„Jede Frau sollte etwas zu sagen haben“: SXTN im Interview
Foto: Grey Hutton

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Musik

„Jede Frau sollte etwas zu sagen haben“: SXTN im Interview

Beleidigung als Emanzipation—Juju und Nura ficken Mütter, auch „ohne Schwanz“. Wir haben mit den Rapperinnen über schlimme Frauenideale, Sexismus und die Freiheit, man selbst zu sein, gesprochen.

„Wir ficken deine Mutter" ist eine Ansage, die in der deutschen Rapszene überdurchschnittlich häufig getätigt wird. In der Regel von Männern. Als SXTN ihr erstes Video „Deine Mutter" veröffentlicht haben, waren viele trotzdem irritiert—denn hinter dem Bandnamen verbergen sich zwei Frauen. Nura und Juju, zwei Berliner Rapperinnen, die sich nicht durch ihr Geschlecht definieren lassen wollen. Vor allem nicht dann, wenn man ihnen vorschreiben möchte, wie sie sich zu verhalten, oder was sie zu sagen haben. Auf ihrer ersten EP „Asozialisierungsprogramm" arbeiten sich die beiden Berlinerinnen allerdings nicht nur an imaginären Battle-Gegnern ab, sondern konfrontieren gängige Rollenklischees der Rapszene—samt Alice Schwarzer Verweis. Wir haben uns mit SXTN zusammengesetzt und versucht, die großen Fragen des männerfokussierten Deutschrap zu klären. Warum gibt es keine guten Schimpfwörter, die man als Frau verwenden kann? Wieso ist es wichtiger, gut auszusehen als was draufzuhaben? Und was sagen eigentlich die Mütter von Fler, Kollegah und Co. zu den Eskapaden ihrer Söhne? Am Ende blieb die Erkenntnis: Wenn Rap ein Problem damit hat, Frauen zu respektieren, dann muss man ihn eben dazu zwingen.

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Broadly: Habt ihr das Gefühl, dass mit euch von Medienseite aus anders umgegangen wird? Weil ihr Frauen seid, aber eben doch diese „harte" Musik macht?
Juju: Ich glaube eigentlich nicht. Zumindest nicht von den Hip Hop Medien. Es gab ja auch schon andere Rapperinnen vor uns.

Nura: Wobei: Wir haben ja auch erst ein Lied draußen und wenn wir Kerle wären und bisher erst eine Single gehabt hätten, wären wir glaube ich nicht so viel in den Medien gewesen. Dadurch, dass wir Mädchen sind, waren wir durch ein Lied plötzlich überall.

Juju: Aber eigentlich ist das ja egal. Wenn jetzt ein Typ irgendetwas machen würde, was noch keiner gemacht hat, wäre es wahrscheinlich auch krass. Vielleicht gibt es einfach nicht so viele Frauen, die zu zweit rappen und Ausdrücke sagen.

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Es gab meines Wissens nach zumindest noch keine Frauengruppierung, die gesagt hat „Wir ficken deine Mutter. Ist uns egal, ob wir einen Penis haben!" Das hat mich übrigens auch an die erste große Single von Kitty Kat erinnert: „Lutsch mein Schwanz". Da ist mir schon aufgefallen: Diese ganzen typischen Rap-Beleidigungen passen irgendwie immer nur für Männer. Es gibt ganz wenig, was man als Frau sagen kann, ohne …
Nura: Doch! Fotzenknecht! Ja, OK. Du beleidigst dann eine andere Frau als Fotze, aber du bist dann halt der Knecht von der Fotze, also ist sie schon Boss in dem Moment. Fotze ist für mich auch nicht so krass böse. Das heißt ja eigentlich nur alte Ledertasche.

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Juju: Ich finde schon, dass Fotze auf derselben Stufe ist wie Hurensohn. Wenn man sich mit seinem Freund streitet und richtig ausrastet und dann diskutiert man danach, welches Wort, das man sich an den Kopf geworfen hat, schlimmer ist … Kennst du das? Aber es stimmt schon. Für Männer gibt es nichts, wo du sie ohne Mutter richtig beleidigen kannst. Es gibt Spast und Opfer und so, aber das ist nicht so schlimm. Aber um auf unseren Song zurückzukommen: Es ist eine Aussage, die ja niemand so wirklich ernst meint. Deswegen sagen wir das einfach so. Keiner fickt wirklich die Mutter von jemandem—zumindest nicht, dass ich wüsste.

Nura (links) und Juju interessiert es nicht, ob du sie (oder ihre Mütter) attraktiv findest. Foto: Grey Hutton

Wobei das wahrscheinlich der nächste konsequente Move wäre. Ich würde auch wirklich gerne mal mit Müttern von Deutschrappern reden.
Nura: Ich finde auch, man sollte so undercover die Mütter anschreiben und die zu einem Meeting einladen, damit die Mütter sich vertragen können. Und dann sagen die einfach, zum Beispiel zu Fler: Nee, du hörst jetzt auf, dich mit dem Felix zu streiten, Patrick!

Juju: Das hat Sido doch mal gemacht. Der hatte mit irgendjemandem Beef, Bushido glaube ich, und dann hat seine Mutter am Anfang von einem Song geredet. So „Ja, das finde ich nicht in Ordnung, was der über uns gesagt hat. Wieso beleidigt der mich denn? Der kennt mich doch gar nicht!" Das fand ich voll cool.

Nura: Aber ich meine, die waren doch auch befreundet. Der kam doch bestimmt auch zu denen nach Hause und hat was gegessen. Aber auch bei Rappern, die vorher keine Freunde waren und sich jetzt hassen, sollte man einfach die Mütter ranholen und sagen: So, nehmt die jetzt mal an den Ohren und sagt denen, was sie machen sollen. Wenn du ein guter Mann bist, dann hörst du auf deine Mutter. Wenn deine Mutter sagt „Hör auf mit dem Blödsinn, du blamierst dich!", dann sollte man das auch machen.

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Die hat einfach nur über Sex gerappt. Jeder kann über Sex rappen. Jeder hat Sex.

Mich wundert es sowieso so ein bisschen, dass Frauen momentan eine etwas komische Stellung in der deutschen Rapszene haben. Zu den Anfangszeiten, bei Cora E. oder Sabrina Setlur, ging es einfach nur darum, ob die coole Musik machen oder nicht. Aktuell scheint es immer erst mal wichtig zu sein, ob Rapfans einen attraktiv finden.
Nura: Wir können aber auch einfach mehr ab. Dadurch lernen wir, mehr auszuhalten. Die meisten denken, dass wir es voll leicht haben, weil wir Frauen sind. Und ja, es gibt nicht so viel Konkurrenz wie bei den Typen—da gibts dann halt nur Schwesta Ewa in Frankfurt, Robbery in Hamburg, Lumara und so. Aber eigentlich haben wir es schwerer, weil wir in allen Sachen die krassesten sein müssen. Es reicht nicht, dass du gut rappst und einen guten Beat dazu hast, du musst auch noch gut aussehen, du musst genau das sagen, was jetzt alle hören wollen, jeden glücklich machen … Das ist total geisteskrank.

Juju: Bei unserem Song ganz am Ende kommt so ein Teil, wo Parts von Kitty Kat, Schwesta Ewa und Jeenez kommen, und dafür habe ich die ganze Zeit nach Zeilen von Frauen gesucht, die wir geil finden. Deswegen habe ich mir auch Cora E. angehört—kannte ich vorher gar nicht. Die hatte auch eine richtig coole Zeile, aber ich finde allgemein diesen Rapstyle von früher nicht geil. Da finde ich Kitty Kat zum Beispiel viel krasser. Das finde ich eigentlich auch voll wichtig bei Frauen, dass die sich nicht nur darüber definieren, dass sie Frauen sind, sondern auch geil rappen können. Vielleicht sogar mehr draufhaben als manche Typen. Das finde ich richtig geil, da krieg ich 'nen Harten! [lacht] Deswegen finde es manchmal auch richtig krass, was die Leute unter Kitty Kats Videos schreiben. Das tut mir dann richtig Leid. Das ist doch eine Frau, denk mal darüber nach, Alter! Stell dir vor, das wäre deine Schwester und jeder würde drunter schreiben, wie hässlich er die findet. Da ist es doch klar, dass es irgendwann nur noch so ein Idealbild von Frauen im Fernsehen und der Musik gibt. Dass jeder jetzt wie Beyoncé aussehen muss oder wie Kim Kardashian. Das geht halt nicht. Die hat ja auch in keinem ihrer Songs gesagt, dass sie geil aussieht. Die hat einfach nur über Sex gerappt. Jeder kann über Sex rappen. Jeder hat Sex.

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Nura: Bei der hat man auch gemerkt, wie die Leute einen direkt in irgendeine Schublade stecken wollen. Sieht die geil aus oder nicht? „Ich feiere ihre Mucke, aber wenn die nicht geil aussieht, dann feiere ich die nicht mehr!"—das ist total geisteskrank, Alter. Wenn die ein Typ wäre, wäre das auch egal.

Foto: Grey Hutton

Nervt es euch, dass es dann doch immer wieder darum geht, dass ihr Frauen seid?
Nura: Ich freue mich eher, dass uns total viele Mädels schreiben und sagen, dass sie das super finden: Knaller, endlich mal wieder Weiber am Start! Sei es über Instagram, privat bei Facebook oder unter jedem Video. Wenn andere Mädels uns feiern, dann weil sie sich in uns wiederfinden, glaube ich. Es gibt ein Foto, wo mich Juju beim Kotzen fotografiert hat, und da haben Mädels drunter geschrieben „Ah krass, guck mal, die sind wie wir!". Ich glaube, dadurch merken viele, dass sie nicht die Einzigen sind, die rülpsen—oder auf die diese ganzen Ideale, wie ein Mädchen sein sollte, nicht zutreffen. Modelmaße, ein Mädchen rülpst nicht, ein Mädchen macht das nicht, ein Mädchen sagt nicht Hurensohn—weil wir das nicht mitmachen, feiern uns die Mädels. Wir sind jetzt keine Vorbilder oder was auch immer, aber vielleicht können wir dazu beitragen, dass alle mal ein bisschen lockerer werden.

Juju: Man sollte sich immer treu bleiben und wenn man ein kleines, süßes Mädchen ist, dann sollte man auch so sein dürfen. Frauen sollten aufhören, sich zu verstellen. Und schon mal gar nicht für Typen, was ich immer wieder beobachte. Das ist jetzt ein extremes Beispiel und da muss auch jeder selber wissen, aber: Kack doch einfach bei deinem Freund zuhause! Warum musst du da jetzt drei Tage mit Bauchkrämpfen sitzen und darauf warten, dass du endlich Zuhause auf Toilette gehen kannst? Musst du vor ihm jetzt so tun, als ob du niemals kacken würdest, oder was? Das ist doch Schwachsinn. Das kenne ich von all meinen Freundinnen und ich war früher auch so, dass ich mich dafür geschämt habe. Aber ich schäme mich ja auch nicht dafür, dass ich esse. Der Typ macht das ja auch, sitzt dann da mit halb offener Tür und raucht wahrscheinlich noch ne Kippe dabei.

Nura: Das mit dem Essen ist ja auch so krass. Wenn du mit einem Typen irgendwohin gehst und es Mädels gibt, die dann extra total wenig essen, damit der Mann nicht denkt, dass sie sich vollfrisst. Oder Ollen, die total früh aufstehen, um sich noch schminken zu können, damit der Typ sie nicht ungeschminkt sieht!

Juju: Dann gibt es aber auch Frauen, die extra viel essen, weil sie glauben, dass sie dann cooler gefunden werden. Oder behaupten, dass sie total auf Fußball stehen oder Playstation spielen, obwohl das gar nicht stimmt. Sobald du dir so was abgewöhnst, steigst du eigentlich eher auf. Wenn du dich die ganze Zeit so klein machst, findet dich doch auch kein Typ geil. Jede Frau sollte zu sich stehen und etwas zu sagen haben—egal ob hübsch oder nicht.