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Reproduktive Rechte

Mannheimer Politiker dreht Rapvideo – und zeigt Szenen einer Abtreibung

Julien Ferrat macht nicht nur Musik an der Grenze zur Fremdscham, sondern legt in "Dieser Konflikt" auch die Propagandamaschine deutscher Abtreibungsgegner offen. Warum wir das ernst nehmen müssen.
Screenshot von YouTube aus dem Video “Dieser Konflikt“ von Entertainment Records

Man kann Rap vieles vorwerfen. Dass die von vielen Rappern transportierten Geschlechterbilder fragwürdig sind, beispielsweise. Oder dass Streits zunehmend auf Kindergartenniveau abgehalten werden, anstatt sich in guter alter Battle-Rap-Manier lyrisch einen vor den Latz zu knallen. Auch populistische Aussagen und antisemitische Verschwörungstheorien finden immer wieder ihren Weg in eine Kultur, die im Grunde mal für Offenheit, Antidiskriminierung und gewaltfreie Konfliktlösung stand. Was man der Musikform allerdings nicht vorhalten kann, ist, dass sie nicht einsteigerfreundlich ist – da draußen gibt es nämlich mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit mehr Menschen, die rhythmisch sprechen als gut singen können.

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Ein weiterer Vorteil von Rap ist, dass man die Möglichkeit hat, sehr viel zu sagen. Das ist im Fall eines Musikers, der sehr Vieles und Gutes zu sagen hat, ein wahnsinniger Vorteil. Bietet aber eben auch die Möglichkeit für musikalische Quereinsteiger, das, was sie sonst in einen sehr langen, sehr anstrengenden Facebook-Post gepackt hätten, einfach mal ins Mikrofon zu sprechen. Gleichzeitig ist Rap mittlerweile so sehr im Mainstream angekommen, dass es für viele synonym mit der aktuellen Jugendkultur steht – und man deswegen rappen muss, wenn man lässig sein und junge Menschen erreichen möchte.

Mehr lesen: Wie gefährlich sind deutsche Abtreibungsgegner?

All diese Punkte vereint könnten zu dem Song "Dieser Konflikt" von Stadtrat Ferrat geführt haben, der deswegen Stadtrat Ferrat heißt, weil Julien Ferrat eben wirklich Stadtrat ist und zwar in Mannheim. In dem Lied, für das auch noch direkt ein Musikvideo gedreht wurde, setzt sich der Politiker vermeintlich jugendaffin damit auseinander, warum "Abtreibung keine ethische Handlung [ist], sondern purer Egoismus. Das Töten menschlichen Lebens ist nicht progressiv, sondern widerwärtig". So steht es zumindest in der Pressemitteilung, die zu dem "Freetrack" rausgeschickt wurde. Gegenüber Broadly erklärte Ferrat zur Intention hinter dem Video: „Es soll dem Trend entgegen gesetzt werden, dass Abtreibung verharmlost wird und als Form der Verhütung angesehen wird." Das Feedback dazu sei laut dem Politiker bisher "kontrovers" gewesen, unter anderem habe er aber auch positives Feedback von Abtreibungsgegner Klaus Günter Annen bekommen, der die Website abtreiber.com betreibt.

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Das Video selbst skizziert den Lebensweg von Aylin, die, aufgewachsen als Tochter eines Drogendealers, ein sehr schweres Leben "voller Schmerz" hatte. Nach einer Nacht voller „Kischern" und „Lachen" mit ihrer ersten großen Liebe, wird Ayleen schließlich schwanger und sieht sich erneut alleine vor einer großen Entscheidung stehen. Was diese Entscheidung konkret ist, lässt sich im Chorus erahnen ("Sie könnten ihrem Kind so viel geben, doch sie wollen ihr alles nehmen.") und wird auch visuell noch mal aufgegriffen – mittels eines roten Schilds, auf dem "Mach eine Abtreibung Mama + Papa" steht und das frappierend an diese Zettel erinnert, die sich passiv-aggressive Frauentausch-Kandidatinnen gegenseitig in ihren Wohnungen hinterlassen.

Trigger-Warnung: Die Abtreibungsszene ist zwischen 2.20 und 2.36 zu sehen

Natürlich wird am Schluss alles gut. Der Vater von Aylins ungeborenem Kind steht plötzlich vor der Tür, die Beiden entschließen sich, das Kind zu bekommen und das Video endet mit einer Nahaufnahme von der Protagonistin, die zwar immer noch nicht so richtig glücklich aussieht, deren Mascara aber zumindest nicht mehr dramatisch über ihr gesamtes Gesicht verschmiert ist.

Das könnte man jetzt ziemlich lustig finden oder einfach totschweigen. Auch deshalb, weil Stadtrat Ferrat nicht nur sehr schlecht flowt, sondern auch nicht sonderlich gute Texte schreibt und mit seinen Hip-Hop-Gesten auf der Parkbank etwas bemüht wirkt. Tatsächlich will der Lokalpolitiker mit seinem Video aber die "Scheinheiligkeit" aufzeigen, dass Abtreibungen in Deutschland legal seien, aber "nicht gezeigt werden [sollen]". Deswegen hat Ferrat sich zu einem vermeintlich mutigen Schritt entschieden und mitten in sein Rapvideo Aufnahmen einer Abtreibung gepackt. Und darüber müssen wir leider sehr wohl sprechen.

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Folgt Broadly bei Facebook, Twitter und Instagram.

Der Clip zeigt die Ausschabung eines Embryos zu einem vermutlich recht späten Zeitpunkt, es ist nämlich bereits deutlich eine Hand auszumachen. Zu der Aufnahme selbst gibt es aber weder Quellenangabe noch Kontext und auch im Song werden die Szenen nicht eingeordnet. Die Message dahinter scheint deswegen klar: Wer abtreibt, mordet, die Details sind dabei irrelevant. Der Politiker gab gegenüber Broadly zur Herkunft des Videos an, dass es "gemeinfrei" sei und "seit Jahren auf diversen Internetplattformen" kursiere.

Dass Julien Ferrat mit dem Video in erster Linie Aufmerksamkeit erregen möchte, ist klar. Deswegen war die Pressemitteilung zum Lied auch nicht mit "Politiker will auf das Tabu Abtreibung aufmerksam machen", sondern mit "Politiker zeigt Abtreibungsvideo in Rapsong" betitelt. (Aus einem ähnlichen Grund dürfte der Mannheimer im vergangenen Jahr auch den Track "Mannheimer Ghetto" veröffentlicht haben, in dem er mit Zeilen wie "Ich bin Mannheimer Stadtrat und bang die Bitches jede Nacht hart" nach eigener Aussage auf soziale Missstände hinweisen wollte.)

Screenshot von YouTube aus dem Video "Dieser Konflikt" von Entertainment Records

"Dieser Konflikt" ist aber eben nicht von einem wenig talentierten Nachwuchsmusiker geschrieben, der es verpasst hat, sich vor seinem traurigen Schwangerschaftssong über Abtreibungen zu informieren. Julien Ferrat ist ein Politiker, der – vielleicht in fragwürdiger Qualität, aber eben doch bewusst – seine eigene politische Agenda an die junge Zielgruppe bringen möchte. Inhaltlich tritt er dabei in die Fußstapfen anderer Abtreibungsgegner: fernab von eigentlicher Aufklärung emotionalisieren.

Ferrat ist nämlich seit dem 1. September 2015 der konservativen Familien-Partei zugehörig, die sich eben nicht nur für eine Optimierung des "Kombi-Bad mit Spaßbad-Komponenten" in Mannheim einsetzt ("Warum ist in den Entwürfen für ein Kombi-Bad kein Duschpilz im Wert von etwa 25.000 Euro zur Attraktivitätssteigerung enthalten?"), sondern auch gegen das „Un-Recht auf Abtreibung". Ähnlich sieht es übrigens die Alternative für Deutschland. Während die Parteivorsitzende Frauke Petry bereits 2014 eine Volksabstimmung dazu forderte, ob Abtreibungen zukünftig erschwert werden sollten, gehen ihre Stellvertreterin „[Beatrix] Von Storch und der fundamentalistische Flügel der AfD […] einen Pakt mit Abtreibungsgegnern ein", wie es Extremismusforscher Hajo Funke im vergangenen Jahr im Gespräch mit der Huffington Post formulierte.

Mehr lesen: Was in Deutschland mit Embryonen und Föten nach einer Abtreibung passiert

Gucken wir also nicht nur grausig fasziniert nach Amerika, wo Donald Trump gerade eindrucksvoll sein Versprechen wahrmacht, reproduktive Rechte zu beschneiden und die USA in eine dystopische Horrorversion ihrer selbst zu verwandeln. In Deutschland gibt es genug Kräfte, die die Selbstbestimmung der Frau über ihren eigenen Körper ebenfalls einschränken möchten. Manche sind Mitglied in einer Kleinpartei, rappen schlecht und sind in ihrer Agenda so durchschaubar, dass man ihre Ambitionen verlachen kann. Andere wurden viel zu lange nicht ernst genommen und sind aktuellen Umfragen zufolge die drittstärkste politische Kraft in Deutschland. Lasst uns dieses Mal genau hinschauen.