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#metoo

Brett Rossi: Wann bekommen wir Frauen aus der Porno-Branche endlich unseren #MeToo-Moment?

Als ich 2015 mit meinen Vorwürfen gegen Charlie Sheen an die Öffentlichkeit ging, tat man mich als geldgierigen Porno-Star ab. Aber selbst in der #MeToo-Ära ignoriert man Opfer aus der Sexindustrie.

Brett Rossi lebt in Los Angeles und arbeitet als Model, Entertainerin, Tänzerin, Porno-Darstellerin und Stand-up-Comedian.

Im Laufe der vergangenen sieben Monate standen sexuelle Übergriffe und Belästigungen (vor allem) am Arbeitsplatz so intensiv im öffentlichen Fokus wie noch nie zuvor. #MeToo ist inzwischen so viel mehr als nur ein Hashtag, nämlich eine internationale Bewegung, die wohl in die Geschichte eingehen wird – weil sie verändert hat, wie Frauen nicht nur bei der Arbeit, sondern im Allgemeinen behandelt werden.

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Währenddessen hat US-Präsident Donald Trump mit dem "FOSTA-SESTA"-Gesetzespaket aber auch eine Maßnahme gegen den Sexhandel erlassen, über die freiwillige Sexarbeiterinnen ganz offen sagen, sie gefährde ihre Sicherheit. Jetzt werden schützende Online-Services eingestellt und die Frauen sehen sich gezwungen, auf der Straße zu arbeiten. Aber schon vor der Verabschiedung der neuen Gesetze war die Wahrscheinlichkeit, ermordet zu werden, bei Sexarbeiterinnen 400 mal höher als bei durchschnittlichen Frauen. Das sagt die Organisation Sex Workers Outreach Project.

Das ist Gewalt gegen arbeitende Frauen in ihrer extremsten Form. Und dennoch gibt es keinen Aufschrei in der Form wie damals, als Aziz Ansari eine Frau beim ersten Date zum Sex gedrängt haben soll, als Louis CK ohne Einwilligung vor Frauen masturbiert haben soll oder als man Kevin Spacey sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe vorwarf. Natürlich sollten uns auch solche Dinge wütend machen. Aber warum bringt man da sofort die #MeToo-Bewegung ins Spiel, während Belästigungen und Gewalt gegen Sexarbeiterinnen weitestgehend ignoriert werden?

Wie wir alle wissen, begann der #MeToo-Hashtag in Hollywood. Berichte über Belästigungen und Übergriffe überschatteten den Glamour und zeigten das wahre, hässliche Gesicht vieler großer Produzenten, Schauspieler und Promis. Als die #MeToo-Bewegung dann immer weitere Kreise zog, kamen die großen Namen Hollywoods unter dem speziellen Hashtag #TimesUp zusammen, um etwas gegen die Frauenfeindlichkeit in ihren eigenen Reihen zu unternehmen.

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Vor Kurzem haben sich allerdings Schauspielerinnen wie Thandie Newton und Asia Argento zu Wort gemeldet und gesagt, dass sie sich von der Spitze der Time's-Up-Kampagne ausgeschlossen fühlten. Und Rose McGowan und Amber Rose haben sowohl #TimesUp als auch #MeToo dafür kritisiert, normale Frauen nicht ausreichend mit einzubeziehen – die "Stripperinnen, Porno-Stars und Homo-Jungs, die ständig vergewaltigt werden", gerieten in Vergessenheit, so Rose.

Dieser Aussage stimme ich zu. Wenn sich wirklich etwas verändern soll, müssen wir uns verstärkt auch um die Menschen kümmern, die nicht über den roten Teppich spazieren. Besondere Sorgen mache ich mir dabei um Porno-Darstellerinnen, Sexarbeiterinnen und all die anderen Frauen aus der Sexindustrie, die sich einem großen Risiko aussetzen, aber fast nie ernst genommen und quasi immer ignoriert werden.

Es scheint so, als habe man eine Grenze zwischen dem Mainstream und der Sexindustrie gezogen. Aber wie der Name schon sagt, sind Sexarbeiterinnen eben auch Arbeiterinnen. Und Sexarbeiterinnen, die bei ihrer Tätigkeit zu Opfern von Gewalt und Übergriffen werden, dürfen genauso "#MeToo" und "Time's Up" sagen wie jeder andere Mensch auch. Weil uns so wenig Respekt entgegengebracht wird, sehen wir Frauen aus der Sexindustrie uns extrem häufig mit Gewalt am Arbeitsplatz konfrontiert. Das gilt vor allem für nicht-weiße Frauen, Trans-Frauen und Frauen, die in einkommensschwachen Gegenden leben. Wir sollten gerade den Opfern helfen, die am meisten ignoriert werden und kaum Unterstützung erhalten.

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Brett Rossi.

Kleiner Fun-Fact: 2017 verzeichnete Pornhub täglich 81 Millionen Besucher auf seiner Seite. Das ist die gesamte Bevölkerung von Großbritannien – plus 15 Millionen Menschen. Warum haben Sexarbeiterinnen dann plötzlich keine Plattform mehr, wenn sie missbraucht, manipuliert oder ausgenutzt werden?

Die Antwort auf diese Frage ist einfach: Weil kulturelle Missverständnisse und absichtliche Ignoranz beim Thema Sexarbeit implizieren, dass man Frauen in der Sexindustrie gegenüber gar nicht übergriffig werden kann. Wenn wir verletzt, vergewaltigt oder gar umgebracht werden, dann sind wir direkt selbst daran schuld. Denn wenn sich eine Frau auszieht, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, dann kann sie ja keinen moralischen Kompass besitzen, dann muss bei ihrer Charakterentwicklung etwas schiefgelaufen sein, dann muss sie aus einer zerrütteten Familie stammen, dann muss sie psychisch labil sein.

Wie kann es sein, dass Übergriffe und Vergewaltigungen bei Frauen nicht zu zählen scheinen, die sich ausziehen und damit ihr Geld verdienen?

Die irrationalen und sex-negativen Standards unserer Gesellschaft entmenschlichen Sexarbeiterinnen. Selbst die meisten Leute, die sich als fortschrittlich und offen bezeichnen, nehmen eine beständige Annahme einfach so hin: Jede Frau, die nicht unseren Vorstellungen von Anstand entspricht, sollte sich ihr Leben lang schämen.

"Sich schämen" ist in Bezug auf die #MeToo-Bewegung sowieso ein gutes Stichwort, den Scham scheint einer der Hauptgründe zu sein, warum Opfer sexueller Gewalt und Belästigungen nicht schon eher an die Öffentlichkeit gegangen sind. Die Realität der Arbeit in der Sexindustrie sieht folgendermaßen aus: Man wird von den Behörden, Richtern, Rechtsbeiständen und so ziemlich allen anderen Menschen ständig bloßgestellt, manipuliert und niedergemacht – auch dann, wenn man die Wahrheit sagt. Frauen aus der Sexindustrie gelten sofort als schuldig, obwohl wir hinter verschlossenen Türen für das heimliche Vergnügen der Gesellschaft sorgen.

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2015 sprach ich öffentlich über die extrem gewalttätige und schädliche Beziehung zu meinem Ex-Verlobten Charlie Sheen. Die ganze Angelegenheit ging durch alle Medien und die negativen Reaktionen mir gegenüber waren entsetzlich. Ich fühlte mich als geldgeile und lügende Schlampe abgestempelt, die ihren Lebensunterhalt ja nackt verdient und deswegen gar nicht die Wahrheit sagen kann. Es hatte den Anschein, als ob es niemanden kümmerte, dass ich davon erzählte, wie mich ein mächtiger Mann sowohl sexuell als auch körperlich missbraucht hatte. Ich war halt "nur" ein Porno-Star.

Nachdem eine Boulevardzeitung laut eigener Aussage eine Aufnahme von Sheen erhalten hatte, auf der er erschreckend detailreich beschreibt, wie ich zusammengetreten und getötet werden soll, gewährte man mir eine einstweilige Verfügung gegen ihn. Als ich vor Gericht erscheinen sollte, konnte ich wegen eines Auftritts aber nicht anwesend sein. Ich muss schließlich auch Geld verdienen. Als ich nicht im Gerichtssaal auftauchte, teilte Sheens Anwalt dem Richter mit, dass ich nicht da wäre, weil ich lieber in einem Nachtclub als "weltberühmter Erotik-Star" auftrete. Dazu bezeichnete er mich in der Presse als "Erpresserin" und griff mich noch anderweitig an. Der Richter verweigerte mir schließlich eine permanente Verfügung gegen Sheen – meiner Meinung nach deswegen, weil mein Beruf so gegen mich verwendet wurde.

Wie kann es sein, dass Übergriffe und Vergewaltigungen bei Frauen nicht zu zählen scheinen, die sich ausziehen und damit ihr Geld verdienen? Kleine Erinnerung: Eine Vergewaltigung und ein sexueller Übergriff sind bei allen Menschen gleich. Jeder kann einer Handlung nicht zustimmen, egal wie man seinen Lebensunterhalt auch bestreitet.

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Ich frage mich, ob die Medien anders reagiert hätten, wenn ich im Zuge der #MeToo-Bewegung an die Öffentlichkeit gegangen wäre. Hätte man mich dann besonnen angehört, so wie jede Frau, die jetzt sagt, von einem wichtigen Hollywood-Promi missbraucht worden zu sein? Hätte ich die gleiche öffentliche Unterstützung erfahren?

Ich hoffe, dass es so gewesen wäre. Gewalt gegen Frauen aus der Sexindustrie wird dennoch auch weiterhin meistens ignoriert. Und wegen dieser Tatsache stehe ich der ganzen #MeToo-Bewegung sehr skeptisch gegenüber. Eine Sache steht fest: Wenn diese Bewegung wirklich etwas erreichen will, dann muss sie auch wirklich alle Frauen mit einschließen.

Frauen, die in der Sexindustrie arbeiten, haben es verdient, als ganz normale Frauen angesehen und wie Menschen mit den gleichen Rechten behandelt zu werden. Wir verdienen faire Gerichtsverhandlungen und eine Chance auf Gerechtigkeit. Wir verdienen es, uns ebenfalls erheben und "#MeToo" schreien zu können. Wir verdienen die volle Unterstützung – und zwar nicht nur von der Justiz, sondern auch von jeglichen Bewegungen, die für alle Opfer sexueller Gewalt da sein sollen.

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