Warum Islamfeindlichkeit vor allem Frauen trifft
Illustration by Katherine Killeffer

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Religion

Warum Islamfeindlichkeit vor allem Frauen trifft

Frauen, die in der westlichen Gesellschaft ein Kopftuch tragen, werden immer wieder Opfer der zunehmenden Gewalt gegen Muslime. Derartige Übergriffe richten sich allerdings nicht nur gegen die religiösen Ansichten der Frauen, sagen Experten...

Zainab Chaudry weiß mehr über Islamfeindlichkeit, als die meisten anderen Menschen. Als Pressesprecherin des Council on American-Islamic Relations setzt sie sich für die gegenseitige Verständigung zwischen muslimischen Amerikanern und der restlichen Bevölkerung ein. Doch wie viele andere muslimische Frauen, die in westlichen Ländern ein Kopftuch tragen, wurde auch Chaudry immer wieder Opfer islamfeindlicher Übergriffe.

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"Als ich vor Kurzem auf dem Parkplatz eines Supermarkts stand, fing ein Mann an, mich zu beschimpfen und meinte: 'Du bist hier nicht willkommen. Geh dahin zurück, wo du hergekommen bist.' Das Witzige ist, dass ich in Maryland geboren bin. Ich bin Amerikanerin. Also meinte ich zu ihm: 'Ich bin zu Hause.' Allerdings bleibt da immer das Gefühl, dass manche Menschen nicht akzeptieren wollen, dass auch Muslime Amerikaner sein können. Diese beiden Aspekte unsere Identität scheinen sich gegenseitig auszuschließen. Wenn du Muslim bist, dann kannst du kein Amerikaner sein."

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Während die Diskriminierung von Muslimen in den USA durch Trumps Einreisestopp einen neuen traurigen Höhepunkt erreicht hat, lehnen auch hierzulande immer mehr Deutsche die Zuwanderung von Muslimen ab. Wie Wissenschaftler der Universität Leipzig im Rahmen einer Studie aus dem Jahr 2016 herausgefunden haben, gaben 41,4 Prozent der Befragten an, dass Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden sollte – zwei Jahre zuvor waren es noch 36,6 Prozent. Grund für diesen sprunghaften Anstieg sind allerdings nicht nur die Anschläge durch den IS oder die Flüchtlingskrise – rechte Parteien aus ganz Europa treiben diese Entwicklung durch ihre hetzerischen Kommentare seit Jahren ganz bewusst voran.

Auch die Zahl islamfeindlicher Übergriffe und rechter Gewalt haben über die vergangenen Jahren weltweit ein neues Rekordhoch erreicht. In London berichtete die Polizei bis Oktober 2015 von einem Anstieg von rund 47 Prozent. Zudem verzeichnete das US-amerikanische CAIR im Jahr 2015 mehr als 70 Angriffe auf Moscheen und auch in Deutschland zählte das BKA im selben Jahr 75 Angriffe, so die taz. Hinzu kommt, dass die Zahl rechter Gewalttaten in Deutschland laut der Bundeskriminalstatistik um ganze 44 Prozent gestiegen ist, wovon insbesondere Moscheen und Flüchtlingsheime betroffen sind, wie die Zeit berichtet. "Wir sind überwältigt, welches Ausmaß dieses Problems annimmt", erklärt mir Fiyaz Mughal von Tell MAMA – einer Organisation, die islamfeindliche Übergriffe überwacht. Allein in der Woche nach den Attentaten von Paris haben die Mitarbeiter der Organisation mehr als 115 neue Fälle von islamfeindlicher Gewalt registriert.

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Es gab einen Fall, bei dem eine schwangere Muslima ihren Einkaufswagen durch einen Supermarkt in Kalifornien geschoben hat und ihr ein Mann den Wagen direkt in den Bauch gerammt hat.

Die Hauptlast dieser Übergriffe tragen vor allem muslimische Frauen. Es gab bereits Fälle, in denen eine Frau vor einen einfahrenden Zug geschubst wurde oder verprügelt und anschließend aus dem Bus getreten wurde. In Kanada gab sogar einen Fall, bei dem ihre Frau angegriffen wurde, als sie ihre Kinder von der Schule abholen wollte. Dabei ist das Risiko für Frauen mit Kopftuch besonders hoch, Opfer eines Übergriffs zu werden.

"Frauen, die rein äußerlich als Muslime kenntlich sind, werden auf offener Straße am häufigsten Opfer von Gewalt und sonstigen Schikanen", erklärt Mughal. "Islamfeindlicher Hass ist ganz klar auch ein geschlechtsspezifisches Problem." Er sagt, dass 80 Prozent der Übergriffe infolge der Anschläge von Paris Frauen trafen. Das hat zum Teil ganz pragmatische Gründe. "Da ist zum einen die Sache mit der Sichtbarkeit. Muslimische Frauen, die sich nach der islamischen Kleiderordnung kleiden, sind leicht zu erkennen. Hinzu kommt, dass sie sich nicht so leicht wehren können."

Fatima*, 24, kam als Teenager in die USA und lebt momentan in Washington DC. Sie trägt ihr Kopftuch nicht immer, hat aber festgestellt, dass Menschen "bestimmte Grenzen eher einhalten," wenn sie es trägt. "Das muss nicht unbedingt negativ sein", meint sie, "aber Frauen mit Kopftuch werden eindeutig anders behandelt." Ihr erstes islamfeindliches Erlebnis hatte sie im vergangenen Jahr in einem Bus – nachdem sie mehr als zehn Jahre in den Staaten gelebt hat.

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"Ich saß vor einer Frau, die sichtlich angespannt war und sich schließlich von mir wegsetzte. Ich habe zwar bemerkt, dass sie ihren Sitzplatz gewechselt hat, dachte mir dabei aber auch nichts weiter. Erst später habe ich dann kapiert, dass sie mich beleidigte. Sie fing an, laut zu fluchen und zu sagen, 'wir' seien 'der Teufel' und 'Ausgeburten der Hölle' und so etwas in die Art."

Das ging zehn Minuten lang so weiter, bis die Frau schließlich aus dem Bus ausstieg. "Als sie an mir vorbeilief, lächelte ich sie an und wünschte ihr noch einen schönen Abend, woraufhin sie antwortete: 'Fick dich'." Im ersten Moment musste Fatima über die Beleidigungen lachen. "Ehrlich gesagt, fand ich es lächerlich. Ich begreife nicht, warum ein Mensch denkt, dass er mich beleidigen könnte, obwohl er nichts über mich weiß. Wenn sie allerdings übergriffig oder gewalttätig geworden wäre, hätte ich natürlich ganz anders reagiert. Ich habe das Gefühl, dass sich die Situation generell verschärft hat, was mich auch in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt, weil ich weiß, dass ich mit meinem Kopftuch ein direktes Ziel bin."

Mughals Ansicht nach verbergen sich hinter islamfeindlichen Übergriffen auf Frauen sehr viel tiefgreifendere Gesellschaftsstrukturen, die mit der Geschlechterdiskriminierung zusammenhängen. "Ihr Geschlecht gibt Männer das Gefühl, sie angreifen zu müssen. Frauen sind in ihren Augen der Mittelpunkt der Familie, der für die Fortpflanzung und das Fortbestehen der muslimischen Gesellschaft verantwortlich ist. Unserer Erfahrung nach sind Gewalttaten und Übergriffe von Männer gegen Frauen ein wesentlicher Bestandteil islamfeindlicher Gesinnungen."

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Chaudry ist ebenfalls der Meinung, dass muslimische Frauen sehr viel stärker gefährdet sind. "Es gab einen Fall, bei dem eine schwangere Muslima ihren Einkaufswagen durch einen Supermarkt in Kalifornien geschoben hat und ihr ein Mann den Wagen direkt in den Bauch gerammt hat." Die Angst macht sich auch in der muslimischen Gemeinschaft immer weiter breit. "Unter muslimischen Frauen, die ein Kopftuch tragen, ist die Angst besonders groß. Ich habe schon von Eltern gehört, die wollten, dass ihre Töchter das Kopftuch in der Schule abnehmen, aus Angst um ihre Sicherheit."

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Doch selbst wenn Diskriminierung nicht in Gewalt ausartet, werden muslimische Frauen nach wie vor anders behandelt. "Die Leute gehen davon aus, dass ich nicht ihre Sprache spreche, nur weil ich ein Kopftuch trage", sagt Chaudry. "Die meisten sprechen ganz langsam mit mir und wenn ich ihnen dann antworte, reagieren sie meistens total überrascht und sagen: 'Wow, du kannst unsere Sprache ja total gut!' Ich versuche regelmäßig, mit solchen Leuten ins Gespräch zu kommen und ihnen zu erklären, dass ich Muslima bin und ein Kopftuch trage, das aber nicht bedeutet, dass ich nicht von hier bin. Ich unterscheide mich nicht groß von ihnen. Ich stehe auch auf Star Wars und mache alles, was andere auch machen."

Jade Jackman ist eine Filmemacherin und Aktivistin. Einer ihrer Filme, Exploiting It, erforscht die Folgen von Islamfeindlichkeit für muslimische Frauen. "Es stimmt nicht, dass Islamfeindlichkeit nur Frauen schadet, aber muslimische Frauen sind in spezieller Weise betroffen. Die Menschen fetischisieren das Kopftuch. Während der Dreharbeiten habe ich immer wieder festgestellt, dass muslimischen Frauen oft unangebrachte Fragen über ihr Sexleben gestellt werden, weil die Menschen davon ausgehen, dass sie keinen Sex hätten."

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Diese sexuelle Komponente schwingt bei islamfeindlichen Vorurteilen gegenüber Frauen oft mit. "Wir erleben oft, dass die Sprache sehr stark sexualisiert ist, wenn muslimische Frauen auf der Straße belästigt werden", bestätigt Mughal. "Die Frauen sollen so erniedrigt werden, weil sie davon ausgehen, dass sie sehr religiös sind. Auch online werden muslimische Frauen oft Opfer von sexistischen Trollen – ganz besonders, wenn sie in sozialen Medien aktiv sind."

Ich frage Mughal, ob es ein klassisches Täterbild gibt. "Weiße Männer zwischen 15 und 35 Jahren. Interessant ist auch, dass wir im Gespräch mit den Tätern immer wieder zu hören bekommen, dass sie normalerweise keine Frau angreifen würden. Doch bei muslimischen Frauen haben sie den Eindruck, dass es in Ordnung wäre, weil sie in ihren Augen keine Frauen sind. Sie entmenschlichen sie so sehr, dass sie nicht einmal mehr ihre geschlechtliche Identität erkennen. Das Einzige, was sie sehen, ist, dass sie Muslime sind."

Das sind Männer, die nach Hause zu ihrer Frau gehen und sagen: 'Ich liebe dich. Wir sind gleichberechtigt' , dann aber nach draußen gehen und ohne zu Zögern muslimische Frauen angreifen.

Jackman sagt auch, dass die Gesellschaft erkennen muss, dass sich die religiöse und die geschlechtliche Identität muslimischer Frauen überschneidet. "Wir müssen darüber sprechen, wie aus praktizierenden Muslimen eine ethnische Identität werden konnte – ganz besonders bei farbigen Frauen. Muslimische Frauen setzen sich nicht aus einer einzigen Identität zusammen und islamfeindliche Gesinnungen kommen auf unterschiedlichste Weise zum Tragen. Das kann sowohl einen geschlechtsspezifischen als auch einen religiösen Hintergrund haben."

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Die Frauenfeindlichkeit, die sich hinter dem Großteil der gegenwärtigen Islamfeindlichkeit verbirgt, beunruhigt Mughal zutiefst. "Durch meine Arbeit mit Tell MAMA habe ich gelernt, dass Islamfeindlichkeit nicht getrennt von anderen Geschlechterfragen betrachtet werden kann."

"Es gibt Probleme in unserer Gesellschaft, von denen viele Männer betroffen sind. Das sind Männer, die nach Hause zu ihrer Frau gehen und sagen: 'Ich liebe dich. Wir sind gleichberechtigt' , dann aber nach draußen gehen und ohne zu Zögern muslimische Frauen angreifen. [Der Täter] sieht sich selbst vielleicht als einen guten Kerl, doch wenn man an der Oberfläche kratzt, kommt darunter das übersteigerte Männlichkeitsbild eines Mannes zum Vorschein, der denkt, dass es OK wäre, muslimische Frauen zu belästigen. Darin liegt das eigentliche Problem. Auch wenn wir gerne denken, dass wir in einer integrativen Gesellschaft leben – sie wird von einer ernstzunehmenden chauvinistischen Ader untergraben."

Zu allem Überfluss spielt Islamophpbie dem IS und anderen Extremistengruppen in die Hände, die versuchen, moderate Muslime zu radikalisieren. "[Islamfeindliche Gewalt wird] in der Regel durch internationale Vorkommnisse wie in Paris ausgelöst. Manchmal reichen aber auch nationale oder sogar regionalen Ereignisse", erklärt Dr. Imran Awan, stellvertretender Direktor des Center for Applied Criminology an der Birmingham City University. "Wenn man sich den Missbrauchsskandal in Rotherham anschaut [wo überwiegend britisch-pakistanische 'Grooming'-Banden minderjährige Mädchen systematisch missbraucht und sexuell versklavt haben], konnten wir in diesem Fall einen lokalen Anstieg von islamfeindlichen Übergriffen beobachten."

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Diese sogenannten Trigger-Ereignisse werden auch von rechten und rechtsradikalen Gruppen ausgenutzt. "Wir nennen dieses Phänomen 'kumulierenden Extremismus' – das heißt, dass eine extremistische Gesinnung die andere nährt. Wenn also der IS wächst, wachsen auch die rechtsextremen Gruppen – und beide Lager setzen auf Angst und Terror, um ihre eigenen Ziele voranzutreiben."

Die Proteste und die internationale Kritik, auf die Donald Trump mit seinem Einwanderungsverbot gestoßen ist, lässt hoffen, dass auch der weltweite Widerstand gegen die islamfeindliche Gesinnung rechter Politik wachsen wird. Doch Chaudry ist optimistisch: "Es regt sich immer mehr Widerstand – auch von Seiten anderer Religionen. Es gibt immer mehr Menschen, die nach vorne treten und sagen, dass sie diese islamfeindliche Gesinnung nicht akzeptieren werden. Wir müssen darauf hoffen, dass diese Stimmen gehört werden, um ein klares Zeichen gegen Intoleranz und Diskriminierung zu setzen. Das ist nicht unser Amerika. Das sind nicht wir. Wir müssen zusammenstehen."


*Name wurde geändert.