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Sexualisierte Gewalt

Rechte haben jetzt ihren eigenen "#Aufschrei" – aber nur gegen "importierte Gewalt"

Wie feministisch kann die Aktion #120db sein, wenn sie von der Identitären Bewegung stammt? Wir haben bei bekannten Feministinnen nachgefragt.

Egal ob #aufschrei oder #MeToo, wenn Frauen ihre Erlebnisse mit sexualisierter Gewalt öffentlich machten, kommt die Unterstützung meist von links. Doch warum? Erfahren Rechte keine Übergriffe oder Sexismus? Eine neue Aktion der Identitären Bewegung legt nahe: Vielleicht war die Tätergruppe bisher einfach nicht spezifisch genug.

Unter dem Hashtag #120db rufen rechte Frauen jetzt zum Widerstand gegen "importierte Gewalt" auf. Im offiziellen Video zur Aktion heißt es unter anderem: "Wegen eurer Zuwanderungspolitik stehen wir bald einer Mehrheit von jungen Männern aus archaischen, frauenfeindlichen Gesellschaften gegenüber. (…) Ihr habt uns geopfert."

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Die Strategie, sexualisierte Gewalt vor allem Migranten oder Geflüchteten zuzuschreiben und dadurch den eigenen Rassismus zu rechtfertigen, ist freilich nicht neu. Der Aufruf zu aktivem Widerstand und implizierter Selbstjustiz in dieser Deutlichkeit hingegen schon: "Dieser Staat wird uns nicht schützen. Niemand weiß, wer von uns die Nächste ist. Nimm dein Schicksal selbst in die Hand" lautet eine Aufforderung im Video, das unter anderem von Brittany Pettibone geteilt wurde – ihres Zeichens eine Aktivistin, die offen rechtsradikale und antifeministische Positionen vertritt. Ihr Freund Martin Sellner, Posterboy der Identitären Bewegung, registrierte die zu #120db-gehörige Homepage unter seinem Namen.

120db ist somit weniger ein neuer “Aufschrei” von rechts, als viel mehr Mobilisierungs- und Propagandainstrument der neuen Rechten, das sich explizit an Frauen richtet. Wir haben Feministinnen gefragt, was sie von der Aktion halten.

Foto: Eva L. Hoppe

Anne Wizorek, Aktivistin und Beraterin

Es ist ekelhaft, wie Betroffene sexualisierter Gewalt hier mal wieder zum Spielball für deren rassistische Agenda gemacht werden sollen. Es geht den neuen Rechten am Ende ja nicht um wirkliche Verbesserungen für Betroffene, das Thema wird nur benutzt, um das Recht auf Asyl weiter zu beschneiden oder Geflüchtete abzuschieben. Sexualisierte Gewalt ist aber ein gesamtgesellschaftliches Problem, dem wir auch auf diese Weise und in all seiner Komplexität begegnen müssen – das haben wir nicht zuletzt mit Aktionen wie #ausnahmslos deutlich gemacht. Als Feministin mache ich keine Ausnahme wenn es um sexualisierte Gewalt geht, die neue Rechte tut das aber die ganze Zeit und bezieht sich ausschließlich auf nicht-weiße Männer. Diesen Rassismus müssen wir immer wieder entlarven und uns ganz klar dagegen positionieren, wenn feministische Forderungen auf diese Art instrumentalisiert werden sollen.

Foto: Katja Hofmann

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Ninia LaGrande, Autorin

Grundsätzlich dürfen wir die Social-Media-Fähigkeiten und Hashtag-Aktionen der neuen Rechten und Identitären nicht unterschätzen. Auf Instagram, YouTube und Twitter vermitteln sie rechtes Gedankengut unter dem Deckmantel der Hipsterästhetik. Wer bei #120db nicht genau hinschaut, fühlt sich von der oberflächlichen Message "Frauen schützen" angesprochen. Dahinter steckt die perfide Botschaft, dass sexualisierte Gewalt ausschließlich von nicht-deutschen Personen ausgeht und ausschließlich deutsche Frauen Opfer und schützenswert sind. Bedeutet das im Umkehrschluss, dass Gewalt, die von Deutschen ausgeht, in Ordnung ist? Das ist alles andere als feministisch.

Foto: Amina Yousaf

Amina Yousaf, Aktivistin

Bei der Aktion der Identitären Bewegung geht es meiner Meinung nach um Rassismus der unter dem Deckmantel von Feminismus verbreitet wird. Sexualisierte Gewalt darf aber nicht nur dann thematisiert werden, wenn die Täter die vermeintlich "Anderen" die oder die Opfer weiße, europäische Frauen sind. Generell gilt aber für mich: Jede Person, die Opfer von sexualisierter Gewalt wird, muss Schutz finden und ernst genommen werden. Sexualisierte Gewalt ist ein Thema, das wir jeden Tag angehen müssen. Schließlich ist es ein Problem, das uns alle betrifft.

Foto: Eylül Aslan

Sookee, Rapperin

Als antifaschistische Feministin ist es schwer auszuhalten, wie bei #120db das Thema sexualisierte Gewalt für eine rechte Propaganda vereinnahmt wird. Aus allen Poren der Kampagne schwitzt es die Mär von Überfremdung. Ich will keiner Frau ihre Erfahrungen mit männlicher Gewalt und das daraus erwachsende Leid absprechen, aber hierbei geht es ausschließlich um das Narrativ des vergewaltigenden Südländers. Weiße, deutsche Männer werden mit keiner Silbe als Teil der Problematik erwähnt. Das ist blanker Rassismus. Jegliche Differenzierung wird von den selbsternannten Töchtern Europas damit verhindert. Für mich sind sie auf keinen Fall feministische Verbündete.

Foto: Erik Marquardt

Ricarda Lang, Politikerin

Wir müssen sexualisierte Gewalt überall, wo sie auftaucht, und in allen Teilen der Gesellschaft kritisieren und bekämpfen. Dem stellt sich die Identitäre Bewegung mit ihrem Antifeminismus aber gerade entgegen. Die unglaublich hohe Zahl an Fällen von häuslicher Gewalt in deutschen Haushalten interessiert sie keinen Meter. Diese Verlogenheit zeigt sich auch an der Forderung, Vergewaltiger abzuschieben. Hier geht es offensichtlich nicht darum, Frauen vor Gewalt zu schützen, sonst würde das ja auch Frauen in anderen Ländern umfassen. Stattdessen sollen nur "ihre Frauen" geschützt werden und damit die homogenisierte deutsche Volksgemeinschaft. Ich finde es wichtig, dass Hashtags wie #aufschrei oder #metoo nicht nur Frauen aus dem linken und feministischen Spektrum ansprechen, sondern allen Frauen eine Stimme geben, die von ihren Erfahrungen berichten wollen. Denn das Patriarchat betrifft alle Frauen. Bei einer Aktion wie #120db kann man den politische Hintergrund und die Intention jedoch nicht ignorieren. Hier sollen die Rechte von Frauen nicht gestärkt, sondern für rechte Hetze instrumentalisiert werden. Ich für meinen Teil, möchte nicht von irgendwelchen rechten Sexisten "beschützt" oder benutzt werden.

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