„Es gibt keine hässlichen Frauen, nur faule“: Mein Tag in der Benimmschule
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Beruf

„Es gibt keine hässlichen Frauen, nur faule“: Mein Tag in der Benimmschule

New Jerseys ältestes Institut für Stil und Etikette hat mir beigebracht, dass man mit dem richtigen Händedruck, dem richtigen Outfit und der richtigen Haltung fast alles erreichen kann.

Die legendäre Kosmetikunternehmerin Helena Rubenstein, geboren 1902, war bekannt für ihre verkaufsfördernden Schönheitsmantras wie „Schönheit ist Macht" oder „Es gibt keine hässlichen Frauen, nur faule". Sätze, auf die auch Roslyn Rolsn vertraut, die Gründerin vom The Image & Etiquette Institut, der ältesten Benimmschule im US-Bundesstaat New Jersey. Reich geworden ist sie damit zwar nicht, kann aber auf beeindruckende 44 Jahre Berufserfahrung zurückblicken.

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Im Jahr 1975 gründete sie die erste Shopping-Beratung ihrer Region und auch heute, mit 65 Jahren, hält sie noch immer mit jedem Trend Schritt. Als Geschäfte anfingen, ihre eigenen persönlichen Kaufberater zu beschäftigen, hat sie eine Weiterbildung an der Protocol School of Washington gemacht und kümmert sich seither nicht nur darum, das Image von Frauen, sondern auch—wie sie sagt—ihren „Auftritt" zu verbessern. Ihre Kurse dauern zum Teil nur einen halben Tag, man kann aber auch ein zweimonatiges Bootcamp bei ihr buchen. Mit ihrem Kursangebot richtet sie sich an alle möglichen Zielgruppen—von Schönheitswettbewerb-Kandidatinnen über aufsässige Kinder bis hin zu Paaren und Geschäftsleuten. Sie sagt, dass ihre Dienstleitung noch nie so gefragt war wie jetzt.

Um herauszufinden, wie man sich als moderne Frau angemessen verhält, habe ich einen vierstündigen Kurs bei Miss Roslyn besucht.

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Das Institut für Stil und Etikette sitzt in einem ehemaligen Luxuswohnkomplex, „für all jene, die dem hektischen Alltag von New York City entfliehen wollen." Relikte dieser glamourösen Vergangenheit sind in der Lobby mit dem Portier und den vergoldeten Wandspiegeln noch immer sichtbar. Die meisten Bewohner des Hauses sind mit ihren Umgebung älter geworden und haben miterlebt, wie aus der einst so glamourösen Hausgemeinschaft erschwingliche Mietwohnungen für koreanische und russische Migranten wurde.

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Der Portier befördert mich nach oben, wo Miss Rolan schon im Flur des achten Stocks auf mich wartet und mit einem festen Händedruck begrüßt. Ebenjenen wird sie mir wenig später beibringen, als wir in ihrem Wohnbüro sitzen, wo des Instituts seit mehr als 20 Jahren beheimatet ist. „Frauen sollten stark sein", beginnt Miss Rolan, während wir das Kapitel „Händedruck" besprechen, das in meinem Arbeitsbuch Du bist die Botschaft: Der Weg zu einem professionellen Auftreten zu finden ist. „Ich lerne so viele Frauen kennen, die das hier machen", sagt sie weiter und legt ihre schlaffen Fingerspitzen auf meine ausgestreckte Handfläche, um mir zu zeigen, wie man es auf keinen Fall machen sollte. „Ein schwacher Händedruck vermittelt den Eindruck, man wäre unsicher und hätte kein Selbstbewusstsein. Eine selbstbewusste Frau sollte einen starken Händedruck haben." Ich bin beruhigt, dass sie mit meinem Händedruck zufrieden ist.

Sobald du die Schwelle deiner Haustür übertrittst, geht es los.

In der ersten Stunde gehen wir die Grundlagen des beruflicher Verhaltenskodex durch: Begrüßung, Augenkontakt und Networking. Miss Roslyn ist der festen Überzeugung, dass es für jede Situation Regeln gibt, von denen man nicht abweichen sollte. Eine der wichtigsten Regeln ist, wie sie sagt („Das solltest du dir aufschreiben", mahnt sie mich in einem fast schon gebieterischen Tonfall), die sogenannte 12er-Regel der Kommunikation. „Du solltest immer auf die obersten 12 Zoll [30 Zentimeter] deines Körpers, die ersten 12 Schritte, wenn du einen Raum betrittst und die ersten 12 Worte, die aus deinem Mund kommen, achten." Der erste Eindruck ist immer der Wichtigste, sagt sie.

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„Dein Auftreten ist die Essenz von allem. Man kann ohne ein Wort zu sagen in einen Raum kommen und wird schon anhand vieler kleiner Dinge beurteilt. Schon an der äußeren Erscheinung entscheidet sich, ob wir jemanden kennenlernen wollen oder nicht. Menschen bilden sich eine Meinung über dich, noch bevor du ein Wort gesagt hast. Daran sieht man, wie entscheidend das richtige Auftreten ist", sagt sie ziemlich bestimmt.

Roslyn Rolan, Gründerin und leitende Geschäftsführerin vom The Image & Etiquette Institute of New Jersey.

Ich versuche, ihr höflich zu widersprechen. Sie antwortet mit einem leicht verfälschten Shakespeare-Zitat: „Es tut mir leid, aber wenn du erfolgreich sein willst, dann darfst du nicht vergessen, dass es, sobald du die Schwelle deiner Haustür übertrittst, losgeht. Die Welt ist eine Bühne und wir sind alle nur Schauspieler. So ist es eben, Schätzchen!" Sie erzählt mir von einem Abend, als sie sich geschminkt hat, nur um den Müll rauszutragen und auf dem Weg zufällig einen neuen beruflichen Kontakt geknüpft hat. Das bringt sie zu ihrem nächsten Motto: Sei immer vorbereitet.

Um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, ihre Regeln würden nur für Frauen gelten, versichert sie mir, dass das richtige Auftreten für Männer mindestens genauso wichtig ist. „Gib mir mal den chinesischen Jungen!", sagt sie und meint damit, dass ich ihr einen Brief reichen soll, den ihr ein ehemaliger Schüler geschrieben hat. Sein Foto ist auf den Brief geheftet und er ist tatsächlich Chinese. Mir wird schnell klar, dass das nunmal Miss Rolans Art zu reden ist: unverblümt und dabei ziemlich verallgemeinernd. Vermutlich redet aber jeder so, der dreist genug ist, anderen beizubringen, wie sie zu leben haben.

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Je weniger du beim Reden gestikulierst, desto überzeugender wirkst du.

„Ich erzähl dir mal was über diesen jungen Mann. Er rief mich an und sagte, dass er Hilfe bräuchte, um sich auf ein Bewerbungsgespräch am darauffolgenden Freitag in einer Anwaltskanzlei vorzubereiten. Ich sagte ihm, er solle sein Gespräch auf Montag verlegen und am Freitag zu mir kommen. Ich wollte, dass er selbstbewusst auftritt und dem Leiter des Bewerbungsgesprächs sagt, das etwas dazwischen gekommen sei. Dann kam er zu mir und wir haben vier Stunden zusammen gearbeitet. Ich habe mir seine Kleidung und seine Schuhe angesehen und habe ihm Visitenkarten gemacht. Wir haben über den Job gesprochen, für den er sich beworben hat und haben das Bewerbungsgespräch durchgespielt. Ich musste ihn wirklich dazu ermutigen, aus sich selbst rauszugehen."

Nahtlos eröffnet sie mir ihre nächste Lektion: „Das ist eines der obersten Gebote: Wenn du dich für einen Job bewirbst, wollen deine zukünftigen Arbeitgeber herausfinden, ob du zu ihrer Unternehmensphilosophie passt. Jedes Unternehmen hat eine Unternehmensphilosophie und sie wollen von den Bewerben sehen, dass sie diese auch widerspiegeln könnten. Wenn du wirkst, als wärst du eine schüchterne Schlaftablette, werden sie nicht davon ausgehen, dass du neue Kunden gewinnen kannst." Vor seinem Besuch bei Miss Rolan haben ihm schon ein paar potenzielle Arbeitgeber abgesagt, aber mit ihrer Hilfe hat er das Bewerbungsgespräch dann letztendlich gemeistert und auch den Job bekommen.

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Neben dem professionellen Coaching kümmert sich Miss Rolan auch um Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Den Schwerpunkt ihrer Arbeit und ein großes Problem unserer modernen Gesellschaft sieht sie in unserer Sucht, ständig auf irgendeinen Bildschirm starren zu müssen. „Ich glaube, je mehr wir uns mit elektronischen Geräten beschäftigen und je weniger wir mit Kindern von Angesicht zu Angesicht sprechen, desto wichtiger ist es, dass sie die grundlegenden kommunikativen Fähigkeiten bewusst erlernen. Das ist alles was ich derzeit tue: kommunikative Fähigkeiten ausbilden", sagt sie.

Ich frage sie, wie sie meine kommunikativen Fähigkeiten einschätzen würde und sie meint, sie wären gar nicht so schlecht. Dabei tuen mir schon meine Augen und mein Rücken weh, weil ich seit Beginn des Unterrichts konzentriert darauf geachtet habe immer schön Augenkontakt zu halten und Haltung zu bewahren, obwohl es mein natürlicher Instinkt gewesen wäre, direkten Blickkontakt zu meiden und mich auf meinem Stuhl zu lümmeln. Ich gebe mein Bestes.

„Du hast eine sehr gute Selbstwahrnehmung. Das merkt man", sagt sie mir. „Du hast ein wunderbares Lächeln und ein sehr hübsches Gesicht. Das wird dir sicher Selbstbewusstsein verleihen: zu wissen, dass sich bei dir äußerlich alles so gut zusammenfügt. Aber was ziehst du an, wenn du bei der Arbeit, überzeugend wirken willst?"

Junge Frauen sollten immer bereit sein, in ein schickes Restaurant zu gehen.

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Sie sieht an mir runter, wobei ihr Blick auf meinem Tanktop landet, von dem sie gar nicht begeistert ist. Ich höre mich selbst die Worte „legere Bürokleidung" sagen, kurz bevor sie mich unterbricht, als ob sie mir sagen möchte, dass er keine Entschuldigung dafür gibt, ein Tanktop ins Büro anzuziehen—egal wie unkonventionell das berufliche Umfeld auch sein mag. „Solange du nicht zu viel Haut bei der Arbeit zeigst, finde ich das in Ordnung, aber wenn du so etwas anhast …", sie beäugt mein Oberteil, „dann hast du meinen Respekt verloren." Ein Oberteil mit einem Kragen würde mir mehr Autorität verleihen, sagt sie und empfiehlt mir, mich bei J. Crew umzusehen. Wenn wir schon von Macht sprechen, sagt sie weiter, „je weniger du beim Reden gestikulierst, desto überzeugender wirkst du."

Als es um Tischmanieren geht, ist all das Lob, das ich für meinen starken Augenkontakt bekommen habe, passé. Dass ich seit 23 Jahren komplett falsch mit Messer und Gabel umgegangen bin, war mir bisher nicht klar. Obwohl es mir in meinem bisherigen Leben weder im Weg gestanden, noch mich in irgendeiner Form beeinträchtigt hat, ist es äußerst wichtig, die richtigen Tischmanieren zu kennen, meint Miss Rolan.

„Erinnerst du dich an Pretty Woman? Die beste Szene der ganzen Films ist, als Julia Roberts vom Hotelmanager gezeigt bekommt, wie man richtig isst. Sie hatte einfach keine Ahnung von dem Besteck. Der Hotelmanager bestellt Schnecken für sie—was so mit am Schwersten zu essen ist—und sie weiß einfach nicht, wo sie anfangen soll."

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„Der Punkt ist, dass es in unserer Gesellschaft mittlerweile unglaublich wichtig ist, dass man weiß, wie man richtig isst. Es gibt nicht immer nur Bier und Chips. Es gibt auch durchaus gehobene Restaurants und junge Frauen sollten immer bereit sein, in ein schickes Restaurant zu gehen."

Obwohl meine Tischmanieren sicherlich verbesserungswürdig waren, erzählte sie mir, dass sie bereits Schüler aus dem Ausland bei sich hatte, die es gewohnt waren, mit den Händen zu essen.

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Den Sommer über hatte Miss Roslyn 20 junge Schüler in ihrem Sommerbenimmkurs. Mit ihrem Benimmkurs hilft sie mittlerweile vor allem Immigranten, sich an die amerikanischen Sitten und Gebräuche zu gewöhnen—sowohl im beruflichen als auch im privaten Umfeld. Das größte Geschäft macht sie aber mit privaten Einzelstunden.

„Was wir hier machen, ist allgemeingültig", sagt sie. „Das sind alles allgemeine Regeln. Ich habe schon Leute aus aller Welt unterrichtet und sie fühlen sich jetzt alle sehr viel wohler, weil sie wissen, wie sie sich zu benehmen haben. Sie wollen nicht in eine Schublade gesteckt werden. Wenn man es schafft, nicht mehr nur einer bestimmten Gruppe zugeordnet zu werden, dann gehört man zur breiten Masse—und das will doch schließlich jeder von uns, oder?"