FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Dieses Museum ist dem Tod geweiht

Wir verdrängen alle nur zu gerne, dass wir irgendwann einmal selbst ins Gras beißen werden. Im Wiener Bestattungsmuseum ist das anders. Dort beschäftigt man sich aktiv mit Funeralkultur und Trauerbewältigung—aber leider nicht mehr lange.

Neben fressen, ficken und scheißen ist sterben eines der Wörter, für das es die meisten Synonyme im deutschen Sprachraum gibt. Und obwohl wir ständig Egoshooter spielen oder Nachrichten schauen, verdrängen wir gerne, dass wir irgendwann einmal alle ins Gras beißen werden. Weil das Wiener Bestattungsmuseum in der Goldschlaggasse nun mit Ende September auch ein Bankl reißen wird, soll heißen einer „modernen Wohnanlage“ zum Opfer fällt, habe ich mich mit dem Kurator Wittigo Keller getroffen, um ein bisschen über die Formen des Ausscheidens aus dem irdischen Dasein zu sprechen.

Anzeige

VICE: Wie sind Sie dazu gekommen, sich mit Tod und Sterben zu beschäftigen?
Wittigo Keller: Wenn man sich, wie ich, mit Kunstgeschichte beschäftigt und und länger als sieben oder acht Monate facheinschlägig in Wien gearbeitet hat, dann tritt der Tod einfach massiv als Thema auf. Egal, ob es um Maler, Schriftsteller, Musiker oder andere Künstler geht. So ist es mir selbst ergangen, als ich 1967 zum Studieren nach Wien gekommen bin. Nach sechs Monaten hatte ich bereits sämtliche Friedhöfe in Wien fotografiert. Dann habe ich zugefallener Weise—ich glaube nicht an Zufälle—die Konzeption und Gestaltung des Museums als Auftrag bekommen und seither ist dieses Thema zu einem ständigen Begleiter in meinem Leben geworden. Alles in Richtung Grenze zwischen Lebendigen und Toten oder Diesseits und Jenseits hat mich bereits als Kind fasziniert und so ist es letztlich zu meinem Forschungsgebiet geworden. Funeralkultur, Totenrituale und Jenseitsvorstellungen wurden nach und nach zu den Hauptelementen meiner Forschung und begleiten mich wahrscheinlich bis zu meinem eigenen Tod.

Warum ist dieses Thema für die Menschheit nach wie vor so interessant? Es gibt ja für kaum ein anderes Wort so viele Synonyme wie für das Sterben.
Die Menschheit interessiert natürlich alles, wozu es keine klaren Aussagen oder straighten Erklärungsmodelle gibt und sie sozusagen gefangen ist. Es ist ja noch nicht vorgekommen, dass jemand zurückgekommen wäre und davon erzählt hätte. Außer vielleicht bei den Nahtoderfahrungen, die aber zumeist auch sehr vage erzählt werden. Alles, was nicht naturwissenschaftlich und konkret verständlich erklärbar ist, fasziniert die Menschheit klarerweise. Da ist einerseits die Neugier und andererseits dieses Ungewissen zwischen Furcht und Ehrfurcht. Und wenn man etwas schlecht erklären kann, dann erfindet man Mythen und Geschichten, die in Bildern eingekleidet als Erklärungsmodelle herhalten. Die ganze Mythologie ist ein Erklärungsversuch der Entstehung der Welt und der Konzeption von Glaubensstrukturen. Die Menschen brauchen das, um sich an etwas festhalten zu können. Diese Geschichten balancieren zwischen den Liebesgeschichten und den Gruselgeschichten und dort, wo es gefährlich wird, wird es immer interessant. Und da der Tod als Grenzsituation ja etwas Gefährliches ist, haben die Menschen davor Angst. Sie versuchen, solche Grenzen zu überschreiten und sich darüber hinwegzusetzen. Zu den Synonymen: Im Zuge der Exitus-Ausstellung gab es ein Seminarprojekt an der Germanistik in Graz, wo über 600 verschiedene Termini für das Sterben zusammengetragen wurden. Und das allein im deutschen Sprachraum. Vom Löffel abgeben über die Kurve kratzen bis zum Bankl reißen. Im Ausstellungskatalog befindet sich übrigens eine Doppelseite, wo das alles genau aufgezeichnet ist.

Anzeige

Warum ist eine Auseinandersetzung mit dem Tod zu Lebzeiten so wichtig?
Wenn man sich zu Lebzeiten nicht mit dem Tod auseinandersetzt und konfrontiert, ist alles zu spät, wenn es soweit ist. Dann herrscht ein Ausnahmezustand. Wenn man das allerdings doch getan hat, dann muss man das Unbekannte nicht mehr als Feindbild betrachten. Gerade im christlich-religiösen Bereich wird der Tod als eine Grenzziehung dargestellt. Man stirbt und danach ist alles vorbei. Vom Jenseits gibt es nur vage Vorstellungen, mit denen niemand wirklich etwas anfangen kann und deshalb hängt jeder am Leben. Viele indigene Kulturen haben im Gegensatz dazu die Vorstellung, dass das Leben nur eine Vorbereitung auf das Jenseits ist. Betrachten wir zum Beispiel die bunt gestalteten Fantasiesärge in Ghana oder den Dia de los Muertos in Südamerika. Das ist für mich eines der spannendsten Trauerbewältigungskonzepte überhaupt, weil dort die Menschen nicht sterben, sondern immer noch Teil der Gesellschaft sind—wenn auch nur für einen Tag. Man stirbt nicht, weil auf einer Metaebene noch Kommunikation da ist. Aus meiner Sicht ist jemand ohnehin nur dann tot, wenn er aus den Gedanken und aus den Herzen seiner Mitmenschen verschwindet.

Was ist Ihre bevorzugte Bestattungsform in westlichen Kulturen?
Ich finde die Form der Diamantbestattung extrem spannend, bei der aus dem Kohlenstoff der Asche der verstorbenen Person ein Diamant gemacht wird. Dies geschieht durch Nachstellung der natürlichen Konditionen, die im Labor simuliert werden. Somit ist es kein künstlicher Stein, sondern ein natürlicher, kultivierter Diamant. Man stirbt also einerseits und durch Imitation eines natürlichen Wachstumsprozesses entsteht gleichzeitig ein neuer, lebendiger Organismus. Meine Schwiegermutter ist übrigens schon diamantisiert, weil wir so ein bleibendes Erinnerungsstück haben und wenn wir nicht mit einer Dampfwalze drüber fahren oder ihn in Königswasser einlegen, ist der Diamant unvergänglich. Das ist wirklich ein Stück für die Ewigkeit. Der Umgang mit dem toten Körper ist eine spannende Geschichte. Es gibt hier verschiedene Zugänge. Wir haben Kulturen, die versuchen, die Formalität des toten Körpers krampfhaft zu erhalten, wie zum Beispiel bei Einbalsamierungen. Andere brauchen das eigentlich nicht, ihnen reicht der symbolhafte Körper, sprich das Skelett, der Totenkopf, Gebeine und dergleichen mehr. Der nächste Schritt im Sinne der Diamantbestattung wäre dann: Wir brauchen nicht einmal mehr das, sondern wir verwandeln den einstigen, formalen Körper in einen neuen, abstrahierten, symbolischen, formalen Körper. Und damit haben wir einen Schritt vollzogen, wo wir uns von dieser krampfhaften Körperlichkeit des Nicht-Trennen-Wollens, des Erhalten-Müssens dieser formalen Ebene wegbewegen. Ich selbst werde übrigens auch ein solcher in der größten Größe, die es bis dahin geben wird. Das wird dann so 1,4 Karat werden, demnächst einmal schon, das ist mir sicher.

Anzeige

Das Bild zeigt einen Sitzsarg, der aber aufgrund der Leichenstarre so nicht verwendet werden kann. Er wurde von Wittigo Keller als Gag für eine Bestattungsmesse gebaut.

Sie wollen also ein Diamant werden. Haben Sie schon andere Überlegungen bezüglich Ihres eigenem Sterbens angestellt?
Mein größtes Problem wäre, wenn ich mein Sterben aus Krankheitsgründen nicht mehr beeinflussen könnte. Vor dem Sterben und dem Tod habe ich in der Zwischenzeit überhaupt keine Angst mehr, aber es ist mir extrem wichtig, dass ich den Übergang nach meinen Vorstellungen schaffen kann. Man kann sich, wenn man sich mit der Thematik auseinandersetzt und diesen Übergangsprozess—eine Zäsur und eine neue Struktur—darin sieht, einen „idealen Weg“ dorthin legen. Und der Tod ist dann eigentlich nur mehr die Problematik, wie die zurückbleibende Menschheit reagiert, von der engen Familie angefangen, bis hin zum Freundeskreis und zur Öffentlichkeit. Und da ist es dann eben massengeprägt, dass der Mensch mit dem Tod weg ist und die Intensität der Beziehung verloren geht.

Warum sind Bestattungsrituale in allen Gesellschaften so wichtig?
Weil wir ein Erinnerungspotential brauchen. Das Schlimmste für Menschen nach einem Flugzeugabsturz oder nach einem Tsunami ist, wenn man nichts mehr findet und man sich keinen Platz der Erinnerung schaffen kann. Dann fehlt der direkte Bezugspunkt, um sich auch ganz klar von diesem Körper trennen zu können. So entsteht eine Lücke in der Liminalität, die wahnsinnig schwer zu schließen und fast nicht zu überbrücken ist. Deswegen haben wir ja auch Gedenkstätten, Friedhöfe und so weiter. Die Relikte müssen natürlich nicht rein körperlich sein. Sie können auch geistig sein, wie zum Beispiel die Pfeifensammlung meines Vaters.

Anzeige

Die Schlinge links wurde dem Toten ums Handgelenk gebunden, die Glocke hing im Wohnzimmer des Bestattungsmitarbeiters. Durch posthume Körperkontraktionen läutete die Glocke so oft, dass die Mitarbeiter gar nicht mehr nachsehen gingen.

Gibt es so etwas wie Trends und Moden in der Funeralkultur?
Natürlich. Aber da gibt es heute eine klare Trennung zwischen den Generationen. Die 55+ Generation hat immer noch den klassischen, historischen Bezug zur Bestattung. Die Jungen haben sich aber einen ganz neuen geschaffen, der sehr stark an den alten, historischen andockt. Auf der einen Seite haben wir die historisch – „schöne Leich“, die immer noch im Sinne des Prunkes, der Exklusivität und der Kosten einfach ganz exakt definiert ist und auf der anderen Seite haben wir eine neue, schöne Leich, wo es darum geht mit neuen Darstellungsmethoden in der Gesellschaft zu operieren. Selbstdarstellung ist in der heutigen Zeit das Um und Auf. Das beginnt schon zu Lebzeiten und kulminiert dann vor allem bei Leuten, die kreativ tätig oder berühmt sind. Kultfiguren, Künstler, Wissenschaftler und so weiter legen Wert auf einen individuellen Abschluss, den sie bereits zu Lebzeiten prägen. Die Person, wie sie zu Lebzeiten gesehen wurde, soll im Übergang synchron gehalten oder vielleicht sogar noch zu erhöht werden. So entsteht—wie es der Thomas Macho so schön sagt—eine neue Sichtbarkeit des Todes. Wir haben immer noch die gleichen Ängste, die gleichen Zwiespälte, die gleichen Mechanismen, nur wir haben neue Formen und Rituale entwickelt. Das digitale Zeitalter geht auch in den Bereich der Verabschiedung hinein. So gibt es heute zum Beispiel Powerpoint Präsentationen, stroboskopische Lichtshows, Kunstnebel, QR-Codes auf Grabsteinen oder Online Friedhöfe.

Anzeige

Einen der spannendsten Trends finde ich zum Beispiel in Japan, wo es wahnsinnig kostspielig ist, einen Grabplatz zu finden. Abgesehen vom Buddhismus ist das mit ein Grund für die Urnenbestattung. Nun gibt es dort sogenannte virtuelle Garagenfriedhöfe. Das sind display-artige Boxen, wo man einen Code eingibt und dann kommt die Urne hochgefahren. Ähnlich bei diesen Pater-Noster-Parkplatz-Garagen. Und dann kann man sein Totenritual dort abhalten, Räucherstäbchen anzünden oder was auch immer, und dann fährt die Urne wieder runter. So kann man auf einem Ein-Raum Grab tausende von Urnen zum Totengedenken abrufen. Das sind spannende Dinge, die aus der erfinderischen Not heraus entstanden sind.

Wie sieht es nun mit der Zukunft des Bestattungsmuseums aus?
Das Haus muss aus institutionellen Gründen am 30. September schließen und bis Ende des Jahres geräumt werden muss, weil es verkauft wurde. Ein neues Gebäude für die administrative Verwaltung der Friedhöfe gibt es bereits gegenüber des Haupteinganges des Zentralfriedhofes. Die operative Bestattung zieht mit Ende des Jahres aus. Damit geht ein Stück Museumsgeschichte verloren—schließlich war das Gebäude 1867 die erste private Bestattungsanstalt. Das Haus wird abgerissen und dann entstehen hier die sogenannten „Goldegg-Gardens"— ein Wohnkonzept für die gehobene Geldbörse. Unter der Aufbahrungshalle 2 im Zentralfriedhof wird es allerdings dann ein Bestattungsmuseum neu geben, das ab September 2014 mit einem komplett neuen Konzept eröffnet wird. Der Tod wird uns Wiener also auch weiterhin begleiten.

Mehr über den Tod:

Was Kinder über den Tod sagen

The Body Farm

Tod im Asylwerberheim