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Justiz

Mann zieht heimlich Kondom aus und wird wegen Vergewaltigung verurteilt

Ein Gericht in der Schweiz hat einen Mann wegen Vergewaltigung verurteilt, weil er sein Kondom während dem Sex ohne die Zustimmung seiner Sexpartnerin ausgezogen hat. Wir haben eine Rechtsexpertin gefragt, welche Bedeutung dieses Urteil hat.
Photo by Mauro Grigollo via Stocksy

In einem bahnbrechenden Rechtsfall wurde ein Mann in der Schweiz wegen Vergewaltigung verurteilt, weil er während dem Sex heimlich und ohne die Zustimmung seiner Sexpartnerin das Kondom ausgezogen hat. Wie der Independent berichtet, hat der 47-jährige Mann (dessen Name nicht öffentlich gemacht wurde) seine Sexpartnerin über Tinder kennengelernt. Anschließend hatten die beiden einvernehmlich Sex mit Kondom. Danach bemerkte die Frau allerdings, dass er das Kondom irgendwann ohne ihr Wissen und ihre Zustimmung ausgezogen hatte.

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Nun hat der Bundesgerichtshof in Lausanne in letzter Instanz entschieden, dass ein solches Verhalten als Vergewaltigung eingestuft werden kann und verurteilte den Angeklagten zu einer einjährigen Haftstrafe auf Bewährung. In einem Kommentar gegenüber dem Nachrichtensender RTS bezeichnete der Anwalt des Opfers das Urteil als „einzigartig in der Schweiz."

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Unser Verständnis von Einvernehmlichkeit hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Das ist insbesondere der Arbeit von feministischen Aktivisten und Organisationen, die unentwegt gegen sexuelle Gewalt kämpfen, zu verdanken. Dennoch schwebt für viele ein großes Fragezeichen über der Entscheidung, dass das Entfernen eines Kondoms während dem Sex mit einer Vergewaltigung gleichgesetzt werden kann. Laut der deutschen Gesetzgebung macht sich eine Person strafbar, wenn sie „gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt". Theoretisch ließe sich also absolut argumentieren, dass genau das gegeben ist, wenn eine Person mit einer anderen Person ungeschützten Geschlechtsverkehr hat, obwohl die dem Akt in dieser Form nicht zugestimmt hat. Ein ähnlicher Fall hatte bereits großen Einfluss auf die britische Rechtssprechung.

„Diese gesamte Diskussion läuft immer wieder auf die Frage nach dem ‚bedingten Konsens' hinaus", sagt Dr. Sinead Ring von der University in Kent. Ring verweist mich auf den britische Sexual Offences Act aus dem Jahr 2003—ein Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten, welches immer wieder als „wirklich gute Arbeit der Gesetzgebung" bezeichnet wird. Abschnitt 74 des Gesetzes beschäftigt sich ausdrücklich mit bedingtem Konsens. Darin findet auch der selbsternannte Staatsfeind Nr. 1 Erwähnung: Wikileaks-Gründer Julian Assange.

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Bevor er sich in der Botschaft von Ecuador versteckt und auf einen weiteren Besuch von Pamela Anderson gewartet hat, wurde Julian Assange von zwei Frauen beschuldigt, während dem Sex absichtlich und ohne ihre Zustimmung die Kondome manipuliert oder entfernt zu haben. (Er beteuerte die ganze Zeit über seine Unschuld.)

Abschnitt 74 verweist explizit auf den Fall Assange, da die britischen Behörden oft dafür kritisiert wurden, dass es keine rechtliche Grundlage für seine Auslieferung nach Schweden gab, wo ihm wegen der Vergewaltigungsvorwürfe der Prozess gemacht werden sollte. Darin heißt es, „seine [Assanges] Durchführung von Geschlechtsverkehr ohne Kondom, in einer Situation, in der die Frau eindeutig klar gemacht hat, dass sie ausschließlich Geschlechtsverkehr mit Kondom haben möchte, ist nach dem Sexual Offences Act 2003 Teil des Tatbestands." In anderen Worten: Wer das Kondom ohne Zustimmung seines Partners auszieht, begeht ein Sexualdelikt.

Journalisten vor der ecuadorianische Botschaft in London, dem Aufenthaltsort von Julian Assange. Foto: Nick Hider | Flickr | CC BY-SA 2.0

„Es hängt dennoch viel davon ab, was sich vor Gericht belegen lässt", erklärt Ring. „Wenn man beweisen kann, dass die Frau zu Sex mit Kondom zugestimmt hat, er allerdings die Umstände, zu denen sie zugestimmt hat, verändert hat, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass er zu einer Verurteilung wegen Vergewaltigung kommen wird. Das Gericht muss allerdings beweisen können, dass er weitergemacht hat, obwohl er Grund zur Annahme hatte, dass seine Handlung nicht einvernehmlich ist."

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Doch genau darin liegt das Problem: Die britische Gesetzgebung ist zwar sehr streng, doch in einem Strafprozess muss dennoch alles glatt laufen, um eine Verurteilung sicherstellen zu können. Es muss hinreichende Beweise geben, die Staatsanwaltschaft muss den Fall voranbringen und das Opfer muss über das notwendige psychologische Durchhaltevermögen für einen langwierigen und schleppenden Prozess verfügen. Zusätzlich kommt im britischen Rechtssystem dann auch noch hinzu, dass die Geschworenen womöglich voreingenommen sein könnten.

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„Vieles hängt davon ab, was für eine Meinung die einzelnen Geschworenen über Frauen und Sex haben und was in ihren Augen eine Vergewaltigung ist und was nicht", meint Ring. „Das Gesetz kann noch so gut sein, aber es hängt letztendlich alles von den Geschworenen ab und davon, sie zu überzeugen eine Entscheidung zu fällen, die nicht auf irgendwelchen Vergewaltigungsmythen beruht."

Unterstützer sagen, dass noch viel Aufklärungsarbeit nötig sein wird, um das Problem zu lösen. „Wir müssen die Menschen noch viel mehr über die Bedeutung von sexuellem Konsens aufklären", meint Sarah Green, Pressesprecherin von End Violence Against Women. „Gesetzlich vorgeschriebener Aufklärungsunterricht über Sex und Beziehungen an Schulen wäre ein besonders wichtiger Schritt, um jungen Menschen zu helfen, weit verbreitete Gerüchte und Klischees über sexuelle Gewalt richtig einordnen zu können."


Foto: MIKI Yoshihito | Flickr | CC BY 2.0