Liebe Sex, aber dich selbst noch mehr: Paula Lambert im Interview
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Kultur

Liebe Sex, aber dich selbst noch mehr: Paula Lambert im Interview

Mit ihrem neuen Buch will die ausgewiesene Sexpertin sich einer erogenen Zone widmen, die insbesondere bei jungen Frauen oft vernachlässigt wird: dem Selbstwertgefühl.

Als ich im Park vor dem Strandbad in Berlin-Weißensee auf Paula Lambert warte, erkenne ich sie schon von weitem. Zum einen, weil sie gegen zwei riesige Pudel-Golden-Retriever-Mischlinge an der Leine ankämpft, zum anderen weil es im deutschen Fernsehen kaum eine andere Frau gibt, die mit ihrem Gesicht für einen offenen und lockeren Umgang mit Sexualität steht. Kürzlich noch begab sie sich beispielsweise mit ihrem Mann auf die Suche nach dem besten Sex Deutschlands und fand sich dabei unter anderem bei einer tantrischen G-Punkt-Massage vor laufenden Kameras wieder.

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In ihrem neuen Buch Finde dich gut, sonst findet dich keiner soll es allerdings um eine andere Art der Liebe gehen, die ungleich wichtiger ist: Die zu sich selbst. Wir haben mit der 42-jährigen Autorin über die Unsicherheiten der jungen Generation, den Kampf gegen den eigenen Körper und die Wichtigkeit gesprochen, niemals Angst davor zu haben, Nein zu sagen.

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Broadly: Du redest sehr offen über Sex und Partnerschaft, auch in Verbindung mit deinem Mann. Gibt es Sachen, die dir zu intim wären vor der Kamera?
Paula Lambert: Ich glaube, man kann vieles zeigen, wenn man eine innere Haltung dazu hat, die das Innerste schützt. Ich würde zum Beispiel nicht mit meinem Mann vor der Kamera rumknutschen, Sex haben oder allgemein Zärtlichkeiten austauschen—das geht niemanden was an. Das ist meins, das gehört niemandem sonst. Sachen ausprobieren, wie wir das in der Sendung gemacht haben, finde ich aber OK. Das hat ja schon fast so einen pseudowissenschaftlichen Touch.

Hast du das Gefühl, dass die Leute, die dich neu kennenlernen, denken, dass sie dich kennen? Dadurch, dass du über bestimmte Themen eben sehr offen sprichst.
Eigentlich nicht. Ich habe da den ganz glücklichen Status, dass ich eher als Vertraute wahrgenommen werde, die bereitsteht um Fragen zu beantworten. Manche sind ein bisschen distanzlos, weil sie mich erst gehenlassen wollen, wenn ich ihre privaten Probleme gelöst habe, aber sonst eigentlich nicht. Zum Glück. Das habe ich aber glaube ich auch durch das neue Buch aufgebrochen. Hätte ich jetzt noch ein reines Sexbuch geschrieben, wäre es vielleicht schwieriger geworden. Es war aber auch einfach an der Zeit, mal etwas anderes zu machen. Zumal ich auch festgestellt habe, dass ganz viele Frauen versuchen eine Beziehung zu führen, dazu aber im Inneren eigentlich gar nicht in der Lage sind, weil sie so ein beschissenes Verhältnis zu sich selbst haben. Das muss man aber erst einmal herstellen können, um Sexualität in einer Beziehung oder überhaupt eine Beziehung führen zu können. Insofern habe ich mit den anderen Büchern eigentlich einen zweiten Schritt vor dem ersten gemacht.

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Ich bin zwar nicht gekommen und eigentlich hats mir auch nicht so richtig Spaß gemacht, aber für ihn war es gut und möglicherweise gibt er mir jetzt 5 Sterne auf Yelp.

Glaubst du, dass das vor allem ein Problem ist, das junge Frauen haben? Dass sie ein bestimmtes Selbst- oder Beziehungsbild vor Augen haben, aber eigentlich noch gar nicht bereit dafür sind?
Na ja, oder es gibt diese Sexualität, die sie sich vorstellen, überhaupt nicht. Das hat häufig so einen Zeugnischarakter, auch dieses Nicht-Ernstnehmen der eigenen Sexualität. Ich bin zwar nicht gekommen und eigentlich hats mir auch nicht so richtig Spaß gemacht, aber für ihn war es gut und möglicherweise gibt er mir jetzt 5 Sterne auf Yelp. So klingt das manchmal. „War gut, komme gern wieder." Aber was ist mir dir? Da bekomme ich als Antwort oft: „Ja gut, wir Frauen kommen ja nicht so oft zum Höhepunkt, für Frauen ist Sex nicht so wichtig." Das ist wirklich weit verbreitet und das ist nicht nur die junge Generation. Bei der alten kann man vielleicht noch sagen, dass die das gar nicht anders gelernt haben, aber die junge müsste es besser wissen.

Es ist ja tatsächlich so, dass die weibliche Lust mittlerweile sehr offen diskutiert wird. Das ist kein Thema mehr, das man komplett übersieht oder totschweigt.
Wenn Frauen es nicht schaffen, ihre Bedürfnisse zu formulieren, muss man eben auch beiden so ein bisschen an die Nase fassen. Das liegt nicht nur am fehlenden Nachfragen des Mannes. Deswegen gibt es auch so viele Missverständnisse zwischen dem, wovon der Mann glaubt, dass die Frau es will und dem, was sie wirklich will. Trotzdem ist weibliche Sexualität ja teilweise richtig geächtet. Es gibt Fälle, bei denen betäubte Mädchen einfach von einem Football-Team vergewaltigt wurden, denen dann unterstellt wurde, dass sie es ja nicht anders gewollt hätten, weil sie einen Rock anhatten. Es ist in vielen Gebieten dieser Gesellschaft einfach grässlich, ein Mädchen zu sein und das wird oft so kleingeredet. Von Gleichberechtigung beziehungsweise Gleichbehandlung sind wir sehr weit entfernt. Das ist in den USA sicher noch schlimmer als hier, aber dass sich jemand nahezu ungestraft an einem jungen Mädchen vergehen darf, weil die sich nicht genug gewehrt hat—das ist einfach ein Unding.

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Darum ist es mir auch so wichtig, jungen Mädchen beizubringen, dass sie immer wieder üben müssen, Nein zu sagen. Sei es mit dem Freund, der irgendwas machen will, was sie nicht wollen, sich dann aber denken: „Nicht, dass er jetzt schlecht von mir denkt und mich nie wieder anruft". Ich finde Sexualität als Intimsphäre extrem schützenswert, aber noch viel schützenswerter finde ich die Sexualität von jungen Mädchen, die sich da teilweise in der Hoffnung preisgeben, irgendetwas zurückzubekommen. Sex ist gleich Zuneigung ist eine Rechnung, die nicht immer aufgeht, weil sie nicht unbedingt den männlichen Bedürfnissen entspricht—je nach Typ und Situation natürlich. Da wird aber wenig drüber gesprochen und vor allem wird es nicht beigebracht. Ich lag als junges Ding oft da rum und dachte mir: Eigentlich wäre ich gerne woanders, eigentlich will ich das jetzt gar nicht. Das sind Momente, die die Intimsphäre eigentlich verletzen. Wo du selber zulässt, dass jemand in dich eindringt—im wörtlichen und übertragenen Sinne—, von dem du das eigentlich nicht willst. Oder in einem Moment, oder auf eine Art, die du nicht willst. Dass darüber gesprochen wird, gehört für mich auf jeden Fall zur Aufklärung dazu. Nein sagen ist immer unangenehm und das muss man einfach üben.

Wenn du sagst, dass du früher selbst Probleme bei dem Thema hattest: Wann hat sich das denn für dich geändert?
Das ist mir am Anfang nicht leicht gefallen und ist natürlich ein Weg, der ein paar Jahre dauert. Irgendwann habe ich aber angefangen, diesen Momenten, in denen ich deutlich über mich selber hinweggegangen bin, nachzugehen. Ich habe versucht herauszufinden, warum ich da über meine wirklichen Bedürfnisse hinweggehe. Was ist der Grund dafür? Will ich Zuneigung? Will ich Anerkennung? Hat es tatsächlich praktische Gründe, weil die Bahn weg ist—wobei das echt ein doofer Grund ist, aber mir fällt gerade kein anderes Beispiel ein? So bin ich irgendwann darauf gestoßen, dass das möglicherweise mit einem ziemlich krummen Selbstbild zusammenhängt. Sei es der Gedanke, irgendwie nicht liebenswert, nicht „richtig" zu sein oder nur dann liebenswert zu sein, wenn ich bestimmte Dinge sage, tue, anziehe. Also habe ich angefangen, die Ursache für dieses schwache Selbstbild aufzuräumen. Mit Schaufel, Rechen und mehreren Therapeuten. Viel wichtiger als die Partnersuche ist ja eigentlich die Liebe zu sich selbst. Auch dem eigenen Körper gegenüber.

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Fühlst du dich gut? Dann bleib so. Fühlst du dich nicht gut? Dann ändere was. Dein Körper ist kein Schicksal.

Nach einer Trennung vor acht Jahren habe ich zum Beispiel angefangen, 22 Kilo zuzunehmen. Warum? Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich diese Trennung herbeigeführt habe und zugelassen, dass dieses schlechte Gewissen irgendwelche Urängste aufwühlt. Also habe ich angefangen, dagegen anzufressen. Einfach nur, damit das weggeht. Das funktioniert übrigens tatsächlich: Wenn man ganz viel isst, dann fühlt man weniger. Mir klarzumachen, dass ich da wirklich gegen mich handle, weil es mir damit auch teilweise gar nicht gut damit ging, ist eben auch ein Akt der Selbstliebe. Sich zu fragen: Was gebe ich meinem Körper und was eben nicht?

Das ist für mich auch ein ganz wichtiger Punkt, wenn es um das Thema Body Positivity geht: Dass es total OK ist, wenn jemand abnehmen will—nicht, weil es ihm um sein Aussehen oder die Meinung anderer geht oder er es schlimm findet, mehr zu wiegen, sondern weil er sich selbst körperlich nicht wohlfühlt. Sich mit sich selbst und in seinem Körper wohlzufühlen hat ja oft überhaupt nichts damit zu tun, wie viel man wiegt.
Ich finde, das sollte bei diesem ganzen Abnehmding auch das einzige Argument sein. Fühlst du dich gut? Dann bleib so. Fühlst du dich nicht gut? Dann ändere was. Dein Körper ist kein Schicksal, sondern in fast allen Fällen eine Sache der Ernährung und der Bewegung. Das ist eine Entscheidung, die du treffen kannst. Ich könnte jetzt natürlich auch sagen, dass ich komplett auf vegan umsteige und für immer Zucker und Alkohol weglasse—das packe ich aber momentan nervlich ist, weil mich das total stresst, nur Gemüse zu essen. Ich bin OK so, wie ich bin und es hat auch keiner das Recht, mich deshalb irgendwie anzumachen. Wenn du dich nicht wohl fühlst und trotzdem schlecht zu dir bist, dann hast du ein Problem mit der Selbstliebe. Und dann musst du das ändern, wenn du willst, dass es aufhört. Ich wollte aussteigen aus der Mühle der Selbstmisshandlung.

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Findest du es in dem Zusammenhang auch wichtig, dass verschiedene Körperbilder in den Medien, im Fernsehen, in Filmen kultiviert und ganz selbstverständlich gezeigt werden? Damit Frauen mit mehr auf den Rippen nicht immer erstmal als …
… „die mollige Laiendarstellerin" oder so angekündigt werden? Ja, total, aber das es eben auch als normal angesehen wird. Blödes Beispiel vielleicht, aber Motsi Mabuse, die von Let's Dance, ist Hochleistungssportlerin eigentlich, hat riesig dicke Möpse und einen richtig schönen prallen großen Hintern. Wenn die sich sackartig anzieht, dann sieht die aus wie ein Fässchen, trotzdem muss man aber nicht sagen: „Motsi Mabuse hat ganz schön zugenommen, die moppelige Sonstwas." Das ist einfach eine toll aussehende Frau. Die sieht halt aus, wie sie aussieht—so wie Angelina Jolie auch aussieht, wie sie aussieht. Dünne Frauen werden auch gesellschaftlich geächtet. Am Besten wäre, wenn wir einfach aufhören würden, darüber zu urteilen.

Das Einzige, wo du nicht schwach sein darfst, ist in Sachen Selbstliebe.

Ich verwehre mich auch dagegen, wenn mich so komische Plattformen anfragen, ob ich nicht Spokeswoman für sie werden möchte. Nein! Ich bin doch nicht die Moppelige, ich bin ich. Ich will nicht in irgendeine blöde Schublade, steckt euch da selber rein. „Sie sind ja auch eine etwas rundere Frau"—ich bin vor allem eine Frau. Mein Lieblingswort ist ja „Vollweib". Da könnte ich so was von Kotzen. Was sind dann die anderen? Halbweiber? Ich verstehe schon, was sie meinen: Ich habe die sekundären Geschlechtsmerkmale besonders ausgesprägt, aber toll fühlt sich das auch nicht immer an. Zum Beispiel beim Sport. Da hätte ich gerne so kleine, apfelige Brüste, die ganz in Ruhe mitjoggen.

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Wenn du mit jungen Frauen redest: Was sind da so die größten Probleme und Unsicherheitsbereiche?
Bin ich richtig, so wie ich bin? Was muss ich tun, damit ich „richtiger" werde? Ich mag Instagram sehr gerne, aber es ist ein echtes Problem, dass diese ganzen Selbstoptimierer da rumspringen. Es reicht nicht, dass du Sport machst, du musst einen Sixpack haben. Es reicht nicht, dass du dich gesund ernährst, du musst vegan/Clean Eating/Superfood/Schießmichtot machen. Da ist ein bisschen das Gefühl für die Mitte abhanden gekommen. Es reicht, wenn ich einen Salat esse und ein bisschen Gemüse reinschneide, da muss ich nicht gleich eine Philosophie draus machen. Dieses Dogmatisieren nervt mich so. Ich finde es wichtig, zu sagen: Du müsst nicht immer gewinnen. Es ist OK, wenn du überhaupt irgendwie ins Ziel kommst. Entspannt euch mal! Es muss möglich sein, dass ich einfach mal einen Tag habe, wo ich schwach bin. Wo ich es nicht schaffe, mich totzuackern oder mal einen Kuchen esse, obwohl ich eigentlich mit irgendeiner besonderen Ernährungsweise lebe. Das gehört zum Menschsein.

Das Einzige, wo du nicht schwach sein darfst, ist in Sachen Selbstliebe. Das muss stehen wie eine Eins. Das Ideal muss sein, dass du dir sagst: Ich bin ganz genau richtig, so wie ich bin. Und dann ist es auch egal, wenn du einen schwachen Tag hast oder mal Mist machst. Dann treffen Menschen auch klügere Entscheidungen—sei es in der Politik oder in der Partnerwahl. Das ist tatsächlich ein Prozess und vielleicht erreichst du den Zustand auch nie. Dass du nah dran bist, reicht aber auch schon. Ich bin auch noch nicht ganz da, ich arbeite noch dran—aber ich kann es schon riechen! [lacht]