am selben Abend ging ich nach Hause spülte das Gras aus meiner Unterwäscheschublade die Toilette hinunter. Ich warf meine Pfeife in den Müll und den Müll in die Tonne. Es war nicht viel – ich rauchte nur ab und zu, weil es mir während der laufenden Wahlkampfkampagne beim Einschlafen half. Abgesehen davon bin ich nie wirklich stoned nach draußen, geschweige denn zur Arbeit gegangen. Kurz nach dem Studium hat mein Konsum seinen Höhepunkt erreicht. Dennoch blieb Gras mein treuer Begleiter. Es half mir beim Einschlafen und linderte die Symptome meines Reizdarmsyndroms. Es half mir mit meiner Angststörung und machte mir einen freien Kopf. Deswegen war und bin nach wie vor der Meinung, dass Gras legalisiert werden sollte.

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Auch wenn ich meinen Marihuanakonsum mittlerweile dadurch ersetzt habe, dass ich abends einfach mehr Wein trinke.

Foto: Obama White House | Flickr | United States government works

Kurz nachdem ich mein SF86-Formular ausgefüllt hatte, wurde ich von einer FBI-Agentin zu meinen Antworten befragt. Sie legte meine Akte vor mir auf den Tisch. Ich war so nervös, dass ich hektisch und schuldbewusst davonerzählte, wie ich während dem Studium mal versehentlich in einem Stripclub in Miami gelandet bin. Das interessierte sie allerdings nicht. Sie wollte wissen, wie oft ich gekifft hatte.

"Ich weiß es nicht."

"Mehr als zwanzigmal?"

"Ja", antwortete ich. "Mehr als zwanzigmal."

"Mehr als hundertmal?" Ich begann zu schwitzen.

"Ja", sagte ich. "Mehr als hundertmal."

"Mehr als fünfhundertmal?"

"Schreiben Sie einfach 'nicht bekannt'!"

Sie gab sich mit meiner Antwort zufrieden und sagte: "Mehr als fünfhundertmal – in Ordnung."

Ich stellte mir zwangsläufig die Frage, ob es nicht einfacher wäre, mich wieder an meinen guten, alten Freund Marihuana zu wenden.

Das Formular deckt nur Informationen zu den vergangenen sieben Jahren ab. Im Gespräch selbst sollte ich aber plötzlich erzählen, was ich seit meinem 18. Geburtstag getrieben habe. Außerdem wollten sie die genauen Orte wissen, an denen ich Gras geraucht hatte. Ich musste also nach den Adressen von Studentenwohnheimen suchen, die mittlerweile überhaupt nicht mehr existieren.

Die letzten Tage vor der Wahl waren hektisch und alle waren nervös. Sie vergingen allerdings ohne größere Vorfälle an der Drogenermittlerfront. Das FBI wollte sich mit meiner Familie und meinen Freunde unterhalten. Sie sollten ihnen sagen, ob sie von meiner Vorliebe für Sportzigaretten wussten. Als ich sie anrief, um sie vorzuwarnen, stellte sich heraus: Sie waren mehr als bereit, das FBI und somit unsere Regierung gnadenlos zu belügen. Sie würden der Regierung sagen, dass sie noch nie beobachtet hätten, dass ich Gras rauche. Ich wüsste wahrscheinlich noch nicht einmal, was eine Bong ist! "Nein, nein, nein", antwortete ich. Wenn sie nicht bestätigen würden, dass ich ab und zu gekifft hatte, würde das FBI davon ausgehen, dass ich gelogen hätte. Das wiederum würde mich erpressbar machen. Sie mussten ihnen die Wahrheit sagen.

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Natürlich haben wir die Wahl gewonnen. Nach der großen Feier in Chicago bereiteten wir uns alle auf unsere Arbeit in Washington DC vor. Ich stand gerade inmitten von Umzugskartons in meiner neue Wohnung in DC, als ich einen Anruf von einer Anwältin aus dem Weißen Haus bekam. "Wir könnten ein ernsthaftes Problem bekommen", sagte sie.

Mein Kopf begann zu pochen und ich geriet schlagartig in Panik. Ich kauerte auf dem Küchenboden meiner neuen Wohnung und begann zu weinen. Mein Reizdarmsyndrom machte sie bemerkbar und ich hatte nichts im Haus außer Imodium. Im einen Moment bereitete ich mich noch darauf vor, eine von Obamas Beraterinnen im Weißen Haus zu werden und im nächsten Moment, dachte ich darüber nach, wie ich meiner Familie und meinen Freunden beibringen würde, dass ich entlassen worden bin, weil ich gerne Marihuana rauche. Es stellte sich heraus, dass sie sich lediglich Sorgen darum machte, dass "mein exzessiver Marihuanakonsum ein Hindernis darstellen" und meine Leistungsfähigkeit beeinflussen könnte.

Foto: Obama White House | Flickr | United States government works

Die Wahrheit ist, dass es gar nicht so unwahrscheinlich gewesen wäre. Dennoch hatte ich nie darüber nachgedacht zu lügen. Es wäre wahrscheinlich unmöglich gewesen mich zu erpressen, weil ich meine ganze schmutzige Wäsche schon selbst gewaschen hatte. Letztendlich gaben sie mir die Erlaubnis, meine Stelle als Assistentin des Präsidenten wiederaufzunehmen. Allerdings musste ich mich im ersten Jahr monatlich stichprobenartigen Drogentests unterziehen, die anschließend regelmäßig fortgeführt wurden.

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Ich habe fünf Jahre lang im Weißen Haus gearbeitet und hatte nie wieder Kontakt zu Gras. Ich bin so sauber geblieben, dass ich auch im Mai 2014, als ich das Weiße Haus verlassen habe, nicht wieder angefangen habe zu kiffen. Warum einen Schritt zurück machen? Obwohl ich von meinem neuen Ritual, abends ein Glas Wein zu trinken, zugenommen habe, habe ich nie an meiner Entscheidung gezweifelt. Mit dem Kiffen aufzuhören erschien mir mit knapp 40 Jahren angebracht. Zudem stand ich kurz davor nach mehr als zehn Jahren zum ersten Mal wieder in den privaten Sektor zu wechseln. Alles in allem eine kluge Entscheidung. Abgesehen davon hat mir das FBI einen riesigen Schrecken eingejagt.

Mehr lesen: Hilft Gras wirklich gegen Depressionen?

Doch die Monate, nachdem ich das Weiße Haus verlassen hatte, waren stressiger, als ich dachte. Ich versank in einem tiefen Nebel. Ich war es gewohnt, andauernd abrufbar zu sein. Nichts zu tun zu haben und mich um niemanden kümmern zu müssen, machte mich depressiv. Nach ein paar Monate bekam ich dann das Angebot, ein Buch zu schreiben und als COO bei VICE zu arbeiten. Das hieß, dass ich von DC nach New York umziehen und gleichzeitig versuchen musste, alles unter einen Hut zu kriegen. Wie zu erwarten war, meldeten sich zeitgleich meine Angststörung und mein Reizdarmsyndrom, sodass ich Xanax und Zoloft nehmen musste. Ich stellte mir zwangsläufig die Frage, ob es nicht einfacher wäre, mich wieder an meinen guten, alten Freund Marihuana zu wenden.

Wenn ich mit 18 Jahren gewusst hätte, dass Kiffen knapp 20 Jahre später meine Karriere in Gefahr bringen könnte, hätte ich es dann trotzdem getan? Um ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht. Laut einer Umfrage von Pew Research aus dem Jahr 2016 befürworten 57 Prozent aller Amerikaner die Legalisierung von Marihuana – nahezu doppelt so viele wie Anfang 2007, als Barack Obama seine Präsidentschaftskandidatur bekannt gegeben hat. Die wiederholten Versuche von Seiten der Republikaner, die Legalisierung zu stoppen, wirken fast wie so eine Vergeltungsmaßnahme, um junge Menschen aus dem politischen System zu verprellen und Minderheiten sowie Geringverdiener zu bestrafen. Ich hatte das Glück, meinen Job im Weißen Haus behalten zu dürfen. Jeder sollte die gleiche Chance bekommen wie ich.


Alyssa Mastromonaco ist die ehemalige stellvertretende Stabschefin von Präsident Barack Obama und arbeitete bis vor Kurzem als COO bei VICE Media. Ihre Memoiren, Who Thought This Was a Good Idea?, erscheinen nun bei Twelve.