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Schönheit durch Nahtoderfahrung: Ich habe mich 3 Minuten lang einfrieren lassen

Wer schön sein will, muss leiden. Bei der Kryotherapie wird der Körper unglaublichen Minustemperaturen ausgesetzt, um danach jünger, straffer und gesünder zu sein.
Illustration by Brandon Bird

Ich bin jemand, der seine Zigarette in Kokain gestippt hat, bevor er sie angezündet hat, nur um zu sehen, was passiert. Ich habe einen kompletten Tag meines Lebens verloren, nachdem ich mir Space Cookies in Amsterdam reingepfiffen habe und ich habe Jägermeister getrunken—freiwillig! In den Zeiten, als mein Suchtproblem auf seinem Höhepunkt war, habe ich absolut alles ausprobiert, was für mich vielversprechend und aufregend klang. Als ich clean wurde, hat sich diese Einstellung nicht wirklich geändert: Ich wurde zum Gesundheits-Junkie. Ich wickelte mir einen Muskelstimulator um die Hüften, um ein paar Zentimeter zu verlieren, habe Stunden zwischen einer Saune und einer Dusche verbracht, während ich mir literweise Wasser reingekippt habe, um zu entgiften, und habe meinen Körper bis auf die Knochen abschrubben lassen, um weichere Haut zu kriegen. Kurzum: meinen Körper extremen Bedingungen auszusetzen, um irgendeine Art Hochgefühl zu bekommen oder schöner zu werden, ist irgendwie mein Ding.

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Es wirkt also fast vorherbestimmt, dass ich mich irgendwann frierend und halb nackt in mit Chirurgenmaske, Crocs und einer Mütze mitten in Westhollywood wiederfand.

Ich wollte die Kryotherapie ausprobieren, eine Schönheitsbehandlung, bei der man für zwei bis vier Minuten entweder in einer Röhre oder in einer Kammer steht, die auf 93 Grad unter Null runtergekühlt wurde. Ein paar Minuten in zähneklirrenden arktischen Bedingungen kosten umgerechnet zwischen 30 und 60 Euro, je nachdem wo man lebt. Kobe Bryant, LeBron James und Floyd Mayweather nutzen die Kryotherapie, um sich bei Schmerzen oder von Verletzungen schnell wieder zu erholen. Derek Hough, Mandy Moore und Minky Kelly sind nur ein paar der Stars, die sich auf Instagram vor und nach dem Einfrieren abgelichtet haben. Die Nachricht von einer 24-jähriger Salonmitarbeiterin, die in einer der Kryokammern erstickt ist, weil die Sauerstoffsättigung unter 5 Prozent fiel, scheint der Popularität dieses Trends keinen Abbruch zu tun.

Warum überhaupt jemand so etwas tun sollte? Die angeblichen Vorteile der Kryotherapie lesen sich wie eine Art Anleitung, um alle Probleme zu lösen, an denen ein erwachsener Mensch im Jahr 2016 überhaupt nur leiden könnte: Es regt den Stoffwechsel und die Durchblutung an, beschleunigt die Heilung des Gewebes, verbessert den Schlaf, steigert die sportliche Leistung, erhöht das Serotoninlevel und wirkt im Allgemeinen verjüngend. In anderen Worten: Wenn du die Spuren des Alterns, deines täglichen Alkoholkonsums und von unzähligen Katerfrühstücken loswerden möchtest, lässt du dich am besten einfrieren.

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Dadurch, dass die Kammern mit flüssigem Stickstoff gekühlt werden, geht die Temperatur deiner Hautoberfläche sehr viel schneller runter als bei beispielsweise einem Eisbad—womit der erwünschte Effekt (beispielsweise eine straffere Haut) deutlich schneller einsetzt. Sobald er den extrem niedrigen Temperaturen ausgesetzt ist, beginnt der Körper, gegen die Kälte anzukämpfen, indem er versucht, die grundlegenden überlebenswichtigen Vitalfunktionen aufrechtzuerhalten. Aufgrund der künstlich herbeigeführten Extremsituation denkt dein Körper nämlich, du wärst in einen zugefrorenen See eingebrochen oder mit dem Flugzeug während einem Blizzard in den Anden abgestürzt. Der Körper schickt Signale an das zentrale Nervensystem, um ihm zu sagen, dass die Durchblutung in verschiedenen Teilen des Körpers verstärkt werden muss. Im Zuge dessen werden auch jede Menge Kalorien verbrannt.

Kryotherapie gibt es seit den 70ern, auch wenn der Trend für viele recht neu sein dürfte. Damals wurde die Kryotherapie in Japan eingesetzt, um rheumatoide Arthritis zu behandeln. Der Arzt Jonas Kuehne entdeckte während seines Medizinstudiums in Deutschland, dass die Methode in Europa eingesetzt wurde, um die Regeneration nach Operationen zu beschleunigen. Kurz nach seiner Rückkehr in die Staaten eröffnete er zusammen mit seiner Frau und seinem Bruder Cryohealthcare, das heute mehrere Standorte im Süden Kalifornien besitzt und derzeit gemeinsam mit der Fitnesskette Equinox eine Außenstelle in New York plant.

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Als ich an ihrem Standort in Westhollywood ankomme, friere ich bereits—vor Angst.

„Ach, mach dir keine Sorgen. Du wirst es lieben", sagt mir die fröhliche brünette Mitarbeiterin, bei der ich einchecke.

Danach misst sie meinen Blutdruck. Ich starre auf eine Ausgabe eines Fitnessmagazins im Regal neben mir und versuche so zu tun, als wäre es ganz normal, dass mein Blutdruck vor einer Schönheitsbehandlung gemessen werden muss.

„Sind sie allein hier?", fragt mich die Blutdruckmesserin.

Ich nicke. Fragt sie mich, weil das Teil des lockeren Smalltalks zwischen mir und den Girls aus dem Kryocenter sein soll oder weil es eine gute Idee gewesen wäre, jemanden dabeizuhaben, für den Fall dass mein Blutdruck abfällt und sie nicht in der Nähe ist, um lebensrettende Maßnahmen durchzuführen? Ich frage nicht.

Nach ein paar Minuten in der Lobby—mit Blick auf den kalten Dampf, der unter verschiedenen Türen hervor wabert—werde ich nach hinten in eine der Umkleidekabinen geführt. Mir wird gesagt, dass ich meine Kleidung ablegen soll und ich bekomme die Anweisung, dass ich einen Bademantel, Kniestrümpfe, eine Gesichtsmaske und eine Mütze anziehen soll.In der Kabine entledige ich mich des Bademantels und steige in die arktische Kammer. Ich hole tief Luft und erinnere mich selbst daran, dass mir die Mitarbeiterin gesagt hat, dass ich mich nach den ersten 30 Sekunden großartig fühlen werde.

Ich möchte diese Frau nicht als Lügnerin bezeichnen, aber kennst du das, wenn Leute, die total auf Entgiftungskuren stehen, so verrückte Sachen sagen wie: „Oh, nach zwei Tagen merkst du gar nicht mehr, dass du nichts isst"? Ungefähr so war das. Die ersten 30 Sekunden waren schrecklich. Und die folgenden 90 Sekunden auch.

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Aber gleichzeitig war es auch ziemlich gut. Mein Körper fühlte sich an, als hätte man ihn in eine Eismaschine gestippt—sogar meine Organe, auch mein Herz, fühlten sich kalt an—und ich konnte spüren, wie mein Puls hochging. Weil ich ziemlich viel und regelmäßig Sport mache, plagen mich immer irgendwelche unterschwelligen Schmerzen. Während dieser paar Minuten in der Kammer war der Schmerz weg, bis die Kälte ein scharfes stechendes Gefühl an meinem Hinterkopf verursachte.

Als ich da so stand, aus dem winzigen Fenster auf der Vorderseite der Kammer starrte und durch die Nase ein- und durch den Mund wieder ausatmete—so wie es mir gesagt wurde—war ich ziemlich stolz auf mich. Das Mädchen, das sich beim leichtesten Anfall von Regen über schlechtes Wetter beklagt, war verschwunden. Trotzdem werde ich nicht lügen: Es waren verdammt lange zwei Minuten. Als ich da stand, dachte ich über das Gespräch nach, das ich am Tag zuvor mit einem Lebensstylisten hatte (ja, es gibt jetzt Lebensstylisten; das ist so ziemlich das Gleiche wie ein Welless-Experte).

„Kryotherapie führt dich zurück zur Natur", sagte mir Luke Storey und vergaß nicht zu erwähnen, dass er gern in gefrorene Seen springt. „In drei Minuten erreichst du denselben Effekt, für den du sonst zwanzig brauchen würdest. Ich könnte also zwei Stunden bis zum nächsten größeren Gewässer fahren und ins Wasser springen, oder einfach die Straße runter fahren."

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Zurück zur Natur, dachte ich. Durch die Nase ein-, durch den Mund wieder ausatmen.

Irgendwann höre ich eine Computerstimme erklingen: „Noch 30 Sekunden" und dann der Countdown. Ich komme raus, siegreich.

Ich kann nicht bestreiten, dass ich ein Hochgefühl hatte. Und als jemand, der nach seiner Koksabhängigkeit mittlerweile 15 Jahre clean ist, muss ich zugeben: Als meine Nase plötzlich zu laufen begann, fühlte ich mich in eine Zeit Ende der 90er zurückversetzt, in der ich Partys größtenteils auf Clubtoiletten verbracht habe. Die Kombination aus Euphorie und einer laufenden Nase ist wohl das, was viele Menschen in den Selbsthilfegruppen als „freien Rückfall" bezeichnen würden.

Nach dem Verlasen der Kammer habe ich die Brünette gefragt, auf welche körperlichen Veränderungen ich mich jetzt einstellen könnte. Ich würde in den folgenden Tagen 500 bis 800 Kalorien verbrennen, sagte sie mir. Außerdem würde ich eine Art „Runner's High" erleben. „Daran wie sie lachen", sagte sie. „kann ich sehen, dass sie schon eins haben." Ich schaute in den Spiegel und verdammt, sie hatte recht.

Entschlossen, das beste aus meinem High zu machen, beschloss ich—und ich mache keine Witze—darüber nachzudenken, welche aufregenden neuen Wege ich beruflich einschlagen könnte. Ich würde nach Hause gehen, dachte ich, und eine Liste machen mit neuen Projekten, die ich angehen wollte. Hochmotiviert habe ich auf dem Weg nach Hause noch einige längst überfällige Besorgungen gemacht, aber irgendwo zwischen dem Zooladen und dem Reformhaus habe ich plötzlich Angst bekommen, dass mein euphorischer Zustand jede Sekunde abnehmen könnte, ohne dass ich ihn richtig genutzt habe.

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Einige Stunden später war das High wieder weg, aber ich war immer noch begeistert und sprach mit Robin Kuehn, dem Bruder von Jonas Kuehn und Mitbegründer von Cryohealthcare, um herauszufinden, was genau ich da erlebt habe. Und—was noch wichtiger war—ob ich immer noch 500 bis 800 Kalorien verbrannte. „Absolut", sagte er. „Wenn dein Körper einen derartigen Schock erlebt, dauert es 48 Stunden bis wieder alles normal ist."

Das klingt zwar etwas beunruhigend, aber die Wahrheit ist, dass es scheinbar niemanden gibt, der behaupten könnte, dass die Kryotherapie irgendwelche schädlichen Folgen hat. Ihr größter Kritiker ist Joseph Costello, ein Forscher an der Universität in Portsmouth in Südengland, der anhand einer Studie bewiesen haben will, dass die Kryotherapie keinerlei Effekt auf Muskelverletzungen hat. Er hat auf keine der zahlreichen E-Mails, die ich ihm geschickt habe, geantwortet.

Was die verbrannten Kalorien angeht, sagt Kuehne ganz eindeutig, dass er dramatischen Gewichtsverlust nicht mit der Kryotherapie in Verbindung bringen würde. „Wenn Leute zu uns kommen, versuchen sie oftmals gesünder zu leben—in vielerlei Hinsicht—, deswegen nehmen sie eher durch die anderen Dinge ab, die sie tun", betont er. Natürlich geht es nicht nur um äußere Schönheit: Kuehne erzählte mir auch von einem Sozialarbeiter, der immer mit einer Gruppe von Leuten kam, die an Depressionen litten, um zu sehen, ob die Therapie ihre psychische Gesundheit verbessern könnte.

Als ich Kuehne frage, was er zu dem Mädchen sagt, das in der Kammer in Las Vegas gestorben ist, klingt er nicht mehr ganz so positiv. „Darüber wurde ganz falsch berichtet", sagt er mir. „Die Mitarbeiterin war eine der Managerinnen vor Ort. Sie kam außerhalb der Öffnungszeiten rein und hat die Maschine ohne Aufsicht benutzt—was man niemals machen sollte." Die Medien, sagt er weiter, hätten berichtet, dass sie in der Kammer eingesperrt war, aber die Türen seien niemals verschlossen, sondern werden von einem Magneten gesteuert. „Bei über zwei Millionen dokumentierten Behandlungen in den letzten 40 Jahren ist das das erste Mal, dass etwas Schlimmes passiert ist", sagt er abschließend.

Auch wenn ich nicht stolz darauf bin, das zu sagen, muss ich doch gestehen, dass ich momentan mit dem Gedanken spiele, eine monatlich unbegrenzte Mitgliedschaft bei Kryohealthcare abzuschließen.

Kommt das daher, dass ich mich schon nach dem ersten Mal so unglaublich verändert gefühlt habe? Eher nicht. Ich bin eitel oder optimistisch oder einfach nur dumm genug zu glauben, dass ich komplett verwandelt und wahrscheinlich auch attraktiver sein werde, wenn ich mich regelmäßig einfrieren lasse. Und mir für 35 Euro ein paar Minuten lang den Arsch abzufrieren, scheint mir dafür gerade noch vertretbar.