Mit String und Hidschab: Nadia Ali strippt für die Rechte muslimischer Frauen
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gleichberechtigung

Mit String und Hidschab: Nadia Ali strippt für die Rechte muslimischer Frauen

„Wenn Frauen für die kleinste Scheiße umgebracht werden, dann können sie mich für das äußerste Extrem ruhig verdammen." Wir haben die 24-jährige Aktivistin zu ihrem Debüt in einem New Yorker Stripclub getroffen.

Vergangenen Donnerstag war die 24-jährige pakistanisch-amerikanische Pornodarstellerin Nadia Ali der Hauptact im HeadQuarters Gentlemen's Club, einem New Yorker Stripclub im Stadtteil Manhattan. Im Großen und Ganzen bot sich einem dort das übliche Bild: Barbusige Tänzerinnen, die in buntem Licht langsam ihre Hüften kreisen ließen; Stripperinnen in glitzernden String-Bikinis auf dem Schoß von Männern, die in samtbezogenen Sesseln Platz genommen hatten. Die Bühne stand vor einer Wand, die rechts und links mit Spiegeln verkleidet war. Auf der einen Seite der Bühne war das DJ-Pult, auf der anderen Ali. Sie saß allein auf einem langen, vornehmen Sofa hinter einem Samtvorhang und trug ein gewöhnliches, eng anliegendes, rotes Croptop mit tiefem Ausschnitt und dazu einen Tanga sowie einen Schleier.

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Es ist an und für sich schon sehr kontrovers, als Muslima in der Erotikbranche zu arbeiten. Alis Entschluss, in traditionellen Gewändern aufzutreten, kommt für viele allerdings einer regelrechten Gotteslästerung gleich. Ali machte im Februar Schlagzeilen, nachdem sie von Menschen aus der ganzen Welt Todesdrohungen und andere Hassbotschaften erhielt. „Sie sagten: ‚Ich werde dich umbringen' und ‚Ich werde deiner Mutter deine Leiche bringen'", erzählt sie mir. Mittlerweile scheinen ihre Gegner allerdings einen effektiveren Weg gefunden zu haben, sie fertigzumachen: Sie drohen ihr mit Vergeltung im Jenseits. „Ich kriege keine Todesdrohungen mehr", sagt sie und meint auch, dass ihr Andersdenkende mittlerweile nur noch sagen, dass sie zur Hölle fahren wird oder sie dazu ermahnen, auf „den rechten Weg" zu finden. Doch nicht nur Muslime haben Probleme mit Ali: Wie sie sagt, wird sie auch von anderen Religionen und Ethnien kritisiert.

Als Ali und ich uns am Abend in dem Club treffen und unterhalten, erzählt sie mir auch, dass sie keine Pornos mehr dreht: „Ich habe eine andere Berufung." Sie muss extrem laut reden, um das Dröhnen der Musik zu übertönen. „Es war eine großartige Erfahrung in einem Porno mitzuspielen", sagt sie, aber nun ist sie bereit, etwas Neues zu machen und konzentriert sich auf ihr Leben als Geschäftsfrau und Anwältin für Frauenrechte. Ali möchte vor allem junge muslimische Mädchen und Frauen über Sexismus im Mittleren Osten aufklären, um der—in ihren Augen—patriarchalen muslimischen Kultur entgegenzutreten.

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Ali meint, dass die Sexualität von Frauen in Pakistan in vielerlei Hinsicht unterdrückt wird. Die Kultur, so Ali, werde von Männern dominiert, wodurch Frauen ihrer Rechte in Beziehungen beraubt werden. „Nach dem islamischen Recht ist es so, dass du nicht Nein sagen kannst, wenn dein Mann Sex haben möchte. Ich frage mich immer, was denn dann mit den Frauen sein soll?"

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Grundsätzlich, meint Ali, haben die Männer in Pakistan die Vorstellung, die ideale Partnerin sei eine Frau, die sexuell unerfahren ist und die Wünsche ihres Mannes nicht erfüllen kann, sodass er sich andere Frauen aus weniger angesehenen sozialen Schichten suchen kann, um seine sexuellen Wünsche zu befriedigen. „Es gibt viele Männer, die die [perfekte] Braut bekommen, die ganz ihren Vorstellungen entspricht, doch am Ende betrügen sie sie mit einer Straßennutte, weil sie solche Feiglinge sind", sagt sie. „Sie sind keine echten Anführer und können ihre Frauen im Schlafzimmer nicht anleiten."

„Frauen in anderen Ländern sollten nicht unterdrückt werden", fährt Ali fort. „In Ländern wie Saudi Arabien dürfen Frauen nicht selbst Auto fahren. Erst vor Kurzem wurde ein Mädchen in meinem Heimatland umgebracht, weil sie jemandem geholfen hat, von zuhause wegzurennen, um zu heiraten. Es gibt Frauen, die umgebracht werden, weil sie gebildet sind und andere Frauen unterrichten wollen. Wenn Frauen für die kleinste Scheiße umgebracht werden, dann können sie mich für das äußerste Extrem ruhig verdammen."

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Durch ihre Arbeit in der Sexindustrie möchte Ali zeigen, dass auch Muslime sexuelle Wesen sind. „Ich nehme meinen Glauben und meine Kultur mit mir", sagt sie. „Dein Glaube hat nichts mit deiner Arbeit zu tun." In einigen ihrer Filme trägt sie ganz bewusst eine Hidschab.

„Eine Hidschab zu tragen, während man vor der Kamera Sex hat, soll zeigen, dass es OK ist, dass es normal ist", sagt sie. Viele Pakistani, sagt sie, hätten darin eine Beleidigung der Hidschab an sich gesehen und dachten, sie würde sie ablehnen, aber Ali sagt, das wäre nicht ihre Absicht gewesen. „Ich wollte ein Zeichen für die Frauen im Mittleren Osten setzen, damit sie wissen, dass es in Ordnung ist zu masturbieren und offen mit seiner Sexualität umzugehen."

Während die Hidschab wohl das deutlichste politische Zeichen in Alis Pornos ist, erzählt sie mir, dass es noch andere politische Aspekte an ihren Filmen gibt. In einem der Filme spricht sie als Lehrerin mit ihrer Klasse. Bevor sie und ihre männlichen Schüler mit dem Gang Bang anfangen, fragen sie sie, wie ihr Sexleben als muslimische Frau sei. „Unserer Männer können mit vier anderen Ehefrauen Sex haben", erklärt sie der Gruppe. „Und während er andere Muschis bekommt, musst du ihm einfach weiter treu sein?", fragt einer der Männer ungläubig. „Genau, ich kriege keine anderen Schwänze", entgegnet Ali.

„Ich bin eine praktizierende Muslima", erzählt mir Ali, während die roten Lichter über unsere Köpfe schwirren und immer mehr Männer durch den Club streifen. „Was du tust, sagt nicht, wer du bist. Morgens bete ich und abends bin ich eine exotische Tänzerin." Viele Menschen glauben, sagt Ali, dass diese beiden Teile ihrer Persönlichkeit einfach unvereinbar sind und dass sie nur ein Zeichen ihres mangelnden Charakters seien.

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„Es macht sie betroffener als mich", sagt sie. „Mein Glaube hat nichts mit meiner Sexualität zu tun. Der Konflikt scheint für das Publikum größer zu sein als für mich."

Die Verachtung von Fremden ist das eine, aber wie haben Alis Familie und ihre Freunde auf ihre Karriere reagiert? „So wie es wohl auch allen anderen Eltern gehen würde, waren auch meine zunächst extrem schockiert", sagt Ali. Doch mittlerweile unterstützen sie die politische Botschaft ihrer Tochter. (Trotzdem wollen sie natürlich immer noch nicht, dass Ali in Pornos mitspielt.)

Es ist fast ein Uhr nachts und die Tänzer wie auch die Männer haben sich in dem Raum vor der Bühne versammelt. Ein älterer Mann hat seinen Sessel nah an die Bühne geschoben und starrt in Erwartung ihres Auftritts vor sich auf die Bühne. Ali hat noch nie zuvor als professionelle Stripperin gearbeitet. Sie hat jedoch das Gefühl, dass es ein historischer Moment werden könnte. Die Musik verändert sich und Ali wird in den Backstagebereich gewunken. Es ist Zeit, sich auf ihren Auftritt vorzubereiten.

„Ich habe viele meiner Freunde verloren", sagt sie mir, als sie vom Sofa aufsteht. „Als sie herausfanden, dass ich überall in den Medien war, wollten sie nicht mehr mit mir befreundet sein." Ihre Freunde, so Ali, sagten ihr, dass sie keinen Respekt vor sich selbst hätte und dass sie sie nicht ernst nehmen könnten. Das ging soweit, dass ihre Freunde auch vor ihrer Familie Bemerkungen über sie machten.

„Es war traurig", sagt Ali. „Sie hatten das Gefühl, ich würde mich selbst nicht kennen. Aber ich kenne mich selbst und ich versuche auch andere Frauen zu repräsentieren. Ich möchte einfach, dass Frauen, die gleichen Rechte haben wie Männer."