Aus der Givemesomespace Issue. Du willst das VICE Magazine abonnieren? Hier entlang.Süßstoffe, Gewürzmischungen, Kaugummis, Thunfisch aus der Dose, sogar einige Badezusätze – all diese Produkte können Milch enthalten. 7,6 Millionen Tonnen der weißen, fetthaltigen Flüssigkeit werden jährlich in Deutschland als Milch und Milcherzeugnisse verbraucht, und sie landet nicht nur in der Tasse Milchkaffee am Morgen, im Frühstücksjoghurt oder auf dem Käsebrot. Sie steckt auch in vielen Produkten, in denen man keine Milch vermuten würde. Zusätzlich wächst durch die Globalisierung das Interesse an deutscher Kuhmilch, auch China und andere Länder, in denen es diese Esstradition historisch nicht gab, importieren jetzt Molkeprodukte. Den Handel vorantreiben sollte der Wegfall der EU-Milchquote am 1. April 2015, sie hatte die Milchproduktion der einzelnen Mitgliedstaaten bis dahin geregelt. Seitdem protestieren jedoch immer mehr Bauern. Vor allem kleine Familienbetriebe leiden, wenn sie den Sprung zu mehreren Hundert Rindern nicht geschafft haben. Im März bekam ein Bauer für einen Kilo Rohmilch im Schnitt 33,23 Cent – kaum mehr als der Preis eines günstigen Mineralwassers.
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Bei den Preisen müssen Bauern immer mehr Milch produzieren, um Geld zu verdienen. Sie müssen die Anzahl der Tiere drastisch erhöhen und zusätzliche Melkroboter oder ein Melkkarussell anschaffen. Ein Stall muss heute modernisiert und computerisiert werden und alle Abläufe autonom vonstatten gehen, damit keine weiteren Arbeiter beschäftigt werden müssen. Unter der Steigerung der Effizienz leiden am Ende nicht nur die Bauern, die Überstunden machen müssen und oft kurz vor dem Aus stehen, sondern vor allem die Tiere selbst.
Aus dem VICE-Netzwerk: Zu Besuch im Hochsicherheitslabor für gefährliche Tierseuchen
Um die industrielle Milcherzeugung zu ermöglichen und große Mengen an Milch produzieren zu können, mussten auch die Tiere im Laufe der letzten 100 Jahre selbst zu sogenannten Turbokühen – "Hochleistungsmilchmaschinen" – gezüchtet werden. Während eine Kuh im Jahr 1990 im Schnitt 4.710 Liter Milch gab, sind es 2016 schon 7.620 Liter, die Menge hat sich also fast verdoppelt.Die Rasse Holstein-Friesian zählt dabei zu den ertragreichsten auf der ganzen Welt und ist ein deutscher Exportschlager – der Mercedes unter den Rindern. Die geraden Linien der Holsteiner, der optimale Hinterbeinwinkel erinnern den Betrachter an einen modernen Rennwagen. Die Zucht bringt allerdings auch gesundheitliche Probleme mit sich. Bei einer Lebenserwartung von bis zu 30 Jahren lebt eine "Turbokuh" nur knapp drei bis fünf Jahre, bis sie entweder krank wird oder aber nicht mehr gebärfähig ist. Dann kann sie keine Milch mehr geben und wird geschlachtet. Und selbst die gesunde Kuh ist nicht perfekt: Die Hörner sollen weg, weil sie Mensch und Tier verletzen können. Kälber werden heute ohne Betäubung mit einem Brenneisen "enthornt", doch Forscher arbeiten an hornlosen Milchkühen. Dabei ist die Funktion dieses Körperteils für den Organismus der Kuh bisher nicht komplett erforscht.
Aus dem VICE-Netzwerk: Zu Besuch im Hochsicherheitslabor für gefährliche Tierseuchen
Um die industrielle Milcherzeugung zu ermöglichen und große Mengen an Milch produzieren zu können, mussten auch die Tiere im Laufe der letzten 100 Jahre selbst zu sogenannten Turbokühen – "Hochleistungsmilchmaschinen" – gezüchtet werden. Während eine Kuh im Jahr 1990 im Schnitt 4.710 Liter Milch gab, sind es 2016 schon 7.620 Liter, die Menge hat sich also fast verdoppelt.Die Rasse Holstein-Friesian zählt dabei zu den ertragreichsten auf der ganzen Welt und ist ein deutscher Exportschlager – der Mercedes unter den Rindern. Die geraden Linien der Holsteiner, der optimale Hinterbeinwinkel erinnern den Betrachter an einen modernen Rennwagen. Die Zucht bringt allerdings auch gesundheitliche Probleme mit sich. Bei einer Lebenserwartung von bis zu 30 Jahren lebt eine "Turbokuh" nur knapp drei bis fünf Jahre, bis sie entweder krank wird oder aber nicht mehr gebärfähig ist. Dann kann sie keine Milch mehr geben und wird geschlachtet. Und selbst die gesunde Kuh ist nicht perfekt: Die Hörner sollen weg, weil sie Mensch und Tier verletzen können. Kälber werden heute ohne Betäubung mit einem Brenneisen "enthornt", doch Forscher arbeiten an hornlosen Milchkühen. Dabei ist die Funktion dieses Körperteils für den Organismus der Kuh bisher nicht komplett erforscht.
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Mithilfe von Verhaltensforschung, statistischen Datenerhebungen und moderner Rechentechnik wurde eine künstliche Welt konstruiert, die genau auf die Bedürfnisse der Kuh zugeschnitten ist. Die Tiere können sich im Stall problemlos frei bewegen, bekommen ihr Futter maschinell und werden von einem Roboter gemolken. Der weiß ganz genau, wann und wie oft eine Kuh gemolken wurde, und verwehrt ihr unter Umständen seine Dienste, falls sie zu oft vorbeischaut. Jedes Tier ist mit einem Chip ausgestattet, der die Informationen an ein digitales Stallnetzwerk aussendet. So kann der Bauer jederzeit von seinem Smartphone aus auf die Daten seiner Kühe zugreifen. Anhand dieser Informationen entscheidet er letztendlich über Leben und Tod der Kühe, denn ihre Fähigkeit, Kälber zu bekommen und Milch zu geben, ist ihre einzige Lebensberechtigung.
Die moderne Rinderhaltung kann sogar als Glaskugel für künftige gesellschaftliche Entwicklungen gelten. So schreibt der österreichische Künstler und Sozialwissenschaftler Bernhard Kathan in seinem Buch Die schöne neue Kuhstallwelt: "Die Anpassungsfähigkeit des Rindes prädestiniert dieses geradezu als Objekt moderner Verhaltenstechnologien. Ob Embryonentransfer, implantierte Chips oder umfassende Datenerfassung." Warum sollte man nicht auch beim Menschen nutzen, was bei Kühen funktioniert? Man könne sich zum Beispiel einen Chip zur schnellen und eindeutigen Identifikation implantieren lassen und dadurch lästige Wartezeiten am Flughafen vermeiden. "Menschen werden sich aus ihrem eigenen Antrieb in ihre Ausbeutung und Unterwerfung schicken, in eine Herrschaft, die sich der ständigen Bedürfnisbefriedigung wie dem Konsum verdanken wird", meint Kathan.
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Auch wenn diese gruselige Dystopie übertrieben erscheinen mag, unser Umgang mit Tieren lässt teilweise auf unseren Umgang mit anderen Menschen schließen. So ließen amerikanische Rinderzüchter im 19. Jahrhundert den Stacheldrahtzaun patentieren, inzwischen hat er in Kriegen, Gefängnissen und an Grenzen Millionen Menschen das Leben gekostet. Wo Stacheldraht überall Anwendung finden würde, hätten sich die Cowboys damals auf der Weide sicher auch nicht ausmalen können.