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Hamburg

Fußballromantik contra Siegeswille: Die Kommerzfrage des HFC Falke

Enttäuschte HSV-Fans gründeten aus Kommerzkritik den HFC Falke. Der Verein dominiert in der Kreisklasse und will sportlich bald wie möglich in die Oberliga. Was will man Sponsoren dafür zugestehen?
Foto: Tobias Ahrens

Vor einem Pavillon am Rudi-Barth-Sportplatz steht Philipp Markhardt. Mit einem Bier in der Hand diskutiert er mit einem weiteren Fan des HFC Falke, der heute, an einem kalten Sonntagmorgen im Februar, gegen den Bahrenfelder SV II spielt und 2:1 gewinnen wird. „Hier biste noch auf Augenhöhe", sagt der Fan, „nicht so mit den Schlipsträgern. Das ist noch Fußball." Und klopft Markhardt anerkennend auf die Schulter.

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Nach einem Jahr der Vorbereitung spielt der HFC Falke heute in der Hamburger Kreisklasse 5 und ist ungeschlagener Tabellenführer. Sportlich fraglos erfolgreich, steht das Projekt vor einem hausgemachten Problem: Wie soll mit notwendigen Sponsoren umgegangen werden? Die Kommerzkritik regt sich bereits.

Markhardt ist Beisitzer im Vorstand des Kreisligisten HFC Falke, kümmert sich um die Öffentlichkeitsarbeit und das Marketing und ist über den Tellerrand des Hamburger Lokalfußballs hinaus bekannt. Als Sprecher der Organisation „Pro Fans" und Mit-Organisator des landesweiten Fan-Protestes „12:12" gegen die Sicherheitskontrollen in deutschen Stadien gehört er zu den bekanntesten Gesichtern der Fußballfan-Szene. Er ist kein Schlipsträger. Er trägt Winterjacke und eine Wollmütze der Marke „Peaceful Hooligans".

Philipp Markhardt im Aktuellen Sportstudio (rechts) mit dem Fanforscher Jonas Gabler (Mitte); Foto: Imago/Martin Hoffmann

Früher ging er zu jedem Spiel des Hamburger SV. Mit seinem Vater sah er Anfang der 1990er-Jahre ein 0:1 des HSV gegen Wattenscheid 09 im alten Volksparkstadion. „Normalerweise bindet so ein Kick niemanden an einen Verein", sagt Markhardt, „aber ich habe fasziniert auf die Fankurve geschaut." Er wurde Mitglied der berühmten Hamburger Ultra-Bewegung Chosen Few, um etwas im Verein bewegen zu können.

Der HSV gliedert sich aus—Die Fans spalten sich ab

Im Sommer 2014 war das vorbei. Er, Tamara Dwenger und die übrigen 20 Exilanten trafen sich am Abend, nach der Ausgliederung der Profiabteilung des Hamburger SV unter dem Motto „HSVPlus", in einer Hamburger Kneipe. Die fortschreitende Kommerzialisierung ihres Vereins machte ihnen Angst. „Was man liebt, verkauft man nicht", hatte Dwenger mittags unter Buhrufen der HSV-Fans gesagt. Dwenger und ihre Mitstreiter fürchteten, dass die Sorgen und Meinungen der Fans immer weiter ignoriert werden würden. Der Verkauf des Stadionnamens, der Verein als Plattform für Unternehmer und Politiker sowie die zunehmende Eventisierung. Der HSV—das war in dieser Form nicht mehr ihr Verein. Die Mehrheit befürwortete jedoch die Ausgliederung.

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Anfangs noch eine lose Idee, entwickelten sie an diesem Abend schnell den Gedanken, „ein eigenes Ding zu machen" und einen Verein zu gründen—den HFC Falke. Eine Hommage an den HSV-Gründerverein FC Falke 1906. In den traditionellen Farben Schwarz, Blau und Weiß. Eine Geschichte, die deshalb nicht für sich steht, sondern den fortschreitenden Gentrifizierungskonflikt im deutschen Fußball aufzeigt.

Foto: Imago

Wo Sponsoren und das Marketing den Weg eines Vereins bestimmen und nicht mehr die einfachen Mitglieder. Die subkulturelle Kritik am modernen Fußball manifestierte sich in einem Projekt—einem Verein. Das Ziel ist, so sagen es die Gründer, der Liebe zum Sport und zu einem Verein ein neues emotionales Zuhause zu geben. Keine Anti-Aktion, sondern etwas Positives sollte entstehen. Sechs Wochen später trug sich der neue Club im Vereinsregister des DFB ein.

Bis zur Aufnahme des Spielbetriebs verging ein weiteres Jahr. „Die Liebe zum Detail ist beim HFC entscheidend", erklärt Markhardt. Nichts sollte dem Zufall überlassen werden bei der Idee, den Fußball zurück an die Basis zu bringen. Ehrlich, dreckig und für jeden zugänglich soll er sein. Mit dem Rudi-Barth-Sportplatz fanden die Vereinsmitglieder nicht irgendein Sportgelände, sondern einen seltenen Rasenplatz mit ausreichend Stehplätzen. Nicht irgendwelche Spieler kamen zum Probetraining, sondern gestandene Akteure aus den Kreis- und Bezirksligen. Und mit Dirk Hellmann gewann der HFC einen jungen, aber hochmotivierten Trainer. Ganz unten. In der Kreisklasse. Zehnte Liga.

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Ein voller Erfolg. 500 Zuschauer sind zum ersten Heimspiel der Saison gekommen, seitdem sind es nicht weniger geworden. Sie stehen im nasskalten Februar noch immer am Rudi-Barth-Sportplatz und schreien die Mannschaft zum Sieg. Das Team führt die Tabelle mit 55 Punkten an. 92 Tore und nur elf Gegentore sind jeweils Ligaspitze. Viele Familien, junge und alte Menschen. Frauen und Männer jeden Alters schauen sich das Topspiel gegen den Verfolger Bahrenfeld II an. Markhardt steht mittendrin und trinkt Holsten-Bier für zwei Euro. Relativ günstig, aber Holsten ist seit Saisonbeginn auch Sponsor des HFC. Sponsoren in der Kreisklasse?

„Derzeit würde sich der Verein auch nur über Mitgliedsbeiträge finanzieren. Aber wir wollen ja nicht ewig Kreisklasse spielen", zuckt Markhardt mit den Schultern. Zwar bewegen sich alle Aktionen des Vereins in Eigenregie, doch manches wirkt nahezu professionell. Im Sommer durfte die Mannschaft sogar ins Trainingslager, einige Kilometer außerhalb der Stadt. „Das gönnen wir uns, weil es auch sportlich wichtig ist. Die Mannschaft muss sich finden und an sich arbeiten", erklärt Markhardt. Das kostet Geld. In der Kreisklasse will der HFC nicht ewig spielen, bestenfalls nie wieder. Die Oberliga, mit stadtbekannten Vereinen wie Victoria Hamburg, Condor Hamburg oder Altonaer ist das Ziel. Doch sportlicher Erfolg und Mitgliederzuwachs bedingen sich. „Wir können nicht ewig in der Kreisklasse zocken", und nicht nur Markhardt weiß: „Ohne Sponsoren geht Oberliga halt nicht. Und dahin wollen wir." Dort scheint der HFC dauerhaft eine Heimat finden zu können. In Ligen, in denen man sich auch auf den Rängen mit Fans ähnlicher Masse messen kann, wo Gegenwind und Wettbewerb auf lokaler Ebene herrschen. Denn Fußballromantik bedeutet keinesfalls die Beerdigung des Siegeswillens.

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Trikotverkäufe wie in der Regionalliga

Natürlich wurde jeder Spieler vor der Saison neu ausgestattet. Mit Trainingsanzügen und eigens entworfenen Trikots. Nirgends auf der Welt findet sich dieses Design, das schwarzblaue Flaggenmuster, ein zweites Mal. Dafür arbeitete der HFC mit dem Sportartikelhersteller Erima zusammen. „Falke hat einen Partner gesucht, der die Tradition und das Design umsetzen kann", erklärt der Erima-Gebietsleiter Alexander Oßwald. Gratis gab es das jedoch nicht, der Verein musste die Ausrüstung bezahlen. Oßwald sagt auch, dass der neue Verein gut ins „Markenkonzept" passe und lobt, dass die Personen im Vereinsumfeld sehr professionell arbeiten würden. „Der HFC liegt weit über den normalen Zahlen eines Kreisklassenklubs, was die Trikotverkäufe angeht. Der Verein verkauft etwa so viel wie ein Regionalligaverein."

Den obligatorischen Bucket-Hat gibt es auch im Shop; Foto: Tobias Ahrens

Das müsse man jedoch relativieren, wendet Markhardt ein. Für 49 Euro geht ein Trikot an Spieltagen über den Tresen des eigens aufgebauten Pavillons. „Aber wer weiß, was die Anschaffung kostet, kann sich denken, was übrigbleibt", sagt Markhardt. Erima und der Zwischenhändler SportsLine dürften ebenfalls an der Nachfrage verdienen. Immerhin: Die Trikotbrust, das Filetstück aus Marketingsicht, ist noch werbefrei. Auch in sportlicher Hinsicht sei der HFC Falke frei von guten Ratschlägen der Sponsoren.

Eigene Artikel zum Selbstkostenpreis

„Ist der HFC Falke ein Kommerzverein?" fragte sich deshalb im vergangenen Sommer ausgerechnet eine eigene Fangruppe. „Die Dicken Falken" schrieben in ihrem Blog: „Ja, wir verkaufen Merchandising und nehmen Geld für Bier und Wurst. Auch kostet unser Trikot 49,00 € im Verkauf. Sind wir deswegen ein Kommerzverein?" Das Verhältnis zwischen Kostendeckung und einem Verdacht von Gewinnmaximierung war unsicher.

Markhardt grinst: „Die meisten Trikots, die wir bestellen, haben Größen zwischen XL und XXXL." Im Merchandise-Shop werden unter anderem Fahne (69 Euro), Vereinsmagazin (30 Cent) und Sticker (gegen eine Spende) verkauft. Einiges sieht man davon sonntagmorgens auf dem Fischmarkt. Vor dem Spiel. Erstes Bier und Fischbrötchen in den Fanhänden. „Jedem steht frei, unsere Produkte zu kaufen", mahnt Markhardt. Ein hochauflösendes Logo und eine Vektordatei stehen auf der Homepage zur Verfügung. So könne jeder Fan auch eigene Artikel zum Selbstkostenpreis herstellen. Markhardt: „Solange es da nicht um Geldmacherei geht, sehen wir das ganz entspannt."

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Wie weit ist der HFC bereit zu gehen?

Man müsse eben zwischen millionenschweren Investoren und lokalen Sponsoren unterscheiden, sagt der Fanforscher Martin Winands: „In den Proficlubs investieren vielen Sponsoren aus Marketinggründen, um mit dem Renommee des Vereins Kunden zu gewinnen." Davon würden beide Seiten profitieren, aber im Amateurfußball ginge es stärker um die lokale Verwurzelung. Das geht mit den Aussagen des HFC-Präsidiums einher, das betont, jeder Sponsor müsse zum Verein passen. So war Holsten jahrzehntelang das Bier der HSV-Fans und wurde im Volkspark verkauft. Vor einigen Jahren bot König Pilsener für diese Rechte eine höhere Summe, der Hamburger SV stieg ein. Wer im Rudi-Barth-Stadion Holsten bestellt, hält also auch ein kleines Stück Geschichte in den Händen.

Winands hat erkannt: „Auch im niedrigen Amateurfußball, der sich auf Bezirks- oder Landesniveau bewegt, gibt es Prämien. Und das Geld muss natürlich irgendwo herkommen. Nicht nur das Geld für die Prämien. Auch für den Unterhalt, für die Schiedsrichter. Das heißt, Sponsoren sind wichtig."

Und so erkannten auch die „Dicken Falken", dass von einem Kommerzverein zurzeit noch nicht gesprochen werden kann: „Ohne Geld funktioniert der Fußballbetrieb nun mal nicht. Auch nicht in der Kreisklasse. Dies ist selbst den verträumtesten Romantikern bewusst."

Mit Mitgliedsbeiträgen allein scheinen die Ausgaben auf Dauer nicht tragbar zu sein. Im Sommer 2016 will der HFC zudem eine zweite Mannschaft im Spielbetrieb anmelden. In der Kreisklasse, die die erste Mannschaft ein Jahr lang dominierte und aller Voraussicht als Aufsteiger verlassen wird. Auch der „Zwoten" soll es an Trainingslager und Trikots nicht mangeln. „Wenn das jemand unterstützen will, werden wir uns nicht wehren", sagt Markhardt. Sein Verein ist im Alltag angekommen. Fraglich bleibt, ob der HFC Falke bereit ist, immer mehr Sponsoren ins Vereinsheim einzuladen in der Gefahr, sich zu einem gewöhnlichen Lokalklub im Konzert der Hamburger Stadtgrößen zu entwickeln. Wie viel ist der HFC Falke in Zukunft bereit zu verkaufen, von dem was er liebt?

Folgt Tobias auf Twitter: @altobelliahrens