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Unzerstörbare Bärtierchen erwachen nach 30 Jahren Kryo-Schlaf zu neuem Leben

Noch ein Grund mehr, die unscheinbaren Bosse des Winzling-Tierreichs zu lieben.
Acutuncus antarcticus, ein Individuum, das den Stamm SB-3 repräsentiert. Im Magen ist die Alge Chlorella spirulina sichtbar. Maßstab 100 μm | Foto: National Institute of Polar Research (NIPR)

Tardigrada, den meisten als Bärtierchen oder Wasserbären bekannt, sind möglicherweise die widerstandsfähigsten Tiere, die jemals Fuß auf diesen Planeten gesetzt haben. Obwohl sie durchschnittlich nur einen halben Millimeter lang sind, sind die Winzlinge richtige Riesen, was ihre Widerstandsfähigkeit angeht. Wasserbären können von klirrend kalt bis feurig heiß alles aushalten: Temperaturen zwischen -272 (knapp über dem absoluten Nullpunkt) und bis zu 149 Grad Celsius sind für sie kein Problem. Man könnte sogar einen Tardigraden aus einem Raumschiff werfen und er würde das Vakuum des Weltalls für mehr als eine Woche überleben, trotz Druckausgleich und Strahlung

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Wie es so schön in diesem kleinen Wissenschafts-Song heißt: Water bear don't care.

Nun hat eine neue Studie in der Fachzeitschrift Cryobiology noch einen weiteren Grund offenbart, vor diesen niedlichen Wesen den Hut zu ziehen. Unter der Leitung von Megumu Tsujimoto, einer Forscherin am National Institute of Polar Research, demonstriert die Studie, dass die antarktische Tardigrada-Gattung Acutuncus antarcticus sich nach Jahrzehnten ohne Nahrung im Eis noch fortpflanzen kann. „In den bisherigen Studien zum langfristigen Überleben von Mikrometazoen wurde primär das Überleben beobachtet, während über die Bedingungen bei der Wiederherstellung der Tiere oder eine darauffolgende Reproduktion allgemein nicht berichtet wurde", schreibt das Team im Abstract der Studie. „Daher dokumentieren wir den Erholungsprozess sowie die Reproduktion, die direkt auf die Wiederbelebung von Tardigrada aus einer gefrorenen Moosprobe folgte, welche 1983 in der Antarktis gesammelt und daraufhin für 30,5 Jahre bei -20 Grad Celsius gelagert worden war." Es wurden also am 6. November 1983 zwei ausgewachsene Tardigrada und ein Tardigraden-Ei im antarktischen Yukidori Valley eingesammelt und daraufhin für 30 Jahre eingefroren. Dann hingen sie im Kälteschlaf herum, bis Tsujimotos Team sie im Mai 2014 in den lauen Gewässern einer Petrischale auftaute. Laut der wissenschaftlichen Arbeit ist es „das längste kryobiotische Überleben, das jemals bei Tieren oder Eiern des Stamms Tardigrada aufgezeichnet wurde".

Verständlicherweise brauchten die beiden erwachsenen Wasserbären—die nach der Dornröschen-Geschichte „Sleeping Beauty 1" und „Sleeping Beauty 2" genannt wurden—ein paar Tage, um sich an alles zu gewöhnen. Der erste große Durchbruch kam am sechsten Tag, als SB-1 anfing, zu einem appetitlichen Fleckchen Algenwuchs in seiner Schale zu kriechen. Verblüffenderweise schlüpfte plötzlich das rehydrierte Ei am selben Tag und brachte eine rundum gesunde Tardigraden-Larve zum Vorschein—ein Wasserbärenjunges, wenn man so will. Die Empfängnis von SB-3, wie das Neugeborene genannt wurde, fand in dem Jahr statt, als Die Rückkehr der Jedi-Ritter in die Kinos kam, doch geschlüpft ist es erst 2014.

Die Forschungsergebnisse wurden von hier an nur noch erstaunlicher. Etwa am 13. Tag verschlang SB-1 seine erste Mahlzeit seit 1983 und es wurde beobachtet, wie SB-3 Eier hervorbrachte.

Etwa nach drei Wochen hatten sowohl SB-1 und SB-3 durch die asexuelle Fortpflanzungsart der Parthenogenese eine neue Generation von Tardigrada-Eiern gelegt. (Je nach Gattung können sich Wasserbären entweder sexuell oder asexuell fortpflanzen, was perfekt zu ihrem Ruf als absolute Überlebensmaschinen passt.) Leider hat SB-2 den langen Schlaf im Eis nicht so gut überstanden wie seine Artgenossen. Es konnte sich einigermaßen erholen, doch mehrere Gliedmaßen waren gelähmt und es schaffte nicht mehr als eine kleine Menge Nahrung zu sich zu nehmen, bevor es am 20. Tag verstarb, ohne sich fortgepflanzt zu haben. Dies erinnert uns daran, dass einzelne Wasserbären trotz der extremen Widerstandskraft ihres Stamms ihre Grenzen haben. „Tardigrada sind nicht wirklich extremophil, denn sie haben sich nicht ans Leben in den extremsten Bedingungen angepasst", sagte der Evolutionsbiologe Jim Garey der Fachzeitschrift Astrobiology. „Sie können solche Bedingungen lediglich überleben. Je länger sie diesen Bedingungen ausgesetzt sind, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sie sterben. Tardigrada warten immer auf etwas Besseres." Doch die Tatsache, dass SB-1 und SB-3 sich gut genug erholen konnten, um sich wieder fortzupflanzen, ist ein Zeugnis ihrer allgemeinen Widerstandsfähigkeit. Nachdem man sie in einem völlig neuen Jahrtausend aufgetaut hatte, waren diese zwei Wasserbären nicht nur unbeeindruckt, sie waren auch sogleich in Stimmung, eine Familie zu gründen. Wasserbären sind wahrlich die unermüdlichsten Überlebenskünstler der Evolution.