Mehrere Menschen, vier davon mit Gasmasken, stellen einen Überfall auf einen Geldtransporter nach, der sich so 1959 im kommunistischen Rumänien wirklich zugetragen hat; wir erzählen die Geschichte der "Ioanid-Gang"
Der Spielfilm 'Closer to the Moon' basiert auf einem bizarren Verbrechen, das im kommunistischen Rumänien begangen wurde | Foto bereitgestellt von MANDRAGORA MOVIES
Menschen

So lief der größte Geldraub im kommunistischen Osteuropa ab

1959 überfielen fünf Männer in Rumänien einen Geldtransporter. Später wurden sie zum Tode verurteilt, aber bis heute weiß niemand, warum sie die Tat begingen.

Es war der Morgen des 29. Juli 1959. Fünf bewaffnete Männer sprangen aus einem Taxi und hatten nur ein Ziel: einen gepanzerten Geldtransporter der Rumänischen Nationalbank, in dem sich dicke Geldbündel befanden. Das Fahrzeug hatte vor einer Filiale der Bank in Bukarest angehalten, jetzt forderten die Räuber die Fahrer mit gezückten Waffen auf, ihnen das Geld zu überlassen.  

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Bewaffnete Raubüberfälle kamen im kommunistischen Rumänien nur sehr selten vor. Das Land war damals ein mit eiserner Hand regierter Polizeistaat. Angesichts der Bedrohung durch die Räuber gaben die Fahrer des Geldtransporters das Fahrzeug samt Geld trotzdem auf. Die fünf Männer rauschten mit ihrer Beute in einem Fluchtfahrzeug davon. Sie hätten wahrscheinlich nie gedacht, welche Kreise ihre Tat noch ziehen sollte.


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Insgesamt hatten die Männer 1.680.000 Lei erbeutet, was heute ungefähr 340.000 Euro sind. Damals entsprach die Summe zweitausend vom Staat freigegebenen Gehältern und war damit richtig viel Geld. Was aber viel schwerer wog: Der Überfall war ein symbolischer Bruch mit dem System. Jemand hatte es gewagt, die von der Partei etablierte gesellschaftliche Ordnung in Frage zu stellen. Auch so etwas passierte im kommunistischen Rumänien nicht jeden Tag.

Natürlich nahmen die Behörden sofort die Fahndung auf. Sie verhörten zum Beispiel die Angestellten der Bank – auch mit Gewalt und Folter –, um an Informationen zu kommen. Zudem griffen sie auf ihr großes Netzwerk an Informantinnen und Informanten zurück, das sie seit der Einführung der rumänischen Geheimpolizei Ende der 1940er Jahre aufgebaut hatten. 

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Die Suche nach den Tätern weitete sich auf ganz Bukarest aus. Auch die Luxusrestaurants der Stadt wurden streng überwacht – in der Hoffnung, die Räuber würden sich mit dem erbeuteten Geld üppige Abendessen gönnen. Schließlich schaltete sich sogar Gheorghe Gheorghiu-Dej, der damalige kommunistische Führer des Landes, in die Ermittlungen ein: Er soll täglich neue Informationen über die Identität der Verbrecher von der Geheimpolizei gefordert haben.

Ein bewaffneter Mann mit Gesichtsvermummung springt aus einem Auto und blickt in Richtung eines anderen Autos

Ein Mitglied der Ioanid-Gang stellt den Beginn des Überfalls nach | Foto bereitgestellt vom Nationalen Rat für das Studium der Archive der Securitate

Schließlich stießen die Behörden im Stadtzentrum von Bukarest auf das Fluchtauto. Weil die fünf Räuber das Fahrzeug schnell wieder loswerden wollten, hatten sie darin ungefähr 213.000 Lei [rund 43.000 Euro; Anm. d. Red.] in bar zurückgelassen. Die Polizei hatte nun einen Teil des erbeuteten Gelds und ein Fluchtauto, aber immer noch keine Verdächtigen. Was ebenfalls fehlte: ein Motiv.

Dann fügte sich das Puzzle aber langsam zusammen. Nachdem die Befragung der Bankangestellten nichts gebracht hatte, gingen die Ermittler einer anderen Spur nach, die sie in Richtung Innenministerium lenkte. Ehemalige Angestellte wurden zusammengebracht und verhört. So fand sich plötzlich ein Ehepaar im Fokus der Behörden wieder: die Sevianus.

Der ehemalige Kampfpilot und Luftfahrtingenieur Igor Sevianu hatte in den Nachkriegsjahren als Polizist, Tourguide und Angestellter des Innenministeriums gearbeitet. Zum Zeitpunkt des Überfalls war er arbeitslos und lebte vom Gehalt, das seine Frau Monica als Lehrerin verdiente.

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Die Nachforschungen zu den Sevianus führten die Ermittler zu Alexandru Ioanid, der noch bis zum März 1959 für die Polizei gearbeitet hatte. Ioanid war aber nicht nur ein ehemaliger Oberstleutnant, sondern auch der Schwager von Alexandru Drăghici, dem rumänischen Innenminister. Dessen Bruder Paul, ein bekannter Intellektueller und Leiter der Luftfahrtabteilung der nationalen Militärakademie, geriet ebenfalls in Verdacht.

Man hatte nun mehrere Menschen im Visier, die man aufgrund ihres Status normalerweise wohl nie in Betracht gezogen hätte. In dieses Bild passten auch die beiden letzten Verdächtigen: der ehemalige Geschichtsprofessor Sașa Mușat und Haralambie Obedeanu, ein weiterer Ex-Mitarbeiter des Innenministeriums. Auch sie waren zu diesem Zeitpunkt arbeitslos. Was alle sechs Verdachtspersonen ebenfalls einte, war ihr jüdischer Glaube.

Es folgten mehrere Verhöre. Am Ende gestanden alle sechs Verdächtigen ihre Schuld. Der Fall sollte nun im November 1959 unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor Gericht verhandelt werden. Zuerst hatten die Ermittler jedoch einen bizarren Plan: Sie wollten, dass die Verdächtigen ihr eigenes Verbrechen Schritt für Schritt nachstellen. Vor laufender Kamera.

Ein dunkelhaarige Frau in hellem Hemd steht zusammen mit fünf Männern auf der Anklagebank eines rumänischen Gerichts

Monica Sevianu in der Nachstellung der Gerichtsverhandlung | Screenshot aus dem Film 'RECONSTITUIREA'

Wahrscheinlich motiviert von der Aussicht auf eine mildere Strafe stimmte die Ioanid-Gang – unter diesem Namen sind die sechs Verdächtigen bis heute in Rumänien bekannt – dem Vorhaben zu. Als die Nachstellung des Überfalls im Kasten war, begann die Gerichtsverhandlung. Auch die wurde Teil des Films, dessen Ende man bereits vorausahnen konnte.

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Am 22. November 1959, also nur wenige Monate nach dem kühnen Angriff auf den rumänischen Finanzapparat, wurden alle sechs Verdächtigen schuldig gesprochen. Der Richter verurteilte die fünf involvierten Männer zum Tode, während Monica Sevianu "nur" lebenslange Haft bekam. Sie kam allerdings nach fünf Jahren wieder frei, nachdem man sie begnadigt hatte. Ihre Komplizen waren zu diesem Zeitpunkt schon lange hingerichtet worden. 1970 wanderte Sevianu nach Israel aus, wo auch sie sieben Jahre später starb. Was mit dem erbeuteten Geld geschehen ist, ist nicht abschließend geklärt.

Man hatte die Verbrecher also gefasst, gefilmt, verurteilt und getötet. Eine wichtige Frage blieb jedoch weiterhin offen: Wieso stiehlt jemand so viel Geld, ohne es ausgeben zu können? 

Bis heute gibt es in Rumänien zahlreiche Theorien dazu, warum die Ioanid-Gang den Überfall überhaupt geplant und durchgezogen hat. Damals wurde in dem Land quasi jede Ecke in irgendeiner Weise überwacht, jegliche große Geldausgabe wäre also sofort aufgefallen. Deswegen gehen auch jetzt noch viele Leute davon aus, dass die Räuber mit ihrer Beute die Bewegung zur Etablierung eines jüdischen Nationalstaats in Palästina unterstützen wollten.

Während der Gerichtsverhandlung warf man den Angeklagten auch offen vor, Zionisten zu sein und geplant zu haben, die erbeuteten Lei nach Israel zu schicken. Dabei gibt es allerdings ein Problem: Damals war es unmöglich, die rumänische Währung in eine andere Währung zu tauschen. So entstand die Vermutung, dass die Ioanid-Gang mit dem Geld Schmuck kaufen wollte, der wiederum verkauft werden konnte.

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Alle sechs Angeklagten hatten erfolgreiche Karrieren, bis das Regime von Gheorghiu-Dej damit begann, Jüdinnen und Juden zu degradieren, die berufliche und gesellschaftliche Führungspositionen innehatten. Die jüdische Community von Rumänien verlor so immer mehr an Einfluss, konnte das Land aber auch nicht einfach verlassen. Deswegen fassen viele den Überfall als eine Art Rebellion gegen ein Unrechtsregime auf.

Zwei bewaffnete und vermummte Männer überfallen einen dunklen Geldtransporter, neben ihnen steht eine Frau neben einem anderen Auto

Eine weitere Szene aus der Nachstellung der Überfalls | Screenshot aus dem Film 'RECONSTITUIREA'

Dieser Gedanke ist allerdings pure Spekulation. Genauso wie die Behauptung, dass der Überfall nie stattgefunden habe und von den Behörden nur als Vorwand genutzt worden sei, um die Öffentlichkeit und die jüdische Gemeinschaft einzuschüchtern.

Was auch immer der Wahrheit entspricht, es lässt sich nicht verleugnen, dass der Überfall auch heute noch einen festen Platz im kollektiven Bewusstsein Rumäniens hat. Neben der ursprünglichen Nachstellung gibt es bereits mehrere andere filmische Interpretationen des Verbrechens – etwa das Doku-Drama Reconstruction, bei dem sogar die Enkelin von Monica Sevianu Regie geführt hat, oder die Dokumentation The Great Communist Bank Robbery

2014 verwandelte der bekannte rumänische Regisseur Nae Caranfil den Stoff sogar in die aufwendig produzierte Rom-Com Closer to the Moon. Das ist von all den Dingen, mit denen die Ioanid-Gang bei der Planung ihres Überfalls nie gerechnet hätte, wohl am unglaublichsten. 

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