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Sex

Adams erste Frau wurde aus dem Paradies verbannt, weil sie die Missionarsstellung verweigerte

Jahrhundertelang galt Lilith deswegen als babystehlende Sexdämonin. Moderne Feministinnen und religiöse Gelehrte zeichnen ein ganz anderes Bild.
Lilith, Adams erste Frau

Direkt vom ersten Kapitel an hätte ich wissen sollen, dass das Bibel-Studium kein großer Spaß wird. Schlange verführt Eva, Eva verführt Adam, beide essen einen Apfel und werden aus dem Garten Eden vertrieben, hinaus in eine Welt voller Sünde und Tod. Schönen Dank auch.

Schon in jungen Jahren hat mich die Bibel unfassbar frustriert. Als Kind einer katholischen Mutter und Mensch mit einem gewissen Hang zur Spiritualität, habe ich versucht, den Katholizismus in mein Leben zu lassen. Allerdings hatte ich nie das Gefühl, dass dieser mich wirklich haben will, weibliche Bibelfiguren, die jungen Frauen als Vorbild dienen könnten, gab es schließlich nicht viele. Ich erinnere mich noch, wie ich mit etwa 13 nach starken biblischen Heldinnen googlete. Ich brauchte unbedingt jemanden, mit dem ich mich identifizieren konnte. So habe ich Lilith gefunden.

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Lilith in der Bibel

Liliths Geschichte ist selbst für ein Geistwesen seltsam und kompliziert. Wer nach ihrem Namen im Internet sucht, stößt auf Hunderte Bilder von leichtbekleideten Dämoninnen. Jahrhundertelang war sie kontroverser Gegenstand theologischer Diskussionen, in jüngeren Jahren hingegen einer der Bewunderung und Anbetung. Aber wer ist Lilith überhaupt?

Grob gesagt ist Lilith eine mythologische Figur. Manchmal wird sie als "berüchtigtste Dämonin des Judentums" beschrieben, oder als verruchtes Nachtgespenst. Solche Kurzbeschreibungen werden der Komplexität ihrer Geschichte aber nicht gerecht, die sich im Laufe der Jahrtausende immer wieder verändert hat. Eine der frühesten Erwähnungen von Lilith findet sich in einer sumerischen Dämonenliste von 2.400 vor Christus. Darin ist von einer furchterregenden Gruppe Sukkubus-ähnlicher "Lillu-Dämonen" die Rede. Diese sei dafür bekannt, "schlafende Männer zu besuchen, um sie zu verführen und dadurch groteske Kinder zu erschaffen", heißt es in einer wissenschaftlichen Arbeit zum Lilith-Mythos.

Als Dämonenfigur, die vor allem mit Dunkelheit und Kindsmord in Verbindung gebracht wird, taucht Lilith auch in den antiken Sagen der Hethiter, Ägypter, Israeliten und Griechen auf. In den gängigsten Bibelübersetzungen wird sie nur einmal in Jesaja 34:14 erwähnt. Je nach Bibelausgabe ist statt Lilith von einem Nachtgespenst die Rede.

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Vor allem aber ist Lilith als Figur der jüdischen Folklore bekannt. Ihren wohl bekanntesten Auftritt hat sie im Alphabet des Ben Sira, einem jüdischen Text aus dem Frühmittelalter, der oft als Satire interpretiert wird. Hier wird Lilith als Adams erste Frau beschrieben. Genau wie Gott Adam selbst erschaffen hatte, erschuf er auch Lilith aus Erde – und nicht etwa aus einer Rippe. Fast augenblicklich begann Lilith, sich mit Adam über Sex zu streiten [ Übersetzung aus dem Englischen von Broadly]: "Sie sagte: 'Ich werde nicht unten liegen.' Und er sagte: 'Ich werde nicht unter dir liegen, sondern nur obenauf. Weil du nur für die untere Position geeignet bist, wohingegen ich in die überlegene gehöre.' Und Lilith antwortete: 'Wir sind insofern einander ebenbürtig, als dass wir von der gleichen Erde stammen.'"


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Schließlich sagte die entnervte Lilith "Gotts unaussprechlichen Namen und flog hinfort in die Luft". Gott sandte daraufhin drei Engel los, um sie zur Rückkehr zu bewegen. Sollte sie sich weigern, würden jede Nacht einhundert ihrer Kinder sterben. Als die Engel sie schließlich mit diesen mahnenden Worten erreichten, antwortete sie: "Lasst mich allein! Ich wurde nur erschaffen, um Babys krank zu machen: Wenn es Jungs sind, werde ich von Geburt bis Tag acht Macht über sie haben; wenn es Mädchen sind, von Geburt bis Tag zwanzig."

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Selbst wenn die Geschichte im Alphabet des Ben Sira eher humorvoll gelesen werden soll, bescheinigten ihr viele Wissenschaftler eine gewisse Nähe zu tatsächlich existierenden Traditionen: Als Parabel erklärt die Geschichte beispielsweise den altertümlichen Brauch, Kinder mit einem speziellen Schutzamulett auszustatten (darauf stehen die Namen der drei Engel und es soll Lilith abwehren). Und ganz unabhängig von ihrer ursprünglichen Intention hat die Geschichte über Jahrhunderte hinweg in verschiedenen Kulturen Anklang gefunden, Lilith gilt bis heute als stark und dominant.

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"Während die Leser im Mittelalter vielleicht über den unzüchtigen Charakter der Geschichte lachten, wird Liliths Wunsch nach Freiheit letztendlich von der männerdominierten Gesellschaft unterdrückt", erklärt die Bibelforscherin Janet Howe Gaines. Eine Thematik, die nicht nur aktuell, sondern seit Uhrzeiten relevant ist.

Lilith als feministische Ikone

1972 hob die Theologin Judith Plaskow diese Interpretation kulturell gesehen auf ein noch höheres Level, indem sie eine Parabel mit dem Titel The Coming of Lilith schrieb. Darin stellt sie die Figur nicht als aufrührerische, bösartige und kindsraubende Frau dar, sondern erklärt Liliths Seite der Geschichte: Lilith wollte einfach nicht von Adam herumkommandiert werden, denn sie sah ihn als gleichwertig an. Also floh sie, und wurde in ihrer Abwesenheit verleumdet. Plaskows Erzählung endet damit, dass Lilith auf Eva trifft und deren Horizont erweitert. Zwischen den beiden entwickelt sich daraufhin ein schwesterliches Verhältnis.

"Sie ist für das Recht auf ihren eigenen Körper eingestanden, für ihre Lust, für ihr Schicksal. Vorbildlicher geht es doch gar nicht."

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The Coming of Lilith brachte der religiösen Figur den Ruf als feministische Ikone ein. 1976 kam das Lilith Magazine auf den Markt, das sich selbst ganz stolz als "unabhängig, jüdisch & offen feministisch" bezeichnete. Für die erste Ausgabe schrieb die jüdische Feministin und Aktivistin Aviva Cantor Zuckoff einen Kommentar, in dem sie erklärte, warum sich ein modernes Magazin nach einer altertümlichen Dämonin benennt. "Lilith ist eine starke und mächtige Frau. Wenn Mythenerzähler von Liliths Widerstand und rachsüchtigen Taten reden, dann bestätigen sie damit Liliths Stärke", schrieb sie. Die Taten von Lilith könne man durchaus als Reaktion darauf sehen, dass sie sich "gegen männliche Dominanz wehren und jahrhundertelang alleine für ihre Unabhängigkeit kämpfen musste". Wer ihr unfaire Mittel zuschreibe, würde Frauen in ihrer Entwicklung beschränken wollen und sie davon abhalten, sich zur Wehr zu setzen. “Es ist ganz klar hervorzuheben, dass Lilith eine Kämpferin für eine gute Sache ist”, ist Cantor überzeugt.

Mit steigender Beliebtheit der feministischen Bewegung wurde auch Liliths positiver Einfluss immer größer. 1997 veranstalteten Feministinnen mit "Lilith Fair" das erste komplett weibliche Musikfestival – der Name der einstigen Dämonin stand dabei für ihren progressiven Zweck. Die Organisatorin Sarah McLachlan erzählte gegenüber dem Magazin Glamour, dass ihr eine Freundin die Geschichte von Lilith erzählt hatte und sie davon sehr bewegt war. "Ich hielt sie sofort für die perfekte Protagonistin! Worte sind mir offensichtlich sehr wichtig und nur 'Lilith' erschien mir nicht genug", sagte sie. Wegen ihres Hangs zu Wortspielen hängte McLachlan dann noch das englische Wort "Fair" dran, was einerseits einen typisch traditionellen Jahrmarkt bezeichnet, sich andererseits aber auch mit "gerecht" übersetzen lässt. Lilith hätte hier mit Sicherheit ihr OK gegeben.

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Lady Lilith von Dante Gabriel Rossetti, 1868

Lady Lilith, 1868, Dante Gabriel Rossetti - Delaware Art Museum

Lilith in der Popkultur

Im Laufe des vergangenen Jahrhunderts hat sich Lilith zu einer omnipräsenten, aber dennoch nur schwer fassbaren Figur der Popkultur entwickelt. Sie taucht in Ulysses auf (darin wird sie als die Schutzheilige der Abtreibung beschrieben), spielt aber auch eine Rolle in der Vampirserie True Blood. Es gibt außerdem Menschen, die Lilith als mächtiges, wenn auch missverstandenes spirituelles Wesen verehren. Viele Heidinnen, Hexen und andere Magie-Expertinnen, die mit göttlichen weiblichen Kräften arbeiten, nutzen Lilith in ihren Bräuchen – die oft mit Sex, Macht und der dunklen Seite des göttlichen femininen Urbilds zu tun haben.

"Geschichten von Göttern oder mächtigen maskulinen Figuren gibt es wie Sand am Meer, starke Frauen sehen wir hingegen nur selten. Und wenn doch, dann haben ihre Geschichten etwas Böses an sich oder ihre Stärke geht auf einen Mann oder eine maskuline Kraft zurück", sagt Jaclyn Cherie, eine luziferische Hexe, die den Blog "The Nephilim Rising" betreibt und in einem spirituellen Kontext mit der Figur Lilith arbeitet. Indem sie Liliths Geschichte für sich zurückholen, können Frauen gegen den unerbittlichen und unterdrückenden Status Quo ankämpfen.

Laut Cherie ist Lilith eine mächtige Figur, die für Frauen relevant war, ist und auch in Zukunft bleiben wird. "Sie hat für ihre Eigenständigkeit gekämpft, für das Recht, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen", sagt sie. "Sie ist für das Recht auf ihren eigenen Körper eingestanden, für ihre Lust, für ihr Schicksal. Vorbildlicher geht es doch gar nicht."