Samah Hamdi: Im Brautkleid gegen Unterdrückung
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Samah Hamdi: Im Brautkleid gegen Unterdrückung

Die ägyptische Künstlerin begehrt gegen die frauenunterdrückende Gesellschaft ihrer Heimat auf – und lässt sich dafür sogar öffentlich auspeitschen.

Seit sie ganz klein ist, geht Samah Hamdi fast jeden Monat auf eine Hochzeit. Hochzeiten sind im Mittleren Osten eine ziemlich große Sache. Die prunkvoll geschmückten Kleider allein zeigten ihr, dass es sich bei einer Hochzeit um etwas ganz besonderes handelt.

Umso schlimmer, dachte Hamdi, würde es für ihre Familie sein, wenn sie sich entscheidet, ein solches Kleid niemals anzulegen. In ihrem Heimatland Ägypten, wo sie als Kind saudischer Eltern aufwuchs, ist dies kaum vorstellbar. „Mein saudisches Umfeld war sehr einschränkend", erzählt Hamdi. Den Hijab zu tragen oder ihre diversen Ausgangssperren zu hinterfragen kam für Hamdi überhaupt nicht in Frage.

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Im Frühjahr letzten Jahres war es endlich soweit: Samah Hamdi verließ ihr Haus ganz in Weiß. Anstatt zum Altar ging Hamdi allerdings zur Metro. „Meine Eltern hatten mich so oft dazu aufgefordert endlich eine Braut zu werden, bis ich beschloss das Kleid anzuziehen", erzählt Hamdi. Auf ihre eigene Art und Weise gab Hamdi ihren Eltern endlich, was sie wollten.

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Aber auf das Kleid folgte keine Hochzeit, sondern ein Selbstversuch: Wie wird Kairo auf eine Braut ohne Bräutigam reagieren? Hochzeitsgesellschaften, die laut und öffentlich feiern, gehören zum Nilufer wie Sand zum Meer; eine Braut, die alleine auftritt und ihre Unabhängigkeit feiert, hatte jedoch noch niemand gesehen. Innerhalb weniger Tage sprach ganz Kairo über die „Unwed Bride".

Die Reaktionen waren verblüffend. In der Metro gab es Gesang und Glückwünsche für die Braut, die in Kairos Metro das Frauenabteil benutze. „Die Frauen glaubten, mein Bräutigam sei im Männerwagon, und wir hätten einfach nur kein Geld um ein Auto zum Standesamt zu mieten", erinnert sich Hamdi. Eine Braut ohne Bräutigam war unvorstellbar.

Alle Fotos bereitgestellt von Samah Hamdi

Auf Kairos berühmten Tahrirplatz im Herzen von Downtown Kairo empfing sie eine andere Behandlung. Männer pfiffen ihr hinterher und versuchten, sie anzufassen, da sie annahmen, Hamdi strebe nach Aufmerksamkeit. „Männer respektieren keine Frauen in Kairo, und solange diese Männer meinen Ehemann nicht sehen konnten, war ich für sie bloß eine Zielscheibe", sagt Hamdi.

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Hamdis Eltern waren entsetzt. Den Tag, an dem Hamdi das weiße Kleid endlich anlegen würde, hatten sie sich anders vorgestellt. Die Braut hatten sie nun, aber keine Ehefrau. Statt einem Schwiegersohn bekamen sie politisch motivierte Aktionskunst.

Trotz der auf sich wartenden Akzeptanz bereut Hamdi ihr Engagement nicht. Die Bilder von Kairos „Unwed Bride" wurden über soziale Medien wochenlang geteilt, und eröffneten Hamdi neue Möglichkeiten, ihre gesellschaftskritische Kunst der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Wir werden erzogen, um Anwälte oder Ärzte zu werden. Etwas anderes war mir bisher nie in den Sinn gekommen.

Seitdem stellte Hamdi ihre zeitgenössischen Skulpturen in der Cairo Oper aus. Alle ihre Expressionen sprechen die selbe Sprache: Frauen, befreit euch! „Frauen sind mehr als nur der Schatten eines Mannes," sagt Hamdi immer wieder. Den Preis der Ausstellung wird sie damit allerdings nicht erhalten: Kritik an Politik und Religion sind in Ägypten nicht „fair game", um ausgezeichnet zu werden.

Hamdis Weg zur Kunst verlief alles andere als einfach, ihr Umfeld hielt weder von Kunst, noch der Befreiung der Frau sonderlich viel. Ihre Jugend verbrachte sie in Saudi Arabien, wo ein junges Mädchen zu sein nicht bedeutet, sich für Make up und Musik zu interessieren. Stattdessen heißt es, möglichst viele feminine Reize zu verstecken und auf einen netten Ehemann zu hoffen. Während ihrer jüngeren Jahre dachte auch Hamdi, dass sie mit spätestens 20 verheiratet sei.

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„Als ich nach Kairo zurückkehrte um zu studieren, begegneten mir Menschen, die ganz anders waren als wir", schildert Hamdi den Tag, an dem sie realisierte, dass es außer ihren saudischen Gesellschaftsstrukturen noch andere gab. Sie begegnete Künstlern, die sie faszinierten. Sich mit diesen anzufreunden, gar selbst eine Künstlerin zu sein, kam für sie damals nicht in Frage. „Wir werden erzogen, um Anwälte oder Ärzte zu werden. Etwas anderes war mir bisher nie in den Sinn gekommen."

Doch Hamdi entschloss sich, der ihr alternativ vorkommenden Lebensform eine Chance zu geben, und umgab sich während ihres Studiums mit Künstlern und progressiveren Kommilitonen. „Offen für Anderes" zu sein sollte ja nicht gleich bedeuten, dass Hamdi selbst anders ist.

Erst die ägyptische Revolution am 25. Januar 2011, bei der sich die Leute auf dem Tahrirplatz versammelten, um die Regierung zum Abdanken zu zwingen, brachte sie überhaupt erst auf den Gedanken, dass es eine alternative zu Heirat und Familienleben geben könnte. Damals war sie 22. Längst überfällig.

„Es war eine Zeit, an der ich an alles geglaubt habe", erinnert sich Hamdi. Die Änderung der politischen Lage ging Hand in Hand mit Hamdis eigener Veränderung. „Während dieser Tage im Januar war alles möglich und ich erkannte, dass auch ich selbst sein konnte, was immer ich sein wollte." Die Positivität und der Optimismus der Menschen in jener Zeit war für Hamdi ansteckend. Um diese Gefühle niemals zu vergessen, begann sie ein Tagebuch zu führen; zum ersten Mal fand Hamdi einen Weg, sich selbst auszudrücken.

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Wenn ich die Mädchen nach ihrem Berufswunsch frage, höre ich keine Antwort öfter als ‚Ehefrau'.

Heute ist Hamdi eine 27-jährige Künstlerin, die sich in einem wichtigen Punkt von all ihren Kindheitsfreunden unterscheidet: Hamdi ist unverheiratet. Und noch schlimmer: Sie ist nicht mal verlobt—was in der ägyptischen Gesellschaft übrigens nicht zwingend ein romantischer Akt ist. Oft genug bedeutet eine Verlobung, dass ein Mann und eine Frau sich in ihren Elternhäusern treffen, um eine gemeinsame Zukunft bei viel Tee und Gebäck zu diskutieren. Trotz ihres für ägyptische Verhältnisse fortgeschrittenen Alters konzentriert sich Hamdi auf ihre Kunst, sich selbst und die großen Fragen dieses Lebens.

Bei einem ihrer jüngsten Auftritte ließ Hamdi sich öffentlich an ein rekonstruiertes Metroschild fesseln, während ein männlicher Schauspieler sie auspeitschte. Auf diese Art möchte sie ausdrücken, wie hilflos Frauen in den öffentlichen Verkehrsmitteln der Hauptstadt den sexuellen Belästigungen der Männer ausgeliefert sind. Da sie in dieser Vorstellung sowohl ihre Arme und Beine entblößt, ist sie für viele Mitglieder ihrer saudischen Gesellschaft keine Künstlerin, sondern eine Stripperin.

Die Fesseln aus ihrem Auftritt existieren für viele Frauen in Ägypten wirklich. „ Nicht alle Frauen haben die Möglichkeit, aus diesen Fesseln der Gesellschaft auszubrechen, und müssen emotionale und körperliche Gewalt ertragen", sagt Hamdi über ihre Inspirationen.

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Auch im Jahre 2016 definieren sich noch viele junge ägyptische Frauen über ihre Fähigkeiten als Ehefrau. Mohamed El Din, ein Lehrer aus dem ländlichen Bahariya, beklagt die Ambitionen seiner jugendlichen Schülern: „Wenn ich die Mädchen nach ihrem Berufswunsch frage, höre ich keine Antwort öfter als ‚Ehefrau'." Mitte 20 sind der Großteil der saudischen Mädchen nicht nur verheiratet, sondern bereits mehrfach Mutter.

Hamdi hasst diese Einstellung. „Viele meiner alten Freunde tolerieren meine Entscheidung nicht, sondern halten sie sogar für falsch oder unrecht", erzählt Hamdi. Die zeitgenössische Kunst, in die sich Hamdi verliebt hat, ist für ihr Umfeld ein Zeitvertreib, aber keine Berufung. Das wäre nur das Hausfrauendasein.

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Hamdi jedoch verfolgt ihre Kunst längst nicht mehr, um damit Geld zu verdienen oder Anerkennung zu bekommen. „Die Menschen verändern vielleicht ihre Ansichten durch meine Kunst nicht, aber sie denken zumindest über diese Themen nach"—und das, so Hamdi, sei ihr ultimatives Ziel. Ihr nächstes Projekt ist bereits in Planung. Da Kritik an Gesellschaft Politik und Religion in Ägypten jedoch weiterhin nicht erwünscht ist, schweigt Hamdi noch über die Details.

Eines Tages , sagt sie, freut sie ich darauf, einen Mann kennen zu lernen, der ihre Ausdruckskraft und Kreativität schätzt und nicht als Bedrohung sieht. Dann möchte auch Hamdi endlich das weiße Kleid anziehen und zum Altar schreiten. Noch ist dieser Tag aber nicht gekommen.