Eine kleine Analyse des völlig kaputten WKO-Videos über den 12-Stunden-Tag
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Schwarz-blaue Geschichten

Eine kleine Analyse des völlig kaputten WKO-Videos über den 12-Stunden-Tag

In welcher Welt lebt die Wirtschaftskammer? Und was soll "Geht's dem einen gut, dann geht's uns allen gut" überhaupt bedeuten?

Wisst ihr noch, als Bilderbuch ein Opfer der Werbe-Jingle-Industrie wurde und Peugeot plötzlich ein "Maschin"-Plagiat verwendete, um damit ihr neues Auto zu promoten? Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis auch Wanda ein ähnliches Schicksal ereilen würde. Nur konnte niemand ahnen, dass dieses Schicksal einen gigantischen Kugelgrill, 3D-Möpse und die Wirtschaftskammer Österreich beinhalten würde. Obwohl: Ahnen konnte man es schon. Es ist immerhin Österreich. Alles Absurde hat die Angewohnheit, hier früher oder später zu passieren. Nur über das genaue Wann kann man sich nie ganz sicher sein.

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Die Rede ist von "Willkommen in der neuen Welt der Arbeit". So nennt sich der neue, bunte und bobbelige Dreiminüter, der kürzlich auf dem offiziellen YouTube-Kanal der Wirtschaftskammer Österreich veröffentlicht wurde und sich relativ … wohlwollend mit der Einführung des 12-Stunden-Tages beschäftigt, den die FPÖ im Marschschritt durchs Parlament bringen will.


Auch auf VICE und auch sehr österreichisch: VICE meets Ulrich Seidl


Dass Schwarz-Blau dabei zwar keine Zeit für die Begutachtung des Gesetzes, aber sehr wohl für die Produktion eines Propagandavideos mit eigenem Song hat, wie auch der Europaabgeordnete Michel Reimon auf Twitter anmerkt, ist wahrscheinlich so etwas wie ein Stilmittel ihrer ironischen Regentschaft. Ein bisschen so wie in 1984 die Schokoladenration von 100 auf 80 Gramm "erhöht" wird und die Leute irgendwann einfach aufgeben, nach Logik im System zu suchen und sich stattdessen in ein kollektives Shrug-Emoji verwandeln.

Für diejenigen von euch, die das Video aus Gründen der Psychohygiene nicht gesehen haben und das auch nicht zu ändern planen, haben wir uns in die wilde Welt des Play-und-Pause-Klickens vorgewagt und versucht, dem Lolli-bunten Animations-Schmonzes mit einer hermeneutischen Werksanalyse beizukommen. Die Botschaft, die wir dabei für euch aus dem Bewegtbildmaterial extrahieren konnten, lautet: "Alles cool, du musst da sowieso durch. Und hey, für einige wird es gar nicht schlimmer! Yay!"

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Live aus dem Kopf von Hartinger-Klein?

Im Video klingt das dann so:

"Einmal länger hackeln gehn, wenn's das Geschäft verlangt,
was der Chef dir mit mehr freier Zeit dankt."

Gezeigt wird das Ganze anhand einer Figur, die gerade Überstunden macht, und von einer zweiten Figur – offenbar dem Chef –, der dafür ein Geschenk auf den Tisch stellt. Darin verbirgt sich ein Hot-Button, der einen Schleudersitz betätigt und Figur 1 in die "Erlebniswelt Privatleben" katapultiert. Ihr merkt: In der neuen Welt der Arbeit wird Freizeit als großzügiges Geschenk verstanden.

OK, zugegeben: Der Mangel an Differenziertheit wird vermutlich niemanden wundern, der ein Video angeklickt hat, das den österreichischen Arbeitsmarkt als die Drogengehirn-zersetzte Flauschversion von The LEGO Movie inszeniert. Und das noch dazu von der WKO stammt. Erst recht nicht, wenn man bedenkt, dass die zuständige Sozial- und Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein keine sehr viel differenziertere Perspektive auf das Thema 12-Stunden-Tag bieten kann. Denn obwohl Vizekanzler Strache sein eigenes Modell als freiwillig verkaufen will, erklärte Hartinger-Klein vor kurzem im Ö1-Interview: "Das ist klar, dass man nicht aus Justament-Standpunkt 'Ich will nicht!' sagen kann."

Aber Österreich ist nicht schwarz-weiß; es ist schwarz-blau und hat dazwischen ganz viele Kuchenschichten in Pastell, die man auf lästige Fragen schmieren kann. Wie zum Beispiel die: Ist das Video vielleicht eine Live-Aufnahme aus Hartinger-Kleins Kopf? Oder eine Simulation desselben? Das würde zumindest die dürftige Tiefenschärfe erklären. Oder diese Frage: Wie passt die Einführung des 12-Stunden-Tages durch Heinz-Christian Strache eigentlich dazu, dass Heinz-Christian Strache höchstpersönlich den 12-Stunden-Tag noch im Jahr 2012 als "asoziale leistungsfeindliche Idee" bezeichnet hat, die "für alle Arbeitnehmer Nettoreallohnverluste bedeuten würde"? Im Ernst, habt ihr schon malhmdpdfdfhmpfleckerkuchen!

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Arbeit: groß, Zeit: klein, flexibel: unerreichbar

Wie bei jedem großen Kunstwerk bildet sich diese inhaltliche Position natürlich auch in der Stilistik ab. Gleich zum Einstieg wird einem visuell klargemacht, woher hier der Wind weht: Auf der schwebenden Insel der Arbeit werden die Begriffe "ARBEIT" und "ZEIT" groß geschrieben, während das Wörtchen "flexibel" als Bannerschlepp irgendwo in utopischen Höhen vor sich hin weht.

Ebenfalls bezeichnend ist der Platz, der den beiden Ufern ARBEIT und ZEIT dabei eingeräumt wird: Während ARBEIT die Sonne auf seiner übergroßen Uferseite hat, ist es bei der ZEIT eher dunkel und ein bisschen eng. Aber wofür sollte man auch Platz brauchen? Die ZEIT ist hier mehr eine Fußnote, die von genau einer Glühbirne symbolisiert wird, während die ARBEIT auf der anderen Seite tausende kleine Bällchen und Schwimmreifen und Shops und Lampen und etwas, das aussieht wie LEGO-Steine, zur Darstellung braucht. Damit auch wirklich jeder Mensch versteht, was zur Hölle mit diesem ach so kryptischen Wort "Arbeit" gemeint ist.

Weiters zu sehen sind: ein Kran, der gerade eine Büroklammer von A nach B hievt, ein gigantisches Klebeband, ein Kugelgrill und sehr, sehr viele Schubladen. Spätestens da wird auch der unversiertesten Betrachterin und dem naivsten Betrachter klar, warum ARBEIT so viel mehr Platz im Leben braucht: weil sie offenbar sehr ineffizient betrieben wird.

Denkt mal drüber nach: Mit einem Kran Büroklammern von einem Ort zum anderen zu bewegen, grenzt an die Definition von Sisyphos-Arbeit. Wobei der französische Philosoph Albert Camus ja gesagt hat: "Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen." Weil er nun mal Erfüllung in seinem Tun findet, egal ob es eigentlich sinnvoll ist oder nicht. Take that, ihr Work-Life-Balance-Fanatiker!

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Apropos: Für die Mutter mit den Kindern zum Beispiel, die jetzt schon nicht weiß, wie sie Job und Erziehung unter einen Fingerhut bringen soll, hat die WKO zum Glück die Patentlösung gefunden: Sie lautet, nicht total überraschend, ebenfalls Arbeitszeitflexibilisierung. Weil man sich als junge alleinerziehende Mutter in einer Welt, in der ein Unternehmen 60 Wochenstunden Einsatz von einem verlangen kann, ja zum Glück einfach ganz flexibel ausmachen kann, ob man sich gleich einen anderen Job suchen will.

Leitl-Doktrin mit Lobotomie-Lyrics

Und da reden wir (mit einer Ausnahme am Anfang) noch gar nicht von den Lobotomie-Lyrics, die mit dutzenden krampfhaften Abwandlungen der Leitl'schen Doktrin "Geht's der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut" zu sowas wie Kultstatus verhelfen wollen:

"Geht's der Feli gut, geht's auch dem Heli gut", wird da gesungen. "Geht's dem einen gut, dann geht's uns allen gut", wird uns wiederholt eingetrichtert. "Schauen wir aufeinander und nach vorn mit Mut, dann rennt's für Österreich ganz wunderbar!", hören wir in den blutenden Ohren nachhallen. Und das alles klingt noch dazu, als hätte jemand Wanda gewaschen und in dm-Eigenmarken-Parfum getunkt.

Wir sind mit ziemlicher Sicherheit nicht die besten Beraterinnen, wenn es um gut gemachten Rechtspopulismus geht, aber: Wann konnte ein eigens produzierter Song samt Musikvideo zuletzt dafür sorgen, dass eine Kampagne erfolgreich ins Ziel geführt wird? Hat "So schaut's aus" der burgenländischen FPÖ-Politikerin Ilse Benkö einen Sieg in der Landtagswahl eingefahren? Konnte der Heinz-Christian-Strache-Rap ihn damals zum Bürgermeister von Wien machen? (Ja, Strache hat auch mal Wahlen verloren. Never forget.)

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Wenn ein Mensch wissen sollte, dass Bierzelt-Geblödel im Wanda-Gewand die Menschen nicht automatisch gefügig macht, dann ja der Schöpfer des "Geht's der Wirtschaft gut"-Spruchs, Christoph Leitl, himself. Der altgediente WKO-Boss war einst Teil der studentischen 68er-Bewegung und ein großer Fan von Protest statt Gleichschaltung. Andererseits saß Leitl laut eigenen Aussagen auch in San Francisco am Boden und trällerte buddhistischen Gebetsgesänge, bis er "in Weisheit und Erleuchtung abgehoben" ist, also – vergesst das besser wieder.

Wenn Möpse die einzigen klugen Fragen stellen

Am Ende bleibt vor allem eins – ein recht klares, 3D-gerendertes Bild davon, wie sich Schwarz-Blau und die WKO die Arbeitszeitflexibilisierung vorstellen. Und zwar als bunte, abgedrehte Fantasieinsel, die vielleicht nicht besonders detailreich ausgearbeitet ist, aber dafür propagandistisch zum richtigen Zeitpunkt kommt und völlig losgelöst von der echten Welt im Vakuum der Eigenbewerbungsblase ihr lustiges Programm aus Sisyphos-Arbeiten am Kran und Hot-Button-Himmelssprünge in der Freizeit abspult. Während irgendwo weit, weit weg echte Menschen um ihre Existenzen und vor allem um ihre Freizeit bangen, aber hey, diese Helikopter können Loopings!

Ein Teil von uns glaubt immer noch an ein total ausgeklügeltes Gen-Z-Transmedia-Projekt, ein bisschen wie SKAM: Austin, nur eben mehr SCAM: Austria. Derselbe Teil von uns ist sich ziemlich sicher, dass die WKO ab jetzt wöchentlich ein Video veröffentlichen wird, das im Kopf eines anderen Regierungsmitglieds spielt. Derselbe Teil von uns hat allerdings auch gerade das Büro in Richtung des Daches verlassen und sich laut "23 Skidoo!" rufend in Richtung der Fantasie-Insel verabschiedet. Soviel also dazu.

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Auch auf der Website der WKO finden wir keine eindeutigen Antworten. Auf der Seite zur aktuellen Kampagne steht in handschriftlicher Geschenk-Shop-Font geschrieben: "Das fragt sich Österreich" – gefolgt von einer Handvoll FAQs zur Situation. "Was zur Hölle?" ist allerdings nicht dabei.

Apropos Fragen: Bezeichnend ist noch ein ganz anderer Aspekt des Videos. Nämlich, dass das einzige Lebewesen, das in der Arbeits-Fantasiewelt der Wirtschaftskammer noch intelligente Fragen stellt, ein Mops ist. Falls sich noch irgendwer gefragt haben sollte, was Schwarz-Blau von seinen Wählerinnen und Wählern denkt.

Markus auf Twitter: @wurstzombie

Franz auf Twitter: @FranzLicht

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