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Wie darf man AfD-Politiker nennen?

Nach rechtlicher Beratung kommen wir zu dem Schluss: "Nazi-Schlampe" ist nicht wirklich geschickt.

Titelcollage: Metropolico.org | Flickr | CC BY-SA 2.0 und Frank Schwichtenberg | Wikimedia Commons | CC BY-SA 3.0

Es scheint ganz so, als entpuppe sich in letzter Zeit ein neuer Wettstreit unter deutschen Satirikern: Wer kann einen Witz so "bewusst verletzend" formulieren, dass Politiker zur Klage greifen?

Dass dieser Humor bei ausländischen Staatsoberhäuptern nicht so toll ankommt, wissen wir, seit Jan Böhmermann ein Gedicht über den türkischen Staatspräsidenten Erdogan geschrieben hat und damit eine Staatsaffäre auslöste. Jetzt erwischt der Wettstreit auch heimische Politiker.

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"Die politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der Geschichte", sagte die neue AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel vorheriges Wochenende auf dem Bundesparteitag in Köln. Das nahm Christian Ehring, der Moderator der NDR-Sendung extra 3, als dankbare Vorlage. Er kommentierte die Rede mit den Worten: "Jawoll, Schluss mit der politischen Korrektheit. Lasst uns alle unkorrekt sein. Da hat die Nazi-Schlampe doch Recht!"

Auf Twitter formierte sich bald darauf Widerstand von rechts. Alice Weidel kann über die "Nazi-Schlampe" nämlich nicht lachen. Christian Lüth, Pressesprecher der AfD, antwortete auf den empörten Tweet eines AfD-Anhängers: "Wir gehen dagegen juristisch vor. Das wird teuer für diesen GEZ-Primitivling." Lüth sagte gegenüber dem Spiegel, die Aussagen des Moderators seien "beleidigend und verleumderisch". Man wolle Christian Ehring verklagen.

Natürlich haben wir alle manchmal das Bedürfnis, uns über die AfD auszulassen. Wir sind uns aber darüber bewusst, dass Meinungsfreiheit nicht gleich Beschimpfungsfreiheit ist. Und wir haben keinen Bock auf einen Gerichtsprozess. Deswegen haben wir einen Berliner Medienanwalt* gefragt, wie wir AfD-Politiker straffrei beleidigen können.

Darf ein Satiriker Alice Weidel als "Nazi-Schlampe" bezeichnen?

Für den Berliner Medienanwalt ist das eine klare Sache: "Jemanden einfach so als 'Nazi-Schlampe' zu bezeichnen, ist nicht erlaubt." Man dürfe allerdings nicht vergessen, dass Ehring sich im Rahmen einer Satiresendung über Weidel geäußert hat – und nicht etwa "auf der Straße" über sie geredet hat. Ähnlich wie im Fall Böhmermann kündigte der extra 3-Moderator vorher an, politisch unkorrekt zu sein, indem er Weidel eine "Nazi-Schlampe" nennt. Aber anders als Böhmermann hieß das Motto bei extra 3 wohl nicht "Wir zeigen euch mal, was man nicht sagen darf", sondern "Jetzt dürfen wir unsere Meinung endlich sagen und sagen mal 'Nazi-Schlampe'". Der Anwalt sieht hier deswegen eine "Schmähkritik" – das heißt, es steht keine sachliche Auseinandersetzung mehr im Vordergrund, sondern nur die Herabsetzung einer Person. Darauf steht eine Geldstrafe oder sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr.

Grundsätzlich gilt: Beleidigungen müssen auf Tatsachen beruhen

Im Fall von Alice Weidel sieht der Medienanwalt vor allem bei dem Wort "Schlampe" ein Problem: "Das Wort 'Schlampe" ist diffamierend." Grundsätzlich gilt für Meinungsäußerungen, dass sie straffrei bleiben, wenn sie vertretbar sind, etwa, weil sie mit einer sachlichen Auseinandersetzung mit einem Thema verbunden sind. Zu "Nazi-Schlampe" findet er: "Nazi an sich könnte von einigen Gerichten als noch zulässige Meinungsäußerung beurteilt werden, weil Weidel 'politische Korrektheit auf den Müllhaufen der Geschichte' packen will und einer durchaus als rechtspopulistisch einzuordnenden Partei angehört. So kann man 'Nazi' als Wertung ihrer Aussage und ihrer politischen Ansichten sehen." Aber ihre Äußerung zur politischen Korrektheit mache sie nicht zur "Schlampe", sagt der Medienanwalt. "Um den Begriff "Schlampe" überhaupt auch nur ansatzweise als zulässige Meinungsäußerung bezeichnen zu können, müsste es erst einmal tatsächliche Anknüpfungspunkte geben. An solchen fehlt es jedoch gänzlich."

Darf man alle AfDler als "Nazis" bezeichnen?

Der Medienanwalt sagt dazu: "Wenn sich ein Politiker mit Aussagen wie 'Flüchtlinge raus! Dieses Dreckspack muss gehen!' äußert, wäre es zulässig, ihn als Nazi zu beschimpfen. Das ist dann eine noch zulässige Meinungsäußerung. Wenn jemand aber nur haltbare Tatsachen vertritt, wird es schwieriger, ihn als Nazi zu betiteln."

Man könne jedoch darüber streiten, ob Nazi noch als zulässige Meinungsäußerung angesehen werde oder schon die Grenze zur Schmähkritik überschreitet.

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Unterschied zwischen öffentlichen und privaten "Nazis"

"Öffentliche Personen und vor allem Politiker müssen sich überspitzte Kritik gefallen lassen. Sie haben dabei aber auch ein Recht auf den Gegenschlag. Das heißt, sie können mit den gleichen Mitteln zurückschlagen", erklärt der Anwalt. Bei Privatpersonen müsse man etwas vorsichtiger sein. Man könne nicht einfach jeden als "Nazi" bezeichnen. Hinter dem "Nazi"-Vorwurf müsse immer ein sachlicher Bezug stecken – sonst ist es eine Schmähkritik.

Also merkt euch: Wenn ihr AfD-Politiker beleidigt, solltet ihr euch vorher überlegen, ob eure Beschimpfung einen wahren Kern hat – einen, den selbst ein deutsches Gericht erkennen würde.

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*Die Zitate im Text wurden vom Anwalt autorisiert. Nach Rücksprache mit ihm haben wir seinen Namen nach Veröffentlichung anonymisiert.